A-1006
M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000 Der Impfschutz gegen Erkrankun-
gen wie Tetanus, Diphtherie oder Po- liomyelitis ist in der Bundesrepublik Deutschland auf einem erschreckend niedrigen Niveau angekommen. Als Arzt, der schon zu DDR-Zeiten in der Medizin tätig war, sind mir die „Pflicht- impfungen“ noch gut bekannt. Staat- lich verordnete Impfkampagnen sowie ein Impfkalender für Kinder und Ju- gendliche, die streng überwacht wur- den, führten zu einem weitgehenden Kollektivimpfschutz gegenüber den ge- nannten und weiteren Erkrankungen.
Mit der Einführung der Selbstentschei- dung des zu Impfenden im Zuge der Vereinigung 1990 ist dieser Impfschutz deutlich ins Wanken gekommen. Staat- liche Vorgaben mögen immer sehr kri- tisch betrachtet werden, das erreich- te gesellschaftlich-gesundheitliche Ziel sprach jedoch für sich. Aus der eigenen Praxis einer Impfsprechstunde fallen
heute mehr und mehr Impfverweigerer – trotz intensiver Aufklärung – auf, die zum Teil nicht nachvollziehbare Argu- mente für ihre Entscheidung angeben.
Kindern wird von den Eltern der not- wendige und empfohlene Impfschutz verweigert, sodass sich die Frage nach der elterlichen Kompetenz und fahrläs- sigen Aufsichtsverhaltens stellen muss.
Das Entscheidungsrecht des Individu- ums ist durch das Grundgesetz ge- schützt, wie ist es aber mit dem Recht auf Gesundheit für alle (Kollektivimpf- schutz) durch rechtzeitige Prävention (Schutzimpfung) potenziell tödlicher Erkrankungen? Fällt das „Kind dann in den Brunnen, ist das Geschrei groß“ – sprich, bei Ausbruch einer verhinder- baren Erkrankung oder Epidemie ist
DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT
Schutzimpfungen im Erwachsenenalter
Impfverweigerung unsozial
die ganze Gesellschaft gefordert, die Kosten zu tragen.Bedeutsame Impfkomplikationen sind heute dank der modernen Impf- stoffe so selten, dass die Argumentati- on gegen die Impfung auf dieser Basis nicht nachvollziehbar ist.
Dr. med. Tom Ziegler
Sophien und Hufeland Klinikum Weimar
Klinik für Innere Medizin I Henry-van-der-Velde-Straße 2 99425 Weimar
Die Problematik der Schutzimp- fungen ist von Herrn Kollegen Ziegler treffend beschrieben worden. Obwohl Pflichtimpfungen bei Fernreisen in tro- pische Länder meist ohne Fragen ak- zeptiert werden, ist die hier empfohle- ne Schutzimpfung im eigenen Land we- nig gefragt. Wieviele Menschen hätten in diesem Winter von einer rechtzeitig durchgeführten Grippeimpfung profi- tiert! Jeder, der eine Hepatitis A durch- gemacht hat, oder an einer chronischen Hepatitis B mit ihren Folgekompli- kationen der Zirrhose leidet, hätte sie mit einer rechtzeitigen und harmlosen
Impfung vermeiden können. Fehlen- der Impfschutz gegen Tetanus, Diph- therie oder Poliomyelitis kann uns in der Zukunft große medizinische Pro- bleme bereiten. Krankheitsbilder, die heute als besiegt gelten (aufgrund früher durchgeführter Impfkampag- nen), können wieder auftreten, große Teile der Bevölkerung betreffen, To- desfälle bedingen und das Gesund- heitssystem viel Geld kosten. Ärzte ha- ben deshalb die Verpflichtung, auf Imp- fungen zu drängen. Pflichtimpfungen, die mit nebenwirkungsarmen Impfstof- fen durchgeführt werden können, soll- ten zum Schutz unserer Bevölkerung wieder eingeführt werden. Natürlich muss man dazu auch die Ärzteschaft auf Möglichkeiten und Nutzen der Impfung hinweisen, Fortbildungen da- zu anbieten und im Medizinstudium dieser präventiven Medizin mehr Raum und Gewicht geben. Ganz be- sonders könnten zur Verbreitung der allgemeinen Schutzimpfung unsere Gesundheitsämter beitragen.
Prof. Dr. med. Wolfgang Stremmel Abteilung Innere Medizin IV Medizinische Klinik
Klinikum der Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg Bergheimer Straße 58 69115 Heidelberg
Schlusswort
Zu dem Beitrag von Dr. med. Christina Jochims Prof. Dr. med. Wolfgang Stremmel in Heft 39/1999
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren, nicht jedoch Vitamin E (␣-Tokopherol) schützen vor einem Re-Infarkt, ist das Ergebnis der GISSI-Studie, an der 11 324 Patienten, die drei Monate zu- vor einen Herzinfarkt erlitten hatten, teilnahmen. In vier Gruppen erhielten diese Patienten über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren hinweg entwe- der 1 g Omega-3-Fettsäuren pro Tag, 300 mg Vitamin E, eine Kombination aus beidem oder Placebo. Die Omega- 3-Fettsäuren waren dabei in der Sekun-
därprävention des Herzinfarktes nahe- zu in gleichem Maße wirksam wie die in der vorliegenden Studie nicht unter- suchten, üblicher Weise verwendeten Statine, während Vitamin E keinen Ef-
fekt zeitigte. w
GISSI-Prevenzione Investigators: Dietary suplementation with n-3 polyunsaturated fatty acids and vitamin E after myocardial infarction: results of the GISSI-Prevenzio- ne trial. Lancet 1999; 354: 447–455.
Consorzio Mario Negri Sud, Via Naziona- le, 66030 Santa Maria Imbaro, Italien.