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6.2 Diskussion Ergebnisse

6.2.7 Zytokine im Plasma

Im Laufe der Immunreaktion kommt es zur Freisetzung von pro- und antiinflammatorischen Zytokinen. Aus Angaben in der Literatur ist bekannt, dass sowohl nach einem Schädelhirntrauma als auch nach extrakraniellen Traumata und hämorrhagischem Schock verschiedene Zytokine systemisch erhöht sind, die sowohl bei Traumapatienten als auch im experimentellen Modell im Plasma gemessen werden können. In der vorliegenden Studie konnten von den untersuchten Zytokinen, die sich bei unbeeinträchtigten Mäusen nicht im Plasma nachweisen lassen (VAN GRIENSVEN, persönliche Mitteilung), alle (außer IL-10) in den drei verschiedenen Versuchsgruppen 96 Stunden nach Traumainduktion nachgewiesen werden. Beim Vergleich der Ergebnisse mit der bestehenden Literatur ist allerdings zu beachten, dass es sich hierbei um Untersuchungen an unterschiedlichen Spezies handelt und diese daher nicht ohne Vorbehalt miteinander verglichen werden können.

Erhöhte TNF-α-Spiegel im Plasma wurden sowohl bei Untersuchungen an einem Hämorrhagie-Modell an Mäusen als auch bei Traumapatienten nachgewiesen (AYALA et al. 1990, 1991; FERGUSON et al. 1997; JIANG et al. 1997b;

SPIELMANN et al. 2001). Auch eine Korrelation mit der Schwere des Traumas konnte festgestellt werden (JIANG et al. 1997a). An ARDS bzw. MODS verstorbene Patienten wiesen signifikant höhere TNF-α-Spiegel kurz nach dem Trauma auf als

Überlebende (ROUMEN et al. 1993). Ein Schädelhirntrauma an Ratten führte ebenfalls zu erhöhten TNF-α-Spiegeln im Plasma (KAMM et al. 2006). In der vorliegenden Untersuchung konnte sowohl nach Induktion einer Femurfraktur mit hämorrhagischem Schock als auch nach einem Schädelhirntrauma TNF-α im Plasma nachgewiesen werden. Die höchste TNF-α-Konzentration wurde bei der Polytrauma-Gruppe gemessen, die eine Tendenz gegenüber den anderen beiden Gruppen aufwies. Dies entspricht den Hinweisen aus der Literatur, die einen Zusammenhang zwischen dem TNF-α-Spiegel und der Schwere der Verletzung annehmen (JIANG et al. 1997a). Weil der Messzeitpunkt 96 Stunden nach Traumainduktion lag, TNF-α aber schon sehr früh nach einem Trauma erhöht ist, hatten in der vorliegenden Studie die TNF-α-Konzentrationen wahrscheinlich schon wieder abgenommen. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte man daher vermutlich noch auffälligere Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen feststellen können.

Das Chemokin MCP-1 ist bei der Entstehung der Organdysfunktion nach hämorrhagischem Schock durch seine chemotaktische Wirkung auf verschiedene Leukozytenpopulationen von Bedeutung. Es lässt sich nach Ischämie-Reperfusion im Serum nachweisen (JEDYNAK et al. 2004). Auch im Gehirn ist die Expression von MCP-1 nach Trauma in Ratten nachgewiesen worden (BERMAN et al. 1996), wobei es eine Schlüsselrolle bei der Einwanderung von Leukozyten über die Bluthirnschranke spielt (HARKNESS et al. 2003). In der vorliegenden Untersuchung konnte sowohl bei den experimentellen Einzelverletzungen Schädelhirntrauma bzw.

Femurfraktur mit hämorrhagischem Schock als auch bei der Polytrauma-Gruppe zirkulierendes MCP-1 nachgewiesen werden. Dabei gab es allerdings zwischen den verschiedenen Gruppen keine signifikanten Unterschiede.

Die Plasmakonzentrationen von IL-6 sind unmittelbar nach einem Trauma erhöht und korrelieren mit der Verletzungsschwere (GEBHARD et al. 2000; STRECKER et al.

2003). Sowohl an Patienten als auch im Rattenmodell konnte gezeigt werden, dass ein Schädelhirntrauma zu einer deutlichen Erhöhung der IL-6-Spiegel im Liquor cerebrospinalis, aber auch zu einem Anstieg im Plasma führt (HANS et al.

1999a, 1999b; SINGHAL et al. 2002), wobei bezüglich der Korrelation der IL-6-Plasmakonzentrationen und der Schwere eines Schädelhirntraumas widersprüchliche Ergebnisse vorliegen (WOICIECHOWSKY et al. 2002; STRECKER et al. 2003). Die in der vorliegenden Studie im Plasma gemessenen IL-6-Konzentrationen zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Versuchsgruppen. Aufgrund von Angaben in der Literatur, dass bei Polytraumapatienten mit oder ohne Schädelhirntrauma signifikant höhere IL-6-Plasmakonzentrationen gemessen wurden als bei Patienten mit isoliertem Schädelhirntrauma (SEEKAMP et al. 2002), hätte man im eigenen Modell vergleichbare Ergebnisse erwartet. Dass in der Polytrauma-Gruppe keine höheren IL-6-Spiegel als in der Schädelhirntrauma-Gruppe gemessen wurden, könnte am Messzeitpunkt liegen. Die in der Literatur beschriebenen signifikant erhöhten IL-6-Konzentrationen bei den Polytraumapatienten waren kurz nach Trauma am höchsten und nahmen danach kontinuierlich ab. Zwar wurden nach vier Tagen noch signifikante Unterschiede gemessen (SEEKAMP et al. 2002), doch kann man diese Zeitspanne nicht ohne weiteres auf dieses Mäusemodell übertragen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine Messung zu einem früheren Zeitpunkt, auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse weiterer Studien, die eine Korrelation der IL-6-Plasmakonzentrationen mit der Verletzungsschwere nur unmittelbar nach einem Trauma feststellen konnten (GEBHARD et al. 2000; STRECKER et al. 2003).

Das IL-10 ist ein antiinflammatorisches Zytokin. Es reguliert beispielsweise die frühe systemische Entzündungsreaktion nach Trauma-Hämorrhagie (SCHNEIDER et al.

2004). Bei Traumapatienten korrelieren die IL-10-Plasma-Konzentrationen mit dem Grad der Verletzung (NEIDHARDT et al. 1997). Auch bei Patienten mit schwerem Schädelhirntrauma wurden erhöhte IL-10-Spiegel sowohl in der Zerebrospinalflüssigkeit als auch im Plasma gemessen (BELL et al. 1997; CSUKA et al. 1999), während in einer Studie an Ratten nach einem Schädelhirntrauma zwar im Gehirn das IL-10 innerhalb der ersten 24 Stunden erhöht war, nicht jedoch im Plasma (KAMM et al. 2006). In der vorliegenden Studie an Mäusen konnte 96 Stunden nach Induktion eines Schädelhirntraumas ebenfalls kein IL-10 im Plasma

nachgewiesen werden, ebensowenig in der Fraktur-Schock-Gruppe. Der in der Polytrauma-Gruppe gemessene Gehalt deutet jedoch nicht auf einen IL-10-Nachweis aufgrund eines schwereren Grades der Verletzung bei der Polytrauma-Gruppe hin. Da in der Polytrauma-Polytrauma-Gruppe bei einem von zehn Tieren ein Extremwert von 32,3 pg/ml gemessen wurde, liegt hier wahrscheinlich ein Messfehler vor. Es ist aber auch möglich, dass dieses eine Tier deutlich antiinflammatorisch reagiert hat.

Die Unterschiede der IL-10-Konzentration zwischen den drei Versuchsgruppen sind nicht signifikant. Dies stimmt mit den Angaben in der Literatur überein, wonach signifikant höhere IL-10-Plasmakonzentrationen bei schädelhirnverletzten Polytraumapatienten verglichen mit Polytraumapatienten ohne Schädelhirntrauma bzw. Patienten mit isoliertem Schädelhirntrauma nur unmittelbar nach dem Trauma erhöht sind und danach sehr schnell wieder abnehmen, so dass nach vier Tagen mit keinem signifikanten Unterschied mehr zu rechnen war.

Bezüglich der Freisetzung von IL-12 bei Traumapatienten liegen in der Literatur widersprüchliche Ergebnisse vor. So wurden sowohl erniedrigte als auch erhöhte IL-12-Plasmalevel bei Polytraumapatienten und signifikant erhöhte IL-12-Werte bei Schädelhirntraumapatienten in der Zerebrospinalflüssigkeit gemessen (O'SULLIVAN et al. 1995; STAHEL et al. 1998; WICK et al. 2000). Auch etwaige Zusammenhänge zwischen IL-12-Werten und der Letalität werden kontrovers diskutiert (O'SULLIVAN et al. 1995; WICK et al. 2000; ARAND et al. 2001). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen konnte bei allen drei Versuchsgruppen IL-12 im Plasma nachgewiesen werden, allerdings ohne signifikante Unterschiede.

Auch erhöhte IFN-γ-Spiegel können nach einem Trauma gemessen werden (SMITH et al. 2006). Im Gehirn wurde die Expression von IFN-γ-mRNA nach Kontusion und Ischämie nachgewiesen (LI et al. 2001; HOLMIN u. HOJEBERG 2004). In der vorliegenden Studie wurde innerhalb der Schädelhirntrauma-Gruppe lediglich bei einem von neun Tieren eine geringe IFN-γ-Plasmakonzentration gemessen, während sowohl in der Fraktur-Schock-Gruppe als auch in der Polytrauma-Gruppe bei allen außer einem Tier pro Gruppe IFN-γ im Plasma nachweisbar war. Daraus ergibt sich

beim Vergleich der Schädelhirntrauma-Gruppe mit der Polytrauma-Gruppe ein hochsignifikanter und mit der Fraktur-Schock-Gruppe ein signifikanter Unterschied.

Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass unter den Bedingungen des vorliegenden Modells der hämorrhagische Schock zu einer Erhöhung der IFN-γ-Spiegel im Plasma zu dem vorgegebenen Messzeitpunkt führt, nicht jedoch das Schädelhirntrauma. Die gemessenen IFN-γ-Werte sind allerdings nicht deutlich erhöht. Es konnten bei allen Tieren lediglich Werte bis zu maximal 14,5 pg/ml nachgewiesen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass bei allen drei Gruppen die natürlichen Killerzellen in der Milz deutlich gesteigert sind, hätte man mit höheren Werten rechnen können. Daraus könnte geschlossen werden, dass die NK-Zellen zwar vermehrt, jedoch nicht aktiviert waren.

Bei der Betrachtung der Gesamtheit der in dieser Studie gemessenen Zytokine fällt auf, dass lediglich die proinflammatorischen Zytokine erhöht waren, nicht jedoch IL-10. Die gemessenen Konzentrationen erreichten dabei bei weitem nicht die Werte, die man bei einer Sepsis feststellen kann. An einem vergleichbaren experimentellen Modell, bei dem an demselben Mäusestamm der gleiche traumatisch-hämorrhagische Schock induziert, danach jedoch der Verlauf einer polymikrobiellen Sepsis simuliert wurde, konnten unter gleichen Laborbedingungen und –methoden die dreifachen bis über hundertfachen Plasmazytokinkonzentrationen gemessen werden (BERGMANN 2006). Diese Tatsache stimmt mit den Angaben in der Literatur überein, wonach Zytokine zwar nach einem Trauma erhöht sind, jedoch nicht in dem Maße wie bei einer Sepsis.

Bei allen gemessenen Zytokinkonzentrationen muss außerdem bedacht werden, dass es sich um Momentaufnahmen 96 Stunden nach Trauma handelt. Eine vorübergehende Erhöhung bestimmter Zytokine, die bis zum Zeitpunkt der Organentnahme wieder abgenommen hat, kann so nicht festgestellt werden.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine Verlaufsuntersuchung, welche die Zytokinkonzentrationen im Plasma direkt nach Trauma und nachfolgend in regelmäßigen Abständen erfasst. Des weiteren ist nach Schädelhirntrauma eine Zytokinfreisetzung im Gehirn nachgewiesen. Man kann davon ausgehen, dass durch

eine geschädigte Bluthirnschranke ein Teil dieser intrathekal produzierten Zytokine in der Zirkulation erfasst werden kann (KOSSMANN et al. 1995). Da die im Plasma gemessenen Zytokine jedoch aus jeglichen Organen oder zirkulierenden Immunzellen stammen können, wäre insbesondere im Hinblick auf den Einfluss des Schädelhirntraumas eine Untersuchung der Zytokine im Liquor cerebrospinalis oder im Gehirnparenchym sinnvoll. Eine Gewinnung von Liquor ist allerdings bei der Maus extrem schwierig. Man sollte jedoch für weitere Studien über einen Nachweis von Zytokinen im Gewebe durch die Herstellung einer Suspension oder mittels histologischer Methoden nachdenken.