Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 25⏐⏐22. Juni 2007 [127]
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wei Drittel der Deutschen se- hen sich ihre Zahnarztrech- nungen genau an, um zu prüfen, ob sie fehlerhaft sind beziehungsweise ob die dort aufgeführten Leistungen auch tatsächlich erbracht wurden.Dabei nimmt sich die große Mehr- heit der Zahnärzte die Zeit, ihren Pa- tienten die Rechnungen umfassend zu erläutern. Bei mehr als 13 Prozent bleiben aber dennoch Zweifel an der Richtigkeit der Rechnung, knapp fünf Prozent werden sogar aktiv – bis hin zum Prozess. Dies ergab eine repräsentative Befragung des größ- ten deutschen Arzthaftpflichtversi- cherers DBV-Winterthur in Zusam- menarbeit mit TNS-Infratest.
Meist unberechtigte Vorwürfe
Bei der Umfrage wurde ermittelt, ob sich Patienten, die eine Rechnung von ihrem Zahnarzt bekommen – ent- weder als privat Versicherter oder wenn es sich um den selbst zu zahlen- den Eigenanteil geht –, diese genauer anschauen. 70 Prozent haben dies be- jaht, während 21 Prozent geantwortet haben, dass sie ihrem Arzt vertrauen würden, dass bei der Rechnung alles seine Ordnung hat. Sechs Prozent ga- ben an, dass sie Arztrechnungen mit den ganzen Fachbegriffen sowieso nicht verstehen würden. Positiv: Eine große Mehrheit von 71 Prozent be- tonte, dass ihr Zahnarzt bei Nachfra- ge versucht habe, ihnen die Inhalte der Rechnung umfassend zu erläu- tern. Nur 3,3 Prozent äußerten, dass der Arzt auf Nachfrage oft genervt oder mürrisch reagiert hätte.Trotzdem können immerhin 13,3 Prozent der Befragten nicht zufrie- dengestellt werden. 8,8 Prozent ga- ben an, dass bei Rechnungen auch nach den persönlichen Erläuterungen Zweifel blieben, ob diese auch wirk- lich korrekt war. 4,5 Prozent der Be- fragten sind sogar schon ein- oder
mehrmals aktiv geworden, weil sie die Zahnarztrechnung nicht für kor- rekt hielten – sei es durch massive Beschwerden beim Zahnarzt selbst oder bei anderen Stellen (zum Bei- spiel dem Ombudsmann für die pri- vate Krankenversicherung) oder so- gar mit anwaltlicher Hilfe.
„Wir stellen immer häufiger fest, dass eine vermeintlich fehlerhafte Rechnung zum Arzthaftpflichtfall wird“, berichtete Patrick Weidinger, Leiter Arzthaftpflicht bei der DBV- Winterthur, beim 113. Internisten- kongress in Wiesbaden. Immer dann wenn der Patient die Behandlungs- kosten ganz oder teilweise persön- lich trage, gehe es bei den Arzthaft- pflichtfällen oft nicht – wie sonst üb- lich – um Schadenersatzansprüche, sondern um einen Streit über die Li- quidation. Der Patient trage vor, dass er die Rechnung nicht bezahlen wol- le, weil er mit der Leistung unzufrie- den sei. Erst im weiteren Verlauf stel- le er dann eigene Schadenersatz- ansprüche, weil die vermeintliche schlechte Leistung des Arztes zu ei- nem Körperschaden geführt habe.
Weidinger: „Diese Tendenz, Arzt- rechnungen zu hinterfragen und Feh- ler zu suchen, könnte ihre Ursache in der zunehmenden finanziellen Be- lastung der Patienten haben.“
Grundsätzlich gilt: Seit Jahren ist der überwiegende Anteil der erhobe- nen Vorwürfe gegen Ärzte in Bezug auf Behandlungsfehler unberechtigt.
Beim Marktführer DBV-Winterthur sind 128 000 Ärzte berufshaft- pflichtversichert. Im Jahr 2006 gin- gen bei der Versicherung 4 362 Mel- dungen über vermeintliche Behand- lungsfehler ein. Von diesen Vorwür- fen waren 46 Prozent berechtigt, 54 Prozent jedoch nachgewiesen unbe- rechtigt. Dies gilt nicht erst seit 2006.
Weidinger: „Obwohl unser Bestand an Arzthaftpflichtversicherten in den
vergangenen zehn Jahren kontinuier- lich zugenommen hat, blieb die abso- lute Zahl der jährlichen Schadens- meldungen in diesem Zeitraum sta- bil.“ Ebenso stabil sei das Verhältnis von berechtigten zu unberechtigten Vorwürfen geblieben: Mehr als die Hälfte der Vorwürfe seien stets nach- gewiesen unberechtigt gewesen.
Die DBV-Winterthur bevorzugt den Angaben zufolge immer eine außergerichtliche Einigung. Unmit- telbar nach einer Schadensmeldung prüften die Juristen des Unterneh- mens, gemeinsam mit Beratungsärz- ten, eine mögliche Haftungssituation.
Ziel sei eine zeitnahe und zugleich richtige Entscheidung. In deren Folge würden berechtigte Ansprüche ange- messen befriedigt und unberechtigte mit nachvollziehbarer Begründung zurückgewiesen. 89 Prozent aller Fäl- le können auf diese Weise außerhalb des Gerichtssaals geklärt werden.
Schlichtung hat Vorrang
Bei der Entscheidungsfindung spiel- ten die Gutachter- und Schlichtungs- stellen eine große Rolle. In 30 Pro- zent aller Fälle würden diese durch den Patienten angerufen. Ihr Ergebnis werde meist von allen Beteiligten ak- zeptiert. Der Anteil der Schlichtungs- verfahren beträgt 32 Prozent. Ein ge- richtliches Verfahren werde nur auf- genommen, wenn es unvermeidbar ist. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Forderungen der Höhe nach deutlich über den Vergleichsbe- trägen der Rechtsprechung liegen.„Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass der beklagte Arzt nur sel- ten den Prozess verliert“, resümiert Weidinger, „von den acht Prozent aller Fälle, in denen es zum Zivil- prozess kam, hat der Arzt nur bei vier Prozent verloren: gerade einmal 0,44 Prozent aller Fälle.“ I Jens Flintrop