• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Hyperkinetische Störungen" (11.05.2007)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Hyperkinetische Störungen" (11.05.2007)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

ie Symptome Unaufmerksamkeit, motorische Un- ruhe und Impulsivität definieren eine Gruppe von Störungsbildern, die in den gebräuchlichen Klassi- fikationssystemen ICD 10 und DSM IV als hyperkine- tische Störungen (HKS) beziehungsweise Aufmerksam- keitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) detailliert beschrieben wird (1).

„Diese Gruppe der Störungen ist charakterisiert durch einen frühen Beginn, meist in den ersten fünf Le- bensjahren, einen Mangel an Ausdauer bei Beschäfti- gungen, die kognitiven Einsatz verlangen, und eine Ten- denz, von einer Tätigkeit zu einer anderen zu wechseln, ohne etwas zu Ende zu bringen; hinzu kommt eine des- organisierte, mangelhaft regulierte und überschießende

Aktivität“ (Deutsches Institut für medizinische Doku- mentation und Information) (2). Epidemiologische und klinische Studien legen nahe, dass Kinder mit hyperki- netischen Störungen ein erhöhtes Komorbiditätsrisiko für andere psychiatrische Erkrankungen und Drogen- missbrauch haben (3).

Eine Reihe von umweltbedingten und genetischen Risikofaktoren konnte man in Studien zur Ätiologie der HKS identifizieren. Hierzu gehören unter anderem

männliches Geschlecht junges Alter

niedrige soziale Schicht der Mutter Alkoholprobleme beim Vater und weitere psychosoziale Faktoren.

ORIGINALARBEIT

Hyperkinetische Störungen:

Ein bundesweiter Vergleich der Hospitalisationsraten

Andreas Stang

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Zur Häufigkeit hyperkinetischer Störungen (HKS) ist in Deutschland wenig bekannt. Ziel ist es, Hospi- talisationsraten für hyperkinetische Störungen anhand der aktuellsten verfügbaren bundesweiten Diagnosedaten der Krankenhauspatienten im Jahr 2003 zu ermitteln. Hierbei interessiert der Einfluss des Alters, des Geschlechts, der Wohnregion der Patienten sowie der Ärztedichte auf die Hospitalisationsraten. Methoden: Zur Analyse wurde der neueste Scientific Use File der bundesweiten Kranken- hausdiagnosestatistik des Jahres 2003 verwendet. Es wurden altersspezifische und -standardisierte Hospitalisa- tionsraten berechnet. Ergebnisse: Im Jahr 2003 erfolgten 5 365 Hospitalisationen wegen HKS. Die Hospitalisations- raten liegen in den neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten Bundesländern. Je höher die Dichte der ambulant tätigen Kinder- und Jugendpsychiater (und -psy- chotherapeuten) ist, desto niedriger sind die Hospitalisa- tionsraten für HKS. Diskussion: Eine mögliche plausible Er- klärung für diesen Unterschied ist die niedrigere Ärzte- dichte ambulant tätiger Kinder- und Jugendpsychiater (und -psychotherapeuten) in Ostdeutschland. Neben der Ärzte- dichte könnten auch unterschiedliche Schweregrade und Prävalenzen der HKS eine Rolle spielen.

Dtsch Arztebl 2007; 104(19): A 1306–11.

Schlüsselwörter: hyperkinetische Störung, Aufmerksam- keitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ADHS, Deutschland, Krankenhausentlassungsdiagnose

SUMMARY

ATTENTION DEFICIT AND HYPERKINETIC

DISORDER (ADHD): A NATIONWIDE COMPARISON OF HOSPITALIZATION RATES

Introduction: Little is known about the incidence and pre- valence of ADHD among children and adolescents in Ger- many. The aim of our study is to provide most recent popu- lation wide hospitalization rates for ADHD in the year 2003.

The impact of age, gender, region of residence and density of child psychiatrists will be studied in detail. Methods:

Analyses were based on the most recent „scientific use file“ of German national diagnostic statistics for 2003.

Age-specific and age-standardized hospitalization rates per 100 000 were calculated. Rates were stratified by Federal States and by West versus East Germany. Results: In 2003, 5 365 hospitalizations due to ADHD were observed. Hospi- talization rates were considerably higher in East Germany.

The density of child psychiatrists working in ambulatory settings (CC) was negatively associated with the hospitali- zation rates. Discussion: A plausible explanation may be the lower density of CC in East Germany. In addition, diffe- rences of the severity and prevalence of ADHD may play a role. Dtsch Arztebl 2007; 104(19): A 1306–11.

Key words: attention deficit and hyperactivity disorder, ADHD, Germany, hospitalization, discharge statistics

Sektion Klinische Epidemiologie, Institut für Medizinische Epi- demiologie, Biometrie und Informatik, Medi- zinische Fakultät der Martin-Luther-Univer- sität Halle-Wittenberg, Halle (Saale): Prof. Dr.

med. Stang, MPH

(2)

Viele Untersuchungen stellten einen Zusammen- hang zwischen prä-, peri- und postnatalen Komplika- tionen und dem Risiko für HKS fest, wobei der jeweili- ge relative Einfluss dieser Faktoren nicht ausreichend geklärt ist (3, 4). Die Ergebnisse von Zwillings- und Adoptionsstudien legen den Schluss nahe, dass etwa 75 % der HKS-Fälle genetisch bedingt sind. Bisherige Resultate deuteten darauf hin, dass Störungen des do- paminergen Systems sowohl für die Pathogenese als auch für die Therapie mit Stimulanzien eine relevan- te Rolle spielen. Untersuchungen zum Dopamin- D4-Rezeptor (DRD4) zeigen, dass Kinder mit HKS gehäuft Polymorphismen des DRD4-Gens aufweisen (3–6). Ein Kandidatengen für den Dopamintransporter (DAT1) spielt möglicherweise ebenfalls eine Rolle (4).

Eine kürzlich publizierte Metaanalyse zu dem Zusam- menhang zwischen dem Dopamintransporter-Gen (DAT1) und dem HKS hat diesen Zusammenhang in- frage gestellt (7). Die Effekte der bisher untersuchten Gene sind schwach. Für die Gene DRD4, DRD5, LC6A3, SNAP25, SLC6A4 und HTR1B betragen die Odds Ratios maximal 1,45 (3). Aktuell geht man davon aus, dass HKS im Rahmen von Wechselwirkungen zwischen genetischen und umweltbedingten Faktoren entstehen (1, 6, 8).

Häufigkeitsangaben des hyperkinetischen Syndroms im Kindesalter sind abhängig von

der Untersuchungsmethode dem Untersuchungskollektiv

der Alters- und Geschlechtsverteilung den diagnostischen Kriterien

der Qualifikation der Diagnostiker

der Erhebungsmethode (Interview versus Frage- bogen)

und der Art der Informationsquelle (Eltern-, Leh- rer-, Selbst-, Klinikerurteil) (9–11).

Man schätzt, dass HKS bei Schulkindern im Alter von 6 bis 14 Jahren eine Prävalenz von 1 bis 3 % auf- weisen (1, 4).

Mit einer AOK-Versicherten-Stichprobe in Hessen der Jahre 1998 bis 2001 ermittelte man anhand von rund 42 000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis zu 14 Jahren, wie häufig im ambulanten Bereich die ICD-10-Diagnose F90 (hyperkinetische Störungen) vergeben wurde. Von 1998 bis 2001 stieg die Häufig- keit der Diagnose von 1,6 % auf 2,4 % an. 2001 be- trug für Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren die Häufigkeit bei Jungen 5,8 % und bei Mädchen 1,4 % (12). Schmidt-Troschke et al. untersuchten in Meck- lenburg-Vorpommern von 2000 bis 2001 anhand von Krankenversichertendaten die Häufigkeit min- destens einer Verordnung von Methylphenidat. Sie hatten jedoch keine Diagnosedaten zur Verfügung.

Von 2000 bis 2001 verdoppelte sich die Häufigkeit mindestens einer Verordnung von Methylphenidat von 0,6 % auf 1,4 % bei Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren (13).

Der bundesweite Kinder- und Jugendsurvey schließt eine Stichprobe von rund 18 000 Kindern und Jugendlichen ein. Er erfasst Anzeichen von Aufmerk-

samkeitsdefizit-Hyperaktivitätsproblemen mithilfe des Screening-Fragebogens SDQ „strengths and dif- ficulties questionnaire“ (Elternurteil und Selbstbe- richtsversion). Außerdem beinhaltet er Bewegungs- messungen mithilfe des Radar-Aktometers sowie Un- tersuchereinschätzungen (14). Der Survey wird zukünftig bevölkerungsbezogene Prävalenzen für An- zeichen von HKS liefern und kann Ost-West-Unter- schiede im Rahmen dieses Screenings abschätzen.

Der Pretest (Survey-Vorstudie) des Kinder- und Ju- gendsurveys erfolgte an 1 364 Kindern und Jugendli- chen und einer parallel gewonnenen Inanspruchnah- me-Stichprobe von 1 221 Kindern und Jugendlichen in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité Berlin im Alter von 4 bis 17 Jahren (Mittel: 11 Jahre). Unter Verwendung einer Reihe von Annahmen (zum Beispiel Repräsentativität der Pretest-Stichpro- be, Elterneinschätzung als gute Approximation der Urteilskonvergenz zwischen Eltern-, Lehrer- und Untersucherurteilen, Anwendbarkeit der Schwellen-

GRAFIK 2

BB, Brandenburg; BE, Berlin; BW, Baden-Württemberg; BY, Bayern; HB, Bremen;

HE, Hessen;, HH, Hamburg; MV, Mecklenburg-Vorpommern; NS, Niedersachsen;

NW, Nordrhein-Westfalen; RP, Rheinland-Pfalz; SH, Schleswig-Holstein;

SL, Saarland; SN, Sachsen; ST, Sachsen-Anhalt; TH, Thüringen

GRAFIK 1 Altersstandardisierte

Hospitalisations- raten pro 100 000 Einwohner mit der Hauptdiagnose hyperkinetische Störung in der Bundesrepublik Deutschland, 2003 (sortiert nach Größe der Raten bei der männlichen Bevölkerung).

Altersspezifische Hospitalisations- raten (0–19 Jahre) pro 100 000 Einwohner mit der Hauptdiagnose hyperkinetische Störung in Ost- und Westdeutschland inklusive Berlin, 2003

(3)

werte der SDQ-Skalen) wurde eine Prävalenz von 3,9 % geschätzt (11).

Ziel dieser Arbeit ist es, Hospitalisationsraten für hy- perkinetische Störungen anhand der aktuellsten verfüg- baren bundesweiten Krankenhausdiagnosestatistik von 2003 zu ermitteln. Hierbei interessiert der Einfluss des Alters, des Geschlechts und der Wohnregion der Patien- ten. In einer ökologischen Untersuchung soll der Zu- sammenhang zwischen der Dichte der niedergelassenen Ärzte für Kinder- und Jugendpyschiatrie und -psycho- therapie (KJPP), Kinder- und Jugendmediziner (KJM) und den Hospitalisationsraten für hyperkinetische Störungen untersucht werden.

Material und Methoden

Gemäß der Krankenhausstatistik-Verordnung KHStatV sind deutsche Krankenhäuser, präventive Einrichtungen und Rehabilitationseinrichtungen verpflichtet, indivi- duelle Patientendokumentationen hospitalisierter Pa- tienten zur Verfügung zu stellen. Die Daten werden ent- weder auf Papier oder elektronisch ausgegeben und von den Statistischen Landesämtern qualitätskontrolliert und geprüft. Im Anschluss werden sie an das Statistische Bundesamt, das im Rahmen von Forschungsprojekten Daten in anonymisierter Form zur Verfügung stellt (Bundesstatistikgesetz, BStatG), übermittelt. Die Daten enthalten unter anderem Dauer des Krankenhausaufent- halts, Geschlecht, Alter, Wohnsitz sowie Hauptdiagnose gemäß ICD-10-SGB-V, Version 2.0, die rückblickend zum Zeitpunkt der Entlassung die Diagnose ist, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts des Patienten verantwortlich war. Vergleiche mit separat erhobenen Krankenhaus- grunddaten zeigen, dass im Durchschnitt 99,7 % aller Krankenhausentlassungen den Landesämtern übermit- telt werden. Der Anteil unbekannter Diagnosen beträgt im Mittel weniger als 0,1 % (15). Die aktuellsten Daten stehen für das Kalenderjahr 2003 zur Verfügung. Die mittlere Bevölkerung in diesem Jahr betrug 82,5 Millio- nen Menschen. Der Datensatz enthielt 17,3 Millionen Hospitalisationen.

Statistische Methoden

Bei insgesamt 0,4 % aller hospitalisierten Patienten war der Wohnsitz entweder unbekannt (0,14 %) oder im Ausland (0,26 %). Diese Patienten wurden bei den re- gionalen Analysen ausgeschlossen. Der Autor berech- nete rohe, altersspezifische und altersstandardisierte Hospitalisationsraten, im engeren Sinne relative Häu- figkeiten, mit der mittleren Bundesbevölkerung von 2003 als dem Altersstandard. In einer regionalen Analy- se wurden diese Raten bundeslandspezifisch und ost- beziehungsweise westdeutschlandspezifisch bestimmt.

Gesamt-Berlin ordnete der Autor Westdeutschland zu.

Zur Ermittlung der Dichte der Ärzte für Kinder- und Ju- gendpyschiatrie und -psychotherapie beziehungsweise Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie je Bundesland wurde die Arztanzahl durch die Bevölkerungsgröße der bis 19-Jährigen des jeweiligen Bundeslands dividiert und mit 100 000 multipliziert. Somit erhält man die Zahl der behandelnden Ärzte je 100 000 Personen im Alter bis zu 19 Jahren. Die Arztdichte wurde sowohl für stationär tätige als auch für ambulant tätige Ärzte er- mittelt. Die Bundesärztekammer stellte die Arztzahlen zur Verfügung.

Im Rahmen einer ökologischen Analyse wurde der Zusammenhang von bundeslandspezifischen Dichten niedergelassener KJPP, KJM und der bundeslandspezi- fischen Hospitalisationsraten für hyperkinetische Störungen untersucht. Zur Quantifikation des Zusam- menhangs zwischen den Ärztedichten und der Hospita- lisationsrate wurden Spearmansche Rangkorrelations- koeffizienten berechnet. Alle Analysen führte der Autor anhand SAS, Version 9.1, durch.

a) Dichte ambulant tätiger Kinder- und Jugendpsychiater (und -psychotherapeuten) (Ärzte pro 100 000 Personen im Alter von 0 bis19 Jahren) und altersstandardisierte Hospitalisations- raten für hyperkinetische Störungen der männlichen Bevölkerung.

b) Dichte ambulant tätiger Kinder- und Jugendpsychiater (und -psychotherapeuten) (Ärzte pro 100 000 Personen im Alter von 0 bis 19 Jahren) und altersstandardisierte Hospitalisations- raten für hyperkinetische Störungen der weiblichen Bevölkerung.

GRAFIK 3

BB, Brandenburg; BE, Berlin; BW, Baden-Württemberg; BY, Bayern; HB, Bremen; HE, Hessen;

HH, Hamburg; MV, Mecklenburg-Vorpommern; NS, Niedersachsen; NW, Nordrhein-Westfalen;

RP, Rheinland-Pfalz; SH, Schleswig-Holstein; SL, Saarland; SN, Sachsen; ST, Sachsen-Anhalt;

TH, Thüringen

(4)

Ergebnisse

Im Jahre 2003 erfolgten wegen der Diagnose „hyperkine- tische Störung“ (ICD-10: F90) 5 365 Hospitalisationen.

Etwa 97 % aller Hospitalisationen betrafen männliche und 92 % weibliche Personen im Alter bis zu 19 Jahren.

Der Vergleich der altersstandardisierten Hospitalisations- raten zwischen den Bundesländern zeigt, dass die Raten in den neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten Bundesländern einschließlich Berlin sind (Grafik 1).

Die Hospitalisationsrate für hyperkinetische Störungen ist bei der männlichen Bevölkerung bun- desweit um den Faktor 5 größer als bei der weiblichen Bevölkerung. Der Geschlechtsunterschied ist in Ost- deutschland größer als in Westdeutschland. Die medi- ane Verweildauer ist bei der männlichen Bevölkerung mit 28 Tagen deutlich länger als bei der weiblichen Bevölkerung mit 19 Tagen. Die mittleren Verweildau- ern sind bei männlichen Patienten in Ost- und West-

Westdeutschland: alte Bundesländer inklusive Berlin; Ostdeutschland: neue Bundesländer

*1Patienten mit unbekanntem Wohnsitz oder mit Wohnsitz im Ausland sind von den regionalen Analysen ausgeschlossen;

*2pro 100 000 Personen der Bevölkerung; in Klammern: Standardfehler der Rate;

*3pro 100 000 Personen der Bevölkerung; in Klammern: Standardfehler der Rate; Altersstandard: mittlere Bevölkerung der BRD im Jahre 2003

TABELLE 1

Krankenhausentlassungsdiagnose hyperkinetische Störung in der Bundesrepublik Deutschland, 2003

Männliche Bevölkerung Weibliche Bevölkerung West-D.*1 Ost-D.*1 Gesamt West-D.*1 Ost-D.*1 Gesamt

Hospitalisationen (n) 3 177 1 337 4 526 619 217 839

Rohe Hospitalisationsrate pro 100 000*2 9,4 (0,2) 20,2 (0,6) 11,2 (0,2) 1,8 (0,1) 3,1 (0,2) 2,0 (0,1) Altersstandardisierte Hospitalisationsrate pro 100 000*3 8,7 (0,1) 25,3 (0,6) 10,7 (0,1) 1,8 (0,1) 4,5 (0,3) 2,1 (0,1)

Mediane Hospitalisationsdauer (Tage) 29 28 28 20 13 19

Hospitalisation und Entlassung am selben Tag in Prozent 0,9 0,4 0,8 1,5 1,4 1,4

Gesamtanzahl Krankenhaustage 2003 130 754 47 216 178 347 20 610 6 192 26 989

TABELLE 2

Anzahl der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie (und -psychotherapie)*

Ambulant tätige Ärzte Stationär tätige Ärzte Bundesland Mittlere Bevölkerung Anzahl Ärzte pro 100 000 Personen Anzahl Ärzte pro 100 000 Personen

(0–19 Jahre) 2003 Ärzte im Alter von 0–19 Jahren Ärzte im Alter von 0–19 Jahren

Schleswig-Holstein 592 101 22 3,72 35 5,91

Hamburg 309 250 12 3,88 13 4,20

Niedersachsen 1 733 601 52 3,00 40 2,31

Bremen 123 063 10 8,13 2 1,63

Nordrhein-Westfalen 3 849 206 131 3,40 121 3,14

Hessen 1 237 448 42 3,39 60 4,85

Rheinland-Pfalz 865 803 23 2,66 16 1,85

Baden-Württemberg 2 328 273 89 3,82 65 2,79

Bayern 2 644 000 64 2,42 58 2,19

Saarland 239 643 7 2,92 9 3,76

Berlin 608 757 31 5,09 39 6,41

Neue Bundesländer

Brandenburg 493 554 9 1,82 21 4,25

Mecklenburg-Vorpommern 340 218 3 0,88 13 3,82

Sachsen 735 183 11 1,50 38 5,17

Sachsen-Anhalt 461 577 7 1,52 16 3,47

Thüringen 434 994 12 2,76 19 4,37

BRD Gesamt 16 996 671 525 3,09 565 3,32

*mit Stand vom 31. 12. 2003 pro 100 000 Personen im Alter von 0–19 Jahren

(5)

deutschland praktisch gleich. Bei weiblichen Patien- ten ist sie in Ostdeutschland hingegen deutlich kürzer als in Westdeutschland. Die höheren Hospitalisations- raten und die längeren Liegedauern führten bei der männlichen Bevölkerung insgesamt zu einer deutli- chen größeren Gesamtzahl von Krankenhaustagen im Jahr 2003 (Tabelle 1).

Der Vergleich der altersspezifischen Hospitalisa- tionsraten der neuen Bundesländer mit den alten Bun- desländern einschließlich Berlin zeigt, dass der West- Ost-Unterschied insbesondere auf sehr viel höhere Hospitalisationsraten von Kindern im Alter von fünf bis neun Jahren in den neuen Bundesländern zurück- zuführen ist. In diesem Alter lag bei Jungen die Rate bei 265 pro 100 000 in Ostdeutschland und 71 pro 100 000 in Westdeutschland. Die korrespondierenden Raten bei Mädchen betrugen 60 und 13 pro 100 000 (Grafik 2).

Es zeigt sich, dass mit höherer Dichte der ambulant tätigen KJPP die Hospitalisationsraten für hyperkine- tische Störungen niedriger sind (Grafik 3a und 3b) (männliche Bevölkerung: Spearman r = 0,69, p = 0,003;

weibliche Bevölkerung: Spearman r = 0,76, p = 0,0007).

Manche Bundesländer weisen allerdings bei ver- gleichbarer ambulanter KJPP-Ärztedichte sehr unter- schiedliche Hospitalisationsraten auf. Bayern hat bei- spielsweise eine ambulante KJPP-Ärztedichte von 2,42 pro 100 000 und eine Hospitalisationsrate der männlichen Bevölkerung von 7,7 pro 100 000.

Thüringen mit einer vergleichbaren ambulanten Ärz- tedichte von 2,76 pro 100 000 hat jedoch eine Rate von 27,1 pro 100 000. Interessanterweise unterschei- den sich die medianen Aufenthaltsdauern der statio- nären Behandlungen zwischen Bayern und Thü- ringen: Während bei den männlichen Patienten in Thüringen die mittlere Dauer bei 37 Tagen liegt, be- trägt diese in Bayern 30 Tage. Bei den Patientinnen dauert der Aufenthalt im Mittel 6 Tage in Thüringen, im Vergleich zu Bayern mit 14 Tagen.

Die Dichte der stationär tätigen KJPP hat nur einen geringen Einfluss auf die Hospitalisationsraten für das hyperkinetische Syndrom. Die Dichte niedergelassener Kinder- und Jugendmediziner könnte sich ebenfalls auf die Hospitalisationsraten der HKS auswirken. Die öko- logischen Analysen hierzu zeigen praktisch keinen Zu- sammenhang (Spearmanscher Rangkorrelationskoeffi- zient männliche Bevölkerung: r = 0,12 [p = 0,65], weib- liche Bevölkerung: r = –0,15 [p = 0,58]).

Diskussion

2003 sind die Hospitalisationsraten für hyperkineti- sche Störungen in Ostdeutschland deutlich höher als in Westdeutschland. Eine plausible Teilerklärung für diesen Unterschied ist die niedrigere Ärztedichte am- bulant tätiger Kinder- und Jugendpsychiater (und -psychotherapeuten) in Ostdeutschland. Pro 100 000 Personen im Alter bis zu 19 Jahren ergaben sich im Jahr 2003 in Westdeutschland 1 042 und in Ost- deutschland 2 166 Krankenhaustage wegen einer hyperkinetischen Störung.

Deutliche Unterschiede in den Hospitalisationsraten für hyperkinetische Störungen in Bundesländern mit vergleichbarer ambulanter Ärztedichte tätiger Kinder- und Jugendpsychiater (und -psychotherapeuten) zeigen, dass die Ärztedichte zwar ein statistisch relevanter Fak- tor, jedoch nicht die alleinige Ursache der beobachteten Unterschiede ist.

Die regionalen Unterschiede kann man aus methodi- scher Sicht auch auf andere Faktoren zurückführen. West- und Ostdeutschland könnten sich hinsichtlich der Inzi- denz, der Schwere der Erkrankung, der mittleren Erkran- kungsdauer und der Prävalenz hyperkinetischer Störun- gen unterscheiden. Eine Differenz in der Inzidenz der HKS zwischen West- und Ostdeutschland ist möglicher- weise auf unterschiedliche Prävalenzen insbesondere der umweltbedingten Risikofaktoren zurückzuführen. Bei- spielsweise könnten soziale Risikofaktoren der HKS wie niedrige soziale Schicht insbesondere der Mutter, Alko- holprobleme beim Vater sowie weitere psychosoziale Faktoren (3, 4) in Ostdeutschland als Folge der deutlich höheren Arbeitslosigkeit und möglicherweise auch häufi- geren sozialen Entwurzelung nach der Wiedervereinigung häufiger vorkommen als in Westdeutschland.

Auch bei gleicher Dichte niedergelassener KJPP, zum Beispiel Bayern und Thüringen, liegen die Hospi- talisationsraten für HKS in Thüringen deutlich über denen in Bayern. Das könnte beispielsweise daran lie- gen, dass in Thüringen der Anteil schwerer HKS höher ist als in Bayern. Es erscheint plausibel, dass schwerere Fälle eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, hospitali- siert zu werden als die leichteren. Sofern man die me- diane Dauer der stationären Aufenthalte für HKS als gro- ben Indikator für die Schwere der Störung wertet, ergibt ihr Vergleich bezüglich der mittleren stationären Auf- enthaltsdauer der männlichen Bevölkerung in Bayern und Thüringen einen Anhalt für diese Hypothese. Wei- terhin könnte sich auch die Bereitschaft niedergelasse- ner KJPP, Kinder mit HKS stationär behandeln zu las- sen, in Bayern und Thüringen unterscheiden. Es könn- ten auch Prävalenzunterschiede dazu beitragen, dass man bei gleicher Dichte niedergelassener KJPP unter- schiedliche Hospitalisationsraten beobachtet.

Die angewendeten Diagnosekriterien hyperkineti- scher Störungen könnten differieren. Die Kriterien des DSM IV sind weniger restriktiv als die der ICD-10. Die- ser Unterschied führt dazu, dass die Anwendung des DSM IV zu systematisch höheren Prävalenzen führt als die der ICD-10 (2, 16). Die Leitlinie der Deutschen Ge- sellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin legt für das ADHS die Kriterien des DSM IV zugrunde, wo- hingegen die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie die ICD-10-Klassifikation berücksichtigt (17, 18). Unter- schiedliche Kodierpraktiken könnten außerdem zu West-Ost-Unterschieden geführt haben.

Danksagung

Der Autor dankt dem Statistischen Bundesamt für die Bereitstellung des Scien- tific Use Files der Krankenhausdiagnosedaten sowie die ausführliche Doku- mentation. Er dankt Herrn Reinhard Kleinecke, Bundesärztekammer, für die Be- reitstellung der Ärztezahlen.

(6)

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: am 16. 8. 2006; revidierte Fassung angenommen: 29. 1. 2007

LITERATUR

1. Vorstand der Bundesärztekammer. Stellungnahme zur „Aufmerk- samkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“. www.bundes aerztekammer.de/30/Richtlinien/Wb/index.html.

2. Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision. München:

Urban & Schwarzenberg, 1994.

3. Biederman J, Faraone SV: Attention deficit hyperactivity disorder.

Lancet 2005; 366: 237–48.

4. Remschmidt H, Heiser P: Differenzierte Diagnostik und multimodale Therapie hyperkinetischer Störungen. Dtsch Arztebl 2004; 101(37):

2457–66.

5. Overmeyer S, Ebert D:: Die hyperkinetische Störung im Jugend- und Erwachsenenalter. Dtsch Arztebl 1999; 47: 1275–8.

6. Daley D: Attention deficit hyperactivity disorder: a review of the es- sential facts. Child Care Health Dev 2006; 32: 193–204.

7. Purper-Ouakil D, Wohl M, Mouren MC, Verpillat P, Ades J, Gorwood P: Meta-analysis of family-based association studies between the dopamine transporter gene and attention deficit hyperactivity disor- der. Psych Genet 2005; 15: 53–9.

8. Larsson JO, Larsson H, Lichtenstein P: Genetic and environmental contributions to stability and change of ADHD symptoms between 8 and 13 years of age: a longitudinal twin study. J Am Acad Child Ado- lesc Psych 2004; 43: 1267–75.

9. Brown RT, Freeman WS, Perrin JM et al.: Prevalence and assess- ment of attention-deficit/hyperactivity disorder in primary care settings. Pediatrics 2001; 107(3): e43.

10. Barabaresi WJ, Katusic SK, Colligan RC et al.: How common is atten- tion-deficit/hyperactivity disorder? Arch Pediatr Adolesc Med 2002;

156: 217–24.

11. Huss M: Vorbereitung der Erhebung und Auswertung zur Prävalenz des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) in Deutschland im Rahmen des Kinder- und Jugend-Surveys des

Robert-Koch-Instituts. Abschlussbericht an das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS). Bonn: BMGS 2004.

12. Koster I, Schubert I, Dopfner M, Adam C, Ihle P, Lehmkuhl G: Hyper- kinetische Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Zur Häufigkeit des Behandlungsanlasses in der ambulanten Versorgung nach den Daten der Versichertenstichprobe AOK Hessen/ KV Hessen (1998–2001). Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 2004; 32:

157–66.

13. Schmidt-Troschke SO, Ostermann T, Melcher D, Schuster R, Erben CM, Matthiessen PF: Der Einsatz von Methylphenidat im Kindesalter:

Analyse des Verordnungsverhaltens auf der Basis von Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen zu Arzneimittelverordnungen. Ge- sundheitswesen 2004; 66: 387–92.

14. Ravens-Sieberer U, Hölling H, Bettge S, Wietzker A: Erfassung von psychischer Gesundheit und Lebensqualität im Kinder- und Jugend- gesundheitssurvey. Gesundheitswesen 2002; 64 Sonderheft 1:

30–5.

15. Statistisches Bundesamt: Qualitätsbericht. Diagnosen der Kranken- hauspatienten. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2005.

16. Taylor E: Similarities and differences in DSM-IV and ICD-10 diagnostic criteria. Child Adolesc Psychiatr Clin North Am 1994;

3: 209–26.

17. Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin: Dia- gnostik und Therapie bei ADHS. AWMF-Leitlinien-Register Nr.

071/006. 2001. http://leitlinien.net.

18. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psy- chotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter.

2. überarbeitete Auflage. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2003.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Andreas Stang, MPH Sektion Klinische Epidemiologie

Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Straße 27

06097 Halle (Saale)

E-Mail: andreas.stang@medizin.uni-halle.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

@

REFERIERT

Zöliakie-Patienten selten untergewichtig

Die einheimische Sprue (Zöliakie) geht laut Lehrbuch mit chronischen Durchfällen und einem Malabsorptionssyndrom, also einem anhaltenden Gewichtsverlust einher. Eine Auswertung irischer Autoren – in Irland gibt es besonders viele Sprue-Patienten – ergab jedoch bei der Analyse der Daten von 371 Fällen, die innerhalb eines Beobachtungszeitraums von 10 Jahren diagnostiziert worden waren, dass nur 17 Personen (5 %) un- tergewichtig waren. 211 Patienten (57 %) hatten ein normales Gewicht, 143 (39 %) waren übergewichtig, davon 48 (13 %) adipös mit einem

BMI > 30. Die nach der Diagnose erforderliche glutenfreie Diät führte bei diesen Patienten häufig zu einer problematischen weiteren Gewichtszu- nahme. Anzeichen einer Malabsorption mit Durchfall, Anämie, Osteo- porose und histologisch nachgewiesener Zottenatrophie wiesen signifi- kant häufiger untergewichtige Patienten auf, insbesondere Frauen.

Von den Patienten, die durch serologische Untersuchung bestätigt, die verordnete Diät auch einhielten, boten 8 von 10 Patienten eine Ge- wichtszunahme, gleichgültig, ob initial untergewichtig, normalgewichtig

oder übergewichtig. w

Hickey W et al.: Overweight in celiac disease: prevalence, clinical characteristics and effect of a gluten-free diet. Am J Gastroenterol 2006; 101: 2356–9.

E-Mail: WilDickey@aol.com

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand ist die Ätiologie der Störung nicht geklärt, und es ist auch offen, ob eine einzelne oder ver- schiedene mögliche Ursachen zum

Ludwig Sievers, der von 1933 bis zur Absetzung durch die Natio- nalsozialisten im Jahr 1943 Syndi- kus der Ärztekammer für die Pro- vinz Hannover und der Landesstelle

Frühe therapeutische Maßnahmen sind sinn- voll, um die Entwicklung einer schwierigen Beziehungsdynamik zu verhindern und einer Verfestigung von Symptomen

Grundsätzlich sollten entgegen der Position der Deutschen Kranken- hausgesellschaft vorwiegend persön- liche Ermächtigungen weiterhin aus- gesprochen werden, da nur dann eine

Tagesord- nungspunkte sind unter ande- rem der Finanzbericht 1995, der Nachtrag zum Haushalt 1996 und der Haushaltsplan der KBV für das Jahr 1997.. Geplant ist außerdem ein Beitrag

Denn es drohen nicht nur körperliche, vor allem unfall-riskante Konsequenzen, auch die psychosozialen Folgen sind nicht zu unterschätzen..

In einem Beitrag für die Medizinische Wochen- schrift führt Theophil Christen aus, dass die Einführung des Freigelds zu mehr sozialer Ge- rechtigkeit führen würde, gerade auch im

Jede Woche veröffentlicht das Robert-Koch-Institut einen ausführlichen Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit. Demnach ist auch im Februar 2022 in Deutschland die Sieben-Tage-