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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 47, 26. November 1999 (1)
S
icher oder nicht? Darüber streiten Bundesregierung und EU-Kommission. Es geht um die Ausfuhr von briti- schem Rindfleisch, die Brüssel seit dem 1. August wieder erlaubt hat.Deutsche und Franzosen jedoch trauen dem Braten noch nicht. Sie haben ihre nationalen Importver- bote zunächst aufrechterhalten.
Ein Gutachten der französischen Lebensmittelbehörden kam zu dem Schluß, daß nach derzeitigem Stand Rindfleisch aus Großbritan- nien ausgeführt werden könnte, das BSE-verseucht sei. Dagegen betonte der für Verbraucherschutz zuständige EU-Kommissar David Byrne, durch die von der Union beschlossenen Exportkontrollen seien alle Sicherheitsgarantien ge- geben, damit eben dies nicht pas- siere. Frankreich blieb bei seiner
harten Linie und ist nun mit einem Vertragsverletzungsverfahren kon- frontiert.
Die Bundesregierung konnte solch drastische EU-Maßnahmen bislang vermeiden. Sie hat sich stets darauf berufen, daß eine Auf- hebung des Importverbots vom Votum des Bundesrats abhängig ist. Der hat noch nicht abgestimmt, wobei die Mehrheit der Länder al- lerdings gegen den Import von bri- tischem Rindfleisch ist. Der Kom- mission wird das alles langsam zu bunt. Sie hat der Bundesregierung ein Ultimatum gestellt. Binnen zwei Wochen muß sie einen Zeit- plan zur Aufhebung des Embargos vorlegen.
Derweil erklärt Bundesge- sundheitsministerin Andrea Fi- scher, der Schutz und die Transpa- renz für den Verbraucher stünden
an oberster Stelle. Die Verbrau- cher müßten an der Ladentheke erkennen können, ob es sich um britisches Rindfleisch oder aus sol- chem hergestellte Produkte han- dele. Sobald Brüssel die Voraus- setzungen für eine umfassende Kennzeichnung geschaffen habe, werde die Bundesregierung die Verordnung zur Aufhebung des Importverbotes auf den Weg bringen.
Eine Lösung scheint in Sicht.
Eine Sprecherin der EU-Kommis- sion hat am Freitag vergangener Woche erklärt, daß eine Kenn- zeichnung mit dem Binnenmarkt- recht vereinbar sei. Auch die briti- schen Behörden haben Zustim- mung signalisiert. An der Fleisch- theke heißt es bald wohl auch hier- zulande wieder: „Soll ich, soll ich nicht?“ Heike Korzilius
Die Last mit dem Wahn
A
m 26. November soll der Bundesrat über Fischers Reform, das sogenannte Gesundheitsreformgesetz, befin- den, es sei denn, der Terminplan wird über den Haufen geworfen.Darauf arbeitet die Opposition hin, die ein Büroversehen (bei der Ab- stimmung im Bundestag fehlten in dem Papierstoß 24 Seiten) zum An- laß nehmen möchte, um das Gesetz aufzuhalten, wenn nicht zu kippen.
Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Projekt aus formalen Gründen zu Fall gebracht wird, nachdem Argu- mente nicht gefruchtet haben.
Wenn der Bundesrat am 26.
dennoch berät, dann über ein Ge- setzesvorhaben, das ohne seine Zustimmung nicht Gesetz werden kann. Denn wesentliche Teile des Gesetzentwurfs sind „zustim-
mungspflichtig“. Und nun kommt wieder einmal die Stunde der Erb- senzähler, also jener Experten im Hintergrund, die Gesetze durch- flöhen, um Zustimmungspflichti- ges und Zustimmungsfreies von- einander zu scheiden.
Für Frau Fischers Reform wird folgende Alternative disku- tiert: Entweder kommt aus dem Bundestag ein neues Gesetz, das zustimmungsfrei ist. Oder der Ver- mittlungsausschuß, besetzt von Bundestag und Bundesrat, nimmt selbst die säuberliche Teilung des Reformpaketes vor; man nennt das ein unechtes Vermittlungsver- fahren. Für Fischer und die Bun- desregierung hätte letzteres einen großen Vorzug: Das Gesetz könnte weiter als Gesundheitsreform 2000 laufen, und man könnte somit dem
staunenden Publikum tatsächlich die angekündigte große Reform präsentieren – obwohl doch we- sentliche Teile, nämlich monisti- sche Finanzierung der Kranken- häuser und der Komplex Global- budget, beides fällt unter die Zu- stimmungspflicht, fehlen würden.
Alle, die ihre Hoffnungen auf den Bundesrat und die Trickserei mit der Zustimmungspflicht set- zen, sollten sich freilich über die Auswirkung auch eines zustim- mungsfreien Reformgesetzes nicht täuschen. Es enthält eine Fülle eingreifender Vorschriften – von der integrierten Versorgung, zu re- geln durch mächtiger werdende Krankenkassen, bis hin zur Qua- litätssicherung als einem Instru- ment der Kontrolle der Leistungs- erbringer. Norbert Jachertz