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Archiv "Gentechnologie: Erprobung am Menschen beginnt" (16.03.1989)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT KURZBERICHTE

Gentechnologie

Erprobung am Menschen beginnt

Erstmalig in der rasanten Ent- wicklung der Gentechnologie be- ginnt nun in den USA ein Experi- ment, das gentechnisch veränderte Zellen am menschlichen Organismus erprobt. Den Antrag für dieses Vor- haben — er datiert bereits vom Juni letzten Jahres — stellten Steven A.

Rosenberg und R. Michael Blease vom National Cancer Institute (NCI) und W. French Anderson vom Na- tional Heart, Lung and Blood Insti- tute. Es ist Ende 1988 vom Human Experimentation Department des NCI, der Gene Therapy Working Group des Recombinant DNA Advi- sory Committee (RAC) und einigen anderen Kommissionen nicht ohne Zögern befürwortet worden, so daß NIH-Direktor James B. Wyngaarden erst Ende Januar 1989 seine Zustim- mung in letzter Instanz geben konnte.

Das Projekt ist mit zehn Krebs- patienten gestartet worden, die an einem malignen Melanom in fortge- schrittenem Stadium leiden und auf herkömmliche Krebs-Therapien nicht angesprochen haben. Ihnen werden Lymphozyten aus dem Tu- morherd (tumorinfiltrierende Lym- phozyten = TIL) entnommen und diese — nach einer von Rosenberg entwickelten Therapiemethode — in vitro zusätzlich mit Interleukin-2 (IL-2) stimuliert. Wenn die solcher- art aktivierten Lymphozyten dem Pa- tienten dann reinfundiert werden, sollen sie zusammen mit regelmäßi- gen Interleukin-2-Injektionen ihre Fähigkeit zur Zerstörung von Haut- und Nierentumoren wesentlich er- höht haben. Doch soll in diesem Ex- periment — und das hatte den lang- wierigen Genehmigungsprozeß zur Folge — auch ein (Bakterien-)Gen für Antibiotikum-Resistenz (Neomy- cin-Resistenz) in das IL-2-aktivierte Lymphozyten-Genom eingeschleust werden, bevor die Zellen dem Pa- tienten wieder eingespritzt werden.

Diesen letzten Schritt, mit dem gentechnisch veränderte Zellen in den menschlichen Organismus ge-

bracht werden sollen, versuchte der Genexperiment-Gegner Jeremy Rif- kin noch mit einem Einspruch am 30.

Januar dieses Jahres aufzuhalten.

Und wozu sollen die in das Lym- phozyten-Genom eingebrachten Re- sistenz-Gene dienen? Nicht etwa der Gen-Therapie in engeren Sinne. Sie dienen lediglich als Marker, um die bisher nur in der Kultur erprobte Wirksamkeit dieser Therapie nun auch „vor Ort" beobachten zu kön- nen. Resistenz-Gene sollen das Auf- spüren der reinfundierten Lympho- zyten im Körper des Patienten ver- einfachen sowie die Feststellung, ob sie sich tatsächlich an den Tumor- herden konzentrieren, wie viele überleben und wie lange sie wirksam bleiben. Eine solche Methode wird in diesem Fall deswegen angewen- det, weil radioaktive Substanzen für längerfristige Beobachtungen unge- eignet sind, da die Strahlenbelastung für den Patienten zu hoch und die für den Menschen verträglichen Halbwertzeiten zu kurz sind.

Das Experiment wurde nicht nur in den USA zögernd befürwortet, sondern ist auch in Europa verhalten und mit Bedenken zur Kenntnis ge- nommen worden. So zum Beispiel in der Bundesrepublik, weil sich das amerikanische Experiment scheinbar außerhalb der Grenzen der von der Enquete-Kommission der Bundesre- gierung konstatierten „Gen-Richtli- nien" (Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombi- nierte Nukleinsäuren vom 28. Mai 1986 bewegt. Andererseits scheint vorweggenommen zu sein, was der Bundesrat erst vor wenigen Tagen zu den Vorschlägen der EG-Kommis-

Großforschung

Gegen

nationale Alleingänge

Zum gleichen Zeitpunkt, als in München die Jahrestagung 1988 der Arbeitsgemeinschaft der Großfor- schungseinrichtungen (AGF) zusam- mentrat, waren zwei Nachrichten zu lesen, die nicht in unmittelbarer Be- ziehung zu der Tagung und ihren

sion für Richtlinien des Rates „über die Verwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in ab- geschlossenen Systemen" und „über die absichtliche Freisetzung gentech- nisch veränderter Organismen in die Umwelt" beschlossen hat.

Doch handelt es sich bei dem US-Vorhaben nicht direkt um eine Gen-Therapie, bei der ein fehlendes oder krankhaftes Gen zur Krank- heitsbekämpfung durch ein anderes ersetzt wird: Es wird nur ein zusätz- liches Gen zur Markierung einge- schleust. Zudem geht es lediglich um die Anwendung eines retroviralen Vektorsystems und nicht etwa um genetisch veränderte Zellen, also nicht um das vollständige Virusge- nom, das eingeschleust würde. Le- diglich die virale Hülle wird in das Lymphozyten-Genom integriert, nicht aber die RNA-Erbsubstanz mit ihrer Fähigkeit, sich zu reproduzie- ren. Das Vektorsystem überträgt al- so nur eine einzige Information und bleibt auf die einzelne Zelle be- schränkt", so berichtete Anderson in einem Interview.

Die amerikanischen Wissen- schaftler experimentierten auch nicht mit genetisch veränderten Or- ganismen, die, im Sinne der EG- Richtlinien, in die Umwelt freige- setzt würden. Da die Patienten sich im Finalstadium ihrer Krankheit be- finden und eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur noch etwa 60 Tagen haben, ist — was einer Ver- wendung von gentechnisch veränder- ten Organismen in abgeschlossenen Systemen gleichkäme — die Weiter- gabe von veränderten Mikroorganis- men ausgeschlossen. UF

Veranstaltern standen, aber für die Notwendigkeit und die Richtigkeit des Weges sprachen, den die Ar- beitsgemeinschaft beschreitet.

Die eine Information: Das Ho- ward Hughes Medicine Institute, wohl die größte private Stiftung in diesem Bereich, kauft zu Höchst- preisen Forscher-Kapazität ein, wo sie zu finden ist, um biologisch-medi- zinische Forschung auf die USA zu konzentrieren. Die andere Informa- tion: Spitzenmanager eines deut- Dt. Ärztebl. 86, Heft 11, 16. März 1989 (23) A-695

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THEMEN D R EIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

schen Elektrokonzerns vertreten die Auffassung, in Forschung und Ent- wicklung seien „Querverbindungen in Europa besser als nationale Ko- losse, die dann aufeinander losge- hen", und warnen vor „Entwick- lungsverschwendung".

Solche Nachrichten machen noch verständlicher, warum der AGF-Vorsitzende, Prof. Dr. rer. nat.

Gotthilf Hempel (im „Privatberuf"

Direktor des Alfred-Wegener-Insti- tuts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven), so eindringlich darlegte, daß wissenschaftliche Er- kenntnis zwar übernationales Ge- meingut, ihre übernationale Einbin- dung aber keineswegs eine Selbstver- ständlichkeit ist. In der anwendungs- orientierten Wissenschaft verböten sich nationale Alleingänge folglich auch dann, wenn in bestimmten For- schungsbereichen nationale Schwer- punkte gesetzt werden müssen.

Ursprünglich auf zukunftsträch- tige, aber extrem kostspielige Sach- gebiete wie Nukleartechnik, Hoch- energiephysik oder Luft- und Raum- fahrt ausgerichtet, dehnte die AGF ihren Mitgliederkreis schon bald auf Großforschungsreinrichtungen aus, die sich der Biologie und der Medi- zin (beispielsweise nicht-invasive Ko- ronarangiographie, Wirkung chemi- scher Stoffe auf Lebewesen und Um- welt, chemische Wirkungen bei An- wendung von Ultraschall), dem Um- weltschutz und der Gesundheit wid- men. Seither ist das Potential, aus dem auch diese Fächer durch den.

koordinierten Erfahrungs- und In- formationsaustausch, dem Einsatz personeller, finanzieller und appara- tiver Mittel, aber auch durch die en- ge Verbindung mit universitären und außeruniversitären Forschungsein- richtungen sowie mit Industrie- unternehmen des In- und Auslandes schöpfen können, nicht einmal annä- hernd abzuschätzen.

Dennoch seien die Größenord- nungen mit ein paar Zahlen verdeut- licht. In den 13 Großforschungsein- richtungen, die der AGF angehören, sind rund 20 000 Mitarbeiter tätig, die Hälfte davon als Wissenschaftler und Techniker. Abkommen oder Verträge regeln die internationale Zusammenarbeit mit etwa 1000 For- schungsinstituten in aller Welt. KG

S

eit 1983 gibt es einen „Ar- beitskreis zur Erforschung der NS-Euthanasie", in dem sich psychiatrisch Tätige aus Landeskrankenhäusern mit Histori- kern treffen, um sich gegenseitig bei der Erforschung ihrer Einrichtungen und ihrer selbst zu helfen. Aus dem Wissen, das wir dort allmählich und mühsam genug gesammelt haben, kann ich ableiten, daß das Gesche- hen im Landeskrankenhaus Güters- loh damals typisch für das in den meisten Landeskrankenhäusern ge- wesen ist.

Daher werde ich im folgenden von dem alltäglichen Schicksal eini- ger Patienten berichten, um mich so gewissermaßen in konzentrischen Kreisen einigen vorläufigen Antwor- ten auf die Frage „Wie war das mög- lich?" zu nähern.

leitenden Mitarbeiter Bescheid, als im Frühjahr 1941 die Meldebögen kamen und im Sommer 1941 die Transporte zusammengestellt wer- den mußten. Denn immerhin waren zu dieser Zeit in fast allen anderen Gebieten des Deutschen Reiches Verlegungen und Vergasungen plan- mäßig erfolgt. Zudem hatten heim- kehrende Teilnehmer des Polen- Feldzugs offen von der systemati- schen Tötung der polnischen psy- chisch Kranken berichtet, da das von Ende 1939 bis Anfang 1940 weitge- hend noch ohne Geheimhaltung ge- schah. Auch hatte man in Gütersloh

Anstaltsalltag in der

Psychiatrie NS-Euthanasie und

Klaus Dörner

bereits am 21. September 1940 seine jüdischen Patienten auf eine „Ge- sellschaftsfahrt" (so die Reichsbahn- direktion Hannover) nach Wunstorf schicken müssen — ohne Krankenge- schichte, jedoch auch ohne übrigens nur den Versuch zu machen, sich we- nigstens nach dem Verbleib dieser Patienten zu erkundigen. Schließlich hatte Dr. Jaspersen aus Bethel an den Direktor des Landeskranken- hauses Gütersloh, Dr. Hartwich, wie auch an andere Direktoren schrift- lich die Aufforderung gerichtet, die Ausfüllung der Meldebögen zu ver- weigern.

Aber nur Dr. Müller, der Direk- tor des Lindenhauses bei Lemgo, hatte den Mut, diesen Rat zu befol- gen, wodurch er in der Tat seine Pa- tienten retten konnte. Alle anderen Landeskrankenhäuser, so auch Gü- tersloh, gehorchten, wohl weil schon

Medizin im Nationalsozialismus (X)

Seit etwa 1980 haben inzwischen wohl fast alle psychiatrischen Lan- deskrankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland damit begon- nen, ihre Geschichte zwischen 1933 und 1945 kennenzulernen. Theo- retisch hätten wir das auch schon früher tun können. Aber praktisch waren wir erst in den letzten Jahren innerlich dazu bereit und wollten.

es. Eine Leitfrage dabei: „Wie war es möglich, daß fast alle Psychia- ter und psychiatrisch Tätige sich direkt oder indirekt an der Er- mordung ihrer Patienten beteiligten, obwohl neunzig Prozent von ih- nen dagegen waren?" - Oder die noch bohrendere Frage: „Wie hät- te ich gehandelt, wenn ich damals verantwortlich gewesen wäre?"

Alle

wußten Bescheid...

111

Natürlich wußten alle Ärzte und

A-696 (24) Dt. Ärztebl. 86, Heft 11, 16. März 1989

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