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Von Frieder Kuhn

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: nicht der Einsatz von Mikrofi lm ist begründungspfl ichtig, sondern sein Nicht-Einsatz. Nicht der Mikrofi lm muss seine Qualität oder seine Einsatzfähigkeit beweisen, sondern diejenigen Ver-fahren, die sich als Alternativen etablieren wollen. In diesem Sinne soll hier ein kurzer – aber hoffentlich lauter – Zwischenruf die Ausführungen der Kol-legen ergänzen.

Die gezeigten Beispiele sind keineswegs etwa zufällig vom Mikrofi lm einge-scannt worden. Mein Anliegen ist es, deutlich zu machen, dass es sich bei dem Weg über den Mikrofi lm anstelle direkter Scans nicht um einen lästigen Um-weg handelt, sondern um eine wohlüberlegte, verantwortungsbewusste und insbesondere zukunftsgerichtete Verfahrensweise für uns als staatliche Ein-richtung mit bestimmten gesetzlichen Aufgaben.

Der gesetzliche Auftrag der Archive lautet, die Unterlagen des Archivträ-gers – der öffentlichen Hände Bund, Land oder Kommune – auf Dauer auf-zubewahren, zu erhalten und einer Nutzung durch Wissenschaft und Öffent-lichkeit zuzuführen. Hier interessiert insbesondere der Kernbegriff erhalten und die Formel auf Dauer. Beides zwingt uns meines Erachtens zu langfristi-gen Ansätzen, zu strategischem Denken.

Wir sehen uns bei vielen Entscheidungen vor dem sprichwörtlichen schma-len Grat zwischen dem gesetzlich verbrieften Recht auf Einsichtnahme in öf-fentliches Archivgut und dem Verbot, unersetzliche Originale binnen einer (besonders interessierten) Generation kaputt nutzen zu lassen. Hier sind tech-nische Lösungen gefragt, die uns die Wahrnehmung beider genannten Kern-Aufgaben ermöglichen. Dazu gehört es heutzutage sicherlich, Archivgut digi-tal zu präsentieren, und dies in wirtschaftlicher Weise, das heißt bezahlbar.

Zu den Aspekten der Wirtschaftlichkeit gehören zunächst die Entstehungs-kosten für die Pixel pro Zeile sowie nicht zuletzt die FolgeEntstehungs-kosten, und zwar für einen sehr langen Zeitraum, in dem die Digitalisate zur Nutzung zur Ver-fügung stehen sollen. Wird hingegen nur auf Sicht entschieden, das heißt für einen Zeithorizont von wenigen Jahren, wird damit bereits die nächste Digi-talisierungsrunde provoziert, und zwar mit der wohlfeilen Begründung, dass just diese technische Entwicklung seinerzeit nicht absehbar war. Umgekehrt gilt: Je länger der Planungszeitraum, umso mehr Vorteile scheint mir der Mik-rofi lm unbestreitbar zu haben.

Die Frage nach der vermuteten oder behaupteten Haltbarkeit digitaler Da-tenträger wurde schon diskutiert. Ich unterstelle, dass dem Begriff Speiche-rung in dieser Diskussion das wiederholte Abspeichern auf immer

preiswerte-ren Massenspeichern zugrunde liegt. Was ich nicht weiß ist, wie viele Migrati-onsläufe, wie viele Produktgenerationen in den Ausschreibungen für Digitali-sierungsprojekte, in den eingehenden Angeboten und den schließlich erteilten Aufträgen enthalten sind – mir sind Gewährleistungszusagen von Auftragneh-mern über die technische Verwendbarkeit gelieferter Digitalisate über × Jahre nicht bekannt geworden. Anders gefragt: Wie sollen die heute gefertigten, ge-lieferten und ins heutige Web gestellten Digitalisate in 20 Jahren aussehen, wenn nur noch aus Geschichtsbüchern zu entnehmen sein wird, was um die Wende zum 21. Jahrhundert einmal als Internet-Portal bezeichnet wurde?

Vor einigen Jahren wurde von einer Arbeitsgruppe des DFG-Unteraus-schusses Bestandserhaltung eine umfangreiche Untersuchung zum Einsatz von Mikrofi lm und/oder digitalen Nutzungsformen angestellt. Die Ergeb-nisse sind vielfach – auch in Übersetzung für den anglo-amerikanischen Raum – veröffentlicht worden. Seinerzeit wurden Digitalisierungen vom Mikrofi lm bzw. durch direkte Aufnahme anhand von standardisiertem Testmaterial mit-einander verglichen: Das Ergebnis war, dass der Weg über den Mikrofi lm als Aufnahme- und Langzeitspeichermedium nicht nur kostengünstiger, sondern in der Regel auch technisch besser war.

Diese grundlegenden Erkenntnisse sind keineswegs überholt – und sie er-lauben folgendes Fazit: Der Mikrofi lm hat auch in der digitalen Welt weiter-hin seinen Platz!

Einige technische Rahmenbedingungen verändern sich in den letzten Jah-ren kontinuierlich: Zu nennen ist vor allem die Preisentwicklung bei Massen-speichern (abwärts) und die Geschwindigkeit der CPU (aufwärts). Diese Pa-rameter sollen in jedem Falle der schnelleren und besseren Darstellung auf den Ausgabegeräten der Nutzer dienen. Wir beziehen dies heute zwar nur auf die Bildschirmwiedergabe, die nächste Stufe der Ausgabe wird aber zweifellos der hochaufl ösende Druck sein. Diese angenehme Veränderung der Speicherkos-ten wird also durch immer höhere Qualitätsanforderungen an die Ausgabeme-dien aufgefressen und sollte daher die Grundsatzentscheidung zugunsten ei-ner Digitalisierung von Mikrofi lmen nicht berühren.

Zur Kostenseite eine Überlegung: Wie verändert sich die Kostenrechnung, wenn ein Mikrofi lm nicht mehr erstellt werden muss, weil er bereits existiert?

Doch wohl beträchtlich. Und: Haben wir bereits Mikrofi lme, auf die zurück-gegriffen werden kann? Die Antwort ist: Selbstverständlich und in großem Umfang. Zwei Schwerpunkte sind vor allem zu nennen: Alle Archive der öf-fentlichen Hände nehmen seit ca. 40 Jahren an einem bundesweit organisier-ten Programm zur Sicherung ihrer wertvollsorganisier-ten Bestände auf alterungsbestän-digem Mikrofi lm teil, der Sicherungsverfi lmung, die als feste Institution be-kannt ist. Im zentralen Bergungsort sind inzwischen fast 600 Millionen Mik-rofi lm-Aufnahmen eingelagert, von denen ein erheblicher Teil vor der Einla-gerung kopiert wurde. Diese Filme erfüllen die Qualitätsanforderungen, die für einen rationellen Filmscan erforderlich sind, hinsichtlich gleichbleibendem Verkleinerungsfaktor, einheitlicher Positionierung der Vorlagen und Ausstat-tung mit Testbildern. Sie sind nach einheitlichen Qualitätsvorgaben auf

gleich-bleibende Dichte hin entwickelt und Aufnahme für Aufnahme einzeln kon-trolliert. Die Einhaltung der Qualitätsmaßstäbe wird überwacht. Eine Durch-sicht der Kopien, insbesondere wenn es sich um hochwertige, polaritätsglei-che Silber-Halogenid-Kopien handelt, wird manpolaritätsglei-chen Kandidaten für eine Di-gitalisierung zu Tage fördern.

Das gleiche gilt für andere Filmbestände, die außerhalb dieses Programms entstanden sind, sofern die genannten Qualitätsanforderungen beachtet wur-den. Ein weiterer, ebenfalls im Wachsen begriffener Fundus besteht bei Schutzfi lmen großformatiger Vorlagen auf Color-Mikrofi lm im Format 105 mm, so genannte Makro-Fiches.

In beiden genannten Schwerpunkt-Bereichen entstehen laufend hoch-wertige Aufnahmefi lme, zwar primär zu einem eigenständigen Zweck, die aber zugleich eben auch als Vorprodukte für Scans genutzt werden können.

Schließlich sind hier die von vielen Seiten so oft beschworenen Synergie-Ef-fekte überall mit Händen zu greifen: Die betreffenden Digitalisierungspro-jekte werden so um einen zuverlässigen, jederzeit zugänglichen Langzeitspei-cher bereiLangzeitspei-chert.

Diese Filme werden – bei normgerechter Verarbeitung und Aufbewahrung – noch in vielen Jahren für weitere Scans zur Verfügung stehen, deren Techno-logie wir heute noch nicht absehen können. Ein heute angefertigter Scan hin-gegen ist immer nur eine Momentaufnahme, von der wir nur eines mit Sicher-heit wissen – dass sie in einigen Jahren wiederholt werden muss, weil sie den dann geltenden technischen Parametern nicht mehr entsprechen wird. Und die hieraus resultierende mehrfache Inanspruchnahme des Originals gilt es eben gerade zu vermeiden. Darüber hinaus wird ein solches Projekt möglicherweise auch um Kosten für höhere Aufl ösungen entlastet, die in der analogen Spei-cherform enthalten sind, was sich wiederum bei den zwangsläufi g folgenden Migrationskosten niederschlägt.

Die Notwendigkeit sorgfältiger Migrationen ist unbestreitbar – zu disku-tieren sind die zeitlichen Abstände und die Kosten. Berichte über ungeplante Datenverluste bei Migrationsläufen sind nicht gerade eine Seltenheit. Was aber soll geschehen, wenn es zu Datenverlusten bei Scans gekommen ist? Ich be-haupte: Das Objekt soll erneut eingescannt werden! Und das soll dann an-geblich seiner Erhaltung dienen! Wäre es demgegenüber nicht einfach beruhi-gend, wenn auf einen qualitätsvollen, hochaufl ösenden analogen Langzeitspei-cher zurückgegriffen werden könnte?

Die Zukunft wird uns ganz andere Entscheidungen abverlangen: In weni-gen Jahren werden wir uns über Kostenvergleiche zwischen der Migration vorhandener Digitalisate auf neue Datenformate und einer zweiten Digitali-sierung vom Aufnahmefi lm – sofern vorhanden – zu unterhalten haben. Aber eine echte Entscheidung zwischen einem Migrations- und einem Emulations-lauf kann eben nur getroffen werden, wenn diese Alternative auch tatsächlich besteht. Gibt es nur einen Scan, gibt es keine Option. Wohl dem also, der dann einen hochwertigen Mikrofi lm sein eigen nennt!