„Physiotherapeut” eingeführt wer- den und, wenn ja, ab wann? — Immer wieder kamen die Abgeordneten al- ler Fraktionen unter Leitung der Vorsitzenden des Ausschusses, der Ärztin Heike Wilms-Kegel, MdB, Die Grünen, in ihren Fragen auf das zentrale Problem der Angleichung der bestehenden westdeutschen be- rufsgesetzlichen Regelungen an die Verhältnisse im EG-Ausland sowie im skandinavischen Raum zurück.
Gegner befürchten
massiven Qualitätseinbruch
Niemals zuvor im bisherigen Verfahren hat es eine so stark auf die Frage der EG-Kompatibilität zu- gespitzte Erörterung gegeben. Nie- mals zuvor gab es eine so große Gruppe von engagierten Befürwor- tern des Einheitsberufes „Phy- siotherapeut" oder zumindest „neu- traler" Interessenvertreter. Zu den letzteren gehörten in der Anhörung die Berufsverbände der Ärzte für Orthopädie sowie für Physikalische Therapie und Rehabilitation. Gegen den Einheitsberuf waren die Spre- cher der ärztlichen Leiter von Kran- kengymnastik- und Masseurschulen.
Die Linie der Gegner und Befürwor- ter zog sich quer durch die Gruppen der geladenen Verbände der Kran- kengymnasten und der Masseure und medizinischen Bademeister so- wie der Gewerkschaften. Gemessen
an der Zahl der durch sie vertrete- nen Mitglieder bezogen die Kran- kengymnasten überwiegend gegen, die Masseure überwiegend für den Einheitsberuf Stellung.
In der Gestaltung sinnvoller Übergangslösungen sahen die Befür- worter grundsätzlich keine Proble- me, ebenso nicht in der wichtigen Frage der Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung, wenn es zwei qualifizierte Berufe für unter- schiedliche Bereiche der physikali- schen Therapie und Physiotherapie nicht mehr geben sollte. Gerade dies waren jedoch die zentralen Einwän- de der Gegner oder auch der Skepti- ker bezüglich einer Einheitslösung:
Sie befürchten einen massiven Qua- litätseinbruch, wenn zwei bisher vom Tätigkeitsgebiet, vom Niveau der
Ausbildung und von der Ausbil- dungsdauer unterschiedliche Berufe zusammengeführt werden sollten.
Etwaige Nachteile hinsichtlich der Freizügigkeit und der Konkurrenzfä- higkeit von Masseuren und medizini- schen Bademeistern, die es in dieser Form fast ausschließlich in der Bun- desrepublik Deutschland gibt, sahen sie als weniger gravierend und durch zusätzliche Maßnahmen als aus- gleichbar an.
Die Bundesregierung hatte es sich bei ihrem Gesetzesvorschlag nicht leicht gemacht, wenn sie auch die „Quadratur des Kreises" ver- sucht hat, nämlich zwei Berufe mit verschiedenen Ausbildungsstruktu- ren unter einer gemeinsamen Be- zeichnung zusammenzufassen.
Merkmale des vorliegenden Gesetz- entwurfes sind: Zusammenführung von Masseuren einerseits und Mas- seuren und medizinischen Bade- meistern andererseits zu einem Be- ruf, Integration der theoretischen und praktischen Ausbildung bei den Krankengymnasten, Beibehaltung der bisherigen Ausbildungsstruktur (Lehrgang und Praktikum) bei gleichzeitiger Verlängerung der Ge- samtausbildungszeit auf drei Jahre bei den Masseuren und medizini- schen Bademeistern, Angleichung der Ausbildungsziele, aber weiterhin unterschiedliche schulische Zu- gangsvoraussetzungen.
Die Anhörung bot ein verwir- rendes Spektrum von Meinungen zum vorliegenden Gesetzentwurf so- wie zu weitergehenden Lösungsvor- stellungen angesichts „EG 1993".
Die Abgeordneten müssen bei ihrer Entscheidungsfindung vielfältige In- teressenlagen überblicken und be- rücksichtigen, um eine kompetente Entscheidung zu fällen, die sowohl der europäischen Entwicklung, den berufsfachlichen Erfordernissen bei Krankengymnasten, Masseuren und Ärzten als auch den berechtigten Ansprüchen der Patienten auf eine qualitativ hochstehende medizini- sche Versorgung, ohne Qualitätsver- luste und ohne mögliche Desorien- tierung, gerecht wird. Und dies in Anbetracht der in diesem Jahr zu Ende gehenden Legislaturperiode des Bundestages!
Rosemarie Ickert
Chemikaliengesetz:
Mitteilungspflicht für Ärzte ab 1. August
Der Bundesrat hat einer Ände- rung des Chemikaliengesetzes zuge- stimmt. Neben der Erweiterung und Begründung von vielerlei Mittei- lungspflichten für neue Stoffe, Ex- portstoffe usw. wird mit der Gesetz- novelle eine Mitteilungspflicht für Ärzte eingeführt, wonach Einwir- kungen gefährlicher Stoffe, gefähr- licher Zubereitungen oder ähnlicher Erzeugnisse beim Menschen zu mel- den sind. Danach soll die Mittei- lungsverpflichtung für den Arzt ein- setzen, wenn im Rahmen der Be- handlung zumindest der Verdacht besteht, daß die Folgen einer Er- krankung auf Einwirkungen solcher Stoffe zurückgehen. Die Einzelhei- ten sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden, die mit Inkrafttre- ten des Gesetzes am 1. August 1990 ebenfalls wirksam werden soll.
Der wesentliche Inhalt der No- velle besteht in der Senkung der Schwelle für Verbote und Beschrän- kungen unter anderem durch
I> ausdrückliche Erwähnung des Vorsorgeprinzips in der Schutz- zielbestimmung des Paragraphen 1, 1> Erweiterung des Verdachts- begriffs in den bisherigen Paragra- phen 11, 17 und 23 in der Weise, daß künftig „Anhaltspunkte, insbesonde- re ein nach dem Stand der wissen- schaftlichen Erkenntnisse begründe- ter Verdacht" ausreichen, um be- stimmte Maßnahmen einzuleiten,
1> Verbots- oder Beschrän- kungsmöglichkeiten auch unter Be- rücksichtigung der Entwicklung von weniger gefährlichen Stoffen, Zube- reitungen oder Erzeugnissen und
1> Ergänzung der Eingriffsbe- fugnisse der Länderbehörden um die Befugnis, das Herstellen, Inverkehr- bringen oder Verwenden von Stoffen von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen.
Auch eine Erleichterung der Er- fassung von Altstoffen sowie die Ausdehnung des Kennzeichenrech- tes auf Erzeugnisse, die bestimmte gefährliche Stoffe und Zubereitun- gen freisetzen können, gehören zu den Änderungen. Stefan Gräf A-820 (24) Dt. Ärztebl. 87, Heft 11, 15. März 1990