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4. Methoden der Kommunikations- und Sprachförderung bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung

4.4 Zweites Fazit: Stand der Diskussion und offene Fragen

in Frage kommen, werden benannt, nämlich der nonverbale Entwicklungsstand eines Kindes, seine joint-attention-Fähigkeiten und das Sprachverständnis. Die formulierten Annahmen bedürfen aber noch der weiteren Überprüfung im Rahmen von Studien mit wesentlich größeren Stichproben. Im Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit werden die Empfehlungen von Paul et al. erneut aufgegriffen, wenn es darum geht, erste Leit-linien für die Kommunikationsförderung bei minimal verbalen Kindern mit ASS (Abschnitt 17.2) zu formulieren.

des Kindes angeleitet. Neben der Förderung in naturalistisch gestalteten Förder-settings scheinen jedoch für bestimmte Entwicklungsziele und/oder bestimmte Kinder ergänzend auch direktiver gestaltete Übungssituationen notwendig zu sein (vgl. o. g.

Studie von Paul et al., 2013).

Bandbreite an Therapieansätzen mit unterschiedlicher theoretisch-methodischer Ausrichtung

Die Ansichten über das am besten geeignete methodische Vorgehen beim Aufbau von Kommunikation und Sprache bei Kindern mit ASS gehen noch auseinander. Die in Ab-schnitt 4.1 vorgestellte Übersicht über die zentralen in der wissenschaftlichen Fach-literatur diskutierten Förderansätze zeigt, dass eine große Bandbreite an Methoden und Programmen aus verschiedenen Therapieschulen zur Verfügung steht, die sich in ihrer theoretisch-methodischen Ausrichtung unterscheiden. Sie reichen von hoch struk-turierten Ansätzen mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung bis hin zu eher kind-zentrierten Ansätzen mit sozial-pragmatischer Ausrichtung. Zwischen den verschie-denen Förderprogrammen, die sich einer Förderorientierung verpflichtet fühlen, exis-tieren Überschneidungen und fließende Übergänge. Die verfügbaren Förderansätze weisen unterschiedliche Stärken und Schwächen auf; sie unterscheiden sich im Hin-blick darauf, wie gut sie im Einklang mit aktuellen Erkenntnissen der Spracherwerbs-forschung und des Wissens über autismustypische sozial-kognitive Defizite stehen, wie gut sie empirisch abgesichert sind, wie anspruchsvoll ihre praktische Umsetzung ist und wie gut sie inzwischen im regulären Versorgungskontext implementiert sind. Die Nutzung verhaltenstherapeutischer Lernprinzipien zum schrittweisen Aufbau von kom-munikativen Fertigkeiten, die systematische Gestaltung von entwicklungsförderlichen Interaktionen, die eng an typische Eltern-Kind-Interaktionen angelehnt sind, sowie der Einsatz von visuellen Hilfen scheinen wertvolle Beiträge zur Verbesserung von kommu-nikativen und sprachlichen Kompetenzen bei Kindern mit ASS zu leisten. In den letzten Jahren ist eine deutliche Annäherung zwischen lerntheoretisch und entwicklungs-psychologisch hergeleiteten Förderansätzen zu beobachten. Ob eine Kombination von Methoden mit unterschiedlicher theoretischer Orientierung eine Weiterentwicklung der Interventionsmöglichkeiten für Kinder mit ASS bietet oder aber die Wirksamkeit von Methoden verwässert, ist bislang erst vereinzelt untersucht worden und noch um-stritten. Verfechterinnen und Verfechter von Interventionsprogrammen mit kombinierten Förderansätzen beginnen, Konzepte zu entwickeln, die eine systematische Kombina-tion von Methoden erlauben.

Therapieindikation: Notwendigkeit der Individualisierung von Fördermaßnahmen, aber Fehlen von Leitlinien

Unabhängig von der Frage, ob Fördermethoden aus unterschiedlichen Förderansätzen kombiniert oder besser Methoden aus einem konsistenten Theorierahmen ausgewählt werden sollten, besteht große Übereinstimmung darin, dass Fördermaßnahmen bei Kindern mit ASS sehr stark individualisiert ausgewählt werden müssen. Angesichts der Heterogenität der Entwicklungs- und Verhaltensprobleme innerhalb der Zielgruppe ASS sei es erforderlich, vor Beginn einer Förderung die Charakteristika des Kindes und

sein Funktionsniveau zu erfassen, um die Fördermaßnahmen an dieses individuelle Profil anpassen zu können; eine umfassende Diagnostik müsse somit stets Teil der Intervention sein (Lord et al., 2005). Es wird erwartet, dass mit einer verbesserten Indi-vidualisierung der Interventionen auch die zurzeit noch großen interindividuellen Unterschiede in den Therapieerfolgen minimiert werden können. Es fehlen jedoch noch verbindliche Leitlinien, die eine empirisch fundierte Förderplanung und Auswahl von Fördermethoden für den Bereich der Kommunikations- und Sprachförderung (sowie für die Autismustherapie insgesamt) erlauben würden. Auf diese Problematik soll in Kapitel 5.1 und 5.2 näher eingegangen werden.

Anforderungen an zukünftige Interventionsstudien

Im Folgenden soll zusammengefasst werden, welche Anforderungen sich auf dem gegenwärtigen Forschungsstand an zukünftige Studien zur Entwicklung einer wirk-samen Entwicklungsförderung für Kinder mit ASS ergeben. Diese Anforderungen be-treffen gleichermaßen die Förderung von Kommunikation und Sprache wie die Förde-rung in anderen Entwicklungsbereichen.

 Es besteht ein deutlicher Nachholbedarf bei der Durchführung von Wirksam-keitsstudien für Förderprogramme mit sozial-pragmatischer oder Ansätze kom-binierender Ausrichtung (Lord et al., 2005).

 Ferner werden Studien benötigt, die die Wirksamkeit unterschiedlicher Förder-programme im Hinblick auf bestimmte umschriebene Entwicklungsziele unter-suchen (Rogers & Vismara, 2008). Dabei sollte auch untersucht werden, inwie-weit der kombinierte Einsatz von Methoden die Wirksamkeit der Interventionen verbessert oder verringert.

 Viele Forscherinnen und Forscher weisen darauf hin, dass randomisiert kon-trollierte Wirksamkeitsstudien bei der Evaluation von Autismustherapiepro-grammen nach wie vor die Ausnahme bilden und dass diese dringend benötigt werden, um die Effizienz eines Programms eindeutig belegen zu können (Lord

& Bishop, 2010). Dabei wäre es wünschenswert, wenn in solchen Studien Pro-gramme unterschiedlicher theoretischer Ausrichtung verglichen würden, die sich zwar inhaltlich unterscheiden, zugleich jedoch im Hinblick auf die Aus-bildung, Einstellung und den Enthusiasmus der beteiligten Forschergruppen und Bezugspersonen (Lord et al., 2005) vergleichbar sind.

 Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten es darüber hinaus für notwendig, auch andere Untersuchungsdesigns zu nutzen (Lord et al., 2005).

So seien Einzelfallstudien mit Prätest-Posttestdesign sowie qualitative Analysen insbesondere zu Beginn der Entwicklung eines neuen Förderprogramms not-wendig (Rogers & Vismara, 2008).

 Eine nach wie vor offene Frage ist die Frage nach der erforderlichen Intensität und dem geeigneten Setting von Förderprogrammen für Kinder mit ASS. Für den Bereich der Frühförderung wird in der anglo-amerikanischen Fachliteratur eine hohe Frequenz der Therapiestunden (mind. 20 Stunden in der Woche) und

eine Realisierung im häuslichen Rahmen empfohlen (z. B. Rogers & Vismara, 2008). Hier sind jedoch noch weitere vergleichende Studien in unterschied-lichen Settings mit unterschiedunterschied-lichen Häufigkeiten sowie die Berücksichtigung der nationalen Versorgungskontexte notwendig. So untersuchten Peters-Scheffer, Didden, Mulders und Korzilius (2010) z. B. in den Niederlanden, ob eine Gruppe von Vorschulkindern mit ASS und leichter bis mittelgradiger Intelli-genzminderung (LFA) davon profitierte, wenn sie zusätzlich zu einer Gruppen-förderung in einem Spezialkindergarten noch eine verhaltenstherapeutische Einzelförderung im Umfang von durchschnittlich 6,5 Wochenstunden erhielt; die Einzelförderung erfolgte ebenfalls im Kindergarten. Tatsächlich machten die Kinder der Interventionsgruppe größere Fortschritte in ihren kognitiven und lebenspraktischen Fertigkeiten als die Kinder der Kontrollgruppe, die nur die Gruppenförderung erhalten hatten. Für die Bewertung der Versorgungs-strukturen in Deutschland werden weitere Ergebnisse des o. g. Frankfurter Frühinterventionsprogramms von Freitag und Mitarbeitern besonders inte-ressant sein, die die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Interventionen in einem klinikbasierten Rahmen im Umfang von lediglich 2 Wochenstunden untersuchen (Freitag et al., 2012).

 Ferner betonen verschiedene Expertinnen und Experten, dass bei der Evalua-tion von Förderprogrammen sozial relevante IntervenEvalua-tionsziele sowie ökolo-gisch valide Evaluationsinstrumente verwendet werden sollten (Lord & Bishop, 2010). Dabei sollten verschiedene allgemeine und spezifische Instrumente innerhalb eines Entwicklungsbereiches zum Einsatz kommen.

 Wichtig sei zudem, zukünftig nicht nur die Effizienz von Therapieprogrammen unter gut kontrollierten universitären Bedingungen zu untersuchen, sondern auch ihre Effektivität, also ihre Nützlichkeit und Realisierbarkeit im regulären Versorgungskontext und bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, zu er-fassen (Lord & Bishop, 2010; Lord et al., 2005; zur Unterscheidung von Effizienz vs. Effektivität s. auch Bölte, 2009c).

 In diesem Zusammenhang weisen unterschiedliche Autorinnen und Autoren darauf hin, dass Therapieprogramme, die sich in Studien als wirksam erwiesen haben, nach wie vor eine zu geringe Verbreitung in regulären Versorgungskon-texten finden (Lord et al., 2005). Mandell (2010) spricht von einer durchschnitt-lichen Lücke von 17 Jahren, die zwischen der Auswertung von Forschungs-ergebnissen und ihrer Umsetzung in die Praxis liegen würden. Er fordert in diesem Zusammenhang, Therapiemethoden verstärkt in Kooperation mit den Institutionen zu entwickeln, die diese später anwenden sollen.

An alternative approach is to develop practices in partnership with the organizations that we hope ultimately will use them. Successful community-academic partnerships could facilitate successful adoption, implementation and maintenance of interventions that have already been developed, and result in the development of new interventions that meet the community’s needs and capabilities, thereby increasing the likelihood of successful implementation.

(Mandell, 2010, S. 24)

 Darüber hinaus fordern viele Fachleute - wie bereits erwähnt – eine verstärkte Individualisierung von Fördermaßnahmen. Um diese realisieren zu könnten, müssten vermehrte Anstrengungen unternommen werden, um Mediator- und Moderatorvariablen für den Erfolg bestimmter Interventionen zu identifizieren.

Stahmer et al. fassen hierzu zusammen:

The goal, then, is not to find the one perfect treatment for all children with ASD, but to identify the important variables that influence the effectiveness of specific interventions for each child. Research that furthers our understanding of how to match clients with efficacious treatments will enable consumers to make better choices between procedures, decrease the outcome variability that characterizes early intervention research at present, and provide for the most efficient allocation of resources during the critical early intervention time-period.

This type of research is in its infancy, but is imperative if we are to determine a priori which treatment method will be most effective for a specific child.

(Stahmer et al., 2005, S. 237)

Hierfür werden Studien mit großen, heterogen zusammengesetzten Stich-proben benötigt (Lord et al., 2005). Auch der Vergleich der Wirksamkeit be-stimmter Förderprogramme in verschiedenen Subgruppen des Autismus-Spektrums wäre für die Frage der Therapieindikation hilfreich.

 Schließlich werden vermehrt Studien benötigt, die auf den Förderbedarf von solchen Kindern mit ASS fokussieren, die bislang vielfach von Studien ausge-schlossen worden sind. Dazu gehören – wie bereits in Abschnitt 4.3 erläutert - insbesondere minimal verbale Kinder mit ASS bzw. LFA.

Bei der Planung und Durchführung der beiden im empirischen Teil dieser Arbeit vorge-stellten Studien sind einige der hier skizzierten Anforderungen an zukünftige Studien berücksichtigt worden - selbstverständlich ohne den Anspruch zu erheben, auch nur eine der genannten offenen Fragen abschließend behandeln zu können. Stattdessen handelt es sich um zwei Pilotstudien, die einen Beitrag dazu leisten sollen, Kommuni-kationsförderprogramme bei minimal verbalen Kindern mit ASS zukünftig genauer an ihre individuellen Entwicklungsprofile und den sich daraus ergebenden Förderbedarf anpassen zu können. Im Rahmen der ersten Studie (empirischer Teil A) wird ein diag-nostisches Instrument entwickelt, das den kommunikativen Entwicklungsstand eines Kindes mit ASS alltagsnah und somit ökologisch valide erfassen soll. Die zweite Unter-suchung (empirischer Teil B) stellt eine Interventionsstudie dar, die auf einen umschrie-benen Entwicklungsbereich abzielt, nämlich auf den Aufbau intentionaler Kommuni-kation und die Anbahnung expressiver Sprachfähigkeiten. Dabei wird ein neues

Ansätze übergreifendes Förderkonzept (s. Abschnitt 5.2) anhand einer Einzelfallserie mit Prätest-Posttest-Design bei minimal verbalen Kindern mit ASS erprobt. Ein be-sonderer Fokus der Analysen liegt auf Unterschieden in den Entwicklungsprofilen und differentiellen Entwicklungsveränderungen mit dem Ziel, Hypothesen für eine förder-relevante Einteilung der Zielgruppe in Subgruppen mit unterschiedlichem Förderbedarf zu generieren. Die Interventionsstudie wird in dem für Deutschland üblichen Versor-gungskontext (Maßnahme der Eingliederungshilfe in einem spezialisierten Autismus-förderinstitut im Umfang von 2 Wochenstunden) in enger Kooperation mit den im Förderinstitut tätigen Therapeutinnen durchgeführt.

5. Vom Methodenstreit zum Passungsgedanken: Auf der