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Archiv "Früh- und Differentialdiagnose des Parkinson-Syndroms: Eine interdisziplinäre Herausforderung" (22.04.1994)

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Früh- und Differentialdiagnose des Parkinson-Syndroms

Eine interdisziplinäre Herausforderung

Die Parkinson-Krankheit gehört zu den häufigsten neurodegenerativen Er- krankungen und betrifft ein bis zwei Prozent der über 65jährigen. Sie spricht in der Regel gut auf medikamentösen Dopamin-Ersatz an, und zur Zeit wird intensiv nach neuroprotektiv wirkenden Therapien gesucht, die die natürliche Krankheitsprogression bremsen. Der Frühdiagnose der Erkrankung kommt entscheidende Bedeutung zu. Es existieren eine Reihe symptomatischer Par- kinson-Syndrome sowie vom Morbus Parkinson abzugrenzende degenerative Parkinson-Syndrome mit unterschiedlicher Behandelbarkeit und Prognose.

Die in der Praxis häufigen Verwechselungen zeigen, daß die korrekte Parkin- son-Diagnose von der Kooperation zwischen dem erstbehandelnden Arzt und dem Neurologen abhängt.

Günther Deuschll Wolfgang Oertel 2 Werner Poewe'

1. Schwierigkeiten der Frühdiagnose in der klinischen Praxis

Obwohl eine typisch ausgeprägte Parkinson-Krankheit eine Blickdia- gnose zuläßt, vergehen heute noch immer im Durchschnitt ein bis drei Jahre, bis nach Einsetzen subjektiver Beschwerden bei den Betroffenen die ärztliche Diagnose „Parkinson- Krankheit" gestellt wird. Neuropa- thologische Untersuchungen lassen sogar vermuten, daß bei vielen Pa- tienten die Diagnose zu Lebzeiten überhaupt nicht gestellt wurde.

Wie bei vielen anderen neurode- generativen Erkrankungen entwik- kelt sich die Symptomatik schlei- chend. Man geht heute davon aus, daß nach einem Verlust von etwa 50 bis 60 Prozent der Neurone der Sub- stantia nigra klinisch faßbare Krank- heitssymptome festzustellen sind (2).

Die frühesten Symptome sind jedoch oft unspezifisch oder lassen Ver- wechselung mit anderen Erkrankun- gen zu. Gerade in der Phase vieldeu- tiger Beschwerden wird aufwendige und zum Teil überflüssige Diagnostik und Therapie betrieben. Die unge- rechtfertigte Behandlung von Patien-

ten mit essentiellem Tremor oder Gangstörung infolge Normaldruck- Hydrozephalus oder subkortikaler arteriosklerotischer Enzephalopathie mit Parkinson-Mitteln kommt noch immer viel zu häufig vor. Die zu spä- te Diagnose führt nicht selten zu Vertrauenskrisen zwischen Hausarzt und Patient. Gerade bei der initialen Diagnostik und Differentialdiagno- stik von Parkinson-Syndromen ist die enge Kooperation von Allgemeinarzt, Internist, Orthopäde und Neurologe gefordert. Ärzte der drei ersteren Dis- ziplinen sind es, an die sich Parkinson- Kranke häufig zuerst mit noch vagen Beschwerden wenden, während für die Bestätigung der Verdachtsdiagno- se und Abgrenzung anderer Parkin- son-Syndrome die Fachkompetenz des Neurologen gefragt ist.

1 Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr.

med. C. H. Lücking) der Albert-Ludwig- Universität Freiburg

2 Neurologische Klinik des Universitätsklini- kums Großhadern (Direktor: Prof. Dr.

med. T. Brandt) der Ludwig-Maximilians- Universität München

3 Neurologische Abteilung (komm. Leiter:

Prof. Dr. med. Werner Poewe) Universi- tätsklinikum Rudolf Virchow der Freien Universität Berlin

Je früher die Parkinson-Krank- heit erkannt wird, desto eher können sich Patient und Familie mit der Dia- gnose auseinandersetzen, die Krank- heit akzeptieren lernen und unter kompetenter ärztlicher Beratung zu Prognose und Behandlungsmöglich- keiten in die weitere Lebensplanung integrieren. Mit der zu erwartenden Weiterentwicklung neuroprotektiver Therapieansätze wird die Parkinson- Frühdiagnose noch wesentlich an Be- deutung gewinnen.

2. Definition der Parkinson-Krankheit

James Parkinson, ein Arzt und Naturforscher, beschrieb 1817 in ei- ner kleinen Monographie mit dem Titel „An essay an the shaking palsy"

anhand von sechs beobachteten Fäl- len ein Krankheitsbild, das heute mit einer Prävalenz von bis zu drei Pro- zent zu den häufigsten neurologi- schen Erkrankungen überhaupt ge- hört (4). Es ist gekennzeichnet durch die Kardinalsymptome Ruhetremor, Rigidität der Muskulatur, progre- diente Akinese sowie im Verlauf hin- zutretende Gleichgewichtsstörung

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 16, 22. April 1994 (35) A-1115

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mit Retro- und Antepulsionsneigung infolge gestörter posturaler Reflexe (Tabelle 1).

Mit dem Nachweis eines Dop- aminmangels im Corpus striatum und der Einführung der L-Dopa-Substi- tutionstherapie gelang erstmals in der Geschichte der Neurologie die direkte Umsetzung neurobiologi- scher Grundlagenforschung in eine gezielte Therapie. Die L-Dopa-Be- handlung der Parkinson-Krankheit erwies sich als derart wirksam, daß sie noch heute als "Goldstandard"

der Parkinson-Behandlung gilt.

Durch sie konnte die Lebensqualität von Parkinson-Patienten entschei- dend verbessert und ihre Lebenser- wartung derjenigen der Normalbe- völkerung angeglichen werden.

3. Frühsymptome einer Parkinson-Krankheit -vage, aber

meistens typisch

Bei etwa zwei Drittel der Parkin- son-Patienten erfolgt der erste mani- feste Symptomdurchbruch als unilate- raler Ruhetremor (selten auch Halte- tremor) einer Hand oder seltener ei- nes Beines. Bei Beachtung einiger we- niger klinischer Charakteristika des Parkinson-Tremors kann er ohne Mü- he zur korrekten Diagnose führen. Die subjektiven Beschwerden, die sich aus Rigidität und Hypokinese ableiten, sind jedoch zunächst oft vieldeutiger, ebenso wie die subtilen Veränderun- gen in Befindlichkeit, Antrieb und gei- stiger Flexibilität, die viele Kranke oder deren Angehörige sehr früh im Krankheitsverlauf wahrnehmen (1).

Oft werden diese Beschwerden falsch eingeordnet und schicken Parkinson- Patienten durch lange therapeutische Sackgassen, bevor das Therapieversa- gen zu diagnostischem Überdenken führt (Tabelle 2).

Typische Frühsymptome der Parkinson-Krankheit gehen der Dia- gnose häufig um drei bis fünf Jahre voraus und werden von den Betroffe- nen häufig erst auf gezieltes Befragen angegeben. Nicht selten bemerken die nächsten Angehörigen einzelne dieser Veränderungen viel deutlicher und früher als der Patient selbst. Dies

DIE ÜBERSICHT

Tabelle 1: Synopsis der Parkinson-Krankheit

~ Kardinalsymptome

a) Ruhetremor (bei 70 Prozent vorhanden) b) Rigidität

c) Bradykinese (Hypokinese, Akinese)

[a)-c) sind im Beginn unilateral und bleiben im Verlauf asymmetrisch]

d) Störung der gleichgewichtsregulierenden Reflexe (Retropulsion, Antepulsion)

~ Neuropathologie

a) Ausfall melaninhaltiger Dopamin-Neurone in der Substantia nigra (symptomatische Schwelle: SOprazentiger Verlust)

b) typische Einschlußkörperehen in degenerierenden Nigra-Zellen (Lewy-Körper)

~ Neurochemie

Dopaminmangel (etwa 80prozentige Reduktion) im Corpus striatum

~ Zusatzdiagnostik

a) Normalbefunde in EEG, cCT, MRT

b) pathologische Befunde im funktionellen Imaging des Dopamin-Sy- stems (PET- derzeit als Routineverfahren nicht verfügbar)

~ Pharmakotherapie

a) Dopamin-Ersatz (L-Dopa, Dopamin-Agonisten) b) MAO-B-Hemmer

c) pharmakologische Beeinflussung nichtdopaminerger Systeme (Anti- cholinergika, Amantadin)

betrifft zum Beispiel diskrete Verän- derungen in der Körperhaltung im Sinne eines unilateralleicht angewin- kelt gehaltenen Armes oder einer et- was gebeugten Körperhaltung. Auch frühe mentale Veränderungen wie Spontaneitätseinbußen, Entschei- dungsunfreudigkeit, Antriebs- und Initiativeverlust werden von nächsten Angehörigen früher beachtet als vom Patienten selbst.

Umgekehrt klagen nicht wenige Kranke in sehr frühen Krankheitssta- dien über verschiedene Mißempfin- dungen in den proximalen Extremi- tätenabschnitten, etwa Schmerzen im Schultergürtel- oder Beckengürtelbe- reich, ein Gefühl des inneren Zit- terns in einem Arm oder Bein, aber auch über ein Gefühl, als seien Arm- oder Beinmuskeln zu kurz. Diese mitunter schmerzhaften Mißempfin- dungen werden nicht selten als rheu-

matische Beschwerden gedeutet und führen oft über längere Zeit zur or- thopädischen Behandlung. Nach Einleitung einer Anti-Parkinson- Therapie verschwinden sie in der Re- gel schlagartig.

Aus der Zusammenstellung aus- gewählter Symptome geht hervor, daß neben dem typischen Ruhetre- mor eine Vielzahl weniger spezifi- scher Symptome das Beschwerdebild in der Frühphase der Erkrankung prägen können. Es ist daher nicht überraschend, wenn der neurologi- schen Diagnose und Therapieeinlei- tung häufig orthopädische, internisti- sche, psychiatrische Konsultationen vorausgehen. Erst bei gezielter Be- fragung und Untersuchung auf die motorischen Kardinalsymptome der Parkinson-Krankheit wird bei den in- itial Erkrankten eine korrekte klini- sche Diagnose möglich.

(3)

4. Kardinalsymptome und diagnostische Kriterien

Die Parkinson-Krankheit ist al- lein aufgrund klinischer Zeichen mit großer Treffsicherheit zu diagnosti- zieren, wenn nach standardisierten Kriterien vorgegangen wird. Nach der heute gültigen Definition liegt ein Morbus Parkinsan vor, wenn be- stimmte klinische Diagnosekriterien erfüllt sind (3) (Tabelle 3).

4.1 Bradykinese

Bradykinese zeigt sich besonders deutlich bei Prüfung rascher alternie- render Bewegungen einer distalen Extremität über ein bis zwei Minuten (beispielsweise rasches Hin- und Herdrehen im Handgelenk, wieder- balter Faustschluß, tippen des Zeige- fingers auf dem Daumen, sitzend mit der Ferse auf den Boden tappen), wo es im Seitenvergleich zu eindeutigem Tempo- und Amplitudenabfall der Bewegung der betroffenen Seite kommt. Des weiteren finden sich Symptome einer geringgradigen Bra- dykinese häufig im Bereich der spon- tanen Gesichtsmotorik Initial kommt es dabei zu einer nicht selten einseitigen Minderung der Mimik der Patienten. Diese imponiert in der Perioralregion als geringere Ausprä- gung der Mundwinkelexkursionen, im Bereich des Augenlides als einsei- tige Verminderung der Lidschluß- häufigkeit. Bei ausgeprägterer Hypo- mirnie ist die Blinkrate beidseits deutlich vermindert (unter fünf Schlägen pro Minute).

Frühzeitig äußert sich Bradyki- nese auch als vermindertes Mitpen- deln eines Armes beim Gehen mit oder ohne Haltungsstörung im Sinne einer Adduktionshaltung im Schul- tergelenk und leichten Beugung im Ellenbogengelenk. Eine hypokineti- sche Gangstörung mit Nachziehen, Hinken oder Schlurfen eines Beines ist in der Regel erst in späteren Krankheitsstadien nach mehrjähriger Symptomdauer anzutreffen.

Die Patienten selbst erleben Bradykinese in der Regel als man- gelnde Koordination bei alltäglichen Bewegungen wie Zähneputzen, Ra-

Tabelle 2: Unspazifische ondmnesti- sche Beschwerden, die Vorboten einer Parkinson-Krankheit sein können Befindlichkeitsstörungen

~ Initiativ-Einbuße

~ Verminderte Entschei- dungsfreude

~ Traurige Verstimmung,

"depressiv"

~ Rückzugstendenz

~ Verminderte (berufliche) Belastbarkeit

~ Innere Unruhe

~ Schlafstörungen

Muskel- und Gelenkschmerzen

~ Allgemeines Steifigkeits- gefühl

~ Muskelverspannung

~ "Rheuma"

~ (proximaler) Extremitäten- schmerz

(zum Beispiel Schulter- Arm-Schmerz)

Störungen der Beweglichkeit und Geschicklichkeit

~ Mimik eingeschränkt

~ Arm sei gebeugt oder schwinge vermindert mit

~ Nachziehen eines Beines

~ Zittern bei emotionaler Be- lastung

~ Gestörte Geschicklichkeit (zum Beispiel Zähneput- zen, Knöpfe schließen, Schrauben drehen)

~ Veränderung oder Verklei- nerung der Schrift

Vegetative Störungen

~ Obstipation

~ Appetitmangel

~ Libidoverlust

~ Schweißausbrüche

sieren, Knöpfe schließen, Schrauben drehen oder vor allem auch beim Schreiben mit zunehmender Verklei- nerung des Schriftbildes und Ver- minderung der Feinmotorik.

4.2 Rigidität

Das zweite Kardinalsymptom, die Rigidität, wird von den Patienten

subjektiv als Steifigkeitsgefühl, zie- hende Mißempfindung in der proxi- malen Muskulatur eines Armes oder Beines bis hin zu rheumatischer Schmerzwahrnehmung ("Schulter- Arm-Syndrom") empfunden. Bei der klinischen Untersuchung wird Rigor durch passive Bewegung einer Extre- mität, etwa des Armes im Handge- lenk oder Ellenbogengelenk, deut- lich. Man findet einen, vor allem im Seitenvergleich manifesten, zähen, gleichmäßigen, wächsernen Bewe- gungswiderstand, der nicht selten rhythmisch unterbrochen ist (Zahn- radphänomen).

4.3 Tremor

Der Tremor der Parkinson- Krankheit ist klassischerweise ein Ruhetremor. Bei der klinischen Un- tersuchung ist darauf zu achten, daß der Patient in entspannt sitzender Position mit aufgelegten Armen auf einen Ruhetremor der Hände unter- sucht wird. Bei mentaler Belastung (zum Beispiel Rückwärtszählen) kann ein latenter Ruhetremor mani- fest werden oder ein manifester Tre- mor an Amplitude zunehmen. Inte- graler Bestandteil der Definition des Parkinson-Ruhetremors ist seine Blockierung durch Bewegungsbeginn in der betroffenen Extremität. Dies ist durch Anheben und Ausstrecken der zunächst im Sitzen aufgelegten Arme zu prüfen. Die klassische Fre- quenz liegt um die 5 Hz, es ist jedoch hervorzuheben, daß besonders im Frühstadium der Erkrankung atypi- sche Ruhetremorformen vorkom- men. Hierzu gehören einerseits hochfrequente Tremores mit Fre- quenzen bis 9 Hz, aber auch das zu- sätzliche Auftreten eines Tremors in Halteposition der Hände (1).

4.4 Postoraler Reflex

Als viertes Kardinalsymptom finden sich bei Parkinsan-Kranken regelmäßig Störungen der reflektori- schen postmalen Ausgleichsbewe- gungen bei passiver Auslenkung aus dem Gleichgewicht (sogenannte posturale Reflexe). Dies äußert sich in späteren Krankheitsstadien als spontane Stand- und Ganginstabili- tät, in Frühphasen können Provokati-

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 16, 22. April 1994 (39) A-1119

(4)

DIE ÜBERSICHT

onstests pathologisch ausfallen. Beim Stoßtest oder Zugtest wird vom Un- tersucher eine Gleichgewichtsauslen- kung des stehenden Patienten durch Stoß vor das Sternum mit der flachen Hand oder plötzliches Rückwärtszie- hen an beiden Schultern (bei hinter dem Patienten stehendem Untersu- cher) vorgenommen. Auch in frühen Krankheitsphasen kann bereits hier eine pathologische Auslenkung nach vorn oder hinten mit mehreren Stabi- lisierungsschritten erfolgen.

Tabelle 3: Klinische Diagnosekriterien der Parkinson-Krankheit

Ridigität 1. BRADYKINESE

+

Ruhetremor

Haltungsstörungen *

2. Asymmetrische Symptomausprägung (im Beginn unilateral) 3. Eindeutige Symptomverbesserung durch L-Dopa-Gaben

4. Keine weiteren neurologischen Defizite oder abnormen Befunde in CCT, MRT oder EEG (außer durch neurologische Zweit- erkrankungen)

5. Differentialdiagnose der Parkinson-Syndrome und häufige

Fehldiagnosen

* (bei Ausschluß primär visueller, zerebellarer oder propiozeptiver Dysfunktionen)

Die Differentialdiagnose der Parkinson-Syndrome umfaßt drei große Gruppen von Erkrankungen, die sich klassifizieren lassen (Tabelle 4). Während die Differentialdiagno- se zwischen den neurodegenerativen Parkinson-Syndromen (Morbus Parkinsan und Parkinson-Syndrome im Rahmen neuronaler Multisystem-

degenerationen) vor allem Aufgabe des spezialisierten Neurologen ist, ist die Differentialdiagnose zwischen ei- nem M. Parkinsan und sekundären Parkinson-Syndromen auch für den Allgemeinarzt von Bedeutung. Insbe- sondere verdienen medikamentös in- duzierte Parkinson-Syndrome sowie die sogenannten Pseudo-Parkinson- Syndrome bei Arteriosklerose der Hirngefäße und beim Normaldruck- Hydrozephalus Beachtung (5).

Tabelle 4: Klinische Klassifikation der Parkinson-Syndrome

Neurodegenerative Parkinson-Syndrome

.... Morbus Parkinsan ( ca. 80 Prozent der Fälle)

...,. Parkinson-Syndrome bei neuronalen Multi-System-Degenerationen ( ca. 20 Prozent der Fälle)

Symptomatische Parkinson-Syndrome

....

medikamentös induzierte nigrostriatale Dysfunktion

- DA-Antagonisten

e

Neuroleptika (Phenothiazine oder Butyrophenone)

• Antiemetika (zum Beispiel Metoclopramid)

e

Reserpinhaltige Antihypertensiva - Ca-Antagonisten vom Flunarizin-Typ

....

Basalganglienläsionen bei

e

Intoxikationen (CO, Mn)

e

M. Wilson

e

idiopathischer Stammganglienverkalkung (M. Fahr)

e

Stammganglien-Infarkte, -Blutungen Pseudo-Parkinson-Syndrome

e

Normaldruck-Hydrozephalus (NDH)

e

Subkortikale Arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE)

e

Frontale Tumoren

e

AIDS-Enzephalopathie

e

Boxer-Enzephalopathie

5.1 Medikamentös induzierte Parkinson-Syndrome

Eine Reihe von Pharmaka kön- nen durch Interaktion mit Dopamin- Rezeptoren des Corpus striatum das klinische Bild eines Parkinson-Syn- droms hervorrufen. Es handelt sich hierbei nicht nur um Neuroleptika aus der Gruppe der Phenothiazine oder Butyrophenone, sondern auch um schwache Dopamin-Antagoni- sten wie das Antiemetikum Metoclo- pramid sowie die häufig in unkri- tischer Indikation verabreichten Kal- zium-Antagonisten vom Flunarizin- und Zinnarizin-Typ (Sibelium, Stut- geron).

Anfällig für den einen Par- kinsonismus induzierenden Effekt der letzteren sind vor allen Dingen ältere Patienten. Obwohl solche in- duzierten Parkinson-Syndrome prin- zipiell rückbildungsfähig sind, kann die Remission mehrere Monate in Anspruch nehmen, und in einem ge- ringen Prozentsatz bleibt die Sym- ptomatik auch nach Absetzen des Auslösers bestehen.

5.2 Typische

Fehldiagnosen in der Frühphase der Erkrankung Neben den oft unspezifischen Prodromalsymptomen der Parkin- son-Krankheit lassen sich vier typi- sche Fehldiagnosen festhalten, die aufgrund der spezifischen Symptom- konstellation naheliegen und daher oft jahrelang den Blick auf die ei- gentlich zugrundeliegende Erkran- kung verstellen.

(5)

Tabelle 5: Differentialdiagnose des Tremors bei Morbus Parkinson und beim essentiellen Tremor

Tremor bei Morbus Essentieller

Parkinson Tremor

familiäre Belastung: selten Tremoranamnese: kurz

häufig lang

Seitenbetonung

des Tremors: häufig selten

Auftreten

des Tremors: in Ruhestellung bei Halteaufgaben und Bewegungen

Kopftremor: selten häufig

5.2.1 Schmerzzustände des Muskel- und

Bewegungsapparates

Zu den wichtigsten zählen Schmerzzustände des Muskel- und Gelenkapparates, die durch die an- haltende Muskelhypertonie der Parkinson-Kranken, den Rigor, ent- stehen. In der Mehrheit der Fälle be- treffen diese die Schulter-Arm-Regi- on, so daß ein „Schulter-Arm-Syn- drom" häufig auf der Grundlage schmerzhafter Sehnenansätze dia- gnostiziert wird. Seltener werden auch ein Hüftschmerz oder gar Schmerzsyndrome der distalen Ge- lenke berichtet. Klinisch lassen sich diese Syndrome von rheumatischen Beschwerden aller Art durch das

Vorhandensein zusätzlicher motori- scher Störungen bei detaillierter neu- rologischer Untersuchung abgrenzen.

Unter spezifischer Parkinson-Be- handlung klingen die Beschwerden in der Regel ab.

5.2.2 Der essentielle Tremor Eine weitere typische Fehldia- gnose ergibt sich aus der Mißdeutung des Tremors eines Patienten. Der es- sentielle Tremor, der im fortgeschrit- tenen Alter auch als seniler Tremor bezeichnet wird, ist die häufigste Be- wegungsstörung im mittleren und hö- heren Lebensalter. Bei über 60 Pro- zent der Patienten handelt es sich um eine familiäre Tremorerkrankung.

Zum Zeitpunkt des ersten Arztkon-

taktes wird meist eine mehrjährige Vorgeschichte mit langsam zuneh- mendem Tremor berichtet. Der ent- scheidende Unterschied dieser bei- den Tremorformen besteht darin, daß im typischen Fall beim Morbus Parkinson der Tremor in Ruhestel- lung auftritt, während er beim essen- tiellen Tremor unter Halteaufgaben und während Bewegung nachweisbar ist. Die wichtigste Untersuchung ist daher die Prüfung, ob ein Tremor bei aufgelegten Armen nachweisbar ist, der bei mentaler Belastung (bei- spielsweise Rückwärtszählen) in sei- ner Amplitude zunimmt und bei Be- wegungsbeginn sistiert. Im Gegen- satz dazu ist der essentielle Tremor beim Armvorhalten oder beim Hal- ten eines Glases ausgeprägter. Sehr

häufig findet sich bei dem essentiel- len Tremor ein Kopftremor. Eine Seitenbetonung ist typischerweise beim Parkinson-Tremor nachweisbar.

Gerade in der Frühphase der Erkran- kung können jedoch atypische Tre- morfälle ein diagnostisches Problem darstellen, was dann beim Neurolo- gen oder in den Spezialambulanzen durch besondere Untersuchungen differenziert werden kann (Tabelle 5).

5.2.3 Normaldruck-

Hydrozephalus, subkortikale arteriosklerotische

Enzephalopathie

Patienten mit Normaldruck- Hydrozephalus oder subkortikaler

arteriosklerotischer Enzephalopathie suchen nicht selten wegen einer pro- gredienten Gangstörung ärztliche Hilfe. Dabei können weitere mit der jeweiligen Grunderkrankung assozi-

ierte Symptome wie kognitiver Ab- bau oder Blaseninkontinenz durch- aus noch fehlen. Charakteristisch ist ein kleinschrittiges Gangbild, das der Gangstörung von Parkinson-Kranken auf den ersten Blick ähnelt, insbeson- dere auch durch die häufig ausge- prägte Starthemmung dieser Kran- ken. Dabei ist aber, anders als bei Parkinson-Patienten, die Schrittbasis infolge begleitender Gleichgewichts- störung stets verbreitert und die Mo- bilität der oberen Körperhälfte (bei- spielsweise das Mitschwingen der Ar- me beim Gehen) in der Regel völlig normal. Amerikanische Autoren ha- ben deshalb von „Parkinsonismus der unteren Körperhälfte" gesprochen.

Trotzdem werden solche Patienten mit großer Regelmäßigkeit als Par- kinson-Kranke fehldiagnostiziert und einer — stets wirkungslosen, aber nicht nebenwirkungsfreien — medika- mentösen Parkinson-Therapie zuge- führt. Dies ist um so bedauerlicher, als die Gangstörung wie auch die weite- ren Symptome des Normaldruck-Hyd- rozephalus in vielen Fällen gut auf Shunt-Operationen ansprechen.

5.2.4 Depressive Erkrankungen Unter den psychiatrischen und neuropsychologischen Störungen ste- hen depressive Erkrankungen im Vordergrund. Umfangreiche Unter- suchungen haben gezeigt, daß De- pressionen als Initialsymptom oder im Verlauf der Parkinsonschen Er- krankung häufig vorkommen. Ein Zusammenhang mit dem krankheits- inhärenten Degenerationsprozeß ist wahrscheinlich. Das klinische Bild der Depression beim Morbus Parkin- son läßt sich nicht eindeutig von dem einer endogenen Depression unter- scheiden, wenngleich die Kombinati- on der depressiven Stimmungsstö- rung mit ausgeprägter Angstentwick- lung bei fehlender Wahnbildung häu- fig angetroffen wird. In jedem Falle unterstreicht dies die Bedeutung ei- ner ausführlichen neurologischen Untersuchung jeder länger anhalten- den depressiven Störung.

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 16, 22. April 1994 (43) A-1123

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MEDIZIN

In diesem Zusammenhang wer- den oft unspezifische pseudoneur- asthenische Erschöpfungssyndrome genannt Bei diesen Patienten stehen Klagen über einen Leistungsverlust im Beruf und einen enormen Rück- zug aus familiären Aufgaben im Vor- dergrund. Häufig werden diese schwerwiegenden Veränderungen von der Familie sehr viel deutlicher bemerkt als vom Kranken selbst. Ge- rade in solchen Fällen kann nur die ausführliche neurologische Untersu- chung eine eventuell zugrundeliegen- de Parkinson-Krankheit erfassen.

6. Einsatz von Hilfsuntersuchungen Für die Stellung der Frühdia- gnose Parkinson-Syndrom ist die Anamnese und klinische Untersu- chung von entscheidender Bedeu- tung, nicht die Durchführung auf- wendiger Zusatzuntersuchungen.

Die Anamnese geht zunächst auf die unspezifischen Allgemeinsymptome (Tabelle 2) ein. Es folgt eine sorgfälti- ge Medikamenten-Anamnese.

Internistische Erkrankungen wie arterielle Hypertonie, Herzrhyth- musstörungen, Diabetes mellitus und andere Risikofaktoren für Multiin- farktsyndrome des ZNS wie Rauchen oder Hyperlipidämie sind zu erfas- sen, denn sie können eine subkorti- kale arteriosklerotische Enzephalo- pathie bedingen. Ebenso sind frühe- re Hirntraumen, Meningitiden, En- zephalitiden oder Hirnblutungen als mögliche Ursachen für einen Nor- maldruck-Hydrozephalus zu erfra- gen.

Ergibt sich hieraus der hinrei- chende Verdacht auf das Vorliegen eines Parkinson-Syndroms, empfiehlt sich die Überweisung zum Neurolo- gen oder Nervenarzt. Hier sollte das cCT veranlaßt werden. Spezialabtei- lungen sollten Untersuchungen wie T2-gewichtete Kernspintomographie, Darstellung von Dopamin-2-Rezep- toren in den Basalganglien mittels 123J-Iodo-Benzamid-Single-Photo- nen-Emissions-Computer-Tomogra- phie (IBZM-SPECT) sowie die phar- makologische Testung mit L-DOPA oder Apomorphin vorbehalten blei- ben (5).

DIE ÜBERSICHT

Deutsches Ärzteblatt

91 (1994) A-1115-1124 [Heft 16]

Dieser Beitrag wurde von den Mitgliedern der „Arbeitsgruppe Morbus Parkinson" verfaßt:

Dr. med. Horst Baas Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie der Universität Frankfurt

Schleusenweg 2-16 60528 Frankfurt am Main Prof. Dr. med. Uwe Besinger Neurologische Klinik,

Kreiskrankenhaus Ammerland Lange Straße 38

26655 Westerstede Priv.-Doz. Dr. med.

Günther Deuschl Neurologische Klinik der Universität

Hansastraße 9 79104 Freiburg

Prof. Dr. med. Joachim Glaß Gemeinschaftspraxis Neurologie und Psychiatrie

Ärztehaus, An der Marienkirche 17033 Neubrandenburg

Dr. med. Harald Kissel Ottostraße 47

85521 Ottobrunn

Prof. Dr. med. Wolfgang Oertel Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Großhadern

Marchioninistraße 15 81377 München

Prof. Dr. med. Werner Poewe Abteilung für Neurologie Universitätsklinikum Rudolf Virchow Augustenburger Platz 1 13353 Berlin

Prof. Dr. med. Peter Riederer Psychiatrische Universitätsklinik Würzburg

Füchsleinstraße 15 97080 Würzburg Prof. Dr. med.

Eberhard Schneider

Neurologische Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Harburg

Eißendorfer Pferdeweg 52 21075 Hamburg

Literatur

1. Deuschl, G.: Diagnose und Differentialdia- gnose des Morbus Parkinson im Frühstadi- um. In: Stern, G.; U.-D. Madeja, Poewe, W.

(Hrsg.): Trends in Diagnostik und Therapie des Morbus Parkinson, de Gruyter, Berlin 1993 1-18

2. Fearnley, J. M.; A. J. Lees: Ageing is not in- volved in the pathophysiology of Parkin- son's disease. Brain 114 (1991) 2283-2301 3. Hughes, A. J., S. E. Daniel, L. Kilford, A. J.

Lees: Accuracy of clinical diagnosis of idi- opathic Parkinson's disease: a clinico- pathological study of 100 cases. J. Neurol.

Neurosurg. Psychiatry 55 (1992) 181-184 4. Mutch, W. J.; I. Dingwall-Fordyce, A. W.

Downie, J. G. Peterson, SK Roy: Parkin- son's disease in a Scottish city. Br. Med. J. 1 (1986) 534-536

5. Poewe, W.; W. Oertel: Neue Entwicklun- gen in Diagnostik, Klinik und Therapie des Parkinson-Syndroms. In: Jahrbuch der Neurologie (Hrsg. C. E. Elger, R. Dengler), Biermann Verlag, Zülpich 1992, S. 115-135

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Werner Poewe Abteilung für Neurologie Universitätsklinikum Rudolf Virchow Augustenburger Platz 1 13353 Berlin

Berichtigung

In dem Beitrag „Dosierung von Levomethadon in der Substitutions- behandlung i.v. Opiatabhängiger"

von Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Schall et al. in Heft 12/1994 muß es in der 11. Zeile des ersten Absatzes

„0,8 ng/ml" anstatt „0,8 mg/ml" hei- ßen. MWR

Zitierhinweise für das Deutsche Ärzteblatt

Wie manche andere große Zeit- schriften wird das Deutsche Ärzte- blatt in mehreren Ausgaben publi- ziert. Die unterschiedliche Paginie- rung in den Ausgaben A, B und C er- schwert leider das korrekte Zitieren von Artikeln. Deshalb finden Sie am Textende größerer Aufsätze einen

„Zitierhinweis". Er bezieht sich grundsätzlich auf die Seitenzahlen der Ausgabe A. Zusätzlich wird je- doch die Heftnummer genannt, da- mit Leser, die eine der anderen Aus- gaben vor sich haben, den betreffen- den Artikel ebenfalls finden können.

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