• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Zerebrale Bypass-Chirurgie: Zu Unrecht totgesagt" (23.11.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Zerebrale Bypass-Chirurgie: Zu Unrecht totgesagt" (23.11.2012)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 47

|

23. November 2012 A 2359

D

ie Ergebnisse der Karotis - okklusionsstudie (Carotid Occlusion Surgery Study = COSS), wonach die alleinige medikamentöse Therapie Schlaganfallpatienten ge- nauso gut vor einem Rezidiv schützt wie eine Bypass-Operation, kombi- niert mit einer optimierten konserva- tiven Therapie (1), wurden bereits als

„Todesstoß“ für die operative Be- handlung ischämisch-neurovaskulä- rer Erkrankungen gewertet (2, 3).

Die Studie war nach zwei Jahren vorzeitig beendet worden, weil bei- de Gruppen (n = 195) statistisch kei- nen Unterschied aufwiesen: Nach Bypass-Operation hatten 21 Prozent der Patienten erneut einen Schlag- anfall erlitten, unter konservativer Therapie waren es 22,7 Prozent.

Nach aktuellen Stellungnahmen der American Association of Neu-

rological Surgeons, des Congress of Neurological Surgeons und der European Association of Neurolo- gical Surgery (3, 4) ist die pessi- mistische Bewertung der Bypass- Chirurgie für diese Indikation si- cherlich zu kurz gegriffen: Die COSS-Studie zeige die Überlegen- heit des chirurgischen Eingriffs, wenn eine ausreichende Expertise des interdisziplinären neurovasku- lären Teams und ein perioperati- ves Schlaganfallrisiko der Patien- ten von unter zehn Prozent gege- ben seien.

COSS: Inhaltliche, statistische

und methodische Schwächen

Die Zweijahresschlaganfallrate im konservativen Arm der COSS-Stu- die lag mit 22,7 Prozent deutlich unter den projizierten 40 Prozent,

die als Grundlage für die statisti- sche Planung herangezogen worden waren. Die Autoren erklären dies durch den erfolgreichen Einsatz der Statine – wobei einschränkend be- merkt werden muss, dass zum Bei- spiel die SPARCL-Studie (Stroke Prevention by Aggressive Reduc - tion in Cholesterol Levels) mit Ein- schluss von circa 5 000 Patienten durch den Einsatz von Atorvastatin lediglich eine absolute Risikore- duktion von fünf Prozent zeigen konnte. Dieses am Ende ungeklärt gute Ergebnis im konservativen Arm von COSS bewirkt, dass die Studie „unterpowert“ war.

Das perioperative Schlaganfall - risiko lag in COSS mit 15 Pro- zent deutlich über der periopera - tiven Schlaganfallrate der EC/IC- Bypass-Trial mit 4,5 Prozent (5) so- wie aktueller großer Fallserien (fünf Prozent) (6) in vergleichbaren Pa- tientenkollektiven. Die perioperati- ve Morbidität in COSS ist daher als kritisch hoch anzusehen – zumal es 25 Jahre nach der ersten EC-IC-By- pass-Studie zu einer Verbesserung des perioperativen Managements der Patienten gekommen sein sollte.

Dieses ungünstige Ergebnis ist da- her spezifisch für die an COSS teil- nehmenden Zentren und limitiert die Generalisierbarkeit der Studie.

Es ist bemerkenswert, dass im Rahmen von COSS 93 Patienten in einem Zeitraum von acht Jahren an 30 verschiedenen Zentren ope- riert wurden. Dies bedeutet, dass jedes Zentrum im Durchschnitt lediglich drei Bypass-Operationen in acht Jahren durchgeführt hat – eine Anzahl, die nicht ausreicht, um klinische Routine für das inter - disziplinäre neurovaskuläre Team zu etablieren und zu sichern. Diese Einschätzung wird unterstrichen durch die Qualifikationskriterien, die an die Operateure in COSS gestellt wurden. So reichte bereits ein Zweitageskurs am Tiermodell oder eine Erfahrung mit zehn By pass-Fällen als Operateur oder Assistent aus, um an der Studie teilnehmen zu können. Daher müs- sen sowohl die operative Erfahrung als auch die Aktivität der teilneh- menden Zentren sehr kritisch infra- ge gestellt werden.

ZEREBRALE BYPASS-CHIRURGIE

Zu Unrecht totgesagt

Neue Analysen: Die Bypass-Chirurgie bei intrakranieller Karotisstenose hat nach strenger Nutzen-Risiko- Bewertung ihre Berechtigung für eine ausgewählte Patientengruppe an vaskulären Zentren.

Foto: SPL/Agentur Focus

Das Anfangssegment der Arteria carotis in-

terna ist eine Prädilek- tionsstelle für die Bil- dung atherosklero- tischer Plaques.

M E D I Z I N R E P O R T

(2)

A 2360 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 47

|

23. November 2012 Dass die Revaskularisierung als

wirksame sekundäre Schlaganfall- prävention zu werten ist, zeigt der Verlauf der Kaplan-Meier-Kurve:

Trotz der hohen Ereignisrate der chirurgischen Patienten in den ers- ten 30 Tagen, überschneiden sich beide Behandlungsarme bereits frühzeitig. Nach zwei Jahren be- trägt das Schlaganfallrisiko der By- pass-Patienten lediglich sechs Pro- zent, so dass man für eine längere Nach verfolgung (fünf Jahre) eine Überlegenheit der Chirurgie über die konservative Therapie vorhersa- gen darf. Die hierfür zugrunde - liegende Annahme, dass sich die Schlaganfallrate in beiden Gruppen fortsetzt, wird durch den bisherigen linearen Kurvenverlauf unterstützt.

Patientenidentifizierung für Studie ist sehr komplex

Parallel zur US-amerikanischen COSS-Studie wurde auch in Japan eine Studie zur Schlaganfallprophy- laxe durch Operation bei sympto- matischem unilateralem Karotis - verschluss durchgeführt (Japanese EC-IC Bypass Trial = JET). Die Er- gebnisse liegen zwar noch nicht als Originalpublikation vor, zeigen aber bereits in mündlichen Präsentatio- nen und Abstracts eine signifikante Überlegenheit der Bypass-Chirurgie gegenüber der konservativen medi- zinischen Therapie. Der Unterschied zwischen COSS und JET liegt hier- bei in der deutlich geringeren peri - operativen Schlaganfallrate in der JET-Studie (< 5 Prozent), wohinge- gen die Schlaganfallrate jenseits der initialen 30 Tage in beiden Studien vergleichbar ist.

Die COSS-Studie wurde vorzei- tig abgebrochen, nachdem deutlich wurde, dass der vor zehn Jahren pro gnostizierte Unterschied zwi- schen beiden Gruppen von 16 Pro- zent nicht mehr nachzuweisen ist.

Gleichwohl wäre der Nachweis ei- nes zehnprozentigen Unterschieds zugunsten der Chirurgie trotz der aktuellen Eckparameter noch durch- aus möglich gewesen, hätte jedoch eine Erhöhung der Patientenzahl auf 986 Patienten erfordert. Auf- grund der Komplexität der Patienten - identifizierung und der Limitation bei Durchführung der Operationen

hatte man sich aber gegen eine Er- weiterung der Studie entschlossen.

Dennoch wäre eine zehnprozentige absolute Risikoreduktion für einen Schlaganfall klinisch wichtig und nachhaltig gewesen, was in der aktuellen Studie jedoch nicht adres- siert wurde.

Zahlreiche Studien zur Patho- physiologie des symptomatischen Karotisverschlusses zeigen, dass die Sekundärprävention des Schlagan- falls nicht der einzige ausschlagge- bende Outcome-Parameter bei der Beurteilung therapeutischer Manö- ver sein darf. Zunehmend ist die Verbesserung neurokognitiver Defi- zite beziehungsweise die Stabilisie- rung der neurokognitiven Leistung dieser Patienten als zentrales Thera- pieziel identifiziert worden.

Sowohl die Studienlage zur chir - urgischen als auch endovaskulä- ren Rekanalisation hochgradiger extrakranieller Stenosen unterstrei- chen diesen Aspekt, der bislang bei symptomatischen zerebralen Ge- fäßverschlüssen nur unzureichend gewürdigt worden ist. Es ist daher bemerkenswert, dass zwar COSS frühzeitig abgebrochen wurde, aber eine randomisierte Evaluation des Einflusses der Bypass-Chir - urgie auf die Neurokognition am COSS-Patientengut unter dem Stu- dientitel RECON (Randomized Evaluation of Carotid Occlusion and Neurocognition) fortgeführt wird. Die Ergebnisse dieser Unter- suchungen könnten zu einem Para- digmenwechsel in der Therapie des symptomatischen Karotisverschlus- ses führen, und es ist durchaus möglich, dass die Bypass-Chirur- gie hier in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Hohe Ansprüche an ein interdisziplinäres Team

Zusammengefasst muss man zu dem Schluss kommen, dass die pu- blizierte Interimanalyse von COSS mit dem limitierten Datensatz von 195 Patienten kein ausreichendes Material zur Verfügung stellt, um den Effekt der EC/IC-Bypass-Chir - urgie bei Patienten mit symptoma - tischem unilateralem Arteria-caro- tis-interna-Verschluss abschließend zu bewerten.

COSS verdeutlicht damit erneut, dass die EC/IC-Bypass-Chirurgie hohe Ansprüche an das interdiszip- linäre neurovaskuläre Team stellt und daher aufgrund einer engen Nutzen-Risiko-Grenze bei kleiner Patientenzahl regionalisiert an vas- kulären Zentren durchgeführt wer- den sollte.

Ungeachtet dessen kommt der extra-/intrakraniellen Bypass-Chir - urgie weiterhin eine große Bedeu- tung in der Behandlung komple- xer zerebrovaskulärer Erkrankun- gen jenseits des COSS-Patienten- guts zu (Tendenz steigend). Hierzu gehören Patienten mit zerebrovas- kulärer Verschlusserkrankung, die eine derart kritische hämodynami- sche Einschränkung aufweisen, dass es zu behindernden, sich wiederho- lenden (temporären) ischämischen Attacken kommt (Amaurosis fugax,

„limb shaking“ TIAs).

Auch für Patienten mit kom - plexeren atherosklerotischen Multi- gefäßerkrankungen (2-/3-Gefäßver- schlüssen) und hämodynamischer Insuffizienz sollte die chirurgische Revaskularisierung weiterhin als Therapieoption erwogen werden.

Weiterhin kommt der extra-/in- trakraniellen Bypass-Chirurgie in der Schlaganfall- und intrazerebra- len Blutungsprophylaxe bei der seltenen Moyamoya-Erkrankung eine zentrale Bedeutung zu (7). Die große Bedeutung dieser Erkran- kung (trotz niedriger Inzidenz) liegt in der Tatsache, dass es sich bei ihr um eine stenookklusive Er- krankung handelt, bei der durch frühzeitige Diagnose und neuro- chirurgische Intervention eine Hei- lung erzielt werden kann und da- mit schwerwiegende ischämische zerebrale Komplikationen vermie- den werden können. Schließlich kommt der extra-/intrakraniellen Bypass-Chirurgie eine zentrale Rolle zu in der Behandlung kom- plexer zerebraler Aneurysmen, die einen chir urgischen Gefäßersatz erfordern, um eine vollständige Aus - schaltung und Blutungsprophylaxe

zu erzielen.

Prof. Dr. med. Peter Vajkoczy, Prof. Dr. med. Daniel Hänggi

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4712

M E D I Z I N R E P O R T

(3)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 47

|

23. November 2012 A 3

M E D I Z I N R E P O R T

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 47/2012, ZU:

GZEREBRALE BYPASS-CHIRURGIE

Zu Unrecht totgesagt

Neue Analysen: Die Bypass-Chirurgie bei intrakranieller Karotisstenose hat nach strenger Nutzen-Risiko-Bewertung ihre Berechtigung für eine ausgewählte Patientengruppe und bei Betreuung an vaskulären Zentren.

LITERATUR

1. Powers J, Clarke WR, et al.: Extracranial- Intracranial Bypass Surgery for Stroke Pre- vention in Hemodynamic Cerebral Ische- mia. The Carotid Occlusion Surgery Study Randomized Trial. JAMA 2011; 306:

1983–92.

2. Gefäß-Bypass ohne Vorteil für Schlag - anfallpatienten. Dtsch Arztebl 2012;

109(1–2): A 6.

3. Amin-Hanjani S, Barker FG 2nd, Charbel FT, Connolly ES Jr, Morcos JJ, Thompson BG:

EC-IC Bypass for Stroke—Is This the End of the Line or a Bump in the Road? Neuro- surgery. 2012 Jun 4.

4. Hänggi D, Steiger HJ, Vajkoczy P: On behalf of the Cerebrovascular Section of the Euro- pean Association of Neurological Surgeons (EANS). EC-IC bypass for stroke: Is there a future perspective? Acta Neurochir 2012;

154: 1943–4.

5. The EC/IC Bypass Study Group: Failure of Extracranial–Intracranial Arterial Bypass to Reduce the Risk of Ischemic Stroke—Re- sults of an International Randomized Trial.

NEJM 1985; 313: 1191–200.

6. Guzman R, Lee M, Achrol A, Bell-Stephens T, Kelly M, Do HM, Marks MP, Steinberg GK:

Clinical outcome after 450 revasculariza - tion procedures for moyamoya disease. Cli- nical article. J Neurosurg 2009; 111:

927–35.

7. Horn P, Vajkoczy P, Schmiedek P: Diagnostik und Therapie der Moyamoya-Erkrankung.

Dtsch Arztebl 2001; 98(18): 1190–5.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Hierfür sollten gesetzlich eine zweijährige Weiterbil- dungszeit (für deren Inhal- te wurde mit der Deut- schen Gesellschaft für Psy- chologie bereits ein Kon- zept

gemeinsam mit dem Verein für Afghanistanförderung (VAF) und der Initiative „Kinder brauchen uns“ 25 schwerst- kranke Kinder nach Deutsch- land holten, um sie medizi- nisch

Für die gut verträgliche Tollwut- impfung (HDC-Vakzine) gibt es auch bei chronisch kranken oder geistig behinderten Kindern we- gen der infausten Prognose die- ser Erkrankung

Mit ihrer im Januar 2011 ins Leben gerufenen Plattform https://washabich.de möchten die Gründer des gemeinnützigen Unter- nehmens „Was hab‘ ich?“ gGmbH die Patienten, aber

Mitrovie verantwortlich für den Inhalt des Films Beide müssen sich den Film gemein- sam ansehen, so daß der Pa- tient sofort seinem Arzt seine ihn ganz persönlich betreffen-

Hier konnten auf beiden Flächen deutliche Unterschiede nach- gewiesen werden, die Dou- glasien ohne Hülle sind we- sentlich dicker.. Dies wirkt sich erheblich auf den

Vier von fünf Hypertoni- kern haben eine, drei von fünf aber zwei oder drei Be- gleiterkrankungen: 35 Pro- zent eine KHK, 32 Prozent eine Herzinsuffizienz, 25 Pro- zent zerebrale

Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Bedarf zur Fortentwicklung