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Die Regierungskoalition und der Bundesgesundheitsminister ha- ben auf dem Nürburgring mehrere Tage in Klausur beraten, um ein ge- meinsames Konzept für ein Gesund- heits-Strukturgesetz zu erarbeiten.
Die Kassenärztliche Bundesvereini- gung und andere Organisationen der Leistungserbringer waren daran in keiner Weise beteiligt. Gegen Ende der Beratungen wurden jedoch Ver- treter aller Spitzenverbände zu je- weils zirka zweistündigen „Nicht-Ge- sprächen" geladen, um sie über die bisherigen Vorstellungen der Regie- rungskoalition zu unterrichten.
Gegen Kollektivhaftung
Zu dem strittigen Thema einer Malus-Regelung wurde den Vertre- tern der Ärzteschaft zunächst als Vorschlag ein Arznei- und Heilmit- telbudget mit der Folge einer Kür- zung der Gesamtvergütung für die kassenärztliche Versorgung bei Bud- getüberschreitungen unterbreitet.
Gegen eine solche Kollektivhaftung der Kassenärzte, die unabhängig von der Verschreibungspraxis des einzel- nen Kassenarztes pauschale Hono- rarkürzungen beinhalten würde, ha- ben die Vertreter der Ärzteschaft entschieden Stellung genommen Es wurde sodann versucht, den vorge- tragenen Bedenken durch ein „Her- unterbrechen" des jeweiligen Bud-
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gets auf den einzelnen Arzt und eine damit begründete Individualhaftung bei Überschreiten individueller Schwellenwerte Rechnung zu tragen.
Auch hiergegen haben die Vertreter der Ärzte protestiert und den Stand- punkt vertreten, daß eine Haftung des einzelnen Arztes für Arznei- und Heilmittelverordnungen nur bei nachgewiesener Unwirtschaftlichkeit in Betracht kommen könne. Es wur- de bereits damals angeboten, auf- grund von Richtgrößenvereinbarun- gen eine intensivierte Beratung der Kassenärzte über die Anforderun- gen einer wirtschaftlichen Verord- nungsweise einzuführen. Das Ge- spräch endete nach Austausch der gegenseitigen Positionen ohne jedwe- de Abstimmung über eine konsensfä- hige Lösung.
Ein weiteres Gespräch kam am 23. Juli auf Wunsch des Bundesge- sundheitsministers in Bonn zustan- de, um in Vorbereitung des Regie- rungsentwurfes die Möglichkeiten einer Ablösung der Malus-Regelung durch ein anderes System zu erör- tern. Dabei wurde von seiten des Mi- nisters die Malus-Regelung von vornherein mit der Individualhaf- tung des Arztes bei Überschreiten der auf seine Fachgruppe bezogenen Schwellenwerte identifiziert. Das Arzneimittelbudget als solches wur- de von ihm zunächst nicht zur Dis- kussion gestellt. Von seiten der Ver- treter der Kassenärzte wurde demge-
genüber der untrennbare Zusam- menhang von globaler Budgetierung und individuellem Schwellenwert be- tont und dabei eine Alternativrege- lung für beides gefordert.
Auch nach Austausch aller Ar- gumente blieb der Minister bei sei- ner Forderung, daß zumindest für zwei Jahre eine Ausgabenbegren- zung im Bereich der Arznei- und Heilmittelversorgung gesetzlich ga- rantiert werden müsse und erst da- nach eine Ablösung des Budgets durch Richtgrößenvereinbarungen und darauf basierende Beratungen beziehungsweise Prüfmaßnahmen akzeptiert werden könne. Der Mini- ster war aufgrund der nach wie vor ablehnenden Stellungnahme der Ärzteseite gegen eine Kollektivhaf- tung der Kassenärzte nur bereit zu akzeptieren, daß Budgetüberschrei- tungen nicht notwendigerweise mit Gesamtvergütungskürzungen ver- bunden sein müßten, sondern es in die Zuständigkeit der Kassenärztli- chen Vereinigungen gelegt werden soll, notwendige Ausgleiche soweit möglich auch durch andere geeigne- te Maßnahmen herbeizuführen.
Eindeutige Position
Der KBV-Vorstand und die Er- sten Vorsitzenden kamen dann am 31. Juli 1992 zu dem Standpunkt, daß eine solche Regelung von seiten der Kassenärzteschaft nur dann ak- zeptiert werden kann, wenn ein Aus- gleich von Überschreitungsbeträgen durch die pharmazeutische Industrie sichergestellt wird, da bei der akzep- tierten Intensivierung von Richtgrö- ßenberatungen und gegebenenfalls Wirtschaftlichkeitsprüfungen eine solche Überschreitung nicht mehr in den Verantwortungsbereich der Kas- senärzte fällt.
Es kann daher keine Rede da- von sein, daß von seiten der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung in dem Gespräch am Nürburgring und in dem Gespräch mit dem Minister eigene Vorschläge eingebracht wur- den, die auf eine — wenn auch zeit- lich befristete — Kollektivhaftung der Ärzte für Überschreitungen eines vorgegebenen Arzneimittelbudgets hinauslaufen. Dr. Rainer Hess
KBV zum Streit um die Malus-Regelung
Gespräche aber keine
Zugeständnisse an Seehofer
Seit bekannt ist, daß Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer die Malus-Regelung zugunsten eines anderen Verfahrens fallen lassen will, überschlagen sich in der Presse die Schlagzeilen. Die Spitze der Ärzteschaft, so heißt es vorwurfsvoll, habe von Anfang an Bescheid gewußt - ja sogar das tatsächliche Vorgehen Seeho- fers eng mit ihm abgestimmt. Der Ärzteprotest sei weitgehend Heuchelei, behauptet der „Spiegel". Dr. jur. Rainer Hess, Haupt- geschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, war an allen Gesprächen zwischen der KBV und dem Minister beteiligt und tritt mit dem folgenden Bericht den Spekulationen entgegen.
A1-2746 (18) Dt. Ärztebl. 89, Heft 34/35, 24. August 1992