A-1941
M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 28–29, 14. Juli 1997 (45) sammenhang sei ein aktuell wahr-
scheinlich immer wichtiger werdendes sozialpsychologisches Moment hervor- gehoben. Es hebt die Gruppe Gehörlo- ser von anders behinderten Gruppie- rungen ab. Die Gehörlosen definieren sich über ihre eigene Sprache, die eine eigenständige kulturelle Leistung dar- stellt und bewirkt, daß sie sich unter- einander als nicht kommunikativ be- hindert erleben. Für selbstbewußte er- wachsene und auch zunehmend immer mehr jugendliche Gehörlose markiert der Begriff „gehörlos“ eine Identität, keine audiometrische Hörschadens- klassifikation. Dem Selbstverständnis des „hörgerichteten Ansatzes“ von (Früh)erziehung entspricht es jedoch, dieses Etikett auf dem Weg über einen frühestmöglichen akustischen Input sowie ein in der Folge intensives aural- orales Reizangebot überflüssig zu ma- chen. Vor diesem strittigen Hinter- grund wird es orientierungsbedürftigen Eltern sehr schwer gemacht, sich zu- mindest das Gefühl eines eigenen We- ges gemeinsam mit ihrem Kind zu be- wahren. Die aktuell wieder verfeinerte, unbedingt begrüßenswerte Hörtech- nologie läßt sich jedoch durchaus in fol- gende Zielvorstellungen für eine ganz- heitlichere, kein zusätzliches Bezie- hungs- oder Entwicklungsrisiko stif- tende (Früh)förderung im Sinne einer Kommunikationsförderung einbauen:
1Stimulation aller Sinneskanäle für eine intensivere, handelnde Aus- einandersetzung des stark hörbehin- derten Kleinkindes mit seiner perso- nalen wie dinglichen Umwelt.
1 Erreichen einer offenen, kom- plementären Kooperation (9) zwi- schen Frühförderer und Eltern, bei
der elterliche Erfahrungen aus dem Umgang mit ihrem Kind sowie Fach- wissen und Hilfestellung des Exper- ten ineinandergreifen, ohne daß der Blick für die Spontanität der Eltern- Kind-Interaktion verlorengehen darf.
1 Frühe Hörgeräteversorgung, selbstverständlich inklusive sorgfältig indizierter Implantatversorgung, aber
ohne frühe Einengung von Kommu- nikation auf ausschließliches Hörtrai- ning und Lautsprachanbahnung.
1 Generelle Unterstützung von Freude an entspannter Kommunikati- on, die bei stark hörbehinderten Klein- kindern ohne intensive visuelle Stützen (Körpersprache, Mimik, Gebärden) undenkbar ist, dies im übrigen auch bei nicht hörbehinderten Kleinkindern.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1938–1941 [Heft 28-29]
Literatur
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10. Uden van A: Diagnostic testing of deaf children: the syndrome of dyspraxia. Lisse:
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Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Emil Kammerer Klinik und Poliklinik
für Kinderheilkunde Bereich Psychosomatik
Westfälische Wilhelms-Universität Domagkstraße 3b
48149 Münster DIE ÜBERSICHT/FÜR SIE REFERIERT
fast keine mäßige gut 1,5
6,6 17,9
93,4 80,6
schwerhörig gehörlos Grafik 5
Urteile der Mütter zu den Chancen ihrer hörgeschä- digten Kinder, sich in der Familie verständlich ma- chen zu können (Sendechancen), getrennt nach Hör- status (in Prozent)
In den USA ist die Identifizierung eines Gens gelungen, welches für eine familiär auftretende Form der Parkin- sonschen Krankheit verantwortlich ist.
Es wurde eine große, aus Italien stam- mende und jetzt in den USA lebende Familie untersucht, bei der sich das für Morbus Parkinson repräsentative Krankheitsbild in früherem Lebensal- ter manifestiert (46 613 Jahre). Durch Kopplungsanalysen und anschließen- de Sequenzierung der lokalisierten Re-
gion konnte ein Gen auf Chromosom 4 isoliert werden, das für ein präsynapti- sches Protein kodiert und dem eine mögliche Rolle bei der Gedächtnis- speicherung und ähnlichen neuronalen Prozessen zugewiesen wird. Die Se- quenzanalyse ergab, daß es sich um das Protein a-Synuclein handelt, welches auch in den b-Amyloid-Plaques ent- halten ist, die für die Neuropatholo- gie des Morbus Alzheimer charakteri- stisch sind. Die beschriebene Punkt-
mutation führt zu einem Aminosäu- reaustausch. Die Ergebnisse können nach Hoffnung der Forscher zu einem besseren Verständnis der molekularen Ursachen der Parkinsonschen Krank-
heit beitragen. me
Polymeropoulos MH, Lavedan C, Leroy E et al.: Mutation in the a-synuclein gene identified in families with Parkinson’s disease. Science 1997; 276: 2045-2047.
M. H. Polymeropoulos, Laboratory of Genetic Disease Research. National Hu- man Genome Research Institute, Natio- nal Institutes of Health, Bethesda, MD 20692-1430, USA.
Gen für Morbus Parkinson identifiziert
fast keine mäßig gut