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Archiv "Prävention als Risiko? Schlußwort" (20.03.1998)

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A-673

M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 12, 20. März 1998 (45) wohl wirklich eine spannende Aufga-

be für einen Soziologen: Wieweit ist das soziale Umfeld der Raucherhaus- halte auch eine Konsequenz des Ta- bakrauchens? Hier liegt zweifellos wiederum ein komplexer sozialer Zusammenhang vor, der vermutlich ebenfalls durch Vermeidung eines Faktors aufgelöst würde. Nicht die Prävention, „die sich nicht aus- reichend an wissenschaftlichen Er- kenntnissen sozialen Verhaltens orientiert“ wird „selbst zum Risiko“

als vielmehr Berichte, die einfache Kausalketten in Abrede stellen wol- len, deren Resultat ein komplexes Krankheitsbild sein kann, das auch durch das soziale Verhalten beein- flußt wird.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult.

Harald zur Hausen

Deutsches Krebsforschungszentrum Im Neuenheimer Feld 280

69120 Heidelberg

Mit seinem Artikel möchte Herr Prof. Dr. Atteslander einen Beitrag dazu leisten, daß „eine mit vielen Konstrukten behaftete, quantitativ orientierte Epidemiologie gleichsam wieder auf die Füße“ gestellt wird.

Wir sind nicht sicher, daß dieser Zweck erreicht wurde. Dem Artikel liegen vielerlei doch etwas verein- fachte Vorstellungen von der sich unter anderem mit der Untersu- chung von Risikofaktoren befassen- den gegenwärtigen epidemiologi- schen Forschung zugrunde. Wir möchten zu zwei bedenklichen In- halten des Artikels gezielt Stellung nehmen.

Eine kürzlich von der Tabakin- dustrie in einer Werbekampagne lancierte Tabelle wird mit dem Titel

„Risiko von Ernährungsverhalten“

in dem Artikel von Atteslander weit- gehend unkommentiert übernom- men. In dieser Tabelle werden will- kürlich aus einzelnen Studien her- ausgegriffene Einzelergebnisse mit Resultaten von Metaanalysen, die viele Studien umfassen, vermischt.

Herr Atteslander folgt der irre- führenden Argumentation der Ta-

DISKUSSION

Vereinfachte Vorstellung

bakindustrie, wenn er aus der Tatsa- che, daß andere Expositionen größe- re Risiken mit sich führen, ableitet, daß Passivrauchen kein Risiko bein- haltet und damit Präventionsmaß- nahmen unnötig oder überzogen sind. Für eine kritische Bewertung der Anzeigenkampagne der Zigaret- tenindustrie sei der interessierte Le- ser zum Beispiel auf einen kürzlich im British Medical Journal (1) er- schienenen Artikel verwiesen.

Auch unsere zweite Anmerkung bezieht sich auf das Passivrauchen.

An weiteren Stellen im Artikel wird deutlich, daß der Autor die Ein- schätzung des Passivrauchens als Ri- sikofaktor und sich daraus ergeben- de Präventionsmaßnahmen für sehr fragwürdig hält. Dabei scheint der Autor zu vergessen, daß für das Pas- sivrauchen nicht nur ein etwa 20 Pro- zent erhöhtes Lungenkrebsrisiko nachgewiesen wurde, sondern auch beispielsweise akute Erkrankungen der oberen und unteren Luftwege bei Kindern (2), chronische Atem- wegserkrankungen bei Erwachsenen und andere Krebsarten (3) damit in Verbindung gebracht werden. Zu- dem ist die Exposition gegenüber Passivrauchen, im Unterschied zum aktiven Tabakkonsum, meist unfrei- willig. Wir unterstützen die These

des Autors, daß Risikofaktoren in den Kontext sozialer Bezüge gestellt werden müssen und nur eine von mehreren Grundlagen für gezielte Präventionsmaßnahmen sein kön- nen. Allerdings hilft der Artikel we- nig, den Stellenwert von Risikofak- toren zu erläutern. Zudem unter- stützt er durch unkritische Übernah- me von Argumentationsweisen der Tabakindustrie deren Bemühen, Passivrauchen als harmlos hinzustel- len.

Literatur

1. Smith GD, Phillips AN: Passive smoking and health: should we believe Philip Morris’s “expert”? Br Med J 1996; 313:

929–933.

2. Office of Health and Environmental Assess- ment and Office of Research and Develop- ment: Respiratory health effects of passive smoking: lung cancer and other disorders.

Washington DC: US Environmental Pro- tection Agency, 1992.

3. Slattery ML, Robison LM, Schuman KL, French TK, Abbott TM, Overall JC Jr., Gardner JW: Cigarette smoking and expo- sure to passive smoke are risk factors for cervical cancer. JAMA 1989; 261:

1593–1598.

Dr. med. Hajo Zeeb, MSc Prof. Dr. sc. math.

Jürgen Wahrendorf

Deutsches Krebsforschungszentrum Abteilung 345

Postfach 10 19 49 69009 Heidelberg

Es ist nicht leicht, auf Inhalte und Intentionen zu replizieren, die in mei- nem Essay gar nicht enthalten sind.

Mein Ziel war, dem praktisch tätigen Arzt im schwierigen Gebiet der Prävention eine eigene Meinungsbil- dung zu ermöglichen und ihn in sei- nem Bedürfnis nach handlungsleiten- der Epidemiologie zu unterstützen.

Beide Kritiker stimmen mir im Grundsatz zu, daß in epidemiologi- schen Untersuchungen komplexer Erkrankungen soziale Aspekte stär- ker einzubeziehen sind und daß folge- richtig eine überhandnehmende Aus- richtung auf einzelne Risikofaktoren nicht zum Ziele führt. Offensichtlich können nach der Meinung von zur Hausen komplexe Effekte auch einen einzigen Grund haben. Dies mag in einzelnen Fällen durchaus so sein. Die

Berechnung, daß bei angenommener plötzlicher Heilung aller Krebsarten 60jährige 1,4 Jahre älter würden, stammt vom renommierten Bevölke- rungswissenschaftler und Statistiker Konrad E. Taeuber (1). Seine Berech- nung Mitte der siebziger Jahre ist im Lichte der damaligen, nach der Brust- krebsoperation der Präsidentengattin Ms. Ford einsetzenden massiven Fi- nanzierung von Krebsforschung aller Art zu Lasten vieler anderer, mögli- cherweise ebenfalls sehr wichtiger medizinischer Forschungsgebiete ge- schrieben worden. Seine hypotheti- sche Berechnung wandte sich gegen die damals völlig übertriebene Hoff- nung auf rasche Erfolge in der Krebst- herapie. Irreführend waren also allen- falls die Zielvorstellungen, nicht aber Taeubers Berechnungen. In ähnlicher Weise sind dies die heute in Präventi- onskampagnen verwendeten soge- nannten „gewonnenen“ oder „verlo-

Schlußwort

(2)

renen“ Lebensjahre: Es handelt sich um statistische Artefakte, deren Wirklichkeitsgehalt zu diskutieren wäre.

Schwierigkeiten habe ich im Einfangen der Katze, die ich nach Herrn zur Hausen aus dem Sack ge- lassen hätte. Er bezieht sich auf mei- ne Hinweise auf „kreuzzugartige Feldzüge mit zwanghafter Zensur“

beim Passivrauchen. Ich maße mir keineswegs die Kompetenz an, die Schädlichkeit von Passivrauchen zu beurteilen. Dazu sind Toxikologen aufgerufen. Freilich traue ich mir bei statistischen Korrelationen und Ar- tefakten ein Urteil zu, insbesondere wenn es sich um Befragungen über soziales Verhalten von Menschen handelt.

Es ging mir um die Darstellung verschiedener sogenannter „schwa- cher Wirkungen“. Wenn wir Hans Schäfer folgen, rufen schwache Wir- kungen Krankheiten nur dann hervor, wenn mehrere Einwirkungen gemein- sam effektiv werden. Damit ist die multifaktorielle Pathogenese ange- sprochen (2). Als Nichtmediziner könnte ich Schäfers Argumentation mit zahlreichen Beispielen belegen, wenn er ausführt, daß das Risikofak- torenkonzept primär an der Inzidenz von „Katastrophen“ orientiert sei (Schäfer 1996, S. 8). Was heißt in Sta- tistiken schon „Tod durch Herzstill- stand“?

In der Tat habe ich eine Tabelle, die als „willkürlich“ abgetan wird, aus gutem Grunde übernommen, nämlich um sie zur Diskussion zu stellen. Es nützt nichts, den Botschaf- ter zu steinigen, wenn die Botschaft an sich richtig ist. Jede Wissenschaft ist Auswahl. Wichtig ist, daß diese nach wissenschaftlichen Regeln ge- schieht und nachvollziehbar ist. Es ist deshalb unrichtig zu behaupten, daß willkürlich herausgegriffene Einzel- ergebnisse gut abgesicherten Daten aus breit gestützten Meta-Analysen gegenübergestellt wurden. Herr zur Hausen hätte unschwer feststellen können, daß etwa im Falle der Veröf- fentlichung über chloriertes Trink- wasser schon aus dem Titel der Ori- ginalpublikation hervorgeht, daß es sich um eine Meta-Analyse handelt (3). Sollte mein Kritiker nicht einmal die Überschrift der Originalliteratur

gelesen haben? Die in der Tabelle als Beispiel genannten Themen schei- nen offenbar von dauernder Aktua- lität zu sein. Erst kürzlich (19. No- vember 1997) ging ein Zeitungsarti- kel durch die US-amerikanische Presse, der eindringlich vor der Ge- fahr warnte, die von den Trans- Fettsäuren in Margarine ausgeht (Verringerung des „guten“ Choleste- rin, Erhöhung des „bösen“ Choleste- rin).

Wir müssen davon ausgehen, daß sich verschiedene Noxen als Todesur- sache wechselseitig vertreten können.

Ebenso ist unbestritten, daß viele To- desursachen ein „Summationsphäno- men“ darstellen (2). Mir ging es in er- ster Linie um sinnvolle Prävention und die dafür notwendigen Grundla- gen. Es sollte in der Tat die Medi- zinalstatistik ihr Augenmerk stärker darauf richten, Krankheitsverläufe zeitbezogen, operationsbezogen und altersbezogen nach den vorliegenden Erscheinungsformen einer „vikari- ierenden“ Sterblichkeit zu betrach- ten. Dies ist leider seit Taeuber nicht geschehen. Wären meine Kritiker der Argumentation des Altmeisters der Sozialmedizin und Physiologie, H.

Schäfer, eher zugänglich? Er schreibt:

„Es wird immer wieder behauptet, bestimmte Noxen, zum Beispiel das Rauchen oder bestimmte Ernäh- rungsformen, verursachten hohe An- teile an der Gesamtsterblichkeit“

„(WHO: 500 000 Tote durch Rau- chen in Westeuropa.“ „Die Hälfte der Gewohnheitsraucher stirbt an ihrer Sucht“; Zitat Tagespresse)“. Derarti- ge Angaben sind sicher falsch: Eine Zuordnung bestimmter Todesraten zu bestimmten Verhaltensweisen ist wahrscheinlich grundsätzlich nicht möglich. Der Begriff des „vermeidba- ren Todes ist in seiner augenblicklich praktizierten Bedeutung vermutlich unhaltbar“ (2).

„Macht es Sinn, davor zu war- nen, daß Kinder dem Zigaretten- qualm ausgesetzt werden?“, fragt mich Harald zur Hausen. Ja, selbst- verständlich. Die Frage ist wie.

Gerade darum ging es mir. Wieweit das soziale Umfeld von Raucher- haushalten auch eine Konsequenz des Tabakrauchens sei? Hier wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt.

Angenommen, die amerikanischen

Raucherverbote trügen auch in der finstersten Ecke Harlems Früchte und sie würden strikt eingehalten.

Einsparung durch wegfallenden Zi- garettenkonsum wird im Ernst an der sozialen Lage der Betroffenen nichts ändern. Verwahrlosung durch Rauchen – eine absurde Logik.

Es wäre hilfreich, wenn strin- gent nachgewiesen würde, wo ich durch „unkritische Übernahme von Argumentationsweisen“ der Tabak- industrie zu Diensten gewesen sein soll. Meine Intention ist, eine Dis- kussion öffentlich und interdiszi- plinär zu führen. Daß dies überhaupt möglich ist, ist dem Deutschen Ärz- teblatt hoch anzurechnen. Zu mei- nem größten Bedauern wird in der immer noch führenden Wissen- schaftsnation, in den Vereinigten Staaten von Amerika, seit einiger Zeit zensiert (4). Wo stünden wir, wenn Forschung, etwa von der phar- mazeutischen Industrie gefördert, nicht mehr in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert würde und daher auch nicht öffentlich disku- tiert werden könnte.

Literatur

1. Taeuber KE in Krämer W: Wer leben will muß zahlen. Düsseldorf, 1982. 65.

2. Schäfer H: Schwache Wirkungen als Risi- kofaktoren bei der Entstehung von Krank- heiten. Springer Verlag, Berlin, Heidel- berg, New York, 1996 (Veröffentlichungen aus der Forschungstelle für theoretische Pathologie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Supplement zu den Sitzungsberichten der mathematischen- naturwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1995/96).

3. RD Morris et al.: Chlorination, chlorinati- on by-products, and Cancer: A Meta- analysis. Am J Public Health, 1992; 82 H (Suppl III): 955.

4. Announcement: “Upon recommendation of the Publications Policy Committee, the American Journal of Respiratory and Cri- tical Care Medicine and the American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology no longer will accept for review or publication manuscripts resulting from in- vestigations supported by tobacco industry funding. This policy is effective December 1, 1995. Articles that have been submitted prior to this date will be processed as for all other papers.” Alan R. Leff, Editor, Ame- rican Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, John A. McDonald, Edi- tor, American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology. Am J Respiratory and Critical Care Medicine 1995; 5: 152.

Prof. em. Dr. phil.

Peter Atteslander Bellevue 29 CH-2562 Port A-674

M E D I Z I N

(46) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 12, 20. März 1998

DISKUSSION

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