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4. Methoden der Kommunikations- und Sprachförderung bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung

4.2 Kombination von Förderansätzen

In jüngster Zeit zeichnet sich in der Interventionsforschung eine neue Entwicklung ab:

Nachdem Förderprogramme mit lerntheoretischer Orientierung sowie solche mit sozial-pragmatischer Ausrichtung viele Jahre nebeneinander bestanden haben und letztere in der wissenschaftlichen Diskussion und Überprüfung deutlich weniger Aufmerksamkeit erfahren haben, lässt sich in den letzten Jahren eine Annäherung der Förderansätze beobachten (vgl. Prizant, Wetherby, Rubin & Laurent, 2003). Verhaltenstherapeutische Interventionen finden häufiger auch in motivierenden Interaktionssituationen statt und berücksichtigen bei der Auswahl der Förderziele verstärkt entwicklungspsychologische Erkenntnisse zur Bedeutung von basalen sozial-kognitiven Fähigkeiten. Zugleich ent-wickeln einige Vertreterinnen und Vertreter sozial-pragmatischer Ansätze derzeit För-derprogramme, die zwar den Fokus auf die Etablierung entwicklungsförderlicher aktionen zwischen Kind und Bezugspersonen richten, zugleich innerhalb solcher Inter-aktionen aber auch einzelne Zielverhaltensweisen klar definieren und mit verhaltens-therapeutischen Methoden schrittweise aufbauen. Entsprechend sind in den ver-gangenen Jahren eine Reihe von Förderprogrammen mit kombinierter theoretisch-methodischer Ausrichtung entwickelt worden, deren Evaluation jedoch noch in den An-fängen steckt. Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über unterschiedliche Pro-gramme gegeben, die sozial-pragmatische und verhaltenstherapeutische Förderprin-zipien kombinieren (Abschnitt 4.2.1); ferner werden die Ergebnisse der ersten Evaluationsstudien vorgestellt. Da diese Entwicklung nicht unumstritten ist, wird an-schließend die Kontroverse um die Kombination von Förderansätzen skizziert (Abschnitt 4.2.2).

4.2.1 Förderprogramme mit kombinierter theoretisch-methodischer Ausrichtung Interventionsprogramme mit kombinierter Förderausrichtung sind für unterschiedliche Fördersettings entwickelt worden, z. B. für die Anleitung von Eltern in Gruppen und im häuslichen Rahmen, für klinische Kontexte und die Anwendung durch professionelle Therapeutinnen und Therapeuten sowie für die autismusspezifische Förderung in Tagesbetreuungseinrichtungen. Einige Programme (z. B. das ESDM und SCERTS) bilden umfassende Förderprogramme, die auf unterschiedliche Entwicklungsbereiche abzielen. Andere Programme sind in erster Linie auf die Verbesserung sozial-kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten ausgerichtet (z. B. ImPACT und JASPER). Der fol-gende Kasten enthält eine Übersicht über Förderprogramme mit kombinierter Aus-richtung.

Förderprogramme mit kombinierter theoretisch-methodischer Ausrichtung

 Weiterentwicklung des Denver Modells – DM (z. B. Rogers, Hall, Osaki, Reaven &

Herbison, 2000)

 Early Start Denver Model – ESDM (z. B. Rogers & Dawson, 2010)

 Erweiterte Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie - AIT (Hartmann, 2011)

 Improving parents as communication teachers – ImPACT (z. B. Ingersoll & Wainer, 2013)

 Joint Attention Symbolic Play Engagement and Regulation – JASPER (z. B. Kasari, Freeman & Paparella, 2006)

 Social Communication, Emotional Regulation and Transactional Support - SCERTS (z. B. Prizant, Wetherby, Rubin, Laurent & Rydell, 2006)

Zu den folgenden drei Förderprogrammen liegen erste (Pilot-)Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit vor.

Early Start Denver Model (ESDM): Kurzbeschreibung und Evaluationsergebnisse Bei dem ESDM handelt sich um ein umfassendes Förderprogramm zur Förderung junger Kinder mit ASS (unter 3 Jahren) in einem klinischen Rahmen unter intensiver Beteiligung der Eltern (Rogers & Dawson, 2010). Es zielt auf die Förderung in unter-schiedlichen Entwicklungsbereichen ab, auch auf den Aufbau basaler sozial-kognitiver Fähigkeiten und nonverbaler und verbaler Kommunikationsmittel. Das Programm sieht vor, dass zu Beginn einer Fördermaßnahme individuelle Entwicklungsziele auf der Basis einer detaillierten Diagnostik formuliert werden; hierfür enthält das Therapie-manual Checklisten, die bei der Strukturierung der diagnostischen Informationen helfen und die Reihenfolge der zu bearbeitenden Entwicklungsziele festlegen (vgl. hierzu auch Abschnitt 7.2.1). Die explizit aufgelisteten sozial-pragmatischen und verhaltens-therapeutischen Förderprinzipien und Techniken werden im Hinblick auf die aus-gewählten Förderziele kombiniert.

Eine erste Evaluationsstudie zur Wirksamkeit des ESDM-Programms bei jungen Kin-dern mit ASS (Dawson, Rogers, Munson, Smith, Winter, Greenson et al., 2009) hat in der Fachliteratur viel Aufmerksamkeit erhalten, da es sich um die erste kontrolliert-randomisierte Evaluation eines Ansätze kombinierenden Förderprogramms handelt: In dieser Studie wurden 24 junge Kinder mit ASS (CA: 1;6 bis 2;6 Jahre) zwei Jahre lang intensiv gefördert. Die Kinder erhielten im Durchschnitt wöchentlich 15,2 Stunden Autismustherapie nach dem ESDM-Programm durch erfahrene Therapeutinnen und Therapeuten im häuslichen Kontext. Darüber hinaus wurden die Eltern der Kinder zweimal im Monat darin angeleitet, einzelne Interventionen während der Alltags-aktivitäten mit ihrem Kind (Essen, Baden, Spielen etc.) fortzusetzen. Im Durchschnitt verwandten die Eltern zuhause etwa 16,3 Stunden in der Woche auf die systematische Förderung ihrer Kinder. Die Entwicklungsfortschritte der Kinder wurden mit den Fortschritten einer Kontrollgruppe von 24 gleichaltrigen und im Hinblick auf die Diagnose und den Entwicklungsstand parallelisierten Kindern verglichen. Die Kinder der Kontrollgruppe erhielten in dieser Zeit die üblichen kommunalen Förderangebote (z. B. Sprachtherapie, Ergotherapie, Teilnahme an Vorschulgruppen); im Durchschnitt nahmen die Kontrollgruppenkinder an 9,1 Stunden Einzeltherapie und 9,3 Stunden

Gruppenförderung in der Woche teil. Den Eltern wurden Informationsmaterial sowie all-gemeine Förderempfehlungen an die Hand gegeben. Nach zwei Jahren zeigten die nach ESDM geförderten Kinder signifikant größere Entwicklungsfortschritte als die Kinder der Kontrollgruppe; dies galt sowohl für die kognitiven, die lebenspraktischen als auch für die rezeptiven und produktiven sprachlichen Fähigkeiten der Kinder.

Vivanti, Dissanayake, Zierhut, Rogers und das Victorian ASELCC Team (2013) unter-suchten die Wirksamkeit eines ESDM-Trainings, das nicht als 1:1-Förderung, sondern in einem gruppentherapeutischen Setting mit 15 bis 25 Förderstunden in der Woche über ein Jahr bei 21 Vorschulkindern (CA: M = 3;2 Jahre) realisiert wurde. Da der Fokus hier auf der Analyse von Prädiktoren für den Therapieerfolg lag, gab es keine Kontrollgruppe. Es zeigten sich erhebliche interindividuelle Unterschiede in den Therapieerfolgen mit Verbesserungen von zwischen 0 und 24 Entwicklungsmonaten (nach 12 Monaten Intervention) in verschiedenen Entwicklungsbereichen. Im sprach-lichen Bereich nahm der Entwicklungsstand der Kinder um durchschnittlich 8 Entwick-lungsmonate zu, was angesichts der Tatsache, dass der durchschnittliche Standard-wert für den allgemeinen Entwicklungsstand der Kinder lediglich 5720 betrug, als beachtlicher Fortschritt zu werten ist. Interessant ist, dass insbesondere diejenigen Kinder von dem ESDM-Programm profitierten, die zu Interventionsbeginn im funk-tionalen Gebrauch von Objekten, in der visuellen Vorwegnahme einer zielgerichteten Handlung und in der spontanen Imitation fortgeschrittener gewesen waren.

Vismara, Colombi und Rogers (2009) erprobten das ESDM-Programm in einer kleinen Pilotstudie als Kurzprogramm über 12 Wochen. Dabei wurden die Eltern junger minimal verbaler Kinder mit ASS (CA : 0;10 bis 3;0 Jahre, N = 8) einmal in der Woche in der Umsetzung von 10 ESDM-Förderstrategien angeleitet. Während der Intervention verbesserten sich die Kinder in den Therapiesitzungen mit ihren Eltern kontinuierlich in ihren spontanen sprachlichen Äußerungen, ihrem Imitationsverhalten und ihren so-zialen Initiativen gegenüber den Eltern und den Therapeutinnen bzw. Therapeuten.

Dies spricht dafür, dass bereits mit einem Kurzprogramm zur Vermittlung von entwick-lungsförderlichen Interaktionsstrategien nach dem ESDM-Konzept – z. B. während der Wartezeit bis zur Aufnahme einer umfassenden Therapie – Verbesserungen in sozial-kommunikativen Fähigkeiten erreicht werden können.

Improving parents as communication teachers (ImPACT): Kurzbeschreibung und Evaluationsergebnisse

Ein weiteres Elterntrainingsprogramm, bei dem sozial-pragmatische und verhaltens-therapeutische Interventionen gemischt werden, ist von Ingersoll und Wainer (2013) entwickelt worden. Dieses Programm ist speziell auf die Verbesserung kommunikativ-sprachlicher Kompetenzen ausgerichtet.

In einer ersten Pilotstudie nahmen 8 Eltern mit ihren Kindern mit ASS (CA: M = 4;5 Jahre) über 12 Wochen hinweg an dem Programm ImPACT teil. Bei einer Follow-up-Untersuchung nach einem Monat nach Abschluss der Intervention konnten bei 6 der 8

20 Ein Standardwert von 57 liegt mehr als zwei Standardabweichungen unterhalb des Mittelwertes von 100, was für einen erheblichen Entwicklungsrückstand spricht.

Kinder signifikante Fortschritte im spontanen Gebrauch von Sprache festgestellt werden. Die beiden non-verbalen Kinder der Studie bauten jedoch – während des recht kurzen Interventionszeitraums – noch keine spontanen lautsprachlichen Kompetenzen auf. Inwieweit die Kinder sich in nonverbalen kommunikativen Fähigkeiten ver-besserten, wurde leider nicht untersucht.

Joint Attention Symbolic Play Engagement and Regulation (JASPER): Kurz-beschreibung und Evaluationsergebnisse

Eine Forschergruppe um Connie Kasari entwickelte zwei kombinierte Interventions-programme mit unterschiedlichem inhaltlichem Schwerpunkt; ein Programm ist auf die Verbesserung von joint-attention-Fähigkeiten ausgerichtet, das andere zielt darauf ab, Fähigkeiten im Bereich des Symbolspiels aufzubauen (Kasari et al., 2006; Kasari, Paparella, Freeman & Jahromi, 2008). Für jeden dieser Entwicklungsbereiche haben die Autorinnen aufeinander aufbauende Teilfähigkeiten formuliert, die systematisch bei den Kindern aufgebaut werden. Beide Programme sehen für jede Therapiesitzung zu-nächst eine kurze Fördersequenz im diskreten Lernformat (klassisch-verhaltens-therapeutisch) vor, bei der die avisierte Teilfähigkeit klassisch-verhaltenstherapeutisch trainiert wird. Anschließend findet eine längere kindzentrierte Interaktionssequenz statt, bei der naturalistisch-verhaltenstherapeutische und sozial-pragmatische Techniken zum Einsatz kommen. Inzwischen sind beide Programme zu einem Programm inte-griert und unter dem Namen JASPER veröffentlicht worden (Stickles Goods, Ishijima, Chang & Kasari, 2013).

In der ersten Studie zur Evaluation der Vorgängerversion von JASPER wählten Kasari et al. (2006, 2008) einen methodisch interessanten Ansatz, um die Wirksamkeit der beiden Varianten ihres Förderprogramms zu untersuchen: Sie untersuchten 58 Vor-schulkinder im Alter von 3 bis 4 Jahren, die alle an einem verhaltenstherapeutisch aus-gerichteten Tagesförderprogramm (ABA) im Umfang von 30 Stunden in der Woche teil-nahmen. Zwei Drittel der Kinder erhielt innerhalb dieses Förderrahmens für 5 bis 6 Wochen täglich eine Zusatzintervention, die entweder auf die besondere Förderung von joint attention-Fähigkeiten oder aber auf die Verbesserung von Symbolspielfähig-keiten ausgerichtet war. Das restliche Drittel der Kinder erhielt weiterhin die reguläre ABA-Förderung und bildete die Kontrollgruppe. Bei einer Follow-up-Untersuchung der Kinder 12 Monate nach Abschluss der Zusatzinterventionen ließen sich für beide Ex-perimentalgruppen größere Fortschritte in den sprachlichen Kompetenzen nachweisen als für die Kontrollgruppe. Ferner konnte festgestellt werden, dass Kinder, die zu Be-ginn der Intervention ein sehr niedriges Sprachniveau (minimal verbal) aufgewiesen hatten, am besten von der Zusatzförderung mit joint-attention-Schwerpunkt profitierten.

Weitere vier Jahre später konnten 40 Kinder erneut nachuntersucht werden. Die Kinder aus den beiden Experimentalgruppen, insbesondere aus der joint-attention-Gruppe, hatten im Alter von 8 bis 9 Jahren tendenziell einen größeren aktiven Wortschatz ent-wickelt als die Kinder der Kontrollgruppe. Diese Befunde deuten zum einen darauf hin, dass Interventionen mit besonderer Ausrichtung auf die Förderung basaler sozial-kognitiver Fähigkeiten bei minimal verbalen Kindern bedeutsam für den weiteren Spracherwerb sind. Zum anderen ergeben sich Hinweise darauf, dass ein Ansätze

kombinierendes Vorgehen im Hinblick auf die Förderung von joint-attention-Fähigkeiten (und Symbolspiel) wirksam ist.

Das JASPER-Programm ist inzwischen auch als Elterntraining realisiert worden (Kasari, Gulsrud, Wong, Kwon & Locke, 2010), und es konnten im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 38 Kindern signifikante Verbesserungen im joint-attention-Verhalten und im funktionalen Spiel der Kinder festgestellt werden. Leider wurde die kommunikativ-sprachliche Entwicklung der Kinder nicht untersucht.

Erweiterte Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie (AIT): Kurzbeschreibung

Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang kaum Versuche, sozial-pragmatische und verhaltenstherapeutische Methoden in ein umfassendes Förderprogramm zu inte-grieren. Eine Ausnahme stellt die Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie dar (s. o.), die Hartmann (2011) zur „Erweiterten Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie“ weiter entwickelt hat. Sozial-pragmatische Interventionsprinzipien werden bei ihm als „dia-logischer Weg“ bezeichnet. In seinem „Kleinen Lehrbuch der modernen Autismus-Therapie mit dialogischem Schwerpunkt“ vertritt Hartmann die Haltung, dass neben offenen und inszenierten Interaktionssituationen auch systematische und programm-orientierte Übungen notwendig seien; in der Sprachförderung sollten der dialogische Weg und der Übungsweg parallel verfolgt werden.

Hinweise auf eine möglicherweise verbesserte Effektivität einer kombinierten Anwen-dung von AIT und verhaltenstherapeutischen Methoden leitet Hartmann aus einer älteren vergleichenden Studie von Hartmann, Willner und Esser (2004) ab. Die Autoren untersuchten 7 Kinder mit ASS, deren Eltern 3 Monate lang 14tägig in der Durch-führung von klassischen AIT-Strategien (N = 4) oder verhaltenstherapeutischen Strate-gien (N = 3) angeleitet wurden. Nach drei Monaten wurden allen Eltern zusätzlich Stra-tegien des jeweils noch nicht eingeführten Förderansatzes vermittelt. Während der Interventionsphase (insgesamt sechs Monate) dokumentierten die Eltern die Entwick-lung ihrer Kinder in den häuslichen Therapiesitzungen (täglich 30 Minuten) im Hinblick auf zwei individuell ausgewählte Zielverhaltensweisen (v. a. kommunikative Ver-haltensweisen und Abbau von Störverhalten). Die Autoren machten die Beobachtung, dass die Kinder, die mit der ersten Therapieform keine oder ungenügende Fortschritte gemacht hatten, sich nach Beginn der kombinierten Behandlung deutlich verbesserten.

Aufgrund der geringen Stichprobengröße und der mangelnden Vergleichbarkeit der beiden Subgruppen sind diese Ergebnisse jedoch als vorläufig zu betrachten. Syste-matische Evaluationsstudien liegen für die erweiterte AIT leider nicht vor.

Stärken und Schwächen kombinierter Förderansätze

Die o. g. Ansätze, die eine Kombination von Förderorientierungen vornehmen, über-zeugen damit, dass sie eine entwicklungspsychologisch hergeleitete theoretische Basis aufweisen und zugleich Erkenntnisse zur hohen Wirksamkeit lerntheoretischer Prin-zipien bei der Vermittlung neuer Fertigkeiten bei Kindern mit ASS berücksichtigen. Es erscheint sehr plausibel, dass die Lernmöglichkeiten der geförderten Kinder im

Rahmen natürlicher und quasi-natürlicher Interaktionen auf diese Weise noch zusätz-lich verbessert werden.

Die empirische Basis für eine Beurteilung dieser Ansätze ist jedoch noch dünn. Die ersten Studien hierzu, insbesondere aus den Forschergruppen um Rogers und Dawson sowie um Kasari, deuten darauf hin, dass diese Ansätze für die Förderung von Kommunikation und Sprache bei Kindern mit ASS geeignet sind – sowohl in eltern-basierten als auch in „clinic-based“ settings. Möglicherweise gilt dies besonders für die Förderung basaler sozial-kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten bei minimal ver-balen Kindern. Die Studien von Kasari et al. (2006, 2008) zeigen zudem, dass nicht nur die Frage des geeigneten methodischen Vorgehens, sondern auch der inhaltlichen Schwerpunktsetzung für die Wirksamkeit einer Fördermaßnahme relevant ist.

Für Förderprogramme mit naturalistisch-verhaltenstherapeutischer Ausrichtung ist kriti-siert worden, dass diese im Vergleich zu klassisch-verhaltenstherapeutischen Förder-programmen höhere Anforderungen an die Kompetenz der Nutzerinnen und Nutzer stellen würden (s. Abschnitt 4.1.2). Vermutlich gilt dieser Kritikpunkt umso mehr für die hier dargestellten Förderprogramme, die ein flexibles Wechseln nicht nur der Metho-den, sondern auch der Rolle des Erwachsenen in der Interaktion erfordern und somit schwieriger umzusetzen sein dürften als Förderprogramme, die nur einer theoretisch-methodischen Ausrichtung folgen.

4.2.2 Zur Kontroverse um die Kombination von Förderansätzen Eklektische vs. systematische Kombination von Förderansätzen

In der anglo-amerikanischen sowie der deutschsprachigen Förderpraxis wird in der Regel nicht konsequent nach einem theoretischen Rahmenmodell gearbeitet, sondern es werden in der Förderung eines einzelnen Kindes meistens Methoden aus unter-schiedlichen Förderansätzen kombiniert (Rogers & Vismara, 2008; Stahmer et al., 2010). So befragten Stahmer, Collings und Palinkas (2005) z. B. 22 Therapeutinnen und Therapeuten, die in U.S.-amerikanischen kommunalen Förderzentren tätig waren, nach ihrem methodischen Vorgehen in der Förderung junger Kinder mit ASS. Dabei ergab sich, dass die befragten Praktikerinnen und Praktiker ein breites Spektrum an evidenzbasierten und nicht-evidenzbasierten Fördermethoden mit unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen nutzten und diese oft in Kombination und in modifizierter Weise anwendeten. Dieser Befund lässt sich auch auf die Förderpraxis in deutschen Autismusförderzentren übertragen.

Die Ansätze und Methoden kombinierende Förderpraxis ist bislang von vielen Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern als eklektisch kritisiert worden. Besonders deutlich kritisiert Dillenburger (2011) die aus ihrer Sicht unsystematische Kombination von ver-schiedenen Vorgehensweisen bei der Behandlung von ASS in den meisten euro-päischen Autismusförderzentren; dieses eklektische Vorgehen sei pseudowissen-schaftlich und würde von europäischen Regierungen zu Unrecht favorisiert werden.

Grund dafür seien Fehlinformationen und mangelnde Kenntnisse über die große

Wirk-samkeit sowie die Flexibilität der autismusspezifischen Verhaltenstherapie auf Seiten der Entscheidungsträger. Dillenburger empfiehlt hier ein Umdenken und eine An-erkennung der autismusspezifischen Verhaltenstherapie als den am besten geeigneten Förderansatz bei Autismus-Spektrum-Störungen. Tatsächlich konnte in verschiedenen Studien aufgezeigt werden, dass mit eklektisch angelegten Interventionen geringere Verbesserungen erreicht werden als mit Programmen, die konsequent eine bestimmte theoretisch-methodische (verhaltenstherapeutische) Ausrichtung verfolgen (z. B.

Eikeseth, Smith, Jahr & Eldevik, 2002; Howard, Sparkman, Cohen, Green & Stanislaw, 2005).

Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein kombinierendes Vorgehen automatisch mit einem eklektischen Ansatz gleichzusetzen ist. Seit einigen Jahren mehren sich unter Autismusforscherinnen und –forschern die Stimmen, die auf die Notwendigkeit von Me-thodenkombinationen hinweisen (z. B. Rogers, 2006; Rogers & Vismara, 2008;

Stahmer et al., 2005). Nur so könne den stark divergierenden Förderbedarfen autistischer Menschen Rechnung getragen werden. Darüber hinaus würde der Aufbau unterschiedlicher (kommunikativer und anderer) Teilfähigkeiten auch unterschiedliche methodische Vorgehensweisen erfordern.

It is a truism that no single approach can best meet the needs of all children with autism and that individualization of approach to maximize progress will be necessary to attain the best outcome for an individual child. This means that interventionists need to monitor progress frequently and carefully and change intervention strategies when progress on specific objectives is poor. This also means that interventionists need to master serveral different intervention approaches, so that they are able to individualize for specific children, drawing from the approaches that have some empirical support.

(Rogers, 2006, S. 159)

Auch Dillenburger (2011) hält ein Methoden übergreifendes Vorgehen angesichts der Heterogenität von ASS für angezeigt. Sie hält es jedoch für notwendig, nur solche Me-thoden zu kombinieren, die denselben theoretischen Bezugsrahmen haben; sie em-pfiehlt hierfür, einen lerntheoretischen Rahmen zu verwenden, also ausschließlich mit verhaltenstherapeutischen Methoden zu arbeiten. Die Kombination von Methoden aus unterschiedlichen Förderansätzen lehnt sie aus verschiedenen Gründen ab: So gebe es keinerlei empirische Belege für die Wirksamkeit von - wie sie es nennt – eklek-tischen Methodenkombinationen; die unterschiedliche theoretische Basis der Interven-tionen könne zu Widersprüchen führen, und es sei für Therapeutinnen und Thera-peuten nicht zu leisten, alle potentiell möglichen Interventionsmethoden gleichermaßen kompetent zu beherrschen (vgl. auch Paul, 2007; Lord et al., 2005).

Angesichts dieser Bedenken fordern Befürworterinnen und Befürworter eines Ansätze übergreifenden Vorgehens, dass Programme entwickelt werden, die eine systema-tische Kombination von Methoden ermöglichen:

Mixing methods may detract from progress if the methods work at cross-purposes or if there is not a clear curricular scope and sequence to the overall plan.

(Rogers & Vismara, 2008, S. 26) und

… a specific, systematic method of combining strategies may be needed to ensure that interventions remain effective when combined in an attempt to individualize for a particular child and family.

(Stahmer et al., 2005, S. 231)

Stahmer et al. (2005) skizzieren in ihrem Überblicksartikel mit dem Titel „Toward a technology of treatment individualization for young children with autism spectrum disorders“ verschiedene Systematisierungsmöglichkeiten, anhand derer sich sozial-pragmatisch und lerntheoretisch basierte Fördermethoden systematisch kombinieren lassen: So beschreiben sie z. B. ein Förderprogramm (Alexa’s PLAYC von Stahmer &

Ingersoll, 2004), das die Gestaltung einer strukturierten und entwicklungsförderlichen (sozial-pragmatischen) Lernumgebung für alle Kinder beinhaltet. Bleiben bei einem Kind unter diesen Bedingungen Lernfortschritte im Hinblick auf ein individuell defi-niertes Entwicklungsziel aus, werden schrittweise immer direktivere verhaltensthera-peutische Techniken zum Aufbau der avisierten Kompetenz eingeführt und schrittweise wieder zurückgenommen, sobald das Kind die Fähigkeit erworben hat. Andere Förder-programme würden – so Stahmer et al. - für unterschiedliche Entwicklungsbereiche unterschiedliche methodische Vorgehensweisen festlegen. Eine andere Möglichkeit der Systematisierung bestehe darin, auf der Grundlage bestimmter Merkmale eines Kindes Empfehlungen zur Auswahl der Fördermethoden zu formulieren. Einige Pro-gramme wie z. B. das ESDM würden hierfür Entscheidungsbäume liefern. Stahmer et al. (2005) vertreten die Ansicht, dass Förderprogramme, die unterschiedliche Förder-methoden in systematischer Weise kombinieren, nicht als eklektisch bezeichnet werden sollten:

…these programs combined strategies in a systematic way, and examined fidelity of implementation of the model, rather than simply using many strategies haphazardly. This is an important distinction from communitiy programs that have used „eclectic“ practices.

(Stahmer et al., 2005, S. 232)

Ausblick auf die Kombination von Förderansätzen in der vorliegenden Arbeit

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird ein entwicklungspsychologisch basierter Systematisierungsansatz zur Auswahl von Fördermethoden aus unterschiedlichen Förderansätzen zur Förderung von Kommunikation und Sprache verfolgt. Es wird dabei angenommen, dass eine Kombination von Methoden aus verschiedenen Förder-ansätzen die Schwächen der einzelnen Ansätze ausgleichen und so zu einer ver-besserten Wirksamkeit der Interventionen beitragen führen kann, sofern die Interven-tionen systematisch und nicht eklektisch kombiniert werden.

Hierfür wird im nächsten Kapitel (Abschnitt 5.3) ein entwicklungsorientiertes Konzept zur Kommunikations- und Sprachförderung von Kindern mit gravierenden Entwick-lungsstörungen (Aktas et al., 2012a) vorgestellt werden, das die Kombination von Methoden aus unterschiedlichen Förderansätzen vorsieht und die Methodenauswahl auf zwei Ebenen zu systematisieren versucht: Zum einen wird - ähnlich wie im Förder-programm ESDM - ein Entwicklungsstufenmodell als Bezugsrahmen vorgeschlagen, der es erlauben soll, das Entwicklungsprofil des zu fördernden Kindes (im Sinne von förderrelevanten Kindmerkmalen) zu identifizieren und zentrale Förderziele zu

formulieren. Unterschiedliche Fördermethoden werden dann im Hinblick auf die identifizierten Förderziele kombiniert. Zum anderen liefert das Förderkonzept ein Methodenkontinuum, anhand dessen das methodische Vorgehen im Hinblick auf bestimmte Methodenmerkmale gezielt variiert werden kann. Angestrebt wird eine empirisch fundierte Auswahl von Methoden, die sich als besonders geeignet für ein bestimmtes Entwicklungsprofil erwiesen werden. In den meisten Fällen werden diese Daten jedoch noch nicht vorliegen, so dass innerhalb des Methodenkontinuums be-wusst variiert werden muss, wenn ein Kind vom zunächst gewählten Förderansatz nicht profitiert. Ein solches „Experimentieren“ mit Methoden im individuellen Fall wird übrigens auch von Stahmer et al. (2005) vorgeschlagen:

… observing differences in child response patterns early on in treatment (i.e. by providing two interventions to the same child for comparison) may be more useful in individualizing treatment than using only curriculum guidelines.

(Stahmer et al., 2005, S. 233)