• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Verbesserte Langzeitüberlebensraten von Krebspatienten: Die unterschätzten Fortschritte der Onkologie" (30.09.2005)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Verbesserte Langzeitüberlebensraten von Krebspatienten: Die unterschätzten Fortschritte der Onkologie" (30.09.2005)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A

A2628 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005

N

eben dem Monitoring der Inzidenz und Mortalität bei Krebserkran- kungen zählt die Überwachung der Prognose zu den wichtigsten Aufgaben epidemiologischer Krebsregister. Die dabei am häufigsten verwendeten Indi- katoren sind Langzeitüberlebensraten, insbesondere 5-Jahres-Überlebensraten.

In der Vergangenheit wurden solche Langzeitüberlebensraten meist retro- spektiv für Patienten berechnet, deren Diagnose mindestens fünf Jahre zurück- lag.

Da die Bereitstellung vollständiger Krebsregisterdaten, die Aufarbeitung, Analyse und Publikation zusammen in der Regel nochmals einige Jahre bean- spruchen, bezogen sich die aktuellsten publizierten 5-Jahres-Überlebensraten von Krebspatienten meistens auf dieje- nigen, deren Diagnose acht oder mehr Jahre zurückreichte. So berichteten die Autoren der im Jahr 2003 publizierten

EUROCARE-3-Studie beispielsweise 5-Jahres-Überlebensraten von Krebs- patienten in europäischen Ländern, de- ren Diagnose und Erstbehandlung in der Zeit zwischen 1990 und 1994 erfolgt war (1). Naturgemäß können solche Daten die zwischenzeitlich erzielten Fortschritte der Onkologie nicht wider- spiegeln.

Um ein aktuelleres Bild der Lang- zeitüberlebensraten zu erhalten, wurde vor einigen Jahren ein neues Verfahren der Überlebenszeitermittlung, die so ge- nannte Periodenanalyse, entwickelt (2).

Hierbei gehen ausschließlich Daten aus dem aktuellsten verfügbaren Zeitraum, für den Krebsregisterdaten vorliegen,

in die Berechnungen ein. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem, das für die Be- stimmung der momentanen Lebenser- wartung verwendet wird. Auch hierfür wird nicht retrospektiv die durchschnitt- liche Lebensdauer früherer Generatio- nen Neugeborener berechnet. Vielmehr basiert die Ermittlung der durchschnitt- lichen Lebenserwartung heute neuge- borener Mädchen und Jungen auf al- tersspezifischen Sterberaten, die in ei- nem aktuellen Zeitraum – etwa dem aktuellsten Jahr, für das Mortalitätsstati- stiken verfügbar sind – beobachtet wur- den.

Die Periodenanalyse von Krebs- überlebensraten wurde zwischenzeit- lich umfassend empirisch evaluiert. Da- bei konnte gezeigt werden, dass die mit diesem Verfahren bestimmten Lang- zeitüberlebensraten die aktuelle Pro- gnose von Krebspatienten sehr viel bes- ser widerspiegeln als die traditionellen

Verbesserte

Langzeitüberlebensraten von Krebspatienten

Die unterschätzten Fortschritte der Onkologie

Zusammenfassung

Verbesserungen in den Langzeitüberlebensra- ten von Krebspatienten werden mit traditionel- len Analysemethoden häufig erheblich zeitver- zögert aufgedeckt, weil diese Methoden die Prognose für Patienten widerspiegeln, deren Diagnose viele Jahre zurückliegt. In den vergan- genen Jahren wurde ein neues Verfahren der Überlebenszeitanalyse, die so genannte Peri- odenanalyse entwickelt. Nach umfassender empirischer Evaluation wurde diese Methode zur Herleitung aktueller Langzeitüberlebensra- ten in populationsbezogenen Krebsregistern verschiedener Länder eingesetzt. Bei Anwen- dung auf die Daten des Krebsregisters Saarland ergab sich für den Zeitraum von 1998 bis 2002 für alle Krebsarten insgesamt eine relative 5-Jahres-Überlebensrate von 55,1 Prozent. Die- se liegt fast acht Prozentpunkte höher als der entsprechende Schätzwert für den Zeitraum von 1988 bis 1992. Besonders deutliche Verbes- serungen waren für Patienten mit Krebs der Speiseröhre (von 8 auf 22 Prozent), des Dick-

darms (von 51 auf 60 Prozent), des Mastdarms (von 46 auf 58 Prozent), der Eierstöcke (von 34 auf 42 Prozent), der Prostata (von 70 auf 85 Pro- zent) und der Nieren (von 57 auf 67 Prozent) zu verzeichnen. Die Überlebenschancen von Krebs- patienten zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind damit deutlich höher als bisher verfügbare Überlebensstatistiken vermuten ließen.

Schlüsselwörter: Krebsregister, Prognose, Moni- toring, Epidemiologie

Summary

Long-term survival of cancer patients – underrated progress in oncology

There is a significant time lag in the detection of improvements in long-term survival rates of cancer patients, using traditional methods of survival analysis. These provide survival esti- mates relating to patients diagnosed many years ago. In recent years, a new method of survival analysis, the period analysis, has been

developed. After thorough evaluation this method was applied to derive up-to date esti- mates of long-term survival in a number of po- pulation-based cancer registries around the world. When adapted to data from the Saar- land Cancer Registry, the 5-year relative survi- val estimate for all cancers combined was 55.1 per cent for the 1998–2002 period, almost 8 per- centage points higher than the corresponding estimate for the 1988–1992 period. Particularly large improvements between the two periods were seen for patients with cancers of the oesophagus (from 8 to 22 per cent), colon (from 51 to 60 per cent), rectum (from 46 to 58 per cent), ovaries (from 34 to 42 per cent), prostate (from 70 to 85 per cent), and kidneys (from 57 to 67 per cent). Survival expectations of pa- tients diagnosed with cancer at the beginning of the 21st century are thus substantially higher than previously available survival statistics have suggested.

Key words: cancer registry, documentation, sur- vival rate, prognosis, monitoring, epidemiology

1Deutsches Zentrum für Alternsforschung, Abteilung für Epidemiologie (Leiter: Prof. Dr. med. Hermann Brenner), Heidelberg

2Epidemiologisches Krebsregister Saarland (Leiter: Hart- wig Ziegler), Saarbrücken

Hermann Brenner1 Christa Stegmaier2 Hartwig Ziegler2

(2)

Schätzer (3–5). Insbesondere können Fortschritte in 5-, 10-, 15- beziehungsweise 20-Jah- res-Überlebensraten fast 5, 10, 15 beziehungsweise 20 Jah- re früher aufgedeckt werden als mit traditionellen Vorge- hensweisen (4).

Auf Grundlage dieser Er- gebnisse wurde die Perioden- analyse mittlerweile erfolg- reich zur Berechnung aktueller Langzeitüberlebensraten von Krebspatienten in verschiede- nen Ländern eingesetzt (6–14).

Dabei wurden jeweils Fort- schritte in der Prognose festge- stellt, die bis dato mit traditio- nellen Verfahren der Überle- benszeitanalyse noch nicht er- kennbar gewesen waren. Zwei Beispiele: In Deutschland kann mittlerweile für Kinder mit Leukämien von einer durch- schnittlichen 10-Jahres-Über- lebensrate von mehr als 75 Pro- zent ausgegangen werden (6).

Für Patienten in den USA, bei denen ein Prostatakarzinom diagnostiziert wird, besteht in- zwischen gegenüber der alters- entsprechenden Allgemeinbe- völkerung keine erhöhte Sterb- lichkeit mehr (12).

Im Folgenden werden aktu- elle Schätzungen von 5-Jahres- Überlebensraten von Krebs- patienten in Deutschland, die auf der Periodenanalyse basie- ren, vorgestellt.

Material und Methoden

Der Untersuchung zugrunde liegen Daten des Epidemiolo- gischen Krebsregisters Saar- land, das als einziges epide- miologisches Krebsregister in Deutschland auf eine weitge- hend vollständige Registrie- rung aller Krebsneuerkran- kungen in den vergangenen 30 Jahren zurückblicken kann.

Zum Zeitpunkt der Analyse waren Angaben bis ein- schließlich 2002 hinreichend

vollständig verfügbar. Wegen der Be- sonderheit von Krebserkankungen im Kindesalter – diese umfassen circa ein Prozent aller Krebserkrankungen – be- ziehen sich die Auswertungen aus- schließlich auf Patienten ab dem 15. Le- bensjahr.

Dem üblichen Vorgehen bei der Überlebenszeitanalyse mit epidemiolo- gischen Registerdaten entsprechend wurden nur Patienten mit einer erstma- ligen Krebsdiagnose berücksichtigt.

Auch Patienten, die dem Krebsregister nur durch die Nennung einer Krebsdia- gnose auf der Todesbescheinigung be- kannt wurden, so genannte „death certi- ficate only“- (DCO-)Fälle, wurden von der Untersuchung ausgenommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 betrug die Zahl der DCO-Fälle circa 4,5 Prozent aller Meldungen.

Es wurden separate Analysen für 20 häufige Krebsarten durchgeführt. Von einer weiteren Differenzierung nach Stadium bei Diagnose wurde für diese Übersichtsarbeit abgesehen.

Mit der Periodenanalyse wurden ak- tuelle 5-Jahres-Überlebensraten für die Zeit von 1998 bis 2002 berechnet. Um die im vergangenen Jahrzehnt erzielten Fortschritte abzubilden, werden verglei- chend 5-Jahres-Überlebensraten für die Zeiträume 1978–1982, 1988–1992 und 1993–1997 dargestellt. Es wurden, wie in der Auswertung bevölkerungsbezoge- ner Krebsregisterdaten üblich, relative statt absolute Überlebensraten ermittelt (15). Bei der Bestimmung der relativen Überlebensraten werden von den beob- achteten Sterberaten der Krebspatien- ten die Sterberaten abgezogen, die gemäß den altersspezifischen Sterbera- ten der Allgemeinbevölkerung auch oh- ne die Krebserkrankung zu erwarten wären. Für eine detaillierte Beschrei- bung des methodischen Vorgehens bei der Durchführung von Periodenanaly- sen sei auf eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit verwiesen (16).

Ergebnisse

In den Zeiträumen 1978 –1982, 1988 – 1992 und 1998 –2002 wurden jeweils 17 571, 21 199 und 24 649 Patienten mit einer Ersterkrankung an Krebs an das Krebsregister Saarland gemeldet. Von

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005 AA2629

Relative 5-Jahres-Überlebensraten von Krebspatienten im Saarland in verschieden Zeiträumen zwischen 1978–

1982 und 1998–2002 (alle Krebsarten zusammen) Grafik 1

Relative 5-Jahres-Überlebensraten von Patienten mit häufigen Tumoren der Verdauungsorgane in den Zeiträu- men 1988–1992, 1993–1997 und 1998–2002

Grafik 2

(3)

1998 bis 2002 war Brustkrebs mit 3 576 Neuerkrankungen die häufigste Krebs- Erstdiagnose, gefolgt von Krebs der Lungen (n = 3 049), der Prostata (n = 2 773), des Dickdarms (n = 2 597) und des Mastdarms (n = 1 623).

Wie Grafik 1 zeigt, stieg die relative 5-Jahres-Überlebensrate aller Krebspa- tienten im Zeitverlauf deutlich an.

Während der Zuwachs zwischen den Zeiträumen 1978–1982 und 1988–1992 noch 5,2 Prozentpunkte (von 42,0 Pro- zent auf 47,2 %) betrug, beschleunigte sich der Zugewinn zwischen den Zeiträumen 1988–1992 und 1998–2002 auf fast 8 Prozentpunkte (von 47,2 Pro- zent auf 55,1 Prozent). Allein zwischen den Zeiträumen 1993–1997 und 1998–

2002 konnte eine Zunahme von 4,4 Pro- zentpunkten erzielt werden.

Da die Prognose für die einzelnen Krebsarten sehr stark variiert, ist in den Grafiken 2 bis 5 die Entwicklung der 5- Jahres-Überlebensraten separat für 20 häufige Krebsarten dargestellt. Diese machen zusammen fast 90 Prozent aller Krebserkrankungen im Erwachsenenal- ter aus. Der Standardfehler der geschätz- ten 5-Jahres-Überlebensraten war gene- rell sehr klein – er lag in den meisten Fäl- len zwischen 1,0 und 2,5 Prozentpunkten und in allen Fällen unter 2,8 Prozent- punkten. Der besseren Übersichtlichkeit halber wird er in den Grafiken daher nicht gesondert dargestellt.

Unter den häufigen Krebserkran- kungen der Verdauungsorgane besteht für die kolorektalen Karzinome die be- ste Prognose (Grafik 2). Für Patienten mit diesen Krebsarten konnten zwischen 1988–1992 und 1998–2002 weitere deut- liche Verbesserungen der Prognose er- reicht werden. Das bedeutet, dass heute circa 60 Prozent dieser Patientengruppe fünf Jahre nach der Diagnose noch lebt.

Auch der Anteil Überlebender mit Spei- seröhrenkrebs, der zehn Jahre zuvor noch unter 10 Prozent lag, ist im Zeit- raum zwischen 1998 und 2002 auf mehr als 20 Prozent angestiegen. Leider konn- ten entsprechende Verbesserungen für andere Krebserkrankungen mit beson- ders schlechter Prognose, insbesondere das Pankreaskarzinom, bisher nicht er- reicht werden.

Bei den gynäkologischen Krebser- krankungen wurde für Brustkrebs ein Zuwachs um circa 7 Prozentpunkte er-

zielt, sodass die relative 5-Jah- res-Überlebensrate für diese mit Abstand häufigste Krebs- erkrankung der Frauen mitt- lerweile bei etwa 80 Prozent liegt (Grafik 3). Auch für Pati- entinnen mit Ovarialkarzino- men ist eine deutliche Verbes- serung der Prognose um circa 8 Prozentpunkte zu erkennen.

Dennoch blieb die Prognose mit einer relativen 5-Jahres- Überlebensrate von 42 Pro- zent im Zeitraum 1998–2002 deutlich schlechter als für die anderen häufigen gynäkologi- schen Tumoren.

Sehr deutliche Verbesse- rungen in der Prognose gab es auch für Patienten mit den häufigsten urologischen Kar- zinomen, dem Prostatakarzi- nom und dem Nierenkarzi- nom (Grafik 4). Insbesondere ist die relative 5-Jahres-Über- lebensrate für Prostatakrebs- patienten inzwischen mit 85 Prozent deutlich höher als für Patienten mit anderen Krebserkrankungen. Für Ho- denkrebs beträgt die relative 5-Jahres-Überlebensrate mitt- lerweile nahezu 100 Prozent.

Die scheinbare Verschlechte- rung der Prognose bei Pa- tienten mit Blasenkarzinom muss mit Vorsicht bewertet werden. Sie stellt vermutlich ein Artefakt aufgrund ge- änderter histopathologischer Malignitätskriterien dar. Nach- dem oberflächliche, papilläre Urotheltumoren in den frühe- ren Diagnosejahren als inva- sive Blasentumoren codiert wurden, klassifizierte man sie später als nichtinvasive Tumo- ren. Diese gingen in die vor- liegende Analyse nicht ein.

Eine entsprechende Revision und Umcodierung der Regi- sterdaten vor den 1990er-Jah- ren ist noch nicht vollständig erfolgt.

Obwohl Lungenkrebs nach wie vor mit einer sehr schlech- ten Prognose behaftet ist, gibt es doch Anzeichen für eine A

A2630 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005

Relative 5-Jahres-Überlebensraten von Patienten mit häufigen gynäkologischen Tumoren in den Zeiträumen 1988–1992, 1993–1997 und 1998–2002

Grafik 3

Relative 5-Jahres-Überlebensraten von Patienten mit häufigen urologischen Tumoren in den Zeiträumen 1988–1992, 1993–1997 und 1998–2002

Grafik 4

(4)

leichte Verbesserung in den letzten Jah- ren (Grafik 5). Für Patienten mit malig- nem Melanom, Lymphomen und Leuk- ämien konnte nach moderaten Verbesse- rungen im letzten Jahrzehnt inzwischen eine relative 5-Jahres-Überlebensrate von 86, 65, beziehungsweise 46 Prozent erreicht werden.

Diskussion

Die Auswertungen zeigen, dass die Langzeitüberlebensraten von Patienten mit einer Reihe von Krebserkrankungen in Deutschland zwischenzeitlich deutlich höher sind als die in bisher verfügbaren Arbeiten dargestellten Werte. Bevölke- rungsbezogene Analysen relativer 5-Jah- res-Überlebensraten waren zuletzt im Kontext der im Jahr 2003 publizierten EUROCARE-3-Studie erstellt worden und bezogen sich auf den Diagnosezeit- raum 1990–1994. Diese Zeitspanne lag acht Jahre vor dem hier untersuchten Zeitraum 1998–2002 (1). Die mit tradi- tionellen Verfahren der Überlebenszeit- ermittlung durchgeführten Analysen der

EUROCARE-3 Studie, an de- nen Deutschland mit dem Tu- morregister München und dem Krebsregister Saarland beteiligt war, konnten daher die im Laufe des letzten Jahr- zehnts erzielten Fortschritte noch nicht widerspiegeln. Die- se Fortentwicklungen wurden in der vorliegenden Arbeit durch Anwendung der Peri- odenanalyse und eines bis zum Jahr 2002 aktualisierten Da- tensatzes aufgedeckt.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die seit langem zu beob- achtende stetige Verbesserung der Überlebensraten für alle Krebsarten in den letzten Jah- ren noch beschleunigt hat.

Allerdings sind die Entwick- lungen für verschiedene Krebs- erkrankungen sehr unter- schiedlich. Einer Stagnation der Prognose auf niedrigem Niveau, wie etwa beim Pan- kreaskarzinom, stehen Verbes- serungen um circa 10 bis 15 Prozentpunkte im letzten Jahr- zehnt bei einigen häufigen Krebsarten wie den kolorektalen Kar- zinomen oder den Karzinomen von Prostata und Nieren gegenüber.

Wenngleich die Resultate unserer Periodenanalyse um Jahre aktueller sind als die bisher vorliegenden Statisti- ken von Langzeitüberlebensraten, so ist davon auszugehen, dass auch sie die zwischenzeitlich erreichten Fortschritte in der Langzeitprognose von Krebspati- enten noch nicht vollständig darstellen.

Insbesondere ist damit zu rechnen, dass es auch seit 2002 zu weiteren Verbesse- rungen gekommen ist, die in dieser Analyse noch nicht berücksichtigt wer- den konnten.

Auch wenn 5-Jahres-Überlebensraten einen wichtigen Indikator für Fortschrit- te in der Krebsbekämpfung darstellen, so sind sie als alleiniger Indikator hierfür nicht ausreichend. Eine umfassende Eva- luation erfordert zusätzlich die Berück- sichtigung von Trends in Inzidenz- und Mortalitätsraten und der ihnen zugrunde liegenden Ursachen, einschließlich struk- tureller Änderungen wie etwa die Ein- führung neuer Screeninguntersuchun- gen. Die hier für alle Tumorstadien zu-

sammengefasst dargestellten relativen Überlebensraten geben alleine noch kei- ne Auskunft über die Gründe für die Ver- besserungen. Die Hauptursachen kön- nen zum einen in einer verbesserten Früherkennung, zum anderen in den Weiterentwicklungen der Therapie lie- gen. Im ersten Fall stellen Zunahmen in den Überlebensraten nur dann einen echten Fortschritt dar, wenn sie auch mit einer Erhöhung des Anteils geheilter Pa- tienten und nicht mit einer reinen „Vor- verlagerung“ der Diagnose einhergehen.

Beide Faktoren, eine frühere Diagno- sestellung und Verbesserungen in der Therapie, haben vermutlich zu dem Zu- wachs der 5-Jahres-Überlebensraten bei- getragen, wobei die Bedeutung der bei- den Faktoren für die verschiedenen Krebsarten erheblich variieren dürfte. So ist die inzwischen fast 100 Prozent betra- gende 5-Jahres-Überlebensrate von Pati- enten mit Hodenkrebs in erster Linie als Erfolg der für diese Krebsart erzielten Durchbrüche in der Chemotherapie zu werten (17). Dem gegenüber haben für andere Krebserkrankungen, wie bei- spielsweise Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs, vermutlich sowohl Fort- schritte in der Therapie (adjuvante und neoadjuvante Hormontherapie, Chemo- therapie, Chirurgie) als auch eine frühere Erkennung in unterschiedlichem Um- fang mit zu den Verbesserungen geführt (18–23).

Es wäre wünschenswert, die Verbesse- rungen in den Überlebensraten und de- ren Ursachen auf der Basis epidemiolo- gischer Registerdaten differenziert und zeitnah weiter analysieren zu können.

Grundvoraussetzung dafür ist zunächst eine hinreichend vollzählige Krebsregi- strierung, um mögliche Verzerrungen durch Selektionseffekte zu vermeiden.

Mit einer geschätzten Vollzähligkeit von circa 96 Prozent ist diese Voraussetzung im Krebsregister Saarland seit Jahren ge- geben (24). Es ist zu hoffen, dass ein ver- gleichbares Maß an Vollzähligkeit bald auch in anderen Bundesländern, in de- nen sich die Krebsregistrierung derzeit im Aufbau befindet (25), erreicht wird.

Erforderlich ist aber auch, dass neben der Vollzähligkeit ein hohes Maß an Voll- ständigkeit klinisch und prognostisch re- levanter Angaben auf den Registermel- dungen erreicht wird. Diese Angaben sollten differenzierte Analysen nach Sta- A

A2632 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005

Relative 5-Jahres-Überlebensraten von Patienten mit sonstigen häufigen Tumoren in den Zeiträumen 1988–1992, 1993–1997 und 1998–2002

Grafik 5

(5)

dium bei Diagnose, histologischem Typ, durchgeführten Therapien et cetera er- möglichen. Alle entsprechenden Daten sollten zeitnah, das heißt, mit einer Ver- zögerung von maximal ein bis zwei Jah- ren, für die Auswertung zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen sind auch im Krebsregister Saarland bislang nur partiell erfüllt.

Aus diesem Grund haben die Autoren ein Modellprojekt initiiert, das seit dem 1. Januar 2005 von der Deutschen Krebs- hilfe gefördert wird. Kernpunkt dieses Projekts ist, eine weitestgehend automa- tisierte zeitnahe Meldung der in den Kli- niken ohnehin zumeist differenziert er- hobenen klinischen Daten an das Epide- miologische Krebsregister Saarland zu ermöglichen. Diese Daten sollten dann für eine differenzierte Berechnung aktu- eller Überlebensraten mittels Perioden- analyse genutzt werden. Mit den Ergeb- nissen dieses auf drei Jahre angelegten Modellprojekts ist im Jahr 2007 zu rech- nen, eine anschließende Überführung in ein zeitnahes routinemäßiges Monito- ring der Prognose ist vorgesehen.

Manuskript eingereicht: 29. 4. 2005, revidierte Fassung angenommen: 28. 6. 2005

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2628–2633 [Heft 39]

Literatur

1. Berrino F, Capocaccia R, Coleman MP, Estève J, Gatta G, Hakulinen T, Micheli A, Sant M, Verdecchia A, eds.:

Survival of cancer patients in Europe: the EURO- CARE-3 Study. Ann Oncol 2003; 14 Suppl 5: v1–v155.

2. Brenner H, Gefeller O: An alternative approach to monitoring cancer patient survival. Cancer 1996; 78:

2004–2010.

3. Brenner H, Hakulinen T: Up-to-date survival curves of patients with cancer by period analysis. J Clin Oncol 2002; 20: 826–832.

4. Brenner H, Hakulinen T: Advanced detection of time trends in long-term cancer patient survival: experi- ence from 50 years of cancer registration in Finland.

Am J Epidemiol 2002; 156: 566–577.

5. Talbäck M, Stenbeck M, Rosén M: Up-to-date long- term survival of cancer patients: an evaluation of pe- riod analysis on Swedish Cancer Registry data. Eur J Cancer 2004; 40: 1361–1372.

6. Brenner H, Kaatsch P, Burkhardt-Hammer T, Harms DO, Schrappe M, Michaelis J: Long-term survival of children with leukaemia achieved by the end of the second millennium. Cancer 2001; 92: 1977–1983.

7. Brenner H: Long-term survival rates of cancer pa- tients achieved by the end of the 20th century: a pe- riod analysis. Lancet 2002; 360: 1131–1135.

8. Aareleid T, Brenner H: Trends in cancer patient survi- val in Estonia before and after the transition from a Soviet republic to an open market economy. Int J Cancer 2002; 102: 45–50.

9. Smith LK, Lambert PC, Jones DR: Up-to-date esti- mates of long-term cancer survival in England and Wales. Br J Cancer 2003; 89: 74–76.

10. Talbäck M, Rosén M, Stenbeck M, Dickman PW: Can- cer patient survival in Sweden at the beginning of the third millenium – predictions using period analysis.

Cancer Causes Control 2004; 15: 967–976.

11. Yu XQ, O'Connell DL, Gibberd RW, Smith DP, Dickman PW, Armstrong BK: Estimating regional variation in cancer survival: a tool for improving cancer care.

Cancer Causes Control 2004; 15: 611–618.

12. Yu XQ, O'Connell DL, Forman D: Comparison of can- cer survival in UK and Australia: rates are higher in Australia for three major sites. Brit J Cancer 2004; 91:

1663–1665.

13. Brenner H, Arndt V: Long-term survival rates of pa- tients with prostate cancer in the PSA screening era:

population-based estimates for the year 2000 by pe- riod analysis. J Clin Oncol 2005; 51: 321–327.

14. Brenner H, Stegmaier C, Ziegler H: Long-term survival of cancer patients in Germany achieved by the be- ginning of the 3rd millennium. Ann Oncol 2005; 16:

981–986.

15. Henson DE, Ries LA: The relative survival rate. Cancer 1995; 76: 1687–1688.

16. Brenner H, Gefeller O, Hakulinen T: Period analysis for 'up-to-date' cancer survival data: theory, empirical evaluation, computational realisation and applica- tions. Eur J Cancer 2004; 40: 326–335.

17. Bosl GJ, Motzer RJ: Testicular germ-cell cancer. N Engl J Med 1997; 337: 242–253.

18. Becker N: Entwicklung der Inzidenz und Mortalität an Brustkrebs. Radiologe 2001; 41: 337–343.

19. Jatoi I, Miller AB: Why is breast-cancer mortality dec- lining? Lancet Oncol 2003; 4: 251–254.

20. Messing EM, Manola J, Sarosdy M, Wilding G, Craw- ford ED, Trump D: Immediate hormonal therapy com- pared with observation after radical prostatectomy and pelvic lymphadenectomy in men with node- positive prostate cancer. N Engl J Med 1999; 341:

1781–1788.

21. Baade PD, Coory MD, Aitken JF: International trends in prostate-cancer mortality: the decrease is conti- nuing and spreading. Cancer Causes Control 2004;

15: 237–241.

22. Dahlberg M, Glimelius B, Pahlman L: Changing stra- tegy for rectal cancer is associated with improved outcome. Br J Surg 1999; 86: 379–384.

23. Faivre-Finn J, Bouvier-Benhamiche AM, Phelip JM, Manfredi S, Dancourt V, Faivre J: Colon cancer in France: evidence for improvement in management and survival. Gut 2002; 51: 60–64.

24. Brenner H, Stegmaier C, Ziegler H: Estimating com- pleteness of cancer registration in Saarland/Ger- many with capture-recapture methods. Eur J Cancer 1994; 30A: 1659–1663.

25. Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebs- register in Deutschland, eds.: Krebs in Deutschland.

Häufigkeiten und Trends. 4. Ausgabe, Saarbrücken.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Hermann Brenner Deutsches Zentrum für Alternsforschung Abteilung für Epidemiologie

Bergheimer Straße 20, 69115 Heidelberg E-Mail: Brenner@dzfa.uni-heidelberg.de

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005 AA2633

MEDIZINGESCHICHTE(N) )

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

Tropenmedizin Malariabekämpfung

Zitat:„Die ungünstigen Gesundheits- verhältnisse in Mikindani erfordern in erster Linie die ständige Stationierung eines in rationeller Malariabehand- lung ausgebildeten Arztes daselbst.

Derselbe würde sich auch baldmög- lichst über die hygienischen Verhält- nisse des Platzes mit besonderer Be- rücksichtigung der Wohnungsfrage zu unterrichten haben. In dem betreffen- den Gebiet würde unter anderem zu erörtern sein, ob es sich nicht durch- führen läßt, in erster Linie die Beam- ten in möglichst gesundheitsmäßig ge- legenen und nach dem von Herrn Freiherrn Brandenstein vorgelegten Plane erbauten Häusern unterzubrin- gen. Im übrigen bin ich bereit, bei mei- ner etwaigen Anwesenheit in Ostafri- ka entweder durch Erkundigung oder persönliche Besichtigung von Mikin- dani mir selbst ein Urtheil über die Ursachen der schlechten Gesund- heitsverhältnisse daselbst zu bilden und daraufhin Ratschläge zu ihrer Verbesserung zu geben. Schon jetzt bemerke ich, daß mir eine Austrock- nung der bei und um Mikindani be- findlichen Sümpfe nur mit ganz erheb- lichen Kosten durchführbar erscheint.

Dagegen dürfte sich ein Versuch emp- fehlen, dieselben mit Kerosin, eine bei der Reinigung des Petroleums zu- rückbleibenden öligen Substanz, zu bedecken. Das Kerosin bildet eine dünne gleichmäßige Schicht auf der Wasseroberfläche, auf die es gebracht ist, und verhindert dadurch die Moski- tos, ihre Eier daselbst abzulegen. (1)“

Robert Koch: Gutachten vom 22. Februar 1899. Bun- desarchiv Berlin-Lichterfelde: R 1001/218, 91–92. Zitat nach Walter Bruchhausen: Medizinischer Pluralismus im Südosten Tansanias in Vergangenheit und Gegen- wart. Habilitationsschrift Bonn 2004, Seite 62. – Koch (1843–1910) war ab 1891 Direktor des Preußischen In- stituts für Infektionskrankheiten (später Robert-Koch- Institut). Er galt als größte Autorität auf dem Gebiet von Bakteriologie, Hygiene und Tropenkrankheiten, mit de- nen er sich auf zahlreichen Expeditionen intensiv aus- einander setzte. 1905 erhielt er den Nobelpreis. – (1) Dieser Rat entsprach der Empfehlung des britischen Malaria-Forschers Ronald Ross (1857–1932), der 1899 in Liverpool ein Institut für Tropenmedizin eröffnete.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Gehalte über 50 mg/l (dieser Wert gilt als Hintergrund in Brandenburg) treten verstreut bei knapp einem Viertel der Messstellen im oberflächennahen Grundwasser auf (z.B. GWK

Die im Rahmen des diesjährigen Kongresses des amerikanischen Col- lege of Rheumatology (ACR) prä- sentierten Daten der MEASURE-1- Studie bestätigen Secukinumab eine

Wird dieses doch alar- mierende Ergebnis mit ande- ren ärztlichen Maßnahmen verglichen, so zeigt sich für die Ultraschalluntersuchung in et- wa das gleiche Risiko wie für

Dann sucht sich der Falter bis zur ersten wärmenden Frühlingssonne eine Höhle in einem morschen Baum oder!. auch einen Schlupfwinkel auf einem Dach- boden, um den Winter

Die Autoren stellen dar, dass Perso- nen, die sich einer Grippeimpfung un- terziehen, weniger gefährdet sind, an kardiovaskulären Erkrankungen zu sterben, und wollen daraus

Nach einem kurzen Überblick über Stellung und Möglichkeiten des Ingenieurs in der Firma Siemens betonte der vortragende, daß die ge zielte Arbeitsteilung in Großunternehmungen

Für eine konkrete Aussage über den Charakter der zu erwartenden Immission an einem bestimmten 0rt ist die alleinige Kenntnis aller natürlichen und anthropogenen Emissionen wenn

Januar 1999 zugelasse- nen Psychologischen Psycho- therapeuten nicht anwendbar, ist nach Meinung des Bundes- sozialgerichts unzulässig.. Fol- ge man ihr, so wäre bei