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Archiv "Lese- und Schreibkultur: Infiziert vom Gutenberg-Bazillus" (24.04.1998)

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A-1048 (68) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 17, 24. April 1998

D

ie Linie gleicht den Indi- zes ostasiatischer Bör- sen seit Jahresfrist: eini- ge kleine Zacken aufwärts, aber insgesamt ein langer, teils dramatischer Abwärts- trend. Doch dieser Graph be- schreibt nicht den Kursver- lust des Hongkong-Dollars, sondern den der Zeitungslek- türe bei unter 30jährigen Westdeutschen. Hatten 1977 noch 76,7 Prozent dieser Gruppe angegeben, „ge- stern“ eine Tageszeitung ge- lesen zu haben, waren es nach der Allensbacher AWA-Um- frage 1987 noch 66,5 Prozent.

1994, am bisherigen Tief- punkt der Analyse, konnten noch ganze 58,6 Prozent von täglicher beziehungsweise re- gelmäßiger Auseinanderset- zung mit einer Zeitung be- richten.

Daß die traurige Kurve seither wieder sanft ansteigt, ist sicher auch der langsam sich entfaltenden Breitenwir- kung der Initiative „Zeitung in der Schule“ zu verdanken.

Im nächsten Jahr wird sie ihr 20jähriges Jubiläum haben, und Peter Brand wird fast gleichzeitig auf das 30jährige Bestehen seines Aachener IZOP-Instituts zurückschau- en können. Projektleiter und Institut dürfen dann einen vielleicht nicht spektaku- lären, aber um so effektiveren Anteil an der Aufrechterhal- tung der oft beschworenen abendländischen Kultur des gedruckten Wortes feiern.

Denn rund 400 000 Schüler aus rund 150 Haupt-, Real-

schulen und Gymnasien ha- ben sich über die Jahre mehr oder weniger heftig vom Gu- tenberg-Bazillus infizieren lassen.

Das funktioniert, indem den Schülerinnen und Schülern die Erfahrung er- möglicht wird, daß die Inhalte der Zeitung auch die ihres ei- genen, persönlichen Lebens sind, und nicht etwa nur ab- strakte Abhandlungen von Insidern für Insider. Rund 50 Verlage in allen Bundeslän- dern beteiligen sich daran, für diese „Endeckungsreise“ den Schulen ihre Blätter minde- stens drei Monate lang unent- geltlich zur Verfügung zu stel- len. Dazu erhalten die Lehrer das notwendige Unterrichts- begleitmaterial, um die jour- nalistische Sprache und Dar- stellungsformen durchschau- bar zu machen und Berüh- rungsängste mit komplexen Themen abzubauen.

Die Magie der Sprache

In einem zweiten Schritt beginnen die Schüler, sich die Techniken anzueignen, die angesichts der inzwischen über jeden einzelnen herein- brechenden „Infotainment- Lawine“ das informationelle Überleben sichern: Fakten- Management, das Unter- scheiden des Wesentlichen vom Unwesentlichen, das zielgerichtete Suchen und Recherchieren nach Zusam- menhängen. In dieser Phase lernen sie auch die Macher

V A R I A BILDUNG UND ERZIEHUNG

Lese- und Schreibkultur

Infiziert vom

Gutenberg-Bazillus

Jugendliche lesen und schreiben immer weniger – eine gängige

Klage, die gern mit Statistiken untermauert wird. Eine erfolgrei-

che Initiative der deutschen Zeitungsverleger und des IZOP-In-

stituts in Aachen wirkt seit fast zwei Jahrzehnten der Entwer-

tung des gedruckten Wortes entgegen. Schon 400 000

Schüler haben die Faszination der „Zeitung in der Schule“ erlebt.

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der gedruckten Worte, die Redakteure, kennen, die bei der Themenfindung Anstöße aus der Praxis geben. Oder die Schüler recherchieren dort, wo auch die Profis re- cherchieren: im Deutschen Bundestag etwa, der das Pro- jekt „Zeitung in der Schule“

ebenfalls fördert und sich den jugendlichen Fragern weitge- hend – und konkret vor Ort – zur Verfügung stellt.

Höhepunkt der Lerner- fahrung an und mit der Zei- tung ist aber für alle Beteilig- ten das Selberschreiben – und das Erlebnis, sein Geschrie- benes in vieltausendfacher Auflage auf dem Frühstücks- tisch vorzufinden wie sonst nur die Worte der vermeint-

lich großen Geister. „Für vie- le Schüler ein wunderbares Erlebnis“, so Peter Brand von ISOP in einer zwölfseiti- gen Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die an- sonsten von preisgekrönten Beiträgen aus Schülerhand gefüllt ist. Als bedeutende überregionale Blätter sind die FAZ und die Süddeutsche Zeitung sozusagen die Flagg- schiffe der Aktion, und in nicht wenigen Fällen haben journalistische Karrieren mit dem Abdruck eines Schüler- beitrags in ihren Seiten be- gonnen.

Die so geweckte Neu- gier der jungen Reporter, das zeigt sich beim Blick durch die Veröffentlichungen,

macht vor nichts halt und stellt auch so manchen scheinbar unscheinbaren Ge- genstand mitunter in ein ganz neues Licht: Da beschreibt etwa Julia Schlindwein, Schü- lerin am Kreisgymnasium Gundelfingen, ihren Selbst- versuch, was man als Putzfrau in einem Krankenhaus erle- ben kann („Sind Sie verheira- tet?“), während Amina Özel- sel vom Julius-Echter-Gym- nasium Elsenfeld gleich Bun- despräsident Roman Herzog beim Besuch in Frankreich beobachtet. „Ich war begei- stert über den Enthusias- mus“, lobte denn auch Her- zog die ihn begleitenden Nachwuchsreporter. Auch wenn nur eine Minderheit

der jungen Zeitungs-Nutzer es so weit bringt – bei fast al- len bleibt etwas hängen von der Magie der Sprache und der sorgfältig gefaßten Ge- danken, die nur gedruckte Medien in dieser reinen Form transportieren können. Auch dies ist statistisch erfaßbar:

Von allen, die an „Zeitung in der Schule“ teilgenommen haben, lesen als selbständige junge Erwachsene täglich 78 Prozent die Lokalzeitung;

nur 52 Prozent der Nicht- Teilnehmer tun das. 65 Pro- zent der Teilnehmer haben eine Zeitung abonniert – ge- genüber nur 36 Prozent derer, die nie mit der Zeitung in der Schule in Berührung gekom- men sind. Peter Tuch

A-1049 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 17, 24. April 1998 (69)

V A R I A BILDUNG UND ERZIEHUNG

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