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Unter dem Begriff „Schädelhirntrauma“ (SHT) versteht man eine durch äußere Gewalteinwirkung entstandene strukturelle Verletzung des Schädels und/oder des Gehirns mit oder ohne nachweisbare Hirnfunktionsstörung (FIRSCHING 2005).

2.2.2 Epidemiologie

Jährlich werden rund 200-220 pro 100.000 Einwohner wegen eines Schädelhirntraumas hospitalisiert. Etwa 80% der Schädelhirntraumapatienten erleiden ein leichtes und jeweils 10% ein mäßiges bzw. schweres SHT. Schwere Schädelhirntraumata sind zu 50% mit weiteren Verletzungen kombiniert (IMHOF 2004).

Wie aus mehreren Studien hervorgeht, zählt der Kopf neben den Extremitäten und dem Thorax zu den drei am häufigsten verletzten Körperregionen (WELKERLING et al. 1991; REGEL et al. 1993; BARDENHEUER et al. 2000). Das Schädelhirntrauma kommt bei Polytraumapatienten je nach Studie mit einer Häufigkeit von 39,2% bis 69% vor (WELKERLING et al. 1991; REGEL et al. 1993; BARDENHEUER et al.

2000). Es ist die führende Verletzungskombination zusammen mit Verletzungen des knöchernen Bewegungsapparates (WELKERLING et al. 1991; REGEL et al. 1993).

Das Schädelhirntrauma beeinflusst sowohl die Frühletalität als auch die Gesamtklinikletalität. So erlitten in einer Untersuchung 51,7% der innerhalb von 24 Stunden verstorbenen Patienten ein Schädelhirntrauma (BARDENHEUER et al.

2000).

In einer Studie des Universitätsklinikums Essen konnte anhand von 1361 Polytraumapatienten gezeigt werden, dass die Letalität aufgrund von Multiorganversagen beim untersuchten Patientenkollektiv der Jahre 1975-1980 im Vergleich mit den Jahren 1998-1999 signifikant von 18,0% auf 4,1% abnahm, während die Mortalität aufgrund von schwerem Schädelhirntrauma mit 8,2% bzw.

9,0% unverändert blieb. Die Gesamtmortalität nahm in diesem Zeitraum signifikant von 28,7% auf 13,9% ab. Aus dieser Studie geht hervor, dass das schwere Schädelhirntrauma derzeit die Haupttodesursache bei auf die Intensivstation eingelieferten polytraumatisierten Patienten darstellt (NAST-KOLB et al. 2001).

Schädigungen weiterer Organe oder Verletzungen der Extremitäten und die Entstehung eines Schockgeschehens zusätzlich zu einem Schädelhirntrauma erhöhen das Letalitätssrisiko erheblich. So konnte in einer Studie gezeigt werden, dass die Sterblichkeitsrate schädelhirnverletzter Patienten durch einen zusätzlichen hypovolämischen Schock von 12,8% auf 62,1% erhöht war (SIEGEL et al. 1991).

2.2.3 Klassifikation des Schädelhirntraumas

Die klassische Beurteilung eines Schädelhirntraumas erfolgt anhand klinischer und pathomorphologischer Befunde. Dabei wird zwischen einer Commotio cerebri (Gehirnerschütterung), einer Contusio cerebri (Gehirnprellung) und einer Compressio cerebri (Gehirnquetschung) unterschieden. Man versteht heute unter einer Commotio

cerebri eine traumatisch bedingte reversible funktionelle Störung des Gehirns meist ohne morphologisch fassbare Veränderungen, während eine Contusio cerebri eine nachweisbare morphologische Schädigung des Gehirns in Form von Prellungsherden darstellt.

Ein weiteres Kriterium, anhand dessen man ein Schädelhirntrauma klassifizieren kann, stellt die Dura mater dar. Ist sie intakt, so spricht man von einer gedeckten oder geschlossenen Schädelhirnverletzung. Im Gegensatz dazu besteht bei einem offenen SHT eine Verbindung zwischen intra- und extrakraniellem Raum. Diese Unterteilung ist insofern wichtig, da eine unverletzte Dura mater des gedeckten Schädelhirntraumas weitgehend Schutz gegenüber Infektionen des Gehirns gewährleistet, während es bei offenen Verletzungen leicht zu lebensbedrohlichen entzündlichen intrakraniellen Komplikationen kommen kann (LOEW u. HERRMANN 1966).

Allerdings ist der Schweregrad der Verletzung ebenfalls ein entscheidender prognostischer Faktor. Bei der Einteilung der gedeckten traumatischen Hirnschädigungen nach TÖNNIS und LOEW in drei Kategorien, die von BUES auf vier Schweregrade erweitert wurde, beurteilt man sowohl die Dauer der Bewusstlosigkeit als auch die Dauer der objektivierbaren psychischen Beeinträchtigung und der neurologischen Ausfälle und/oder der objektivierbaren vegetativen Fehlregulationen. Anhand dieser Bewertung kann die Hirnschädigung entsprechend Tabelle 4 eingeteilt werden. Da nicht immer alle aufgeführten möglichen Ausfälle vorhanden sind, bestimmt das schwerste und am längsten anhaltende Symptom die Einstufung in den entsprechenden Schweregrad (zitiert nach LOEW u. HERRMANN 1966).

Tabelle 4: Einteilung der gedeckten traumatischen Hirnschädigungen nach TÖNNIS und LOEW, modifiziert nach BUES (zitiert nach LOEW u. HERRMANN 1966)

Schw e re gra d I II III IV

Be w usstlosigke it 0 bis 1 Stunde 0 bis 24 Stunden bis 1 W oche über 1 W oche obje ktivie rba re psychische

Be einträ chtigung bis zum 4. Tag bis zur 3. W oche über die 3. W oche hinaus bleibend bis zum 4.Tag bis zur 3. W oche

ne urologische Ausfä lle und/ode r obje ktivie rba re ve ge ta tive Fehlregula tione n

schwere bleibende neurologische Ausfälle neurologische Ausfälle

über die 3. W oche hinaus

Ein großer Nachteil ist, dass die Bestimmung des Schweregrades der Schädelhirnverletzung nur retrospektiv möglich ist. Für die Beurteilung des aktuellen Zustandes eines hirntraumatisierten Patienten eignet sich die von TEASDALE und JENNETT (1974, 1976) entwickelte „Glasgow Coma Scale“ (GCS). Bei dieser international anerkannten Skala zur Abschätzung der Bewusstseinslage eines Patienten, werden drei leicht zu erhebende Kriterien (Augenöffnen, sprachliche Antwort und motorische Reaktion), wie in Tabelle 5 dargestellt, mit Punkten bewertet, so dass sich eine Skala von 3 bis 15 ergibt, wobei die niedrigste Punktzahl (3 Punkte) der schwersten Beeinträchtigung entspricht. Die erhaltenen GCS-Punkte ermöglichen wiederum eine Einteilung des Schädelhirntraumas in drei verschiedene Schweregrade (Tabelle 6).

Tabelle 6: Einteilung des Schädelhirntraumas anhand der Glasgow Coma Scale

Grad des Schädelhirntraumas GCS-Punkte

schwer 3 - 8

mittelschwer 9 - 12

leicht 13 - 15

2.2.4 Primäre und sekundäre Hirnschäden

Eine Schädelhirnverletzung lässt sich anhand pathophysiologischer Prozesse in primäre und sekundäre Hirnschäden unterteilen. Zum primären Hirnschaden zählen die strukturellen Gewebeschädigungen, die im Augenblick des Traumas durch die äußere mechanische Gewalteinwirkung entstehen. Diese Veränderungen sind irreversibel und nicht therapierbar. Betroffen sein können sowohl Nervenzellen als auch Gliazellen und Blutgefäße.

Durch Kontakteffekte (direkte Gewalteinwirkung) entstehen hauptsächlich fokale Gewebeverletzungen wie Frakturen, Gefäßverletzungen, Kontusionen,

Kompressionen oder Lazerationen. Außerdem führen Beschleunigungen des Kopfes (indirekte Gewalteinwirkung) durch auftretende Scherkräfte vor allem zu diffusen Schäden, sowohl axonaler (sogenannte „DAI“: Diffuse Axonal Injury) als auch vaskulärer Natur. Zudem können auf der kontralateralen Seite Verletzungen in Form eines „Contrecoups“ entstehen.

Die sekundären Hirnschäden stellen als Folge der primären Läsion eine Schädigung durch nachfolgend ausgelöste metabolisch-hämodynamische Kaskaden dar und entwickeln sich im Laufe von Stunden, Tagen oder Wochen nach dem Trauma.

Hierzu gehören sowohl intrakranielle raumfordernde Prozesse wie beispielsweise Hämatome oder die Entstehung eines Hirnödems, sowie die daraus resultierende Ischämie mit nachfolgenden metabolischen Veränderungen auf zellular-molekularer Ebene (BERGER et al. 1985). Diese sekundären pathologische Veränderungen beeinträchtigen die homöostatische Funktion des endogenen neurochemischen Systems des Gehirns. Als Hauptursachen für die entstehenden Zellschädigungen sind Hypotonie, Hypoxie und Ischämie zu nennen (SINGBARTL 1985; BOUMA et al.

1991; CHESNUT et al. 1993b). Eine verminderte Hirndurchblutung führt zu einer unzureichenden Versorgung des Gehirns mit Energie und Substraten und zur Ansammlung von Abfallprodukten. Energieabhängige Prozesse versagen, Ionengradienten können nicht mehr aufrecht erhalten werden.

Die pathologischen Mechanismen beruhen vor allem auf Ionenverschiebungen und der Freisetzung exzitatorischer Aminosäuren (wie Glutamat oder Aspartat) und freier Sauerstoffradikale, die sich in einem Circulus vitiosus gegenseitig beeinflussen. Bei Hypoxie freigesetzte Neurotransmitter initiieren eine Reaktionskaskade, die zu einem Absterben von Neuronen führen kann (ROTHMAN 1984). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „exzitotoxischen Aminosäuren“. Sie führen zu massiven Ionenflüssen, welche eine Zellschwellung verursachen, die mit einer osmotischen Zelllyse enden kann (ROTHMAN 1985; KATAYAMA et al. 1990b). Patienten mit schweren Kopfverletzungen sind noch Tage nach der Verletzung hohen Konzentrationen neurotoxischer Aminosäuren ausgesetzt (BAKER et al. 1993).

Außerdem konnte ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Glutamatfreisetzung im verletzten Gehirn und der Schwere des Insults festgestellt

werden (BAETHMANN et al. 1989; FADEN et al. 1989). Traumatisch bedingte große Kalium-Ströme in den Extrazellularraum führen zu weiterer Freisetzung exzitatorischer Aminosäuren (KATAYAMA et al. 1990a).

Auch die Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels ist von entscheidender Bedeutung. Sie führt über Enzymaktivierungen und die folgende Schädigung von Zellmembranen zum Zelltod und zur Freisetzung vesikulär gespeicherten Glutamats.

Ferner kommt es durch die geschädigten Zellmembranen zur Freisetzung von Arachidonsäure und durch weiteren Abbau zur Bildung von freien Sauerstoffradikalen. Diese hochreaktiven Substanzen haben den neuronalen Zelltod zur Folge bzw. führen wieder zur Freisetzung exzitatorischer Aminosäuren, welche eine weitere Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels verursachen (PELLEGRINI-GIAMPIETRO et al. 1990), wobei die Kalziumfreisetzung aus intrazellulären Speichern eine essentielle Rolle bei der Entwicklung des glutamatinduzierten Neuronenschadens spielt (FRANDSEN u. SCHOUSBOE 1991).

Da durch den Sauerstoffmangel im Gehirn nicht mehr ausreichend ATP (Adenosintriphosphat) durch oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien gebildet werden kann, sondern nur noch durch anaerobe Glykolyse im Zytoplasma, kommt es außerdem durch Laktatanreicherung zu einer intrazellulären Azidose.

Außerdem wird durch das Trauma eine Kaskade von Entzündungs- und Immunmediatoren freigesetzt, die den Hirnschaden potenzieren.

2.2.5 Reaktive Gliose

Die reaktive Gliose oder Gliareaktion ist im Wesentlichen durch eine Hypertrophie und Hyperplasie von Astrozyten und eine Vermehrung von Mikrogliazellen in der geschädigten Gehirnregion gekennzeichnet. Sie stellt im Zentralnervensystem das morphologische Korrelat reparativer Prozesse nach Gewebedestruktion dar. Eine Gliareaktion kann durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden wie beispielsweise durch traumatische Einwirkungen. Insbesondere reaktive Astrozyten tragen in der Phase der Gewebereparation nach traumatischer Hirnschädigung durch Vermehrung ihrer Filamente zur Ausbildung einer irreversiblen gliösen Narbe bei. Die Funktion der Gliareaktion wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Ihr werden

sowohl negative als auch positive Effekte auf das verletzte Gehirn zugesprochen. So kann sie einerseits die neuronale Regeneration behindern (WINDLE 1956; RUDGE u. SILVER 1990; WILHELMSSON et al. 2004) und zu einer Verzögerung der Produktion von Myelinmembranen führen (BLAKEMORE et al. 1995). Andererseits werden die nicht geschädigten Zellen in den angrenzenden Regionen durch eine Barriere von Gliazellen vor neurotoxischen Faktoren und folgenden Sekundärschäden geschützt. Außerdem werden von reaktiver Astroglia neurotrophische Faktoren freigesetzt, welche das Neuronenwachstum fördern, während von der Mikroglia stammende Neurotoxine für die Behinderung der neuronalen Regeneration verantwortlich gemacht werden (GIULIAN 1993; GIULIAN et al. 1993). Bei der Reaktion der Gliazellen auf eine Hirnschädigung sind neben anderen Mediatoren auch Zytokine beteiligt (GIULIAN et al. 1994), die sowohl auf die Gliazellen einwirken als auch von ihnen gebildet werden können.