NACHRICHTEN
Wahlkampf:
Gerangel um Freie Berufe
Die Freien Berufe sind in den Wahlkampf und in einen Streit zwischen CDU/CSU und FDP—den Gruppierungen, die sich unter den Freiberuflern besondere Chancen ausrechnen — hineingeraten. Äu- ßerungen des Präsidenten und des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbandes der Freien Be- rufe, Dr. med. Rolf Schlögell und Dietrich Rollmann, mit denen sich die beiden Verbandsrepräsentan- ten für eine starke Vertretung der FDP im nächsten Deutschen Bun- destag ausgesprochen hatten, wurden von Unions-Mittelstands- politikern prompt als einseitige Parteinahme kritisiert.
Ausgangspunkt der sommerlichen Kontroverse war ein Meinungs- austausch zwischen Vertretern des Bundesverbandes (neben Schlögell und Rollmann auch Ver- bands-Vize Möckershoff und Schatzmeister Trint) sowie dem FDP-Bundesvorsitzenden Hans- Dietrich Genscher und dessen Ge- neralsekretär Günter Verheugen am 12. Juli in Bonn.
Einem von der FDP verbreiteten Kommuniquö zufolge unterstrich Genscher dabei „seine Überzeu- gung, daß die eigentliche Wahl- entscheidung — nach allem was sich jetzt abzeichnet — darin be- stünde, ob die SPD die absolute Mehrheit erreiche oder ob durch ein gutes Abschneiden der FDP die sozial-liberale Regierung fort- gesetzt werden könne". Genscher, um die Selbständigen werbend:
die FDP werde ihre Probleme zu einem zentralen Thema im Bun- destagswahlkampf machen. Er kündigte einen „Liberalen Mittel- standstag" an; dieser wird, wie später bekannt wurde, am 1. Sep- tember in Mainz stattfinden.
Schlögell dankte — demselben Kommuniquö zufolge — im Namen seines Verbandes „der FDP und ihren Bundesministern für Ver- ständnis und Unterstützung, die
die Freien Berufe in den vergange- nen Jahren erfahren haben", und erklärte, „daß die Freien Berufe an einer starken Vertretung der FDP im Deutschen Bundestag und in der Bundesregierung dringend in- teressiert seien."
Einige Tage nach diesem Ge- spräch, am 16. Juli, übermittelte Dietrich Rollmann in einem Rund- schreiben an die Mitgliedsverbän- de seines Bundesverbandes (dar- unter die größten ärztlichen Orga- nisationen) eine „Lagebeurtei- lung", die offensichtlich von je- nem Meinungsaustausch mit der FDP beeinflußt ist: „Wir fürchten eine absolute Mehrheit der SPD.
Wir möchten wenigstens, daß die FDP in Bundestag und Bundesre- gierung zurückkehrt. Wir möchten auch in Zukunft Politik für die Freien Berufe machen können."
Die Mittelstandspolitiker der CDU/
CSU fühlten sich getroffen: „Ein kräftiger Tritt vors Schienbein"
diagnostizierte das Unions-„Mit- telstandsmagazin". Hansheinz Hauser, Sprecher des Diskus- sionskreises Mittelstand der CDU/
CSU-Fraktion und Hans-Jürgen Doss, Vorsitzender des Beirates
„Freie Berufe" der Mittelstands- vereinigung schrieben im gleichen Tenor an Schlögell: die verstärkte Beachtung der Freien Berufe und ihrer Belange gehe nahezu aus- schließlich auf Initiativen der Uni- ons-Fraktion zurück. „Bei allem Verständnis für unterschiedliche politische Gewichtungen" — so Hauser an Schlögell — „vermag ich nicht einzusehen, wieso ein Inter- essenverband der Angehörigen der Freien Berufe gerade diejeni- ge parteipolitische Richtung be- sonders lobt, die ihn und seine Klientel begünstigende Maßnah- men permanent konterkariert."
Und CDU-MdB Dr. med. Fritz Bek- ker warnte davor, den Bundesver- band der Freien Berufe an das Schlepptau einer Partei zu binden;
er „verliert dadurch auf Dauer mehr Einwirkungsmöglichkeiten, als er vielleicht vorübergehend ge- winnen kann." NJ
Gegen eine spezielle Pflegeversicherung
Ebenso wie die Ärzteschaft hat sich jetzt auch die private Kran- kenversicherung (PKV) gegen ak- tuelle Pläne ausgesprochen, das Risiko der Pflegebedürftigkeit der gesetzlichen Krankenversiche- rung zusätzlich aufzulasten oder eine spezielle soziale Pflegeversi- cherung zu etablieren. Einmal da- von abgesehen, daß der „Pflege- fall auf Krankenschein" die Kran- kenkassen mit zusätzlichen Ko- sten in Höhe von schätzungsweise acht bis 25 Milliarden DM (!) bela- sten müßte, ist nach Ansicht des PKV-Verbandes, Köln, eine erneu- te Ausweitung der Pflichtleistun- gen auch auf den Pflegefall weder versicherungstechnisch praktika- bel noch aus rechtssystemati- schen Gründen angezeigt.
Der nur mühevoll stabilisierte Bei- tragssatz käme erneut ins Wanken und die privaten Krankenversiche- rer wären gleichfalls von diesem
„Wahlgeschenk" betroffen, weil sie als gleichberechtigte Träger in der gegliederten Krankenversiche- rung ebenfalls entsprechende Lei- stungen anbieten müßten. Eine Pflichtleistung für den Pflegefall über die in § 185 RVO vorgesehe- nen Leistungen hinaus böte für die öffentliche Hand eine beque- me Möglichkeit, sich von Kosten der Sozialhilfe zu entlasten, die dann von den Versicherten und ih- ren Arbeitgebern aufgebracht wer- den müßten.
Die Privatassekuranz macht zu- dem auf die „familienfeindlichen"
Elemente einer solchen Regelung aufmerksam: Beim Pflegefall auf Krankenschein wäre es noch ein- facher, die alten Menschen aus den Familien hinauszudrängen.
Der Staat täte besser daran, bei- zeiten die individuelle Vorsorge für den Pflegefall beispielsweise mit steuerlichen Anreizen zu för- dern, meint der PKV-Verband in der neuesten Ausgabe seiner Ver- bandszeitschrift. HC
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 33 vom 14. August 1980 1965