Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 7|
14. Februar 2014 A 237D
ass die Überlebenschancen bei Krebs internatio- nal differieren, ist bekannt, dass es national Un- terschiede zwischen einzelnen Regionen geben kann, ebenfalls. Aber gilt Letzteres für eines der reichsten Länder der Welt, wo praktisch alle Bürger krankenver- sichert sind, für Deutschland? „Ja“, ist die Antwort auf diese Frage, die sich Epidemiologen des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg und regionaler Krebsregister gestellt haben. Die erste zu diesem Thema publizierte Studie mit detaillierten Daten aus Deutsch- land belegt: Erkrankte aus dem sozioökonomisch schwächsten Fünftel der untersuchten Landkreise – sie decken 40 Prozent der Gesamtbevölkerung ab – hatten in den ersten drei Monaten nach der Diagnose ein um 33 Prozent höheres Risiko zu sterben als Patienten aller anderen Regionen (IJC 2013; DOI: 10.1002/ijc.28624).Neun Monate nach der Diagnose betrug der Unter- schied 20, und nach fünf Jahren 16 Prozent.
„Zunächst hatten wir vermutet, dass Menschen in är- meren Gegenden möglicherweise die Früherkennung seltener wahrnehmen“, sagt Dr. sc. hum. Lina Jansen, Erstautorin der Arbeit. „Aber daran liegt es nicht: Die Unterschiede bleiben bestehen, wenn wir die Stadien- verteilung berücksichtigen.“ In den sozioökonomisch schwächeren Landkreisen, das sei eine Erklärungsmög- lichkeit, könnten spezialisierte Behandlungszentren schlechter erreichbar sein oder weniger Plätze anbieten.
Auch wenn die Methoden zum Messen der Ergebnis- qualität in der Onkologie noch weiterentwickelt werden:
Die Studie ist wertvoll und zukunftsweisend zugleich.
Sie deutet darauf hin, dass es viele beeinflussbare Fak- toren nicht nur für die Entstehung von Malignomen, sondern auch für die Behandlung gibt und ihr Potenzial zur Verbesserung der Prognose der Patienten hoch ist:
Es ließe sich unmittelbar nutzen, schon heute. Eine Thematik, über die der Deutsche Krebskongress, der in wenigen Tagen in Berlin beginnt, diskutieren wird.
Die neuen Daten geben außerdem einen Ausblick darauf, wie groß die bislang in Deutschland nicht aus- geschöpfte Forschungsressource „Krebsregister“ ist. Erst
seit 2009 fließen die epidemiologischen Daten aller Landeskrebsregister zentral am Robert-Koch-Institut in Berlin zusammen. Im vergangenen Jahr wurde die ge- setzliche Basis für die verbindliche klinische Krebsre- gistrierung gelegt. Es werden nun – endlich – detaillier- te Daten zu Therapie und Verlauf von Krebserkrankun- gen erfasst, die Aufschluss darüber geben werden, ob neue Therapieformen den Patienten das bringen wer- den, was sich die Onkologen für die Zukunft erhoffen.
Die Zahl der Malignomdiagnosen wird weiter zu- nehmen, auch wegen der demografischen Entwicklung.
Für das laufende Jahr rechnen Epidemiologen mit circa einer halben Million Krebsneuerkrankungen. Um den Versorgungsbedarf zu decken, müssten nach Berech- nungen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) bis 2020 circa 50 Prozent mehr Onkologen und Hämatologen zur Ver- fügung stehen. „Wir sind erstaunt, dass die Politik das Problem vor allem in ländlichen Regionen kaum wahr- nimmt und immer wieder die Schließung onkologi- scher Institute erwägt“, meint Prof. Dr. med. Mathias Freund aus Berlin, Geschäftsführer der DGHO.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte kürzlich: „Die Krebsbekämpfung ist eine gesund- heitspolitische Herausforderung ersten Ranges.“ Das Statement ruft geradezu nach Aktivitäten.
VERSORGUNG VON KREBSPATIENTEN
Noch viele ungenutzte Potenziale
Nicola Siegmund-Schultze
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Medizinjournalistin in Köln