• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Normale und gestörte Pubertätsentwicklung: Ihre Beurteilung in der ärztlichen Sprechstunde" (23.11.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Normale und gestörte Pubertätsentwicklung: Ihre Beurteilung in der ärztlichen Sprechstunde" (23.11.1978)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Innerhalb der physiologischen Ent- wicklungsabläufe bezeichnet man den etwa drei Jahre umfassenden Zeitraum, in dem schrittweise die Geschlechtsreife entsteht, als Pu- bertät. Die geistig-seelische Ent- wicklung zum jugendlichen Erwach- senen beginnt zwar mit der körperli- chen Reifung, dauert aber, als Ado- leszenzbezeichnet, über die biologi- sche Entwicklung hinaus etwa bis zum Ende des zweiten Lebensjahr- zehnts.

Die körperlichen Reifemerkmale entstehen in Abhängigkeit von der im Plasma und damit an den spezifi- schen peripheren Rezeptoren zu- nehmenden Konzentration der go- nadotropen und gonadalen Hormo- ne. Durch einen noch nicht ausrei- chend bekannten zentralnervösen Auslösemechanismus kommt es zu einer Stimulation hypothalamischer Zentren, die vermehrt Gonadotro- pin-Releasing-Hormon (GnRH) aus- schütten und damit den Regelkreis Hypothalamus - Hypophyse - Gona- den auf ein der jeweiligen Reife ent- sprechendes Niveau anheben. Die- ser negative Feedback-Regelkreis ist für beide Geschlechter in den Ab- bildungen la und 1b dargestellt.

Beim Knaben beginnt die Pubertäts- entwicklung mit der Zunahme des Hodenvolumens, das man ausrei- chend exakt mit dem Orchidometer nach Prader messen kann. Ein Ho- denvolumen über 3 ml zeigt an, daß

die Reifeentwicklung begonnen hat.

Auf das zeitliche Alter bezogen, wird man den Pubertätsbeginn zwischen 10 und 15 Jahren erwarten können, im Mittel mit 12 1/2 Jahren. Besser als das chronologische Alter korreliert das Knochenalter mit dem Puber- tätsbeginn, mit dem man erst rech- nen kann, wenn auch das Knochen- alter 12,5 Jahre (± 1 Jahr Variabili- tät) beträgt. Die Abbildungen 2 + 3 orientieren über das zeitliche Muster der verschiedenen Reifezeichen und über die 5 Stufen der männlichen Genitalentwicklung und Pubes.

Beim Mädchen beginnt die Pubertät mit der Thelarche. Abbildung 4 zeigt die zeitlichen Zusammenhänge bei der Entwicklung der weiblichen Pubertätszeichen.

Die verschiedenen Stadien der Brustdrüsenentwicklung sind in Abbildung 5 dargestellt. Der zeitli- che Beginn der Reifeentwicklung schwankt zwischen 9 und 14 Jahren und liegt im Mittel bei 11 1/2 Jahren.

Dieses Mittel gilt mit ± 1 Jahr Schwankung auch für das „puber- tätsreife" Knochenalter.

Normvarianten

Schon verhältnismäßig geringe Ab- weichungen vom durchschnittlichen Zeitpunkt des Pubertätsbeginns beunruhigen Eltern und die betrof- fenen Jungen und Mädchen. Wäh-

Bei der Beurteilung einer ver- muteten Störung der Puber- tätsentwicklung wird man zu- nächst feststellen, ob eine Normvariante vorliegt oder nicht (frühe, späte Pubertät, konstitutionelle Entwick- lungsverzögerung). Störun- gen von Krankheitswert sind alle Formen des primären und sekundären Hypogonadismus sowie zu frühe Reifeentwick- lungen, die - überwiegend idiopathisch - hypothala- misch ausgelöst werden (Pu- bertas praecox vera) oder vor- nehmlich durch gonadale oder adrenale Erkrankungen entstehen (Pseudopubertas praecox).

rend eine gewisse „Frühreife", dem Trend der Akzeleration folgend, noch eher als Normvariante akzep- tiert wird, gibt eine Verzögerung des erwarteten Pubertätsbeginns fast re- gelmäßig Anlaß, den Arzt aufzusu- chen, zumal auch das Fehlen des pubertären Wachstumsschubes eine grundlegende Entwicklungsstörung vermuten läßt.

Zur Beurteilung einer derartigen Si- tuation trägt die Familienanamnese oft entscheidend bei. Man skizziert einen Stammbaum mit den Längen- maßen der einzelnen Familienmit- glieder und fragt nach deren „Ent- wicklungsmuster": Wann begann die Pubertät, wie lange dauerte das Längenwachstum, gab es soge- nannte „Spätentwickler?"

Auch vom Patienten selbst versucht man zurückliegende somatographi- sche Daten zu erfahren und stellt die in Tabelle 1 genannten Daten zu- sammen.

Die in Tabelle 1 eingeführten Daten der ersten Kolonne geben ein Bei- spiel für die spätnormale Pubertäts- entwicklung. Aus der zweiten Kolon- ne ist die Diagnose der konstitutio- nellen Entwicklungsverzögerung abzulesen: Eine von Beginn an be- stehende Diskrepanz zwischen

Normale

und gestörte Pubertätsentwicklung

Ihre Beurteilung in der ärztlichen Sprechstunde

Herbert Stolecke

Aus der Abteilung für pädiatrische Endokrinologie

(Leiter: Professor Dr. Herbert Stolecke) der Kinderklinik

(Geschäftsführender Direktor: Professor Dr. Ulrich Stephan)

der Universität Essen — Gesamthochschule

(2)

Hypophyse

Übergeordnetes ZNS

• Hypothalamus

LH FSH 1\

Testis GnRH

Pubertätsentwicklung

chronologischem und biologischem (= Skelett-)Alter, die zur Zeit der Pubertät bis 5 Jahre (I) betragen kann. Die Kinder entwickeln sich biologisch langsamer, kommen ver- spätet in die Pubertät und holen Längenmaß und Reifungsrückstand in vollem Umfang auf, um späte- stens am Ende des zweiten Lebens- jahrzehnts biologisch erwachsen zu sein.

Wenngleich eine zeitliche Definition des normalen Pubertätsbeginns für

die Grenzbereiche eine gewisse Willkürlichkeit hat, können wir da- von ausgehen, daß Entwicklungen außerhalb der genannten Grenzen als pathologisch anzusprechen sind.

Abbildung 6 (auf Seite 2832) veran- schaulicht diese Überlegungen und weist auf die heterogene Verknüp- fung mit intersexuellen Zustandsbil- dern hin. Die Skizze stellt gleichzei- tig eine einfache Gliederung für die Erörterung pathologischer Verläufe der Pubertäts- und Geschlechtsent- wicklung dar.

Hypogonadismus

Hypogonadismus heißt Unterfunk- tion, im Extremfall auch fehlende Funktion der Gonaden. Diese Gona- deninsuffizienz ist in der Mehrzahl der Fälle stets manifest nachweis- bar, lediglich bei einigen Formen des männlichen Pseudohermaphro- ditismus wird man eine embryonal- fetale Fehlfunktion annehmen müs- sen. In Tabelle 2 sind die Ursachen des primären, hypergonadotropen Hypogonadismus im Kindes- und

Verzeichnis der im Text benutzten Abkürzungen:

GnRH Gonadotropin-Releasing-Hormon

LH Lutropin = luteinisierendes Hormon (9) = interstitial cell stimulating hormone (d, Testosteronbildung)

FSH Follikulin = follicle stimulating hormone (9); d: Stimulation des germinativen Epithels

Human Growth Hormon = Wachstumshor- mon

Thyreotropin = Thyreoidea Stimulating Hormone

Hypophysenvorderlappen Zentralnervensystem Adrenogenitales Syndrom HGH

TSH HVL ZNS AGS

0 ct

0 0 0

0 0.

Testosteron Inhibin

Abbildung 1 a: Feedback-Regelkreis beim männlichen Geschlecht

Übergeordnetes ZNS

Hypothalamus

Hypophyse

Ovar

Ostrogene Progesteron

Abbildung 1 b: Feedback-Regelkreis beim weiblichen Geschlecht

2830 Heft 47 vom 23. November

1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

— Zunahme des Hodenvolumens

— Peniswachstum

— Texturierung und Größenzunahme des Scrotalfaches

— Pigmentierung im Genitalbereich

— Pubesentwicklung (Stadien 2-6)

— Wachstumsschub

— Pollutionen

— Stimmbruch

— Axillarbehaarung

— Bartwuchs

— Ausbildung kräftiger Muskulatur

— Spezielle psychosoziale Entwicklung

Stadium

(1 /

(3-)C (7 C e4-2.-5252, (7-

L23e),5)5,9-,

II III IV V VI

Abbildung 3: Stadien der männlichen Genital- und Pubesentwicklung

Klinische Zeichen der weiblichen Pubertät

— Thelarche

— Pigmentierung der Mamillen und des Genitalbereiches

— Genitale Entwicklung (kl. Labien, Scheide, Uterus)

— Pubesentwicklung (Stadien 2-6)

— Wachstumsspurt

— Axillarbehaarung

— Ausprägung der weiblichen Becken- form und des Fettverteilungsmusters

— Menarche Menses

— Spezielle psychosoziale Entwicklung

3.2. 1.

Jahr

Abbildung 4: Kli- nische Zeichen der weiblichen Pubertät

Stadium

V

Abbildung 5: Stadien der Brustdrüsenentwicklung Jugendalter aufgelistet. Im Rahmen

dieser Darstellung sollen nur einige praxisnahe Aspekte kommentiert werden.

Die Diagnose primär dysgenetische Gonaden ist klinisch nur als Ver- dachtsdiagnose beim männlichen Geschlecht zu stellen, wenn die Te- stes bei der Untersuchung auffal- lend klein sind. Außerdem liegen dysgenetische Gonaden häufig dys- top. Auch ein Hypogenitalismus kann in diese Richtung weisen. In- tersexuelle Fehlbildungen fallen spontan auf und werden zu ausführ- licher Diagnostik Anlaß sein.

Die Ursache für sekundäre Gona- denschäden läßt sich in der Regel anamnestisch in Erfahrung bringen.

Besondere Aufmerksamkeit gilt wie- der den dystopen Testes, die bis zum Ende des zweiten Lebensjahres hormonell oder gegebenenfalls chir- urgisch behandelt werden müssen.

Von den chromosomal bedingten gonadalen Entwicklungsstörungen ist das Turner-Syndrom relativ häu- fig und schon vor der Pubertät zu diagnostizieren, falls Minderwuchs und typische, wenn auch fakulta- tive Dysmorphiezeichen oder Fehl- bildungen (Aortenisthmusstenose, Mißbildung der ableitenden Harnwe- ge) vorhanden sind. Oft ist jedoch der Phänotyp uncharakteristisch, deshalb sollte bei Mädchen mit er- heblichem Längenmaßdefizit ohne Skelettalterretardierung vor der Pu- bertät und einer Wachstumsprogno- se, die mehr als 12 Zentimeter unter der Zielgröße liegt, eine Chromoso- menanalyse durchgeführt werden.

Charakteristisch ist auch die Osteo- dystrophie des Handskeletts dieser Mädchen.

Die gemischte Gonadendysgenesi fällt meist durch die intersexuelle Fehlbildung des äußeren Genitales auf. Der Hypogonadismus des Kline- felter-Syndroms macht sich in der Regel erst nach eventuell verzögert verlaufender Pubertätsentwicklung bemerkbar, wenn sich eunuchoide Proportionen entwickelt haben oder bei einer Untersuchung auffällt, daß

(4)

Pubertas Praecox Vera

Pseudopubertas Praecox

Primärer

Hypogonadismus

Sekundärer Hypogonadismus Intersexualität

Abbildung 6: Schematische Klassifizierung der Pubertätsstörungen und Bezie- hung der Reifeentwicklung zur Intersexualität

Tabelle 1: Praktisch wichtige Daten zur Beurteilung der biologischen Reife und Beispiele zu Normvarianten

Beispiel 1:

9

Beispiel 2:

9

Spätnormale Konstitutionelle Pubertät Entwicklungs-

verzögerung Chronologisches Alter

Aktuelles Längenmaß Soll-Längenmaß Aktuelles Gewicht Längen-Gewicht Wachstumsrate Skelettalter Längenalter Ziellänge

Wachstumsprognose Pubertätsstatus Differenz

chronologisches/

biologisches Alter

14 Jahre 157 cm (= 10.-25 162 cm 42,8 kg 40,9 kg 6 cm 12,5 Jahre 11,83 Jahre 167,5 cm 165 cm

( = 50. Perzentile)

— 1 1/2 Jahre (sexogener

Skelettalterrückstand)

15 Jahre 150 cm

Perzentile) ( = 3. Perzentile — 1,5 cm) 164 cm

40,3 kg 39,4 kg 5 cm 11,5 Jahre 11,5 Jahre 164 cm 162 cm

(= 25. Perzentile)

— 3,5 Jahre Pubertätsentwicklung

das Hodenvolumen kaum über 8 ml beträgt. Deshalb ist das Klinefelter- Syndrom auch bei den postpubertä- ren Atrophiesyndromen aufgeführt, denn die typische tubuläre Sklerose und Hyalinose ist erst im zweiten Lebensjahrzehnt ausgeprägt.

Die testikuläre Feminisierung gehört strenggenommen nicht zum Hypo-

gonadismus, weil die Funktion der männlichen Gonaden normal ist, sieht man einmal von sekundären Schäden, die durch die Lageanoma- lie (Leiste, Bauchraum) entstehen können, ab.

Hingegen kann sich die aktive Form des Testosteron ( = Dihydrotestoste- ron) auf zellulärer Ebene nicht reali-

sieren (Defekt des Androgenrezep- tors). Jegliche Androgenwirkung wird somit unmöglich (hairless wo- men!).

Tabelle 3 gibt eine Übersicht über die Formen und Ursachen des se- kundären beziehungsweise tertiären Hypogonadismus, der einen Defekt der GnRH-Bildung auf hypothalami- scher Ebene oder einen hypophysä- ren LH- und/oder FSH-Defekt dar- stellt (hypogonadotroper Hypogona- dismus).

Der hypophysäre Minderwuchs ist ein gut bekanntes Krankheitsbild.

Neben dem obligaten HGH-Mangel können zusätzliche Ausfälle anderer troper HVL-Hormone vorkommen, wobei TSH und LH/FSH-Defizienzen häufig sind.

Tumoren des Zentralnervensystems führen oft zu Störungen der Puber- tätsentwicklung. Dabei werden so- wohl eine vorzeitige Auslösung der Reifeentwicklung als auch eine Ver- zögerung oder gar ein Ausbleiben beobachtet. Die Art der Störung hängt besonders von der Lage des Tumors ab. Hinsichtlich des Hypo- gonadismus ist in erster Linie das Kraniopharyngeom zu nennen. Dar- über hinaus können auch andere Tumoren am Boden des dritten Ven- trikels differentialdiagnostisch in Frage kommen.

Umschriebene Syndrome, die mit ei- nem mehr oder weniger ausgepräg- ten, vorrangig hypothalamischen Hypogonadismus einhergehen, sind das Prader-Labhard-Willi-Syndrom und das Lawrence-Moon-Biedl-Bar- det-Syndrom.

Über das Hyperprolaktinämiesyn- drom, das noch nicht lange bekannt ist, gibt es im Kindes- und Jugendal- ter erst begrenzte Erfahrungen. Si- cher ist aber, daß Störungen der Pu- bertätsentwicklung durch kontinu- ierlich erhöhte Prolaktinspiegel her- vorgerufen werden können.

Pubertas praecox vera

Wenn man den zeitlichen Schwan- kungsbereich für eine normale Pi'-

2832 Heft 47 vom 23. November 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

1) Hypophysärer Minderwuchs

2) Isolierte Ausfälle von FSH und/oder LH 3) Tumoren des ZNS

4) Syndrome mit zentralnervösen Defekten 5) Hyperprolaktinämie

1) Tumoren

a) Pinealistumoren

b) Tumoren im Bereich des Hypothalamus c) Hamartom des Tuber cinereum

2) Hydrozephalus

3) Entzündliche Erkrankungen des ZNS 4) Hirntraumen

5) McCune-Albright-Syndrom 6) „pituitary overlap"

Tabelle 3:

Sekundärer und

tertiärer pypogonado- troper Hypogonadis- mus

Tabelle 4:

Pubertas praecox vera

— zerebral- organische Ursachen

1) Kongenitale NNR-Hyperplasie (kongenitales ,,AGS")

2) Testistumoren 3) Ovarialtumoren

4) Autonome adrenale Hormonproduktion 5) Paraneoplastische Syndrome

Tabelle 5:

Ursachen der Pseudo- pubertas praecox hypergonado-

tropen b) Sekundäre Gonadenschädigung Hypogonadis- — Akzidentelle Traumata mus — Operative Eingriffe

— Radiatio

— Testikuläre Lageanomalien

— Entzündliche Erkrankungen c) Noonan-Syndrom

d) Chromosomal bedingte gonadale Entwicklungs- störungen

— Turner-Syndrom (X0 und Varianten)

— Gemischte Gonadendysgenesie (XO/XY)

— Klinefelter-Syndrom (XXY und Varianten) e) Androgensynthesestörungen

f) Postpubertäre Atrophiesyndrome

— Klinefelter-Syndrom

— Reifenstein-Syndrom

— Del-Castillo-Syndrom

— Dystrophische Myotonie

g) Testikuläre Feminisierung (periphere Androgenresistenz) bertät beim Mädchen zwischen 9

und 14 Jahren und bei Knaben zwi- schen 10 und 15 Jahren angibt, dann ist es folgerichtig, bei eindeutiger Pubertätsentwicklung vor dem 9.

beziehungsweise 10. Lebensjahr von einer Pubertas praecox zu spre- chen.

Die terminbezogene Definition der Pubertas praecox vera ist allerdings, wie oben angedeutet, in der Litera- tur nicht einheitlich.

Die Pubertas praecox vera ist immer eine hypothalamisch ausgelöste vorzeitige Aktivierung des Regel- kreises Hypothalamus — Hypophyse

— Gonaden. Der frühe Beginn dieser Änderung des Regelkreisniveaus legt es nahe, nach einer zerebral- organischen Schädigung als Ursa- che zu suchen. Nach den Angaben von Di George findet man in 80 bis 90 Prozent der betroffenen Mädchen und in 50 Prozent der Knaben auch bei ausgedehnten Untersuchungen keinen Anhalt für eine ursächliche zerebrale Schädigung. Offenbar ist es mit den heute zur Verfügung ste- henden Mitteln nur sehr bedingt möglich, die Art der zentralnervösen Desintegration bestimmter zeitlicher Verlaufsmuster der normalen Ent- wicklung zu erfassen.

In jedem Einzelfall muß man aber die diagnostisch erkennbaren Ursachen bedenken und sie mit den gegebe- nen Möglichkeiten auszuschließen versuchen (Tabelle 4). Ergänzend seien als sonstige Ursachen genannt eine androgeninduzierte Voreilung der biologischen Reife sowie selte- ne gonadotropinproduzierende Tu- moren.

Pseudopubertas praecox

Die hier zu nennenden Formen einer vorzeitigen Geschlechtsentwicklung stellen in keinem Fall eine normale, wenngleich vorzeitige Pubertätsent- wicklung dar, da es nicht zu einer gleichsinnigen Aktivierung des Re- gelkreises kommt.

Tabelle 5 informiert über die wich- tigsten Ursachen. I>

(6)

DEFINITION

Varianzanalyse

Im Gegensatz zu ihrem Namen ist die Varianzanalyse ein statistisches Verfahren zur Prüfung von Mittel- werten auf signifikante Unterschie- de. Sie stellt eine Verallgemeinerung des t-Testes, bei dem ja die Mittel- werte zweier Stichproben verglichen werden, auf mehr als zwei Stichpro- ben dar und prüft mehrere Mittel- werte auf Gleichheit. Liegen in der Praxis mehrere Stichproben vor, die miteinander verglichen werden sol- len, zum Beispiel mehrere Behand- lungsarten oder mehrere Medika- mente, ist es nicht erlaubt, aus dem Gesamtversuch wiederholt Einzel- paare von Stichproben auszuwählen und nacheinander mit dem t-Test zu vergleichen. Bei diesem Vorgehen wäre die bei jedem statistischen Test von vornherein festzulegende Irr- tumswahrscheinlichkeit nicht be- kannt. Nur in dem Sonderfall, daß nur zwei Stichproben verglichen werden, führt die Varianzanalyse zu demselben Ergebnis wie der t-Test.

Prüfung der Voraussetzungen Voraussetzung für einwandfreie Er- gebnisse bei der Varianzanalyse sind Normalverteilung der Variablen in der Grundgesamtheit, Gleichheit der Varianzen bei den verschiede- nen Grundgesamtheiten, denen die einzelnen Stichproben entnommen wurden und Unabhängigkeit der Be- obachtungen. Da die Varianzanalyse aber ein robustes Verfahren ist, kann man auch noch bei kleineren Abweichungen von den Vorausset- zungen einigermaßen zuverlässige Ergebnisse erwarten. Darüberhin- aus stellt die Statistik auch Verfah- ren zur Verfügung, mit denen zu- nächst geprüft werden kann, ob die erforderlichen Voraussetzungen für eine Varianzanalyse gegeben sind:

mit dem Kolmogorow-Smirnow-Test kann geprüft werden, ob Abwei- chungen von der Normalität vorlie- gen. Mit dem Bartlett-Test kann die

Konstanz der Varianzen getestet werden. Gegebenenfalls kann man durch eine Transformation der Va- riablen, zum Beispiel durch Loga- rithmierung, die Voraussetzung der Normalverteilung schaffen und an- schließend eine Varianzanalyse durchführen.

Der Name Varianzanalyse erklärt das Verfahren: Mit ihr wird untersucht, welcher Anteil der Gesamtstreuung aller Einzelwerte um den Mittelwert, die statistisch durch die Varianz be- schrieben wird, auf zufällige Abwei- chungen entfällt und welcher Anteil auf Unterschiede zwischen den ein- zelnen Stichproben zurückgeführt werden muß: die Gesamtvarianz wird analysiert.

Dabei nutzt man die Tatsache aus, daß die Varianz additive Eigenschaf- ten hat; daß die Gesamtvarianz aller Stichproben sich additiv aus zwei Komponenten zusammensetzt, man sie also auch additiv in zwei Kompo- nenten zerlegen kann, die einmal die Varianz innerhalb der einzelnen Stichproben und zum anderen die Varianz zwischen den Stichproben beschreiben. Ist die Varianz zwi- schen den einzelnen Stichproben wesentlich größer als die innerhalb der Stichproben, wird man anneh- men, daß zwischen den Stichproben signifikante Unterschiede bestehen und nicht alle aus der gleichen Grundgesamtheit stammen, also nicht alle den gleichen Mittelwert haben.

Einfache und doppelte Varianz Bei der einfachen Varianzanalyse unterteilt man die Varianz in zwei Teile, von denen die eine die zufälli- gen Abweichungen beschreibt und die andere die signifikanten Unter- schiede zwischen den einzelnen Stichproben. Bei der doppelten Va- rianzanalyse unterteilt man die Va- Pubertätsentwicklung

Für die Pädiatrie ist die kongenitale Nebenn ieren rindenhyperplasie die bedeutendste Ursache, wobei die vi- rilisierenden Formen (C21-, C11-Hy- droxylierungsdefekt) durch ihre re- lative Häufigkeit und ihre Mani- festationsformen im Vordergrund stehen.

Hodentumoren fallen klinisch ver- hältnismäßig prompt auf (cave ver- sprengtes NNR-Gewebe bei AGS!).

Bei Mädchen mit vorzeitiger Ge- schlechtsentwicklung muß man im- mer nach ovariellen Neubildungen fahnden. Nebennierenrindentumo- ren haben häufig eine virilisierende Aktivität. Ektopische Produktion von gonadotropinähnlichen Substanzen bei Neoplasie ist eine Rarität.

Literaturhinweise

(1) Blunck, W.: Pädiatrische Endokrinologie, Verlag Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore (1977) - (2) Prader, A.:

Wachstum und Entwicklung, pp 1047-1095 in Alexis Labhardt: Klinik der inneren Sekretion 2.

Aufl. 1971, Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York - (3) Andler, W.; Stolecke, H.;

Scharf, R.: Konstitutionelle Entwicklungsver- zögerung, Therapiewoche 27 (1977) 4479 - (4) Blunck, W.; Bierich, J. R.; Pettendorf, G.:

Über Frühreife: 3. Mitteilung. Idiopathische Pu- bertas praecox, temporäre Frühreife und prae- mature Thelarche, Monatsschrift für Kinder- heilkunde 115 (1973) 636 - (5) Helge, H.: Früh- reife, Monatsschrift für Kinderheilkunde 121 (1973) 636 - (6) Stolecke, H.; Andler, W.: Dia- gnostik und Therapie der kongenitalen Neben- nierenrindenhyperplasie (angeborenes adre- nogenitales Syndrom), Therapiewoche: 27 (1977) 4460 - (7) Stolecke, H.: Physiologie und Pathologie der Pubertät I, Klinische und endo- krinologische Aspekte der normalen Reifeent- wicklung, Päd. Praxis 19 (1977/78) 441 - (8) Stolecke, H.: Physiologie und Pathologie der Pubertät II, Verzögerte, mangelhafte oder ausbleibende Pubertätsentwicklung, Päd. Pra- xis 20 (1978).

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Herbert Stolecke

Kinderklinik der Universität Essen Abteilung für

pädiatrische Endokrinologie Hufelandstraße 55

4300 Essen

Ein statistisches Verfahren zur Prüfung von Mittelwerten auf signifikante Unterschiede

2834 Heft 47 vom 23. November 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dabei nutzt man die Tatsache aus, daß die Varianz additive Eigenschaf- ten hat; daß die Gesamtvarianz aller Stichproben sich additiv aus zwei Komponenten zusammensetzt, man sie

Offizielle Veröffentlichungen der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung als Herausgeber des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES — Ärztliche Mitteilungen sind

Eine Verminderung des Rauchens kann auch dadurch er- reicht werden, daß für jede gerauch- te Zigarette die entsprechende Uhr- zeit auf der Strichliste eingetragen wird, wobei

Als Normvarianten gelten die konsti- tutionelle Verzögerung oder Akzeleration von Wachs- tum und Pubertät (Pubertas tarda, Pubertas accele- rata), die vorzeitige

Bei Einsendungen an die Schriftleitung wird das Einverständnis zur vollen oder auszugswei- sen Veröffentlichung vorausgesetzt, wenn gegenteilige Wünsche nicht besonders zum

Flörkemeier, Vallendar/Ko- blenz, behandelte das Problem der Rehabilitationsmöglichkeiten bei chronisch venöser Insuffizienz und wies in diesem Zusammen- hang darauf hin, daß

Wegen der Chronizität und Hartnäckigkeit der Beschwerden schließt sich meist eine aufwendige Ausschluß- diagnostik an: Häufig ohne Resul- tat oder mit Diagnosen wie

Mit anderen Buchstaben oder mit Verfas- sernamen gezeichnete Veröffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht unbedingt die Meinung der Redaktion