B
ei der Diskussion um die gesetzliche Pflegeversicherung gehen die Mei- nungen auseinander: Als „schweren sozialpolitischen Fehler“ bezeichnet sie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA), Ber- lin. Der Medizinische Dienst der Spit- zenverbände der Krankenkassen e.V.(MDS), Essen, lobt dagegen die signifi- kanten Verbesserungen, zu denen das Pflegeversicherungsgesetz geführt habe.
Bei einer Anhörung der Bundestages- Enquete-Kommission „Demographi- scher Wandel“ Ende September in Ber- lin diskutierten Abgeordnete aller Bun- destagsfraktionen und Wissenschaftler kontrovers das 1995 in Kraft getretene Pflegeversicherungsgesetz.
Aus gutem Grund hatte der Deut- sche Bundestag die Enquete-Kommis- sion zum dritten Mal in der 14. Wahlpe- riode eingesetzt. Denn es besteht „drin- gender Reformbedarf“ bei der Pflege- versicherung. Darüber waren sich die Experten beim Berliner Gespräch ei- nig. „Die Zahl der Leistungsempfänger in der sozialen Pflegeversicherung wird aufgrund der demographischen Ent- wicklung von zurzeit 1,8 Millionen auf knapp 2,1 Millionen im Jahr 2010 und 2,9 Millionen im Jahr 2040 steigen“, sagte Dr. oec. Peter Pick, Geschäftsfüh- rer des MDS. Mit der Änderung der Al- terstruktur der Bevölkerung ergeben sich für die Pflegeversicherung gleich zwei Probleme: Einerseits steigt die Zahl der älteren Menschen und damit auch das Potenzial der Pflegebedürfti- gen. Anderseits sinkt die Zahl der Er- werbstätigen. Eine langfristige Stabi- lität des Beitragssatzes von derzeit 1,7 Prozent des versicherungspflichtigen Entgelts erscheint illusorisch, will man nicht den Leistungsumfang reduzieren.
Um die Menschen bei Pflegebedürf- tigkeit ausreichend abzusichern und die Qualität in der Pflege zu erhöhen, müs-
se man auch bereit sein, die Beitragssät- ze zu erhöhen, sagte Paul-Jürgen Schif- fer vom Verband der Angestellten- Krankenkassen e.V., Siegburg. Auch Thomas Dane, Direktor des Diakoni- schen Werkes Berlin-Brandenburg e.V, Berlin, plädierte dafür, das Leistungsni- veau auch dann zu erhalten, wenn dies eine Beitragserhöhung erfordert. „Die Pflegeversicherung ist so auszugestal- ten, dass auch Personen mit verhältnis- mäßig niedrigem Einkommen davor bewahrt werden, in die Sozialhilfe zu rutschen“, sagte Dane. Dies sei nur durch eine umlagenfinanzierte Sozial- versicherung oder über eine Finanzie- rung aus dem Steueraufkommen zu ge- währleisten.
Sozialversicherung versus Eigenvorsorge
Eine Alternative dazu ist die Eigenvor- sorge. Die private kapitalgedeckte Pfle- geversicherung präferieren die BDA sowie Dr. Rolf Kroker vom Institut der deutschen Wirtschaft e.V., Köln. Er stellte sein Modell der Enquete-Kom- mission vor. Es sieht vor, den Beitrags- satz auf dem heutigen Niveau einzufrie- ren, sodass sich die gesetzliche Pflege- versicherung allmählich zu einer Basis- versicherung reduziert. Stattdessen soll die private Pflegeversicherung ausge- baut werden. Werde das derzeitige Sy- stem beibehalten, sei bei konstanter Leistungsstruktur eine Beitragssatzstei- gerung auf das Drei- bis Sechsfache im Jahr 2050 allein aufgrund der demogra- phischen Entwicklung zu erwarten, prophezeit Kroker.
Im nächsten Jahr will die Kommissi- on dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit ihre Handlungsempfeh- lungen in einem Abschlussbericht vor- stellen. Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 97½½Heft 40½½6. Oktober 2000 AA2589
Pflegeversicherung
Reformbedürftig?
Die Bundestags-Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ stellt die Pflegeversicherung auf den Prüfstand.
duzieren. Auch die ausschließliche Lohnanbindung bei der GKV-Finanzie- rung müsse überprüft werden.
Aus der Sicht des CDU-Politikers werde die Landeskrankenhausplanung auch ab dem Jahr 2003, wenn neue pau- schale Entgeltsysteme gelten, nicht obsolet. Allerdings werde sich die Pla- nung auf Landesebene auf die Klinik- standorte und die Vorhaltung von Ver- sorgungsschwerpunkten konzentrieren müssen. Die Sparreserven im Gesund- heitswesen sind nach Meinung von Faust nicht so groß, um die Leistungs- anforderungen, die demographische Entwicklung und den medizinischen Fortschritt zu finanzieren.
Der Vorstandsvorsitzende der Er- satzkassenverbände, Herbert Rebscher, Siegburg, bezeichnete den Abbau der Überkapazitäten und der Überversor- gung als den Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsreform. Die Krankenkas- sen könnten jedenfalls nicht dazu einge- spannt werden, Überkapazitäten über Beiträge der Versicherten zu finanzie- ren. Die Selbstverwaltung sei überfor- dert, hier Strukturverwerfungen zu be- seitigen und eine wirksame Steuerung durchzusetzen. Auch künftig müsse das Versorgungssystem durch die „produk- tivitätssteigernde Kraft der Versiche- rungsträger“ profitieren. Diese müssten auf Risikominimierung und Sparsam- keit setzen. Virtuelle Krankenkassen, die dem Prinzip der Risikoselektion und der Leistungsausgrenzung huldigten, seien eine Gefahr für das bewährte ge- gliederte System.
Jörg Robbers, Hauptgeschäftsfüh- rer der Deutschen Krankenhausge- sellschaft e.V., Düsseldorf, plädiert dafür, die Krankenhausbedarfsplanung auf Länderebene auch bei Umstellung auf flächendeckende Fallpauschalen beizubehalten. Konsequent sei es, auch die Investitionskosten in die Fallpau- schalen einzubeziehen. Allerdings will sich die Krankenhausgesellschaft mit diesem Gedanken nur dann anfreun- den, wenn verlässliche Finanzierungs- bedingungen und eine solide Gegen- finanzierung der Klinikkosten ein- schließlich des Unternehmerrisikos per Gesetz gewährleistet werden und außerdem die Kostenträger die Lei- stungspreise auch dann in vollem Um- fang bezahlen. Dr. rer. pol. Harald Clade