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ine Konsensuskonferenz der Weltgesundheitsorganisation mit Unterstützung des Bundes- ministeriums für Gesundheit zum Thema Ernährung in der Präven- tion und Therapie von Krebs fand vom 27. bis 29. November 1996 in Ho- henheim statt. Ziel der Veranstaltung war es, den derzeitigen wissenschaftli- chen Stand aus der Sicht unterschied- lichster Fachgebiete zu beschreiben.Es wurden 50 internationale Wissen- schaftler eingeladen, die in vier Grup- pen anhand von je zehn Fragen die Bedeutung der Ernährung in der The- rapie und Prävention von Krebs er- örterten. In den Gruppen wurde der jeweilige Stellenwert der Ernährung bei den Krebserkrankungen von Lun- ge, Brust, Magen und Kolon disku- tiert. Die Diskussion führte zu folgen- den Ergebnissen.
Lungenkrebs
Risikofaktoren
In 90 Prozent der Fälle stellt Rauchen den wesentlichen Risiko- faktor dar. Auch niedrige Zufuhr von Früchten, Gemüsen, genetische Prä- disposition, chronische obstruktive Atemwegserkrankungen und passi- ves Rauchen tragen mit zur Entwick- lung bei.
Epidemiologische Evidenz Es finden sich eine Vielzahl von Hinweisen aus epidemiologischen Studien, daß eine hohe Zufuhr von Gemüse und Früchten mit einem niedrigeren Risiko assoziiert ist.
Spezifische präventiv wirksame Komponenten
Bisher bestehen keine Hinweise, daß isolierte Komponenten der Ernährung wesentlich in Prävention
und Therapie sind. Aus tierexperi- mentellen Studien kann jedoch abge- leitet werden, daß manche Kompo- nenten der Ernährung, wie zum Bei- spiel antioxidative Vitamine und Spu- renelemente, eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung des Lungen- krebses spielen.
Rauchen und Ernährung Raucher haben häufig eine nied- rigere Aufnahme vegetabiler Lebens- mittel. Selbst wenn die Aufnahme adäquat ist, so zeigt sich, daß bei eini- gen Lebensmittelinhaltstoffen, wie Carotinoiden, Vitamin C und Folsäu- re, deutlich niedrigere Plasmawerte vorliegen, als aus ihrer Nahrungszu- fuhr zu erwarten wäre.
Konsequenzen der CARET und ATBC-Studien
Raucher haben von einer Che- moprävention mit b-Carotin keinen Vorteil. Vielmehr kann die Supple- mentierung über lange Zeit ein zu- sätzliches Risiko darstellen. Die b-Ca- rotin-Blutwerte korrelierten zu Be- ginn der Studie allerdings negativ mit der Lungenkrebsinzidenz. Da diese Plasmawerte Ergebnisse einer be- stimmten Ernährungsweise waren, bestätigt sich die Beobachtung, daß eine hohe Zufuhr von vegetabilen Nahrungsbestandteilen das Lungen- krebsrisiko senkt.
Empfehlungen
Zigarettenrauchen vermeiden, die Zufuhr vegetabiler Lebensmittel auf fünf Portionen pro Tag erhö- hen. Für die Sekundärprävention gibt es zwar keine Hinweise, daß eine spe- zielle Ernährungsform zu einer thera- peutischen Intervention eingesetzt werden könnte. Aus den Ergebnissen der Grundlagenforschung sowie aus epidemiologischen Studien läßt sich
jedoch ableiten, daß die Empfehlun- gen für die Primärprävention in glei- cher Weise auch für die Ernährungs- weise bei bereits bestehendem Lun- genkrebs gelten.
Brustkrebs
Gebrauch von Mikronährstoffen
Weder epidemiologische noch klinische oder klinisch-chemische Studien haben einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme bestimmter Mikronährstoffe und der Entwick- lung von Brustkrebs gezeigt. Weitere Studien, die insbesondere einen Zu- sammenhang zwischen antioxidativen Vitaminen und Brustkrebsrisiko klären sollen, scheinen zur Zeit nicht notwendig zu sein.
Bedeutung von Fett
Aus tierexperimentellen Studien kann abgeleitet werden, daß eine Erhöhung der Fettzufuhr mit einer erhöhten Inzidenz des Brustkreb- ses einhergeht.
Für den Menschen scheint es je- doch so zu sein, daß weniger das in der Nahrung enthaltene Fett, son- dern vielmehr der Gesamtenergie- gehalt einen Risikofaktor darstellt.
Dies erklärt auch die Beobachtung, daß Übergewicht das Brustkrebs- risiko erhöht und die Prognose bei postmenopausalen Brustkrebspati- entinnen verschlechtert. Regelmäßi- ge körperliche Bewegung in jun- gen Jahren scheint das Brustkrebs- risiko zu verringern, während eine starke Alkoholaufnahme das Risiko erhöht.
Ernährung und hormoneller Status
Es ist inzwischen anerkannt, daß die Ernährung das Brustkrebsrisiko über hormonelle Mechanismen be- einflußt. Dazu gehört neben dem Übergewicht auch die Beziehung zwi- schen Ernährung, Übergewicht und Insulinresistenz. Ein weiterer Aspekt, der näher untersucht werden sollte, ist der Einfluß von Phytoöstrogenen
und Ballaststoffen. !
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M E D I Z I N KONGRESSBERICHT
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 51–52, 22. Dezember 1997 (41)
Die Bedeutung der
Ernährung in der Prävention
und Therapie von Krebs
Tamoxifen-Studien
In keiner der bisherigen Tamoxi- fen-Studien wurde der Einfluß der Ernährung berücksichtigt.
Hochrisikogruppen
Aus der britischen Tamoxifen- Studie läßt sich das folgende Profil für Hochrisikogruppen ableiten:
Altersgruppe 45 bis 65 mit einem der folgenden Faktoren:
1 Brustkrebs bei einer Ver- wandten ersten Grades vor dem fünf- zigsten Lebensjahr,
1 Zweiseitiger Brustkrebs bei einem Verwandten ersten Grades,
1 Verwandte zweiten oder drit- ten Grades mit Brustkrebs,
1 Kinderlose mit Brustkrebs- anamnese bei einem Verwandten er- sten Grades unabhängig vom Alter,
1 Biopsie mit Carcinoma in situ oder atypische Hypoplasie,
1 Maligne Biopsie mit prolife- rativer Erkrankung und Brustkrebs bei einem Verwandten ersten Grades unabhängig vom Alter.
Altersgruppe 35 bis 44 Jahre mit einem der folgenden Befunde:
1 Verwandte ersten Grades mit zweiseitigem Brustkrebs und Alter unter 40,
1 zwei Verwandte ersten Gra- des mit Brustkrebs und Alter unter 50, 1 Lobuläres Carcinom in situ.
Empfehlungen zur Primärprävention
1 Tägliche Zufuhr von Früch- ten und Gemüsen sowie Vollkornpro- dukten:
1 Vermeidung von Überge- wicht,
1 Verringerung der Gesamt- Fettzufuhr durch Verringerung der Fleischmenge bei gleichzeitig gestei- gertem Konsum von Fisch und Ge- müse sowie Pflanzenöl,
1 Verringerung der Alkoholzu- fuhr,
1 Frühzeitige körperliche Be- wegung und frühzeitige Umstellung auf eine gesunde (betont vegetabile) Kost.
Es gibt bisher keine Hinweise für eine spezifische therapeutische Intervention durch Ernährung. Al-
lerdings können auch in der beglei- tenden Behandlung des Brust- krebses die gleichen Regeln wie für die Primärprävention angewandt werden.
Magenkrebs
Modell der Magenkarzinogenese Das Modell von Chorea und Mit- arbeitern bezieht sich im wesentli- chen auf den intestinalen Typ des Ma- genkrebses und berücksichtigt nicht die Krebsform der Kardia. Gerade die Krebserkrankung der Kardia soll-
te intensiver untersucht werden, da dieser Erkrankungstyp in den letzten Jahren stark zunimmt. Auch verschie- dene diffuse und gemischte oder un- klassifizierte Typen des Magen- krebses müssen hinsichtlich ihrer Pa- thogenese näher geprüft werden.
Helicobacter pylori
H. pylori scheint in den Frühsta- dien der Magenkrebsentwicklung (Atrophie) eine Rolle zu spielen und könnte auch in späteren Stadien von Bedeutung sein. Weitere Untersu- chungen, insbesondere histologische Klassifizierungen, sind nötig, um die- se Fragen besser beantworten zu kön- nen.
Intestinaler Typ
Früchte, Gemüse und Zwiebeln scheinen einen protektiven Effekt zu haben. Es gibt eine Reihe von Anti-
karzinogenen in der Nahrung, die ei- ne Rolle spielen können, insbesonde- re antioxidative Vitamine. Allerdings könnten diese auch Marker für einen bestimmten Ernährungsstil sein, wo- bei hier Lebensmittel zugeführt wer- den, die nicht nur reich an antioxidati- ven Vitaminen sind, sondern auch ei- ne Reihe anderer antikarzinogener Faktoren enthalten. Die Abnahme des Verzehrs von mixed pickles, geräucherten und gepökelten Le- bensmitteln scheint unter anderem für den Rückgang der Magenkrebs- inzidenz verantwortlich zu sein. Es gibt bisher keine Daten, die einen Effekt der Ernährung bei Magen- krebs belegen.
Stadienabhängige Wirksamkeit Es gibt eine Reihe von Hinwei- sen, daß Früchte und Gemüse in den sehr frühen Stadien im Choreamodell (bis zur intestinalen Metaplasie) wirk- sam sind. Folglich ist eine betont ve- getabile Ernährung, die bereits in jun- gen Jahren durchgeführt wird, ein wichtiger präventiver Faktor.
Interventionsstudien
Die in China in einem Mangelge- biet abgeschlossene Studie ist für eu- ropäische und amerikanische Ver- hältnisse nicht relevant. Drei weitere Studien sind noch nicht abgeschlos- sen. Bei all diesen Studien wird ent- weder mit Vitamin C und Vitamin E oder auch mit b-Carotin supplemen- tiert. Eine Reihe weiterer Studien sind notwendig, um die Rolle der Ernährung bei der Pathogenese des Magenkrebses deutlicher zu machen.
Dazu gehören auch nichtinvasive Tests für spezifische Marker wie Mu- zine, Pepsinogene, Serumgastrin und andere.
Primärprävention
Empfehlungen zur Primär- prävention sollten bereits im Kindes- alter, insbesondere in den Schulen, gegeben werden. Dazu gehört vor allen Dingen die tägliche Aufnahme von Fruchtsaft, mindestens zwei Portionen Gemüse und zwei Por- tionen Obst. Ebenso sollte darauf hingewiesen werden, daß Rauchen A-3478
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(42) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 51–52, 22. Dezember 1997 Primärprävention von Krebs 1 Steigerung des Gemüse- und Obstverzehrs (drei bis fünf Portio- nen pro Tag),
1 Reduktion des Fleischverzehrs, 1 Reduktion des Verzehrs tieri- scher Fette,
1 Steigerung der Zufuhr vegeta- biler Fette (Öle),
1 Vermeidung von geräucherten und gepökelten Lebensmitteln, 1 Vermeidung von Rauchen, 1 mäßige Alkoholzufuhr.
sowie gepökelte und geräucherte Lebensmittel vermieden werden soll- ten.
Zukünftige Forschung
Untersuchungen zur Rolle der Ernährung bei den unterschiedlichen Formen des Magenkrebses, Untersu- chungen zur Rolle der Ernährung auf die Entwicklung von Präkanzerosen, Entwicklung nichtinvasiver Marker für Präkanzerosen, Kampagnen zur Modifikation des Ernährungsverhal- tens insbesondere bei Jugendlichen, mehr Untersuchungen zur Rolle der Muzine der Magenschleimhaut als primäre Barriere, Untersuchungen zum Einfluß der Ernährung auf die Rezidive des Magenkrebses sollten Gegenstand zukünftiger Forschung sein.
Therapie
Therapeutische Empfehlungen einer bestimmten Ernährungsweise, die zum Beispiel die Progression ei- nes bestehenden Magenkrebses be- einflußt, können zum jetzigen Zeit- punkt nicht gegeben werden. Aller- dings sollte der Ernährungsstatus präoperativ optimiert werden, um die perioperative Mortalität zu senken und die postoperative Lebensqualität zu verbessern.
Kolonkrebs
Ursache
Die lange Entwicklungszeit macht es schwierig, zwischen geneti- schen Faktoren und Umweltfaktoren zu unterscheiden. Es gibt jedoch Hin- weise, daß die Ernährung bei der Ent- wicklung des Kolonkrebses eine nicht unwesentliche Rolle spielt.
Fett
Die Fettzufuhr ist möglicherwei- se mit dem kolorektalen Krebsrisiko assoziiert. Es gibt jedoch bisher zu wenig Daten, die dies eindeutig klären würden. Dies liegt daran, daß zwar aus epidemiologischen Studien solche Zusammenhänge entnommen werden können, Fallkontroll- oder
prospektive Studien dies jedoch nicht bestätigen.
Eiweiß
Es gibt bisher keine klare Bezie- hung zwischen Eiweißzufuhr und ko- lorektalem Krebsrisiko. Allerdings hat man eine positive Beziehung zwi- schen tierischen Fetten, insbesondere häufige Zufuhr von rotem Fleisch, und Krebsrisiko beobachtet. Ein ver- ringertes Risiko wurde im Zusam-
menhang mit einer Ernährung beob- achtet, die reich an vegetabilen Pro- teinen, weißem Fleisch oder Fisch war.
Alkohol
Aus epidemiologischen Daten kann gefolgert werden, daß Alkohol- zufuhr auch in geringen Mengen das Risiko für kolorektale Adenome und Krebs steigert. Besonders deutlich ist dies für den Zusammenhang zwischen Bier und rektalem Karzinom.
Komplexe Kohlenhydrate Eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Polysacchariden wie zum Beispiel Ballaststoffen oder Nichtstär- ke-Polysacchariden ist, ist mit einem geringen Risiko für kolorektale
Adenome und Krebs assoziiert. Es gibt eine Reihe von physiologischen Mechanismen, die dies erklären. Zum jetzigen Zeitpunkt kann jedoch keine spezifische Polysaccharidfraktion aus- gemacht werden, die eine spezifisch präventive Wirkung aufweisen würde.
Antioxidative Vitamine
Aus epidemiologischen Studien läßt sich entnehmen, daß eine niedrige Zufuhr einiger Vitamine mit einem er- A-3479
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Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 51–52, 22. Dezember 1997 (43) g/Tag
Mittlere tägliche Aufnahme planzlicher Kost
D F
D
F SF F
SF D SF
Kartoffel
Gemüse Obst
250
200
150
100
0 Grafik 1a
Fälle/100 000
Lungenkrebs-Sterblichkeit in Europa
MailandRom Neapel Süditalien
Korsika Südfrankreich
Großbritannien Ruhrgebiet
Niederlande Schottland 100
75
50
25
0
Männer Frauen Grafik 1b
Grafik 1a, b: Die Verteilung der Lungenkrebssterblichkeit in Europa (La Vecchia et al., 1989) zeigt ein deutliches Nord-Süd-Gefälle (1). Ein ähnliches Gefälle wird auch hinsichtlich des Gemüseverzehrs (WHO-MONICA-Studie) beobachtet (2). Ähnliches gilt auch für andere Krebserkrankungen (Magen, Darm, Brust). Wenngleich die Ernährung nicht die einzige Ursache für dieses Gefälle darstellt, ist eine präventive Bedeutung aus solchen Daten ableitbar.
Mittlere tägliche Aufnahme pflanzlicher Kost Lungenkrebs-Sterblichkeit in Europa
höhten Krebsrisiko assoziiert ist. Al- lerdings haben randomisierte Studien gezeigt, daß eine Supplementierung mit einzelnen antioxidativen Vitami- nen das Risiko für Adenome oder be- stimmte Krebsformen des kolorekta- len Bereiches nicht reduziert. Glei- ches gilt für eine Reihe von Mineral- stoffen und Spurenelementen.
Energiezufuhr
Es gibt einige epidemiologische Studien, die zeigen, daß ein hoher Body-Mass-Index mit einem gestei- gerten Risiko assoziiert ist. Personen, die sich regelmäßig bewegen, haben ein niedrigeres Risiko.
Lebensmittel
Epidemiologische Studien zeigen einen klaren inversen Zusammen- hang zwischen Gemüsezufuhr und kolorektalem Krebsrisiko.
Aus epidemiologischen Studien läßt sich ein Zusammenhang zwi- schen Obstzufuhr und Krebsrisiko nicht nachweisen. In einigen wenigen Studien wurde eine Beziehung zwi- schen Vollkornzerealien und redu- ziertem kolorektalem Krebsrisiko ge- zeigt. Die Zufuhr von raffinierten Ze- realien und Zucker scheint jedoch mit
einem höheren Risiko verbunden zu sein.
Der Verzehr von rotem Fleisch ist möglicherweise mit einem gestei- gerten kolorektalen Krebsrisiko asso- ziiert. Allerdings sind die epidemiolo- gischen Studien zu dieser Frage sehr kontrovers.
Aus experimentellen Studien gibt es starke Hinweise, daß chemische Verbindungen, die beim Kochen der Lebensmittel, besonders bei hoher Temperatur, entstehen, bei Nagern karzinogen wirken. Für den Menschen konnten jedoch solche Beziehungen bisher nicht hergestellt werden.
Ernährungsempfehlung
Steigerung der Zufuhr von Gemüse und Vollkornzerealien sowie Verzehr von Fisch und Gemüse statt rotem Fleisch. Die Alkoholaufnahme sollte 20 Gramm pro Tag nicht über- steigen und es wird regelmäßige kör- perliche Bewegung empfohlen.
Sekundärprävention
Hier waren sich die Wissen- schaftler einig, daß, soweit es der je- weilige Zustand des Patienten er- laubt, die für die Primärprävention aufgestellten Regeln in gleicher Wei-
se gelten sollten. Insbesondere sollte verstärkt darauf geachtet werden, den Ernährungsstatus des Patienten vor operativen Eingriffen zu erheben und möglicherweise zu verbessern, um auf die Art und Weise die peri- und postoperative Prognose zu ver- bessern.
Das Meeting hat gezeigt, daß hinsichtlich der Bedeutung der Er- nährung in der Prävention und The- rapie von Krebs noch ein sehr starker Forschungsbedarf besteht. Insbeson- dere muß die Rolle einzelner Lebens- mittelinhaltsstoffe genauer unter- sucht werden, um zu vermeiden, daß durch einseitige Supplementierung oder diätetische Maßnahmen ohne wissenschaftliche Basis zusätzliche Risiken produziert werden. Sowohl in der Prävention als auch in der Thera- pie kann Ernährung nicht nur einen ganz bedeutenden kostendämpfen- den Faktor darstellen, sondern auch vor einer Reihe weiterer sogenannter Zivilisationskrankheiten wie Arterio- sklerose, Diabetes mellitus und an- deren schützen.
Prof. Dr. med. Hans K. Biesalski Institut für biologische Chemie und Ernährungswissenschaft Universität Hohenheim (140) 70593 Stuttgart
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KONGRESSBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
(44) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 51–52, 22. Dezember 1997
Acne mechanica
Zur Acne vulgaris prädisponierte Personen haben leicht irritierbare Follikel (follikuläre Reaktionsbereit- schaft), die auf die verschiedensten Traumen hin rupturieren: Druck, Spannung, Reibung, Dehnung, Mas- sage, Kneifen und Ziehen. Vorausset- zung ist, daß die Patienten bereits ei- ne, wenn auch noch so leichte Acne vulgaris haben. Die Wahrscheinlich- keit, neue Effloreszenzen durch Trau- men auszulösen, ist proportional dem Schweregrad der Akne. Bei leichter Akne ist gewöhnlich kein Effekt zu verzeichnen, während bei stark ent- zündlicher Akne schon mäßige me- chanische Einflüsse zahlreiche Papu- lopusteln und sogar Knoten induzie- ren können. Mechanische Faktoren rufen jedoch keine Komedonen her- vor. Die Verteilung der Läsionen auf
Areale, die Druck und Reibung aus- gesetzt sind, läßt die Diagnose einer Acne mechanica vermuten. Manche Gewohnheiten und Körperhaltungen sind die Ursache der Acne mechanica.
Der Ausdruck „Kinnakne“ um- schreibt den nachteiligen Einfluß, wenn das Kinn stundenlang auf die Hände gestützt wird. Eine Aussaat entzündlicher Läsionen an der Stirn läßt an ein Stirnband, einen Hut oder einen Kopfschmuck denken. Läsio- nen im Bereich der Taille deuten auf engsitzende breite Gürtel hin.
Auch die besonders bei Geigen- und Bratschenspielern gelegentlich zu beobachtende Akne (fiddler’s neck), die dort auftritt, wo sich die Kinnstütze der Violine an der Haut reibt, zählt zu den Formen der Acne mechanica. Eine Lichenifikation be- gleitet häufig diese Veränderung. Be- stimmte Lokalisationen am Körper
sprechen für eine kurz zurückliegen- de medizinische Behandlung, wie bei- spielsweise einen Gips- oder Pflaster- verband bei Verletzungen und Ope- rationen. Der mechanische Faktor kann auch berufsbedingt sein wie bei einem Lastwagenfahrer, dessen Rücken den ganzen Tag lang durch den Druck einer harten hohen Rückenlehne irritiert wird. Die wich- tigste Maßnahme zur Behandlung der Acne mechanica ist das Abstellen der mechanischen Ursache. Prophylak- tische Maßnahmen sind sinnvoll, da die entzündlichen Veränderungen oft Narben hinterlassen. jne Jansen T, Plewig G: Acne mechanica.
Münch Med Wochenschr 1997; 139:
274–275.
Dr. med. Thomas Jansen, Dermatologi- sche Klinik und Poliklinik, Ludwig-Ma- ximilians-Universität, Frauenlobstraße 9–11, 80337 München.