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6.1 Diskussion Methodik

6.1.1 Tierexperimentelles Modell

Anforderungen an ein tierexperimentelles Modell umfassen sowohl die Kontrolle der mit den Versuchstieren verbundenen Variablen wie beispielsweise Alter, Geschlecht, Genetik und Haltungsbedingungen als auch die Regulation der mechanischen Parameter. Insbesondere die Lokalisation und Schwere der Verletzung muss genau definiert, zudem quantifizierbar und reproduzierbar sein und eine abstufbare pathophysiologische Reaktion erlauben (LAURER u. MCINTOSH 1999).

6.1.1.1 Experimentelles Schädelhirntrauma (CCI)

Aufgrund der Heterogenität und Komplexität eines Schädelhirntraumas wird nicht das gesamte Spektrum des Krankheitsbildes mit einem experimentellen Modell abgedeckt. Es wurden daher verschiedene tierexperimentelle Schädelhirntrauma-Modelle etabliert, gemäß der unterschiedlichen Schädigungsursachen des Gehirns wie direkte oder indirekte Gewalteinwirkung.

In der vorliegenden Studie fand das sogenannte „Controlled Cortical Impact“-Modell (CCI) Anwendung, um eine definierte unilaterale kortikale Kontusion zu erzeugen. Es handelt sich hierbei um ein standardisiertes „Direct-Brain-Deformation“-Modell, das am Frettchen entwickelt wurde und inzwischen sowohl bei der Ratte als auch bei der Maus etabliert ist (LIGHTHALL 1988; DIXON et al. 1991; SMITH et al. 1995).

Aufgrund exakter Bestimmung und Regulation der mechanischen Parameter wie Schussgeschwindigkeit, Eindringtiefe und Aufschlagdauer kann ein fokales, kontrollierbares und reproduzierbares Verletzungsmuster induziert werden.

Das in der vorliegenden Studie verwendete Modell hat gegenüber den „Impact-Acceleration“-Modellen wie beispielsweise dem „Weight-Drop“-Modell, bei dem ein frei fallendes Gewicht auf den Schädel trifft, den Vorteil, dass beim CCI die applizierte Energie direkt auf das Gehirn übertragen wird. Dagegen geht beim

„Weight-Drop“-Modell ein Teil der Energie durch Absorption an angrenzende Strukturen wie Kopfhaut und Knochen verloren (SULLIVAN et al. 1976), so dass es bei ihnen durch interindividuelle anatomische Variationen vor allem in der Dicke der Schädelkalotte zu nicht kalkulierbaren Unterschieden des Schweregrades kommen kann. Des weiteren erzeugt ein CCI eine Kontusionsverletzung, welche einen wichtigen klinischen Teilaspekt des Schädelhirntraumas darstellt. Es muss allerdings bedacht werden, dass durch die erfolgte Kraniotomie bereits eine Entlastung des intrakraniellen Druckes erreicht wird, so dass es die klinische Situation nach Trepanation simuliert.

6.1.1.2 Experimentelle Femurfraktur und hämorrhagischer Schock

Viele experimentelle Fraktur-Modelle wurden in erster Linie dazu entwickelt, die Frakturheilung zu untersuchen und verschiedene Osteosyntheseverfahren zu validieren (OTTO et al. 1995; MANIGRASSO u. O'CONNOR 2004). Hierbei hat die Tibia gegenüber dem Femur den Vorteil, dass sie ohne großen Weichteilschaden zu erreichen ist, weshalb viele Modelle auf die Tibia als Frakturmodell zurückgreifen.

Da in der vorliegenden Studie jedoch keine Knochenheilung untersucht werden sollte, sondern die klinische Situation eines Traumas inklusive Fraktur und Weichteilschaden im Rahmen einer Mehrfachverletzung simuliert werden sollte, wurde eine Fraktur des Femurs durchgeführt. Diese hat insofern klinische Bedeutung, da sie beim Menschen eine der häufigsten Verletzungen der langen Röhrenknochen darstellt und mit einem großen Blutverlust verbunden ist und somit in der klinischen Situation wichtig für die Entstehung eines hämorrhagischen Schockes ist. Um auch dieser Tatsache im experimentellen Modell gerecht zu werden, wurde die Femurfraktur mit einem definierten hämorrhagischen Schock kombiniert.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde daher eine geschlossene Fraktur des Femurs mit Hilfe einer nach HILTUNEN et al. (1993) modifizierten Frakturmaschine in Kombination mit einem volumenkontrollierten hämorrhagischen Schock durchgeführt, wobei den Tieren 60% des errechneten Blutvolumens entzogen und dieser Zustand über 60 Minuten aufrechterhalten wurde. Dies stellt ein etabliertes Modell in unserer Forschungsgruppe dar (BÖTTCHER u. BREDDIN 2001).

6.1.1.3 Polytrauma-Modell

Im Rahmen eines Polytraumas kommt ein Schädelhirntrauma mit einer Häufigkeit von 39% - 69% vor (WELKERLING et al. 1991; REGEL et al. 1993; BARDENHEUER et al. 2000). Es stellt somit einen bedeutenden Anteil, aber auch einen wichtigen prognostischen Faktor bei Polytraumapatienten dar. Durch die primäre Schädigung des Gehirns werden pathophysiologische Kaskaden in Gang gesetzt, deren Therapieansätze unzureichend sind und daher einen zentralen Gegenstand aktueller Forschung darstellen. Ein Schädelhirntrauma hat einen bedeutenden Einfluss auf den Verlauf und auf die Letalität eines Polytraumas, während extrakranielle Verletzungen im Gegenzug auch die Entwicklung des Schädelhirntraumas beeinflussen (CHESNUT et al. 1993a; LAW et al. 1996). Basierend auf diesem Hintergrund sollte ein experimentelles Modell entwickelt werden, welches die genannten Auswirkungen berücksichtigt.

Die bisher in der Literatur beschriebenen Modelle, die ein Schädelhirntrauma mit weiteren pathologischen Faktoren kombinieren, beschränken sich auf die Kombination eines Schädelhirntraumas mit einem hämorrhagischen Schock. So existieren Modelle an Schweinen bzw. Ratten, die ein Schädelhirntrauma (Fluid-Percussion Brain Injury) mit einem unkontrollierten bzw. druckkontrollierten Schock kombinieren und dabei die Auswirkungen einer frühen aggressiven Flüssigkeitssubstitution bzw. einer Infusion von Aminoguanidin auf die Letalität bzw.

auf neuronale Schädigungen untersuchen (YUAN u. WADE 1992; 1993; LAW et al.

1996; STERN et al. 2000; ATAN et al. 2004).

Da kein Modell bekannt ist, das die klinische Situation eines Polytraumas, welches typischerweise mit einem Weichteil- und Knochentrauma mit daraus resultierendem Blutverlust und folgendem traumatisch-hämorrhagischem Schock assoziiert ist, mit einem Schädelhirntrauma kombiniert, war die Entwicklung eines solchen Modells Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Es sollte ein realitätsnahes Polytrauma-Modell an der Maus etabliert werden, das den Einfluss eines Schädelhirntraumas berücksichtigt, um als Grundlage für ein fundiertes Verständnis für klinische, histopathologische und immunologische Alterationen in diesem Zusammenhang und als Basis für weitere Untersuchungen zu

dienen. Mit diesem Ziel wurde ein Schädelhirntrauma in Form einer definierten kortikalen Kontusionsverletzung mit Hilfe eines CCI mit einer stumpfen, traumatischen Weichteil- und Knochenverletzung (geschlossene Femurfraktur) mit hämorrhagischem Schock kombiniert, welches die damit verbundenen pathophysiologischen und immunpathologischen Kaskaden und konsekutiven Organschädigungen aufzeigt und einen Vergleich der pathophysiologischen Auswirkungen des Polytraumas im Vergleich zu den Einzelverletzungen (isoliertes SHT bzw. Femurfraktur mit hämorrhagischem Schock) ermöglicht.