A2550 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 38⏐⏐21. September 2007
P O L I T I K
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och ein Institut? Konkurrenz für das Wissenschaftliche In- stitut der Ortskrankenkassen oder das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswe- sen? Das wies Prof. Dr. Norbert Klusen, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK), von sich. Das Wissenschaftliche In- stitut der Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Ge- sundheitswesen (WINEG) lege Wert auf die Zusammenarbeit mit ande- ren Instituten, sagte Klusen anläss- lich der Feier zum einjährigen Be- stehen des Instituts am 21. August in Hamburg. Am dortigen Sitz arbeiten zwölf wissenschaftliche Mitarbeiter aus unterschiedlichsten Bereichen.„Es gibt großen Lernbedarf, weil sich das Gesundheitswesen schnell verändert“, erläuterte Klusen die Notwendigkeit zur Gründung dieses Instituts. Er hat sich mit dieser TK- eigenen Einrichtung einen lang ge- hegten Wunsch erfüllt und will der Informationsflut und dem Halbwis- sen fundierte Erkenntnisse entge- gensetzen. Großen Wert legt Klusen auf die Unabhängigkeit des Insti- tuts. Der Vorstand wähle zwar The- men für das WINEG aus, aber auf Ergebnisse werde selbstverständ- lich kein Einfluss genommen.
Den Vorteil, den die Nähe zur TK mit sich bringt, erläuterte Dr. rer. nat.
Eva Susanne Dietrich, Direktorin des WINEG: „Wir haben Zugriff auf die anonymisierten Daten der TK-Versicherten. Dadurch werden wir wissenschaftliche Auswertun- gen sehr schnell und sicher fahren können.“ Die Pharmazeutin, zuvor Leiterin der Abteilung Arzneimittel bei der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung, sieht einen wachsen- den Bedarf an akademischen Insti- tuten, „um unnötige Ausgaben zu verhindern“. Fragen des Nutzens und der Effizienz werden dabei im Zen-
trum stehen. „Zu wenige politische Entscheidungen werden evidenzba- siert getroffen“, kritisierte Dietrich, die mit den gewonnenen Erkennt- nissen „nach neuen Lösungen für die Versorgung der TK-Versicher- ten“ suchen will.
Gesundheitsökonom Prof. Dr. Dr.
Peter Oberender sparte als Gastred- ner zum Thema „Der Beitrag der Ökonomie für eine rationale Medi- zin“ nicht mit Kritik am Gesund- heitssystem und plädierte für eine rationale Medizin. „Der Arzt oder Apotheker, der nicht zugleich Un- ternehmer ist, wird nicht überle- ben“, prognostizierte er. Die medi- zinischen Möglichkeiten seien im- mer durch finanzielle Ressourcen begrenzt und diese Knappheit erfor-
dere ökonomisches Handeln. Der inzwischen emeritierte Ordinarius für Volkswirtschaftslehre der Uni- versität Bayreuth, Direktor der For- schungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie und Unter- nehmensberater im Gesundheitswe- sen schlägt ein wettbewerbliches System vor, gekennzeichnet durch Transparenz und die Einheit von Handeln und Haftung. Während durch den Staat erzwungene Ein- heitslösungen innovationshemmend wirkten, könne das Gesundheits- wesen über Anreize verbessert wer- den. Oberender: „Leistungserbrin- ger sollten dann besonders viel ver- dienen, wenn ihre Patienten gesund sind.“ Er nannte als weitere posi- tive Effekte für das Gesundheits- wesen Wahlmöglichkeiten, indivi- duelle Anreize für Versicherte und Leistungserbringer sowie selektive
Verträge auf unterster Ebene. Die WINEG-Wissenschaftler wollen ih- re Forschungen nicht auf Deutsch- land beschränken. In einer der vor- gestellten Studien untersuchten sie, wie sich negative Empfehlungen des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) auf die Arzneimittelausgaben in England auswirkten. Das NICE wurde 1999 als Sondergesundheitsbehörde des staatlichen Gesundheitsdienstes für England und Wales gegründet mit der Aufgabe, möglichst umfassende und verlässliche Empfehlungen für Patienten, die medizinische Fach- welt und die Öffentlichkeit zu aktu- ellen „Best Practices“ abzugeben.
Nach dem Vorbild des NICE ent- stand in Deutschland vor drei Jahren
das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die Studie, vorgestellt von Dr. Beate Bestmann, kam zu dem Ergebnis, dass sich bei 20 von 21 Wirkstoffen (95 Prozent) kein be- deutsamer Rückgang bei Verschrei- bungen und Ausgaben zeigte. Als mögliche Erklärungen führte Best- mann an, dass die NICE-Bewertun- gen womöglich nicht restriktiv ge- nug seien, es ihnen an Akzeptanz mangele und keine Sanktionsmög- lichkeiten vorgesehen seien. Kos- ten-Nutzen-Bewertungen, urteilen WINEG-Wissenschaftler, hätten nur dann einen Effekt auf die Arzneimit- telausgaben, wenn sie in ein Maß- nahmen-Paket eingebettet seien, bei- spielsweise durch Einbindung in die Software des Arztes oder in Fortbil- dungsveranstaltungen. I Dorthe Kieckbusch
WISSENSCHAFTLICHES INSTITUT DER TECHNIKER KRANKENKASSE
Bewertung von Nutzen und Effizienz
Seit einem Jahr arbeiten in Hamburg zwölf wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an neuen Lösungen für die Versorgung der TK-Versicherten.
Der Arzt oder Apotheker, der nicht
zugleich Unternehmer ist, wird nicht überleben.
Prof. Dr. Dr. Peter Oberender, Gesundheitsökonom