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Archiv "Verordnung von Medikamenten zur Behandlung von Dyslipoproteinämien bei älteren Patienten" (09.07.1993)

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MEDIZIN KURZBERICHT

Verordnung von

Medikamenten zur Behandlung von Dyslipoproteinämien

bei älteren Patienten

Peter Schwandt

A

llein für die alten Bundeslän- der wird erwartet, daß im Jahr 2000 rund 20 Prozent der Menschen 60 bis 79 Jahre alt und mehr als zwei Millionen über 80 Jahre alt sein werden (10). Für 65jäh- rige beträgt die Lebenserwartung in den meisten westlichen Ländern noch fast weitere 20 Jahre (33), ihr Anteil an der Bevölkerung wird sich in den nächsten 50 Jahren verdop- peln (11). Die klinisch manifeste atherosklerotische koronare Herz- krankheit (KHK) tritt vorwiegend ab dem 65. Lebensjahr auf (32), 80 Pro- zent aller KHK-Todesfälle treten in diesem hohen Lebensalter, auf (16).

Für Bayern bedeutete das zum Bei- spiel für 1990, daß die Infarkttodes- fälle in der Gruppe der 70- bis 75jäh- rigen relativ gesehen am häufigsten auftraten, das Maximum lag bei den Männern deutlich früher als bei den Frauen (3). Von 3828 männlichen In- farktpatienten gehörten 2621 in die Altersgruppe 60 bis 79 Jahre, bei den 2581 Frauen mit Herzinfarktana- mnese waren es 1816, wie erste Aus- wertungen der Bayerischen Choleste- rin-Aktion ergeben haben (28). Wie diese weiterlaufende bayernweite Er- hebung darüber hinaus gezeigt hat, hatten 41 Prozent der 22 123 unter- suchten 60- bis 89jährigen Männer Serumcholesterinwerte im Aufmerk- samkeitsbereich von 200-250 mg/dl;

bei zehn Prozent allerdings fanden sich Werte über 300 mg/dl. Bei den 32 889 Frauen der gleichen Alters- gruppe war die Situation deutlich un-

günstiger (19 Prozent > 300 mg/dl, 38 Prozent 250-300 mg/dl, 34 Prozent 200-250 mg/dl). Ähnliche Verhält- nisse fanden sich in der Framingham- Studie (21): 25 Prozent der Männer und 49 Prozent der Frauen hatten Cholesterinwerte über 240 mg/dl.

Wie die 30-Jahres-Auswertung dieser Studie ergeben hat, behalten Ge- samt-, LDL- und HDL-Cholesterin ihren Vorhersagewert für KHK-Häu- figkeit und -Mortalität (2, 20). Zu analogen Ergebnissen kommen die Puerto Rico Heart Study (22), die Li- pid Research Clinics Program Fol- low-Up Study (11), das Honolulu Heart-Program (4, 5) und die Bronx Aging-Study bei 75-85jährigen (34):

„. . ein ungünstiges Lipoprotein- Profil erhöht das Risiko kardiovas- kulärer Morbidität und Mortalität, selbst in der achten und neunten Le- bensdekade".

Man kann also festhalten, daß

• der Anteil der über 60jährigen stark zunehmen wird (rund 15 Millio- nen im Jahre 2000),

• daß die KHK die häufigste Krank- heits- und Todesursache in dieser Al- tersgruppe ist und

• daß sich in dieser Altersgruppe häufig erhöhte Serumcholesterinwer- te finden (12).

Wenn man weiter bedenkt, daß

• der Nutzen einer Dyslipoprotein- ämiebehandlung sowohl in primären wie auch in sekundären Präventions- studien nachgewiesen ist und

• die günstigen Effekte mit der Dauer der Beobachtungszeit immer deutlicher wurden,

dann muß die Frage erlaubt sein, mit welcher Begründung man älteren Menschen eine lipidregulierende Be- handlung vorenthalten will. Allein die gewinnbare Lebensqualität und ein Hinausschieben der Abhängig- keit von anderen (Stichwort „Pflege-

versicherung") wären schon Grund genug. Fragwürdig jedenfalls er- scheint das Ansinnen — im Gegensatz zu vielen „etablierten" Therapien —, so lange auf eine medikamentöse Be- handlung zu verzichten, bis der Nut- zen einer solchen Therapie für den hochgradig bedrohten älteren Men- schen durch eine kontrollierte klini- sche Studie bewiesen ist. Ethische und juristische Gründe machen sol- che Studien nicht unproblematisch:

so wurde in der 1990 im New Eng- land Journal of Medicine veröffent- lichten 21/2jährigen Familial Athero- sclerosis Treatment Study (9) in der Kontrollgruppe eine medikamentöse Therapie durchgeführt, weil man die Koronarkranken nicht der weiteren Gefährdung durch erhöhte LDL- Cholesterinspiegel aussetzen wollte.

Anhand der Daten des MRFIT (29) und der Framingham Heart Stu- dy (13) haben Gordon und Rifkind (17) den Nutzen berechnet, der sich aus einer 30prozentigen Cholesterin- senkung (wie sie mit medikamentö- ser Therapie erreichbar ist) für die verschiedenen Altersgruppen ergibt.

Eine Cholesterinsenkung von 285 auf 200 mg/dl reduzierte mit zunehmen- dem Alter das relative KHK-Risiko immer weniger (von 77 Prozent bei den 35- bis 44jährigen auf 23 Prozent bei den 75- bis 84jährigen). Genau umgekehrt war der Trend bei den ab- soluten Zahlen verhinderbarer KHK- Todesfälle: In der Gruppe der 35- bis 44jährigen waren es 1,8 bzw. 0,7 pro 1000 Männer bzw. Frauen pro Jahr, bei den 75- bis 84jährigen dagegen 12,7 bei den Männern und 6,5 bei den Frauen. Auch die Zahl der durch Cholesterinsenkung verhinderbaren KHK-Erkrankungen nahm mit dem Alter zu: bei den Männern (35 bis 44 Jahre) von 11,8 pro 1000 pro Jahr auf 26,0 (55 bis 64 Jahre), bei den Frauen Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 27, 9. Juli 1993 (43) A1-1947

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MEDIZIN

(35 bis 44 Jahre) von 3,2 pro 1000 pro Jahr auf 12,3 (75 bis 84 Jahre). Diese zeitlichen Unterschiede entsprechen der Beobachtung, daß bei den Frau- en die KHK sich ein bis zwei Deka- den später manifestiert. Solche Be- rechnungen aufgrund meist nur kurz- fristiger epidemiologischer Beobach- tungen können natürlich nichts dar- über aussagen, welchen Nutzen zum Beispiel ein 40jähriger Mann von der Cholesterinsenkung nach 20 oder 30 Jahren hat. Da die Reinfarktrate hoch ist - in der Framingham-Studie waren 39 Prozent der Männer und Frauen 10 Jahre nach dem ersten Herzinfarkt verstorben (2) - und vie- le alte Menschen eine nachgewiesene KHK haben, sind viele Senioren Kandidaten für sekundäre Präventi- onsmaßnahmen (6, 15). Wenn man für den alten Menschen den Begriff einer primären Prävention über- haupt anwenden will (das würde sich dann nicht auf die Arteriosklerose, sondern ihre Folgekrankheiten be- ziehen müssen), so wären Kandida- ten dafür all die Senioren, die völlig selbständig und völlig unabhängig sind, weil sie häufiger am Herzinfarkt sterben als die Behinderten (23).

Über 70 Jahre alte Patienten mit akutem Herzinfarkt wurden weniger sorgfältig untersucht und „. . erhiel- ten eine erwiesenermaßen wirksame medikamentöse Behandlung signifi- kant seltener als jüngere Patienten"

(24). Ihr eindeutig höheres akutes Mortalitäts-Risiko (12) sollte eigent- lich eher das Gegenteil verlangen.

Liegt das daran, daß viele Ärzte glau- ben, daß „life-style intervention"

kaum nützt bei über 65jährigen (7) - obwohl deren Lebenserwartung wei- tere 16,9 Jahre beträgt und bei 75jäh- rigen Personen noch weitere 10,7 Jahre ausmacht (31)? Oder liegt das an der schlechten Datenlage? Aus fast allen kontrollierten Studien wur- den über 65jährige ausgeschlossen (so bei den drei größeren Koronarby- pass-Studien), obwohl 1989 von den 368 000 Bypass-Operationen in den USA 52 Prozent an über 65jährigen durchgeführt wurden (18). Die sollen alle von einer medikamentösen Se- kundärprävention ausgeschlossen werden? Bis zum Vorliegen der ISIS- 2-Studie (19) überwog die Meinung, daß ältere Menschen nicht von einer

KURZBERICHT

thrombolytischen Behandlung profi- tierten. Bei den 17 187 Patienten mit akutem Herzinfarkt zeigte ISIS-2 dann aber, daß die absolute Mortali- tätsabnahme bei den Älteren am größten war, während das Blutungs- risiko alle Altersgruppen betraf. Das Systolic Hypertension in the Elderly- Program (SHEP) hat in der Behand- lungsgruppe mit nur der halben Chlorthalidon-Dosis nicht nur zu ei- ner adäquaten Blutdrucksenkung ge- führt, sondern auch zu einer Reduk- tion der Schlaganfall- und KHK-Inzi- denz (30).

Resümee

Zusammenfassend kann man auch bei Fehlen einer randomisier- ten Studie also weiterhin feststellen, daß neben der Bekämpfung anderer kardiovaskulärer Risiken von einer wirksamen lipidregulierenden medi- kamentösen Behandlung ein erhebli- cher Nutzen auch für ältere Men- schen (> 65 Jahre) zu erwarten ist, wenn Ernährungsmaßnahmen nicht ausreichend sind (26, 27). Sowohl bei der primären wie sekundären Prä- vention ist eine Diätbehandlung als preiswert, wirksam und risikoarm bei Senioren immer zu empfehlen (25) (da aber eine Diätbehandlung bei al- ten Menschen nicht immer einfach durchzuführen ist, ist eine medika- mentöse Behandlung oft nicht zu um- gehen). Der Nutzen wurde schon in der Veterans Administration-Study belegt (14).

Natürlich ist nach Ausschöpfung aller anderen Maßnahmen eine indi- viduell abgewogene Indikationsstel- lung (Auswahl des Medikamentes entsprechend den vorliegenden Dys- lipoproteinämien, Dosierung, Ne- benwirkungen, Arzneimittelwechsel- wirkungen, Compliance) genauso vorauszusetzen, wie das Fehlen an- derer die Lebenserwartung und Le- bensqualität stark beeinflussender Krankheiten. Besonders beachtet werden sollte, daß aufgrund der beim Älteren verminderten Arzneimittel- elimination vielfach eine geringere Dosis als bei Jüngeren notwendig sein kann (25). Und natürlich bedarf es keiner Erwähnung, daß eine so früh wie möglich einsetzende wirksa-

me Lipidregulation auch den größten Nutzen in der KHK-Prävention hat.

Alle entsprechenden Studien haben ergeben, daß die Senkung des Se- rum-LDL-Cholesterinspiegels um ein Prozent mindestens eine zweipro- zentige Reduktion des KHK-Risikos bedeutet, was offenbar auch für die Erhöhung des HDL-Cholesterins zu- trifft. Nur ein Prozent Rückgang der KHK-Mortalität bei den über 65jäh- rigen bedeutet für die USA 4300 we- niger Infarkttote im Jahr (12).

Wenn man die in unserem Land gar nicht dokumentierte Morbidität durch die beiden wichtigsten Kompli- kationen Herzinfarkt und Schlagan- fall mit all ihren klinischen, sozialen und nicht zuletzt auch finanziellen Folgelasten noch hinzunimmt, dann kann die Schlußfolgerung nur lauten, daß man nur die individuelle Indika- tionsstellung als Kriterium für die Verordnung eines lipidregulierenden Medikamentes akzeptieren kann und nicht eine willkürlich gezogene Al- tersgrenze!

Deutsches Ärzteblatt

90 (1993) A 1 -1947-1948 [Heft 27]

Die in Klammern gesetzten Ziffern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, zu beziehen über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers

Univ.-Prof. Dr. med. Peter Schwandt Vorsitzender der Lipid-Liga

II. Medizinische Klinik Klinikum Großhadern der Universität Marchioninistraße 15 81377 München

A1-1948 (44) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 27, 9. Juli 1993

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