Deutsches Ärzteblatt
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15. April 2011 A 843STUDIEN IM FOKUS
Mikroalbuminurie gilt als Vorläufer einer diabetischen Nephropathie.
ACE-Hemmer und Angiotensin- Rezeptorblocker (ARB) verzögern die Progression einer Mikroalbumin - urie. Ob der ARB Olmesartan bei früher Gabe das Auftreten der Mi- kroalbuminurie hinauszögern kann, ist in der doppelblinden randomi- sierten kontrollierten Phase-IIIb- Studie ROADMAP (Randomized Olmesartan and Diabetes Microal- buminuria Prevention) untersucht worden.
4 447 Typ-2-Diabetiker wurden mit Olmesartan (40 mg/Tag) oder Placebo im Median über 3,2 Jahre behandelt. Zusätzliche Antihyper- tensiva waren erlaubt (Zielblut- druck: unter 130/80 mmHg). Pri- märer Endpunkt war die Zeit bis zum erstmaligen Auftreten einer Mikroalbuminurie. Die Zeit bis zum Auftreten schwerer renaler oder kardiovaskulärer Ereignisse waren sekundäre Endpunkte.
Unter Olmesartan wurde der Zielblutdruck bei 80 % der Patien- ten, in der Placebogruppe bei 71 % erreicht. Eine Mikroalbuminurie trat bei 8,2 % der Patienten in der Olmesartan- und bei 9,8 % in der Placebogruppe auf, wobei es bis zum erstmaligen Nachweis in der Verumgruppe im Median 722 Tage und in der Placebogruppe 576 Tage dauerte. Der primäre Endpunkt war damit durch den ARB um 23 % verlängert (Hazard Ratio 0,77, p = 0,01). Dieser Unterschied blieb auch bei Adjustierung an die Blutdruckdifferenz signifikant. Die Nierenfunktionsparameter waren in beiden Gruppen vergleichbar.
Schwer wiegende kardiovaskuläre Ereignisse waren mit 4,3 bezie- hungsweise 4,2 % im Olmesartan- beziehungsweise Placeboarm ver- gleichbar häufig. Allerdings war die Rate tödlicher kardiovaskulärer Er- eignisse in der Olmesartangruppe signifikant höher (n = 15 [0,7 %]
vs. n = 3 [0,1 %], p = 0,01) dies be- ruhte auf mehr kardiovaskulär be- dingten Todesfällen bei Patienten mit vorbestehender koronarer Herz- krankheit. Möglicherweise war der Blutdruck für die Patienten mit er- höhtem Risiko zu stark gesenkt.
Die Studie ist jedoch aufgrund der geringen Anzahl von Ereignissen bei den relativ gesunden Patienten für die Bestimmung kardiovaskulä- rer Endpunkte nicht ausreichend gepowert. Im Editorial (2) wird dar - auf hingewiesen, dass es genügend ACE-Hemmer und ARB gebe, bei denen die kardiovaskuläre Letalität in Studien nicht erhöht gewesen sei.
Warum also sollte man nicht auf diese Präparate zurückgreifen?
Fazit: Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und gut eingestell- tem Blutdruck verzögert eine prä- emptive Therapie mit Olmesartan das Auftreten einer Mikroalbumin - urie. Die höhere kardiovaskuläre
Letalität von Patienten mit schon bestehenden Herz-Kreislauf-Erkran- kungen bedarf der Klärung.
Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
1. Haller H et al.: Olmesartan for the delay or prevention of microalbuminuria in type 2 diabetes. NEJM 2011; 364: 907–17.
2. Ingelfinger JR: Preemptive olmesartan for the delay or prevention of microalbuminuria in diabetes. NEJM 2011; 364: 970–1.
DIABETES MELLITUS TYP 2
Olmesartan verzögert die Mikroalbuminurie
Die Demyelinisierung markhaltiger Nervenfasern führt bei Patienten mit multipler Sklerose (MS) zu De- fiziten in der Leitung von Nerven- impulsen, die der eigentliche Grund vieler neurologischer Zeichen und Symptome sind. Neben Maßnah- men zur Verhinderung der Demye- linisierung werden deshalb auch Optionen wie etwa Kaliumkanal- blocker der Aminopyridingruppe getestet, die die Nervenleitung ver- bessern. 4-Aminopyridin oder Dal- fampridin zeigte bereits in einer klinischen Phase-III-Studie eine deutliche Verbesserung der Geh - fähigkeit von MS-Patienten. In ei- ner weiteren randomisierten Dop- pelblindstudie sollten diese Er -
gebnisse sowie Sicherheit und Pharmakodynamik der Substanz bestätigt werden.
In 39 Zentren in den USA und Kanada wurden 239 Patienten mit MS verschiedener Verlaufstypen randomisiert, um neun Wochen lang entweder Dalfampridin oral in einer „Extended-release“-Galenik (10 mg zweimal täglich) oder Pla- cebo zu erhalten. Primärer End- punkt war eine anhaltende Ver - besserung der Gehfähigkeit, die anhand des „Timed 25 Foot Walk“- Tests bestimmt wurde.
Das erreichten in der Verum- gruppe mit 42,9 % hochsignifikant mehr Patienten als in der Kontroll- gruppe (9,3 %; p < 0,0001). Die MULTIPLE SKLEROSE
Verbesserung der Gehfähigkeit mit Kaliumkanalblocker
GRAFIK
Auftreten einer Mikroalbuminurie bei Behandlung von Typ- 2-Diabetikern mit Olmesartan oder Placebo (ROADMAP-Studie)
Risikoreduktion zugunsten von Olmesartan: 23 %
Kumulierter Anteil der Patienten mit Mikroalbuminurie
Zeit (in Monaten)
modifiziert nach: NEJM 2011; 364: 907–17
Placebo Olmesartan
M E D I Z I N R E P O R T
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15. April 2011 Gehgeschwindigkeit war in derDalfampridingruppe gegenüber den Ausgangswerten nach acht Wochen im Mittel um 24,7 % (95-%-KI 21,0 bis 28,4 %) erhöht. Der Effekt blieb acht bis zwölf Stunden nach der letzten Dosis mit 25,7 % noch er- halten.
Wegen Nebenwirkungen been- deten in beiden Gruppen jeweils vier Patienten die Behandlung vor- zeitig. Unter Verum häufiger waren in erster Linie Nebenwirkungen, die das Nervensystem betrafen wie Insomnie, Kopfschmerzen, Benom-
menheit, Nausea, Rückenschmer- zen und Gleichgewichtsstörungen, die aber überwiegend leicht bis mä- ßig und transient waren.
Fazit: Die Studie ergab eine hohe Evidenz dafür, dass Dalfampridin in „Extended-release“-Galenik bei MS-Patienten die Gehfähigkeit kli- nisch verbessern kann. In den USA ist die Substanz bereits zugelassen, in Europa ruht das Verfahren der- zeit wegen einer kritischen Stel- lungnahme des Committee for Me- dicinal Products for Human Use der
Europäischen Arzneimittelbehörde.
Prof. Dr. med. Reinhard Hohlfeld, München, zufolge wird dieselbe Substanz aber in Deutschland an spezialisierten Zentren bei manchen Patienten off-label angewendet. Die Therapie sei für einzelne Patienten alltagsrelevant. Eine Zulassung, die das Spektrum der verfügbaren sym - ptomatischen Therapien sinnvoll erweitern würde, sei deshalb zu be- grüßen, sagte Hohlfeld. Josef Gulden Goodman AD et al.: A phase 3 trial of extend - ed release oral dalfampridine in multiple sclerosis . Ann Neurol 2010; 68: 494–502.
Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom im Alter unter 65 Jahren sind Kandidaten für eine Hochdosischemotherapie mit an- schließender Stammzelltransplanta- tion. Weil die Qualität des Anspre- chens mit der langfristigen Pro - gnose korreliert, werden sowohl die Induktionstherapie vor als auch die Konsolidierungstherapie nach Trans - plantation optimiert. Eine italieni- sche Phase-III-Studie hat ein Re- gime mit dem Proteasominhibitor Bortezomib und dem Immunmodu- lator Thalidomid untersucht.
Die 474 Patienten wurden rando- misiert. Zur Induktion erhielten sie drei dreiwöchige Zyklen mit Thali- domid und Dexamethason entwe- der allein (TD) oder in Kombina - tion mit Bortezomib (1,3 mg/m2 zweimal pro Woche, VTD). Nach einer autologen Tandemtransplanta- tion schlossen sich zwei weitere fünfwöchige Zyklen TD oder VTD zur Konsolidierung an. Die Zugabe des Proteasominhibitors verbesser- te das Ansprechen und Überleben:
Komplette oder nahezu komplette Remissionen waren nach Induktion (31 % vs. 11%, p < 0,0001), nach der doppelten Transplantation (55 % vs. 41 %, p = 0,0024) und auch noch nach Konsolidierung (62 % vs. 45 %, p = 0,0002) im ex- perimentellen Arm signifikant häu- figer. Diese Remissionen traten un- ter VTD mit median neun vs. 14
Monaten auch deutlich rascher ein (p < 0,0001, Grafik).
Die progressionsfreie Dreijah- resüberlebensrate (PFS) lag im TD-Arm bei 56 %, im VTD-Arm bei 68 % (Hazard Ratio 0,63, p = 0,0061). Dieser Vorteil galt auch für eine Reihe von Subgrup- pen mit schlechter Prognose, wie etwa mit Translokation (4; 14) und/
oder 17p-Deletion. In einer Multi- varianzanalyse war neben günstiger Zytogenetik, niedrigem Beta-2- Mikroglobulin und einer guten Re- mission auch die VTD-Behandlung ein unabhängiger signifikanter Fak- tor für eine Verlängerung der PFS.
Beim Gesamtüberleben zeigte sich nach 36 Monaten ein Unterschied von 86 % vs. 84 %, der noch nicht signifikant war.
VTD war allerdings mit mehr Grad-3/4-Toxizitäten assoziiert als TD (56 % vs. 33 %, p < 0,0001);
verfünffacht hatte sich vor allem das Risiko für schwere periphere Neuropathien mit 10 % vs. 2 % (p = 0,0004), die sich aber bei etwa drei von vier betroffenen Patienten wieder zurückbildeten.
Fazit: Die Dreierkombination Tha- lidomid, Dexamethason, Bortezo- mib sei ein neuer Therapiestandard, um die Tumorreduktion bei jenen Patienten zu maximieren, die für eine Hochdosistherapie infrage kä- men, lautet das Fazit der Autoren.
Die Konsolidierung mit der Dreier- kombination kann darüber hinaus das Ansprechen vertiefen, und in Kombination mit der Tandemtrans- plantation verbessert sie zumindest die PFS. In weiteren Studien, zum Teil auf europäischer Ebene, wird nun geprüft, ob weitere Kombina- tionen der neuen Medikamente möglicherweise die Transplantation überflüssig machen könnten.
Josef Gulden Cavo M et al.: Bortezomib with thalidomide plus dexamethasone compared with thalido- mide plus dexamethasone as induction thera- py before, and consolidation therapy after, double autologous stem-cell transplantation in newly diagnosed multiple myeloma: a rando- mized phase 3 study. Lancet 2010; 376:
2075–85.
NEU DIAGNOSTIZIERTES MULTIPLES MYELOM
Eine Dreierkombination erhöht die Ansprechraten
GRAFIK
Zeit bis zur kompletten oder fast kompletten Remission (Ansprechen)
VTD: Bortezomib, Thalidomid, Dexamethason TD: Thalidomid, Dexamethason
Zeit (in Monaten) Zahl der Patienten im Risiko
Ansprechrate (in %) modifiziert nach: Lancet 2010; 376: 2075–85