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Archiv "Bayerischer Ärztetag – Der Arzt: Verantwortlich, aber zunehmend fremdbestimmt" (23.10.1998)

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napp zwei Wochen nach der Bundestagswahl fand der 51. Bayerische Ärztetag vom 9. bis 11. Oktober in der oberfränki- schen Wagner-Stadt Bayreuth statt – und die bayerische Gesundheits- ministerin und inzwischen auch stellvertretende Ministerpräsidentin Barbara Stamm nutzte die Gelegen- heit, der Ärzteschaft ihre volle Un- terstützung gegen alle drohenden Gefahren aus einer rot-grünen Ko- alition zuzusichern. Im übrigen versi- cherten sich die CSU-Politikerin und der Präsident der Bayerischen Lan- desärztekammer, Dr. Hans Hege, ge- genseitig, daß beide Seiten schon im- mer eine gute konstruktive Zusam- menarbeit und ein partnerschaftli- ches Miteinander pflegen. Die häufig zu hörende Feststellung, daß in Bay- ern die Uhren „anders“ tickten, woll- te sie so interpretieren, daß im Frei- staat die Uhren „richtig“ gehen.

Was immer die neue Koalition in Bonn in der Gesundheitspolitik unternehme, meinte Stamm: „Auch sie wird keine Kaninchen aus dem Hut zaubern können, um die anste- henden Fragen im Gesundheitswe- sen zu lösen. Vielmehr steht zu be- fürchten, daß alte Kamellen neu auf- gelegt werden.“ Zu den „alten Ka- mellen“ rechnete sie unter anderem Pläne, die Beitragsbemessungsgren- ze in der Gesetzlichen Krankenversi- cherung auf das Niveau der Renten- versicherung anzuheben, ein Global- budget festzuzurren, ein Einkaufs- modell und ein Primärarztsystem

einführen zu wollen. Besonders ge- gen das Einkaufsmodell nahm sie Stellung: „Wir werden nicht zulassen – und da können Sie jedenfalls für Bayern sicher sein – , daß der Hälfte der freien Ärzteschaft der Todesstoß versetzt wird und nur die Ärzte ,her- ausgekauft‘ werden, die sich aus fi- nanzieller Not oder Existenzangst nicht vertretbaren Konditionen un- terwerfen müssen.“

Die Ministerin kritisierte, daß die Entwicklung im Gesundheitswe- sen derzeit zu einseitig aus fiskali- schen Gesichtspunkten gesehen werde. Zwar sei aus volkswirtschaft- lichen Gründen Beitragssatzstabi- lität unverzichtbar, doch dürfe man nicht außer acht lassen, daß das Ge- sundheitswesen einen enormen Wachstumsmarkt darstelle.

Zwischen Freiberuflichkeit und „Kassenarzt-Amt“

Das bekräftigte bei der Diskus- sion zum Ärztetags-Thema „Der Arzt zwischen Selbstverantwortung und Fremdbestimmung“ auch der Bayreuther Gesundheitsökonom Prof. Peter Oberender: Eine Milliar- de DM mehr Ausgaben im Gesund- heitswesen schaffe zirka 10 000 neue Arbeitsplätze. Er kritisierte die zu- nehmende Einbindung des Arztes in das öffentlich-rechtliche Gesund- heitssystem. Der Arzt schwebe zwi- schen Freiberuflichkeit und „Kas- senarzt-Amt“.

Geradezu tragisch nannte Ober- ender es, daß die Ärzte unter den heutigen Bedingungen so schlecht verdienen: „Der Gewinn und das, was einem Freude macht – das ist das Elixier.“ Der Arzt müsse ein (auch finanzielles) Interesse daran haben, daß die Patienten gesund sind, und nicht an deren Krankheit.

Zwar existiere eine rechtliche Selbständigkeit des Arztes, stellte Oberender fest, doch gleichzeitig sei er weisungsgebunden. In wirtschaft- lichen und fachlichen Entscheidun- gen werde er häufig fremdbestimmt durch die Kassenärztlichen Vereini- gungen, die Sozialpartner sowie durch die Politik. Und auch durch die Rechtsprechung, fügte der Bayreuther Staatsrechtler Prof.

Wolfgang Gitter hinzu. Angesichts einer immer weitergehenden „Ver- rechtlichung“ der Medizin müsse man sich fragen, ob der rechtliche Rahmen für den Arzt nicht zu eng gezogen sei.

Gitter ging auf die vom Präsi- denten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vil- mar, als „Demenz-Urteil“ bezeich- nete Feststellung des Bundesverfas- sungsgerichts ein, wonach Ver- tragsärzte ab dem 68. Lebensjahr ei- ne Gefährdung für die Versicherten darstellten, weil sie nicht mehr voll leistungsfähig wären. „Diese Argu- mentation erscheint mir im Hinblick auf die älteren und damit vielfach besonders erfahrenen Ärzte proble-

matisch.“

A-2671

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 43, 23. Oktober 1998 (19)

Bayerischer Ärztetag

Der Arzt: Verantwortlich, aber zunehmend fremdbestimmt

Die Freiheit der ärztlichen Entscheidungen ist eingeschränkt. Wie sehr das bereits jetzt zutrifft und was noch alles kommen könnte, diskutierten

die Delegierten des 51. Bayerischen Ärztetages in Bayreuth.

K

(2)

Die vertragsärztliche Tätigkeit wird durch eine Fülle von Vorschrif- ten des Krankenversicherungsrechts, durch Verträge zwischen den Verbän- den und durch Richtlinien des Bun- desausschusses der Ärzte und Kran- kenkassen „fremdbestimmt“. Bei- spielhaft nannte er die Regelungen im

§ 135 SGB V, wonach neue Untersu- chungs- und Behandlungsmethoden so lange ausgeschlossen sind, bis sie vom Bundesausschuß in Richtlinien als zweckmäßig anerkannt sind. Über die Zulässigkeit einer derartigen Rechtssetzungsbefugnis des Bundes- ausschusses, meinte Gitter vorsichtig, werde sicher noch weiter

diskutiert werden.

Der Jurist zitierte ei- ne Entscheidung des Bun- dessozialgerichts vom 17.

September 1997, in der dem Vertragsarzt zuge- standen wurde, beim Er- bringen bestimmter Lei- stungen abzuwägen, ob diese „im Hinblick auf die vorhandene beziehungs- weise erreichbare Zusam- mensetzung der Patien- tenschaft sowie unter Berücksichtigung der an- fallenden Kosten und der erzielbaren Einnahmen

wirtschaftlich erbracht werden kön- nen“. Manche haben das so inter- pretiert, daß dem Vertragsarzt ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe, wenn ihm die Punktzahl, insbesondere der Punktwert eine wirtschaftliche Lei- stungserbringung nicht mehr gestatten.

„Ich habe Zweifel, ob das Gericht eine derartige pauschale Feststellung tref- fen wollte.“ Immerhin aber sah Gitter darin eine bedeutsame Einschränkung der Fremdbestimmung ärztlicher Lei- stungspflicht.

Neuer Spielraum durch Modellvorhaben

Eine weitere Auflockerung der Fremdbestimmung ist durch die Mo- dellvorhaben nach § 64 SGB V mög- lich, der den Vertragsärzten ein weites Feld selbstverantwortlicher Vertrags- gestaltung einräume. Soweit aller- dings die ärztliche Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Ver-

sorgung betroffen ist, muß die Kas- senärztliche Vereinigung zustimmen.

Wenn vielen das nicht weit genug ge- he und sie forderten, der einzelne Arzt solle im Sinne der Wettbewerbs- freiheit mit den Krankenkassen Ver- träge ohne die KV abschließen, so stärke das zwar die selbstverantwort- liche Tätigkeit des Arztes, fügte Git- ter hinzu, doch sei zu befürchten, daß sich der Arzt dann in eine größere Ab- hängigkeit zu den Kassen begeben würde, was letztlich wieder zu einer Fremdbestimmung führe.

Der Präsident der Bundesärzte- kammer nannte es fraglich, ob die

Vorschrift der Berufsordnung, wo- nach der Arzt hinsichtlich seiner ärzt- lichen Entscheidungen keine Weisun- gen von Nichtärzten entgegennehmen dürfe, überhaupt noch einzuhalten sei. Schon heute seien weder Freibe- rufler noch Angestellte in ihren beruf- lichen Entscheidungen völlig frei und nur dem Patienten verpflichtet. Mög- licherweise seien sie dies künftig noch weniger, wenn andere wie sogenannte

„Gesundheitsregionalkonferenzen“

oder die Krankenkassen über den Leistungsumfang und die ärztliche Arbeit mitbestimmen sollten.

Die Fremdbestimmung der Pati- ent-Arzt-Beziehung könnte sich nach seinen Worten durch Einschränkun- gen der freien Arztwahl, durch Zulas- sungsbeschränkungen und Entzug der Zulassung ab 68 Jahren sowie die Eta- blierung von Einkaufsmodellen wei- ter verstärken. Einkaufsmodelle mit Auswahl der Leistungserbringer und des Leistungskatalogs ausschließlich durch die Krankenkassen würden ge-

radezu zu einer Leibeigenschaft des Patienten führen, aber auch den Arzt zu einem Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen machen. Seine Arbeit wäre damit erheblich beeinträchtigt.

„Die Verantwortung dagegen, insbe- sondere in strafrechtlicher Hinsicht, wird ihm niemand abnehmen wollen.

Die bleibt beim Arzt.“

Eine Fremdbestimmung ganz anderer Art will der Bayerische Ärz- tetag jetzt durch einen Beschluß abwehren, in dem er den Vorstand der Bayerischen Landesärztekammer auffordert, ein Konzept für eine Pa- tienten-Information zu erarbeiten.

Dieses soll sowohl der Berufsord- nung als auch den Erwartungen der Patienten an eine qualifizierte Infor- mation über das Leistungsangebot der Ärzte entsprechen. Hintergrund sind Vergleichslisten über Ärzte und Krankenhäuser, wie sie die Zeit- schrift Focus veröffentlicht hat, und erst jüngst die aggressive Werbung des Privatunternehmens ArztPartner GmbH, das Privatversicherten spezi- elle Auskünfte über ihr angeschlos- sene Ärzte gibt.

Kammer will Ärzte und Patienten selbst informieren

Kammerpräsident Hege kriti- sierte, daß sich das Unternehmen nicht an die vereinbarten Regeln für eine zulässige Information gehalten habe. In dem Ärztetags-Beschluß wird den privatwirtschaftlich orien- tierten Patienten-Informationssyste- men vorgehalten, daß sie den Anfor- derungen an die von den kranken Menschen erhofften Informationen in aller Regel nicht gerecht werden und daß sie auf der anderen Seite massiv in den Wettbewerb zwischen den Ärzten eingreifen. Dieses Manko soll durch einen kammereigenen In- formationsdienst behoben werden, der nicht nur Patienten, sondern auch Ärzten zur Verfügung steht. Die Kammer wird aufgefordert, Chan- cengleichheit unter Ärzten auf der Basis der Berufsordnung zu gewähr- leisten. Gegen Institutionen, die diese Grundsätze nicht beachten, soll zivil- rechtlich nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vor- gegangen werden. Klaus Schmidt A-2672

P O L I T I K LEITARTIKEL

(20) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 43, 23. Oktober 1998

Barbara Stamm, bayerische Gesundheitsministerin und seit kurzem auch stellver- tretende Ministerpräsidentin, über die neue Bonner Koali- tion und deren Gesundheits- politik: „Auch sie wird keine Kaninchen aus dem Hut zau- bern können.“ Foto: dpa

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