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4. Methoden der Kommunikations- und Sprachförderung bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung

4.3 Kommunikationsförderung bei minimal verbalen Kindern mit ASS

formulieren. Unterschiedliche Fördermethoden werden dann im Hinblick auf die identifizierten Förderziele kombiniert. Zum anderen liefert das Förderkonzept ein Methodenkontinuum, anhand dessen das methodische Vorgehen im Hinblick auf bestimmte Methodenmerkmale gezielt variiert werden kann. Angestrebt wird eine empirisch fundierte Auswahl von Methoden, die sich als besonders geeignet für ein bestimmtes Entwicklungsprofil erwiesen werden. In den meisten Fällen werden diese Daten jedoch noch nicht vorliegen, so dass innerhalb des Methodenkontinuums be-wusst variiert werden muss, wenn ein Kind vom zunächst gewählten Förderansatz nicht profitiert. Ein solches „Experimentieren“ mit Methoden im individuellen Fall wird übrigens auch von Stahmer et al. (2005) vorgeschlagen:

… observing differences in child response patterns early on in treatment (i.e. by providing two interventions to the same child for comparison) may be more useful in individualizing treatment than using only curriculum guidelines.

(Stahmer et al., 2005, S. 233)

Ver-ständnis von Kommunikation häufig stärker ausgeprägt seien als die Probleme in den expressiven Fähigkeiten. Paul et al. (2013) äußern dagegen die Befürchtung, dass in der Förderung minimal verbaler Kinder mit ASS häufig zu wenig an der Entwicklung der expressiven Sprache gearbeitet werde.

Empirische Studien zur Frage der geeigneten Auswahl von Förderzielen und zur Indi-kation verschiedener Fördermethoden bei dieser Zielgruppe sind noch rar. Die wenigen Studien, die sich mit dieser Zielgruppe befassen, deuten jedoch darauf hin, dass in Abhängigkeit von den individuellen Voraussetzungen des Kindes auch innerhalb dieser Zielgruppe unterschiedliche Antworten auf die Ziel- und Methodenfragen zu erwarten sind.

Zur Wirksamkeit von Elterntrainingsprogrammen bei minimal verbalen Kindern liegen zwei Studien vor, die die Wirksamkeit von Kurzprogrammen über 12 Wochen für diese Zielgruppe untersucht haben:

 Wie bereits in Abschnitt 4.1.3 beschrieben, konnte für das sozial-pragmatisch orientierte FPI (Siller et al., 2013) ein Jahr nach Abschluss der Intervention kein genereller positiver Effekt auf die sprachlichen Kompetenzen der Kinder nach-gewiesen werden. Allerdings hatte die Subgruppe der besonders stark beein-trächtigten Kinder (Sprachentwicklungsstand < 12 Monate) von der Intervention profitiert; im Vergleich zu ebenfalls stark sprachbeeinträchtigten Kindern einer Kontrollgruppe zeigten sie größere Fortschritte in ihren expressiven sprach-lichen Fähigkeiten.

 In der Pilotstudie mit 7 Kindern zum Ansätze übergreifenden ESDM-Eltern-trainingsprogramm (Vismara et al., 2009; vgl. Abschnitt 4.1.3) konnten sich die Kinder im Verlauf der Förderung deutlich in ihren spontanen sprachlichen Äußerungen, im Imitationsverhalten und ihren sozialen Initiativen verbessern, sobald die Eltern die vermittelten Techniken zuverlässig einsetzten (i. d. R. in der fünften bis sechsten Therapiesitzung).

Diese ersten Befunde, die bereits nach einer kurzen Elternanleitung positive Effekte auf die Sprachentwicklung minimal verbaler Kinder belegen, sind viel versprechend und lassen vermuten, dass ein intensiver Einbezug der Eltern in die Kommunikations- und Sprachförderung minimal verbaler Kinder ein zentraler Baustein der Intervention sein könnte. Ferner legen diese Befunde nahe, dass ein kurzes Elterntraining eine ge-eignete Maßnahme sein könnte, um Wartezeiten bis zur Aufnahme einer umfassenden Förderung des Kindes zu überbrücken.

Auch zu klinikbasierten Interventionen bei minimal verbalen Kindern mit LFA gibt es nur wenige Interventionsstudien:

 Zu dem in Abschnitt 4.2.1 vorgestellten Förderprogramm JASPER liegt in-zwischen eine erste kleine Pilotstudie zur Anwendung bei minimal verbalen Kin-dern mit LFA (CA: 3 bis 5 Jahre) vor (Stickles Goods et al., 2013): Die unter-suchten Kinder (N = 7) hatten alle bereits an einem intensiven ABA-Programm teilgenommen und bislang nur unzureichend davon profitiert. Während der Ex-perimentalphase von 12 Wochen erhielten die Kinder im Rahmen des

ABA-För-derprogramms zusätzlich 24 Einzeltherapiesitzungen nach dem JASPER-Pro-gramm. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (N = 8), bei der das ABA-Pro-gramm in dieser Zeit regulär fortgesetzt wurde, entwickelten die nach JASPER geförderten Kinder ein variantenreicheres Spielverhalten und zeigten sich in der Interaktion mit ihrer Erzieherin aus der Kindergartengruppe aktiver („engaged“).

Im Hinblick auf die kommunikativen Fähigkeiten der Kinder konnten jedoch keine eindeutig positiven Effekte nachgewiesen werden. Die Autoren vermuten, dass hierfür möglicherweise ein längerer Interventionszeitraum notwendig gewesen wäre.

 Rogers et al. (2006) verglichen die Wirksamkeit zweier Förderprogramme bei einer kleinen Stichprobe (N = 10) nonverbaler Kinder (CA: 1;8 – 5;5 Jahre). Die Kinder waren paarweise parallelisiert und wurden so auf zwei Interventions-bedingungen aufgeteilt. Im Rahmen von 12 wöchentlich stattfindenden Thera-piesitzungen erhielten 5 Kinder eine Förderung nach dem neueren Denver Mo-dell, das sozial-pragmatische und verhaltenstherapeutische Methoden kombi-niert. Die anderen Kinder erhielten eine ebenfalls stark naturalistisch ausge-richtete Förderung, bei der jedoch ein besonderer Schwerpunkt darauf gelegt wurde, expressive Sprache durch zusätzliche taktil-kinästhetische Impulse zu elizitieren (PROMPT, Chumpelik & Sherman, 1980, zitiert nach Rogers et al., 2006). Die Eltern wurden bei beiden Interventionen intensiv mit einbezogen und erhielten Hinweise für die Fortsetzung der Förderung zuhause. Nach Abschluss der Intervention hatten jeweils 4 Kinder in jeder Interventionsgruppe insofern deutliche Fortschritte im Gebrauch expressiver Sprache gemacht, als sie fünf oder mehr neue Wörter spontan und häufig einsetzten. Die ähnlichen Ergeb-nisse in beiden Interventionsgruppen könnten damit zusammenhängen, dass sich die untersuchten Förderprogramme in wesentlichen Merkmalen stark ähnelten (starke Individualisierung, Förderung im Rahmen motivierender und naturalistischer, aber strukturierter Interaktionen, intensiver Einbezug der Eltern). Innerhalb der Gesamtgruppe der 10 untersuchten Kinder profitierten diejenigen Kinder stärker von einer Intervention, die eine mildere autistische Symptomatik aufwiesen, bessere motorische Imitation zeigten und anfingen, joint-attention-Verhalten zu entwickeln. Aufgrund der geringen Stichproben-größe waren keine Schlussfolgerungen bzgl. der Frage möglich, bei welchem individuellen Entwicklungsprofil welche der beiden Interventionen eher indiziert sein könnte.

Für die Frage der Methodenindikation ist auch eine neuere, ebenfalls Therapie ver-gleichende Studie von Paul et al. (2013) interessant, in der mit einer etwas größeren Stichprobe von 22 Kindern im klinischen Rahmen gearbeitet worden ist. Da die Autorinnen auf der Grundlage ihrer Ergebnisse erste Empfehlungen für die thera-peutische Praxis bei minimal verbalen Kindern abzuleiten versuchen, soll diese Unter-suchung im Folgenden ausführlicher dargestellt werden:

 Die beiden Förderprogramme, die von Paul und Mitarbeiterinnen verglichen wurden, waren beide auf die Verbalsprache ausgerichtet und hatten die

An-bahnung von ersten Wortproduktionen zum Ziel („speech-focused inter-vention“). Es handelte sich zum einen um ein klassisch-verhaltenstherapeu-tisches verbales Imitationstraining, dem „Rapid Motor Imitation Antecedent (RMIA)“-Training nach Tsiouri (2002; Tsiouri, Schoen Simmons & Paul, 2012).

Das andere Förderprogramm bestand aus einer naturalistisch-verhaltensthera-peutischen Intervention im Rahmen von motivierenden Spielinteraktionen, dem Milieu Communication Training (MCT) nach Yoder und Warren (2002). Beide Interventionen wurden über einen Zeitraum von 12 Wochen im Rahmen von 36 Therapiesitzungen durch einen Sprachtherapeuten realisiert. Neben der Sprachtherapie, die die Kinder erhielten, nahmen alle Eltern an einem Eltern-trainingsprogramm zu Verbesserung der elterlichen Responsivität teil, um eine Generalisierung der Therapieeffekte in den häuslichen Alltag zu erleichtern. In-sofern wurde in beiden Interventionsgruppen ein Ansätze übergreifendes Inter-ventionskonzept realisiert: Unter der RMIA-Bedingung wurde eine klassisch-verhaltenstherapeutische Intervention am Kind mit einer sozial-pragmatischen Intervention bei den Eltern durchgeführt; die MCT-Bedingung umfasste eine naturalistisch-verhaltenstherapeutische Förderung des Kindes mit begleitender sozial-pragmatischer Intervention bei den Eltern. An der Studie nahmen insgesamt 22 3- bis 6jährige minimal verbale Kinder mit LFA teil, die zu Beginn der Intervention einen kognitiven Entwicklungsstand von mindestens 12 Mo-naten (MA: M = 1;10 Jahre) und einen aktiven Wortschatz von unter 15 Wörtern aufwiesen. Es wurden zunächst 17 Kinder aufgenommen, die in der Lage waren, Bewegungen nachzuahmen, bzw. die diese Fähigkeit im Rahmen eines vorgeschalteten Trainingsprogramms erlernt hatten. 10 dieser Kinder wurden der RMIA-Interventionsgruppe zugeordnet, die anderen 7 Kinder erhielten das Training. Ergänzend wurden noch 5 weitere Kinder in die MCT-Interventionsgruppe aufgenommen, bei denen Defizite in der motorischen Imita-tion festgestellt worden waren und die von dem vorgeschalteten ImitaImita-tions- Imitations-training nicht profitiert hatten. Nach Abschluss dieser – recht kurzen – Inter-vention zeigten sich in beiden Gruppen deutliche Zuwächse in der Anzahl der Wörter, die die Kinder produzierten (erfasst über Elternfragebögen, eine stan-dardisierte Beobachtungssituation und Sprachentwicklungstests). In beiden Gruppen erreichte zudem etwa die Hälfte der Kinder eine höhere Stufe der Sprachentwicklung. In weitergehenden Moderatoranalysen, die aufgrund der kleinen Stichproben als vorläufig gelten müssen, fanden die Autorinnen Hin-weise darauf, dass Kinder mit besseren joint-attention-Fähigkeiten unter beiden Bedingungen besser von der Intervention profitierten als Kinder, die zu Beginn der Förderung nur wenig joint-attention-Verhalten gezeigt hatten. Darüber hinaus deuten die Daten darauf hin, dass Kinder mit sehr geringen rezeptiven sprachlichen Fähigkeiten (Sprachverständnis < 18 Monate) besser von dem RMIA-Training profitierten, während Kinder mit etwas besseren rezeptiven Fähigkeiten größere Fortschritte machten, wenn sie das MCT-Training er-hielten.

Auf der Grundlage ihrer Daten aus dieser Studie und ihrer klinischen Erfahrungen formulieren die Autorinnen folgende vorläufige Empfehlungen für die Methodenauswahl bei minimal verbalen Kindern mit ASS:

 Kinder, die über einen nonverbalen Entwicklungsstand von über 12 Monaten und basale Fähigkeiten im Bereich der gemeinsamen Aufmerksamkeit vfügen, sollten eine intensive, verbal orientierte Intervention (speech-focused) er-halten. Begleitend können visuelle Methoden aus dem Bereich der unter-stützten Kommunikation zur Anwendung kommen; die Kommunikationsförde-rung sollte bei diesen Kindern jedoch nicht darauf begrenzt werden.

o Sofern diese Kinder über ein Sprachverständnisalter von über 18 Monaten verfügen, sollte die Intervention in Form einer naturalistisch ausgerichteten Intervention (z. B. MCT) erfolgen.

o Sofern das Sprachverständnis schwächer ausgeprägt ist und die Kin-der in Kin-der Lage sind, motorische Bewegungen nachzuahmen, sollte ein verbales Imitationstraining (z. B. RMIA) erfolgen.

 Bei Kindern, die noch nicht über joint-attention-Fähigkeiten verfügen, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie von einer verbal orientierten Intervention profitieren. Bei diesen Kindern sollten in erster Linie visuelle Kommunikations-fördermethoden eingesetzt und intensive Versuche unternommen werden, ge-meinsame Aufmerksamkeit aufzubauen. Falls diese sich entwickeln lässt, sollten die Kinder anschließend eine verbal orientierte Intervention erhalten.

Eine fokussierte verbale Intervention, die den Gebrauch gesprochener Wörter klein-schrittig aufbaut, erfordert nach Einschätzung der Autorinnen ein therapeutisches Setting, das von einer sprachtherapeutisch geschulten Fachkraft durchgeführt wird („clinician-delivered intervention“). Die Therapieerfolge können jedoch ihrer Ansicht nach deutlich verbessert werden, wenn die professionelle Sprachförderung durch ein sozial-pragmatisches Elterntraining ergänzt wird, das die Eltern befähigt, Interaktionen mit ihren Kindern entwicklungsförderlich zu gestalten. Diese Annahme können die Autorinnen allerdings nur aus ihren klinischen Erfahrungen ableiten und nicht anhand ihrer eigenen Daten belegen, da alle Familien in ihrer Studie dieses Training erhielten.

Hier sind noch gesonderte Studien notwendig, die speziell den Einfluss des Eltern-trainings auf die Therapieerfolge untersuchen. Die positiven Befunde der o. g. reinen Elterntrainings stützen die Vermutung von Paul et al. Genauer zu klären ist aber noch, welche Inhalte bei welcher Subgruppe minimal verbaler Kinder im Fokus der Eltern-anleitung stehen sollten und ob sich auf Seiten der Elternmerkmale Indikatoren dafür identifizieren lassen, ob eine Familie von einer solchen Elternanleitung profitieren wird oder nicht (vgl. die in Abschnitt 4.1.3 erwähnten Befunde von Siller et al., 2013, zu den sog. „insightful“ Müttern).

Die Empfehlungen, die Paul et al. zur Methodenauswahl formulieren, bilden wertvolle Hypothesen zur differentiellen Wirksamkeit unterschiedlicher methodischer Vorgehens-weisen zur Kommunikations- und Sprachförderung bei minimal verbalen Kindern mit LFA. Variablen, die als Moderatoren für die Wirksamkeit von verschiedenen Methoden

in Frage kommen, werden benannt, nämlich der nonverbale Entwicklungsstand eines Kindes, seine joint-attention-Fähigkeiten und das Sprachverständnis. Die formulierten Annahmen bedürfen aber noch der weiteren Überprüfung im Rahmen von Studien mit wesentlich größeren Stichproben. Im Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit werden die Empfehlungen von Paul et al. erneut aufgegriffen, wenn es darum geht, erste Leit-linien für die Kommunikationsförderung bei minimal verbalen Kindern mit ASS (Abschnitt 17.2) zu formulieren.