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Schmerzmanagement bei älteren Patienten

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Unzureichend diagnostizierte und unter- therapierte Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität vieler Senioren. Mit einem gezielten Schmerzmanagement kann bei älteren Patienten maximale Schmerzlinderung bei minimalen Nebenwirkungen erreicht werden.

C L I N I C A L G E R I AT R I C S

Schmerz ist eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung. Da keine objektiven Biomarker zur Erfassung exis- tieren, ist die Selbstauskunft des Patienten die genaueste und verlässlichste Quelle zur Beurteilung. Bestehen Schmerzen über einen längeren Zeitraum, können sie als chronisch defi- niert werden.

20 bis 50 Prozent der im eigenen Haushalt lebenden Senioren leiden unter Schmerzen. In Alters- und Pflegeheimen wird eine noch höhere Prävalenz von 45 bis 80 Prozent angenommen.

Die häufigste Ursache für Schmerzen bei älteren Menschen sind muskuloskeletale Störungen. Weitere Ursachen sind degenera- tive Gelenkerkrankungen, Erkrankungen des unteren Rückens, Osteoporose, frühere Knochenfrakturen, periphere vaskuläre Erkrankungen, diabetische Neuropathie, postherpetische Neu- ralgien, Syndrome nach einem Schlaganfall, rheumatische Polymyalgie und periphere Neuropathien.

Erhebungen legen nahe, dass Schmerz häufig unerkannt und untertherapiert bleibt. Kognitive Beeinträchtigungen des älte- ren Patienten oder Verschweigen von Schmerzen können eine angemessene Schmerzdiagnose und -therapie erschweren. In- adäquate Schmerzkontrolle kann bei Senioren zu verminderter Lebensqualität sowie zu körperlichen und sozialen Funktions- einschränkungen beitragen. Viele unzureichend therapierte Schmerzpatienten leiden unter Schlafstörungen, Depressionen und beeinträchtigter Beweglichkeit. Bei Dauerschmerzen kann sich zudem eine Hypersensitivität gegenüber Schmerzsignalen entwickeln. Häufig genannte Ursachen für eine unzureichende

Schmerzkontrolle durch Kliniker sind Ausbildungsmängel, un- vollständige Schmerzerfassung und Widerstände gegenüber der Anwendung von Opioiden.

Schmerzklassifizierung

Pathophysiologisch kann Schmerz in nozizeptive, neuropa- thische und vermischte Schmerzen eingeteilt werden. Nozi- zeptiver Schmerz wird durch die Stimulation von Schmerz- rezeptoren verursacht. Neuropathische Schmerzen resultieren aus Verletzungen des zentralen oder peripheren Nerven- systems. Die Klassifizierung hilft bei der Auswahl geeigneter Therapiemassnahmen.

Schmerzerfassung

Grundlage der Schmerzerfassung ist die Selbstauskunft des Pa- tienten. Bei der Durchführung der Anamnese sollten Charakte- ristika der Schmerzen, ihre Auswirkungen auf die physische und psychosoziale Funktionsfähigkeit sowie eine Auflistung eingenommener Schmerzmittel und die Wirksamkeit aller

Schmerzmanagement bei älteren Patienten

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■ Schmerz ist kein natürlicher Bestandteil des Alterungsprozesses.

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■ Zur Erfassung von Schmerz gibt es keinen objektiven Biomarker.

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■ Bei allen älteren Patienten sollte bei der Erstuntersu- chung ein Schmerzscreening durchgeführt werden.

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■ Analgetika in Verbindung mit nicht pharmakologi- schen Therapiemassnahmen sind die wichtigsten Elemente des Schmerzmanagements bei Senioren.

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■ Das Schmerzmanagement sollte mit dem Ziel der maximalen Schmerzlinderung bei maximaler Erhal- tung der funktionalen Fähigkeiten durchgeführt werden.

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bisher erfolgten schmerzlindernden Therapiemassnahmen erfragt werden.

Die körperliche Untersuchung beinhaltet eine sorgfältige Unter- suchung der schmerzenden Körperpartien unter besonderer Berücksichtigung des muskuloskeletalen und neuronalen Sys- tems. Geriatrische Standarderhebungen zum Funktionsstatus und den kognitiven Fähigkeiten können ergänzende Informa- tionen liefern.

Zur Erfassung der Schmerzintensität stehen verschiedene Skalen zur Verfügung. Bei den meisten Senioren ist eine verbale Skala von 1 bis 10 ausreichend um die Schmerzintensität zu beur- teilen. Bei Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen kön- nen Schmerzskalen auf der Basis des Gesichtsausdruckes hilfreich sein. Der Arzt sollte zudem auf nonverbales Schmerz- verhalten achten und bei Patienten, die sich nicht selbst artiku- lieren können, Auskünfte von Betreuern oder Pflegepersonal einholen.

Nicht pharmakologische Therapie

In vielen Fällen kann ein individuelles Bewegungsprogramm dazu beitragen, Schmerzen zu lindern. Auch die Therapie von Angstzuständen und Depressionen kann die Schmerzkontrolle günstig beeinflussen. Manchen älteren Schmerzpatienten hel- fen alternative Behandlungsformen wie chiropraktische oder osteopathische Methoden.

Pharmakologische Therapie

Meist werden Schmerzen bei älteren Menschen mit Medika- menten behandelt. Bei der Anwendung von pharmakologi- schen Substanzen resultieren altersbedingte Unterschiede in Wirksamkeit, Sensitivität und Toxizität aus der veränderten Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Vergleich zur An- wendung bei jüngeren Erwachsenen. Zudem besteht häufig eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Substanzwechselwirkun- gen aufgrund von medikamentös behandelten Multimorbiditä- ten. Trotz dieser Schwierigkeiten kann Schmerz bei Senioren durch sorgfältige Auswahl und Titration der Medikamente unter Optimierung der Therapie und Minimierung der Neben- wirkungen kontrolliert werden.

Generell sollte die medikamentöse Therapie mit der niedrigsten als wirkungsvoll erachteten Dosis beginnen, durch häufiges Monitoring überprüft und auf der Basis von Steady-State-Blut- konzentrationen bis zur optimalen Wirksamkeit titriert werden.

Bei chronischen Dauerschmerzen werden Analgetika am bes- ten auf der Basis einer Rund-um-die-Uhr-Wirkung gegeben.

Nonopioidanalgetika

Paracetamol (Synonym Acetaminophen, Dafalgan® und Gene- rika) ist aufgrund der relativen Anwendungssicherheit bei älte- ren Patienten ein Mittel der ersten Wahl für leichte bis moderate Schmerzen. Die empfohlene maximale Tagesdosis liegt bei 4 g.

Bei Patienten mit Lebererkrankungen oder Alkoholproblemen sollte die Dosis reduziert werden.

Nichtstereoidale Antirheumatika (NSAR):Nichtsteroidale Anti- phlogistika werden meist zur Therapie von nozizeptiven Schmerzen angewendet. Entsprechend ihrer entzündungshem- menden Eigenschaften werden NSAR als Mittel der ersten Wahl bei entzündlichen Arthritiden erachtet. Bei älteren Patienten sollten die Wirkstoffe vorsichtig angewendet werden, da ein Risiko für gastrointestinale und renale Toxizität besteht. Das Ri- siko ernster gastrointestinaler Zwischenfälle wie Hämorrhagien steigt bei Patienten über 60 Jahre um das Dreifache im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen.

Selektive COX-2-Inhibitoren:Selektive Cyclooxygenase-2-(COX-2-) Inhibitoren werden bei Kurzzeitanwendung als sichere Alter- native zu nichtsteroidalen Antiphlogistika angepriesen und sind mit einer niedrigeren Inzidenz von gastrointestinalen Blutungen verbunden. Bei Langzeitanwendung haben COX-2- Inhibitoren jedoch ein ähnliches Potenzial für renale und kardiovaskuläre Nebenwirkungen wie nichtstereoidale Anti- phlogistika. Rofecoxib (Vioxx®) und Valdecoxib (Bextra®) wur- den aufgrund der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse wie Myokardinfarkt, ischämische zerebrovaskuläre Ereignisse und Herzinsuffizienz vom Markt genommen. Celecoxib (Celebrex®) ist weiterhin erhältlich, wurde jedoch mit einem entsprechen- den «Black-Box»-Warnhinweis versehen. Daher ist vor dem Langzeitgebrauch dieser Substanzen bei älteren Patienten eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung unabdingbar.

Tramadol:Tramadol (Tramal® und Generika) ist bei leichten bis mittelschweren Schmerzen wirksam. Es weist keine gastro- intestinale und renale Toxizität auf und kann bei Patienten mit Bluthochdruck und Herzinsuffizienz angewendet werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schwindel, Benommenheit Übelkeit, Kopfschmerzen und Somnolenz. Bei Patienten mit Krämpfen in der Vorgeschichte sollte Tramadol vorsichtig ange- wendet werden. Für Patienten mit Nieren- oder Leberinsuf- fizienz werden verringerte Dosierungen empfohlen.

Opioidanalgetika

Auch bei älteren Patienten können chronische, moderate bis schwere Schmerzen mit Opioiden therapiert werden. Bei vielen Senioren wirken bereits niedrige Dosierungen schmerz- lindernd. Als Nebenwirkungen können Obstipation, Übelkeit, Sedierung und mentale Verwirrung auftreten. Übelkeit und Sedierung zu Therapiebeginn verschwinden gewöhnlich nach ein paar Tagen. Der Obstipation sollte gleichzeitig zu Beginn der Opioidtherapie mit Laxanzien vorgebeugt werden. Ernste Nebenwirkungen wie Bewusstseinstrübungen oder Aussetzen der Atmung treten nur selten auf.

Morphin (z.B. Kapanol®) und Oxycodon (Oxycontin®, Oxy- norm®) sind gebräuchliche Opioide, die als kurzfristig wir- kende und als Langzeitpräparate zur Verfügung stehen. Für Patienten, die nicht schlucken können, gibt es parenterale und transdermale Darreichungsformen. Bei episodischen Schmer- zen können Opioide bei Bedarf verschrieben werden. Zur Behandlung kontinuierlicher Schmerzen sollten Langzeit- präparate angewendet werden. Durchbruchschmerzen können mit einer 10-prozentigen Tagesdosis in schnell wirkender F O R T B I L D U N G

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Darreichungsform behandelt werden. Die Titration der Erhal- tungsdosis richtet sich nach den individuellen Erfordernissen.

Die richtige Anwendung der Opioide wird erreicht, indem man mit einer kurzfristig wirkenden Darreichungsform beginnt und später zu einem Langzeitpräparat wechselt, das nach einem festen Zeitplan gegeben wird.

Dosierung und Titration sollten sich auch nach der Pharmako- dynamik und der Pharmakokinetik des entsprechenden Präpa- rates richten. Fentanyl (Durogesic® Matrix) zur transdermalen Administration kann bis zu 72 Stunden schmerzlindernd wir- ken, sollte jedoch niemals bei Patienten angewendet werden, die noch gar nicht mit Opioiden behandelt wurden, da die Wirkstoffaufnahme unvorhersehbar verlaufen kann.

Bestimmte Opioide sollten bei älteren Patienten vermieden werden:

■ Propoxyphen (nicht im Arzneimittel-Kompendium der Schweiz) hat eine lange Halbwertszeit. Die Akkumulation im Körper kann Schwindel, Ataxie und neuroexzitatori- sche Ereignisse herveorrufen.

■ Meperidin (Synonym Pethidin) ist nicht zur Langzeitan- wendung geeignet, da sein Metabolit Normeperidin akku- mulieren und Verwirrtheit und Krämpfe hervorrufen kann.

■ Methadon (z.B. Ketalgin®) ist aufgrund einer langen und variierenden Halbwertszeit schwierig zu titrieren.

Adjuvante Analgetika

Adjuvante Analgetika können eigenständig oder in Kombi- nation mit anderen Schmerzmittelkategorien zur Therapie bestimmter Schmerzsyndrome angewendet werden. Die An- wendung von adjuvanten Analgetika erfordert ein enges Monitoring von Wirkungen und Nebenwirkungen.

Antikonvulsiva:Gabapentin (Neurontin® und Generika) wird häufig bei neuropathischen Schmerzen angewendet; kürzlich wurde auch Pregabalin (Lyrica®) zur Behandlung von Schmer- zen in Verbindung mit diabetischer peripherer Neuropathie

und postherpetischen Neuralgien zugelassen. Carbamazepin (Tegretol®) wird traditionell bei Schmerzen in Verbindung mit trigeminaler Neuralgie angewendet.

Antidepressiva: Trizyklische Antidepressiva haben sich als effektiv zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen er- wiesen. Die klinische Anwendbarkeit bei älteren Patienten ist jedoch häufig durch Nebenwirkungen begrenzt. Nortriptylin (Nortrilen®) sollte Amitriptylin (Saroten® Retard, Tryptizol®) wegen der geringeren Inzidenz von anticholinergen Wirkungen und orthostatischer Hypotension vorgezogen werden. Duloxe- tin (Cymbalta®), ein Serotonin- und Noradrenalin-Wiederauf- nahmehemmer wurde inzwischen von der FDA zur Behand- lung von Schmerzen bei diabetischer peripherer Neuropathie zugelassen.

Topische Analgetika: Lidocainpflaster (Neurodol® Tissugel) sind zur Behandlung von Schmerzen bei postherpetischen Neuralgien zugelassen und werden meist gut vertragen. Mit- unter auftretende leichte lokale Hautirritationen klingen meist schnell wieder ab. Auch bei verschiedenen fokalen peripheren Neuropathien hat sich Lidocain als wirksam erwiesen.

Fazit

Analgetika in Verbindung mit geeigneten nicht pharmakologi- schen Therapiemassnahmen sind die wichtigsten Elemente des Schmerzmanagements bei Senioren. Die Schmerzkontrolle sollte mit dem Ziel der maximalen Schmerzlinderung bei maximalem Erhalt der Funktionsfähigkeiten erfolgen. ■ Chopra, Anita: Pain management in the older patient. CME Article, Clinical Geriatrics, 2006; 14 (No. 3): 40–46.

Interessenkonflikte: keine

Petra Stölting

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