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3. VERTRAUEN AUS UNTERSCHIEDLICHEN DISZIPLINÄREN PERSPEKTIVEN

3.7 Zusammenfassung

85 den eingesetzten Erhebungsverfahren abhängen“, sodass unterschiedlich ausfallende empirische Er-gebnisse über Vertrauen nicht verwunderlich sind. Weiterhin, Petermann (2013) beschränkt sich zwar auf den Bereich zwischenmenschlichen Vertrauens, stellt er einen Mangel an empirischen Erkenntnis-sen bezogen auf „die beobachtbaren Anzeichen für gegenseitiges Vertrauen“ (ebd.: 70) fest. So poin-tiert Braun (2013):

„Der Forscher sieht sich auch heute noch mit der Problematik konfrontiert, dass aufgrund un-gleicher Messungen des Konzepts, unun-gleicher Verwendung von Indikatoren sowie der unglei-chen Fallauswahl (…) keine allgemeinen Schlüsse gezogen werden können.“ (Braun 2013:

65).

86 stellten Ebenen, Modi und Formen von Vertrauen und den theoretischen Strängen in den unterschied-lichen Disziplinen ziehen.

Die soziologischen Grundlagen können als Basis für die Beschäftigung mit dem Phänomen Vertrauen angesehen werden. Hier lassen sich die wesentlichen Erkenntnisse über das Phänomen auf theoreti-scher Ebene finden. Vertrauen wird aus soziologitheoreti-scher Perspektive als Kitt der Gesellschaft angesehen und diskutiert vor allen modernisierte Gesellschaften. Der funktionale Charakter des Phänomens steht im Mittelpunkt. Sowohl Simmel, als auch Luhmann und Giddens stellen ihre theoretischen Überle-gungen im Hinblick auf sich veränderte Gesellschaften und die damit einhergehende Komplexität der Welt auf. In allen drei Ansätzen findet bereits eine Unterscheidung von unterschiedlichen Ebenen von Vertrauen statt, im Mittelpunkt stehen hier persönliche zwischenmenschliche Vertrauensbeziehungen sowie insbesondere Vertrauen auf einer institutionellen bzw. Systemebene. Zugespitzt kann festgehal-ten werden, dass mit veränderfestgehal-ten gesellschaftlichen Zusammenhängen auch Veränderungen der nöti-gen Vertrauensbeziehunnöti-gen einhergehen: während in vormoderner Zeit i.d.R. persönliches Vertrauen zwischen bekannten Menschen existierte (Simmel), besteht in modernen Gesellschaften viel häufiger Kontakt mit unbekannten Personen, im Kontext von professionellen Beziehungen oder mit ExpertIn-nen (Giddens). Vertrauen liegt also auf unterschiedlichen EbeExpertIn-nen vor, ebenso wie die Voraussetzun-gen für Vertrauen unterschiedliche sind. So kann mit Luhmann formuliert werden, dass weniger Ver-trautheit mit der Welt vorherrscht, weshalb Vertrauen – als Mechanismus zur Reduktion von Komple-xität – aufgrund der steigenden Unsicherheit relevanter wird (auch wenn sich insbesondere bei Luh-mann Implikationen auf konkrete Bereiche des sozialen Lebens nur vermuten lassen; Thies 2002: 47).

Folglich geht auch die Untersuchung der Vertrauensbeziehung zwischen Eltern und Schule von der zentralen Annahme aus, dass durch die Übertragung von Vertrauen an die Schule Komplexität redu-ziert wird. Durch die Gabe von Vertrauen eröffnen sich für die Eltern weiterhin Handlungsmöglichkei-ten, die ohne die Gabe von Vertrauen so nicht möglich wären. Den Annahmen von Giddens folgend, müssen auch Schulen Orientierungs- und Strukturierungsaufgaben übernehmen, gleichwohl sie selbst durch Veränderungen und Wandel gekennzeichnet sind. Seit einigen Jahrzehnten befindet sich das Schulsystem in einem stetigen Wandel (Reformen, Neue Steuerung etc.), sodass Unsicherheiten ein-hergehen, da nicht mehr auf Vertrautes gesetzt werden kann.

Ein weiteres zentrales Element der soziologischen Ausführungen zeigt sich in der Bedeutung von Wissen bzw. von Informationen in bzw. für Vertrauensbeziehungen. So beschreibt bereits Simmel (1989) Vertrauen als mittleren Zustand von Wissen und Nicht-Wissen, aber auch bei Luhmann kommt Informationen der Stellenwert zu, dass gerade trotz unvollständigen Wissens die daraus resultierende Unsicherheit mit Vertrauen überbrückt wird.

Der Rational-Choice-Ansatz und die grundsätzlichen Annahmen, z. B. von Coleman werden vor allem zur Abgrenzung herangezogen. Die hier vorliegende Untersuchung stützt sich nicht auf die theoreti-schen Grundlagen der Rational-Choice-Theorie, auch wenn der Gedanke der Übertragung von

Kon-87 trolle hinsichtlich der untersuchten Vertrauensbeziehung zwischen Eltern und Schule von Bedeutung ist. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass auch Eltern in irgendeiner Art und Weise ein nutzen-maximierendes Handeln aufzeigen, um für ihre Kinder den bestmöglichen Bildungserfolg zu erzielen.

Die Kritikpunkte an dem theoretischen Ansatz, insbesondere die Reduktion von Vertrauen auf ein kognitives Phänomen und die Überbetonung von Informationen, wiegen aber zu schwer. Zudem er-fasst Coleman Vertrauen vor allem als situationsabhängiges Phänomen, womit schwerpunktmäßig einzelne, eher zwischenmenschliche Beziehungen fokussiert werden. Ein generalisiertes oder umfas-senderes Institutionenvertrauen lässt sich mit dem Ansatz von Coleman hingegen nicht erklären.

Die psychologische Vertrauensforschung leistet ihren Beitrag, da hier eine Grundlage geschaffen wird, die erklärt, wie es zu Vertrauen innerhalb der persönlichen Entwicklung der vertrauen-gebenden Per-son kommt. Erkenntnisreich ist zum einen die grundlegende Annahme von ErikPer-son (1966, 1970), dass sich die persönliche Vertrauensneigung bereits in früher Kindheit entwickelt und festigt und somit zur individuellen Persönlichkeit beiträgt. Die Perspektive von Rotter (1981) macht hingegen auf die Be-deutung von gesammelten Erfahrungen aufmerksam, welche die persönliche Vertrauensneigung beein-flussen können. Hier liegen also die Anknüpfpunkte zum generalisierten oder ethischen Vertrauen (Kap. 2.6.3), dass aufgrund der Persönlichkeitsdisposition (Erikson) oder der gemachten Erfahrungen (Rotter) eine grundlegende Bereitschaft entsteht, anderen Menschen Vertrauen zu schenken. Des Wei-teren zeigt sich bei Erikson (1970) bereits die Bedeutung des Merkmals Reziprozität, da er Vertrauen – und nicht Zuversicht - aufgrund der zugrundeliegenden Wechselseitigkeit favorisiert (Kap. 2.2.2).

Deutsch fokussiert anschließend die Kontextabhängigkeit von Vertrauen, welche theoretisch ange-nommen werden kann. Schweer (u. a. 1996) kommt schließlich zugute, dass er die bereits vorliegen-den Theorienstränge versucht miteinander zu verbinvorliegen-den und persönliche Merkmale einer Person sowie situative Merkmale in seine Theorie einbezieht. In der vorliegenden Untersuchung sind die psycholo-gischen theoretischen Konzepte als Grundlage von Vertrauen anzusehen. Es wird angenommen, dass die Eltern der schulpflichtigen Kinder unterschiedliche Erfahrungen mit der Institution Schule ge-sammelt haben, welche zur Einstellung dem Vertrauensobjekt gegenüber geführt haben. In Anlehnung an Rotter und Erikson zeigt sich hier auch die Relevanz von negativen Erfahrungen bzw. Enttäu-schungen über nicht eingelöste positive Erwartungen. Bereits die psychologischen Konzepte gehen davon aus, dass sich negative Erfahrungen auf die Verringerung von Vertrauen auswirken können.

Dieser Gedanke scheint auch im Hinblick auf elterliches Vertrauen in die Schule plausibel zu sein.

Die Theorie öffentlichen Vertrauens von Bentele (1994) fand bezüglich des Vertrauens gegenüber Schulen oder dem Bildungssystem bislang keine Verwendung. Bentele unterscheidet die bereits be-kannten Ebenen von Vertrauen (bezogen auf Personen, Organisationen und Institutionen bzw. Syste-me) und stellt seine Annahmen unter den besonderen Fokus der Bedeutung einer Medienbericht-erstattung. Die Überlegungen von Bentele zeigen sich dabei aus mehrfacher Hinsicht für die zugrunde-liegende Arbeit interessant. So stellt das Bildungssystem (ähnlich wie das Gesundheitssystem,

Grün-88 berg 2014) eines der zentralsten gesellschaftsrelevanten Systeme dar, da man sich dem Bildungssys-tem zum einen kaum entziehen kann, und Bildung zum anderen ein wesentliches Gut und eine wichti-ge Ressource in modernen Gesellschaften darstellt. Als relevante Institutionen sind aber auch Schulen mit einer medialen Berichterstattung konfrontiert. Insbesondere als Folge der ersten PISA-Studie zu Beginn der 2000er Jahre, lässt sich vermuten, dass eine veränderte öffentliche Diskussion auch zu Veränderungen des öffentlichen Vertrauens geführt hat. Bislang fehlt es aber an empirischer Evidenz dieser Vermutung. Generell vermag die von Bentele angeführte Diskrepanzthese auch Enttäuschungen in Vertrauensbeziehungen zu erhellen. So ist anzunehmen, dass z. B. Eltern zwischen Erwartungen und eingelösten Handlungen Diskrepanzen und damit Enttäuschungen wahrnehmen, was sich auf ihr Vertrauen gegenüber der Institution bzw. dem System auswirkt. In Anlehnung dazu führt Bentele auch unterschiedliche positive wie negative Vertrauensfaktoren auf, die zu einem Vertrauensverlust oder -anstieg beitragen können. Insbesondere die positiven Faktoren wie die Wahrnehmung einer hohen Sach- und Problemlösekompetenz beim Gegenüber, kommunikative Transparenz und Offenheit haben eine hohe Passung mit den Annahmen aus der differentiellen Vertrauenstheorie von Schweer und den Merkmalen der förderlichen Kontextbedingungen für Vertrauensbeziehungen.

Die Politikwissenschaft diskutiert Vertrauen als stabilisierende und zentrale Variable in Bezug auf das politische System. Auch wenn unterschiedliche Ebenen von Vertrauen stets bedacht werden, liegt der Fokus schwerpunktmäßig auf der institutionellen Ebene. Die politikwissenschaftliche Vertrauens-forschung kann in Hinblick auf das hier angelegte Forschungsprojekt in mehrfacher Hinsicht als span-nender Referenzrahmen gedacht werden: zum einen stellen diverse Untersuchungen einen Zusammen-hang zwischen der individuellen Bildung bzw. dem sozialen Status und der Vertrauensneigung fest.

Eine hohe Bildung bzw. ein hoher Status führen zu einem höheren Vertrauenswert in die Demokratie oder in politische Institutionen. Bezogen auf das Vertrauen in die Bildungsinstitution Schule herrschen diesbezüglich noch widersprüchliche empirische Befunde vor. Weiterhin versucht die politikwissen-schaftliche Vertrauensforschung den Zusammenhang zwischen interpersonellem und institutionellem Vertrauen zu erfassen, was ebenfalls eine Übertragung auf das Forschungsfeld des elterlichen Vertrau-ens in die Schule, möglicherweise beeinflusst durch die Lehrpersonen, zulässt. Allerdings können diese beiden Themen hier nur im Rahmen der qualitativen Untersuchung beschrieben und diskutiert werden, korrelations- oder kausalanalytische Schlüsse können nicht gezogen werden. Ein weiterer Anknüpfpunkt aus der politikwissenschaftlichen Diskussion sind weiter Merkmale des Vertrauens-nehmers, die förderlich für die Vertrauensgabe sind. Wie beschrieben, werden politiknahe und -ferne Institutionen nach bestimmten Merkmalen beurteilt: politiknahe Institutionen insbesondere nach ihrer Leistungsfähigkeit, ihren Kompetenzen und dem Output ihrer Handlungen. Bei politikfernen Instituti-onen sind hingegen die Leitideen bedeutsamer.

Die Erziehungswissenschaft befindet sich aktuell in einem Wandel, was die Fokussierung von Ver-trauen angeht: von einer lediglich implizit angenommenen Beziehungsgrundlage, kann mittlerweile

89 auch auf diverse konkretere Anwendungsbereiche verwiesen werden, in denen Vertrauen explizit the-matisiert und untersucht wird. Nichtsdestotrotz lassen sich im Bereich der empirischen Erziehungswis-senschaft – insbesondere bezogen auf das Vertrauen in Bildungsinstitutionen – noch deutliche For-schungsdesiderate feststellen, was in Kap. 4.1 ausführlich dargestellt wird.

Insbesondere die sozialpädagogischen Studien von Tiefel (2012), Fabel-Lamla (2012) und Zeller (2012) bieten zahlreiche Anknüpfpunkte für das hier untersuchte Themenfeld. Im Kontext von profes-sionellen Beratungsstellen oder innerhalb professioneller Beziehungen stellen sich die Rahmenbedin-gungen zum Beziehungsaufbau, ebenso wie die situativen Merkmale als relevante Aspekte heraus.

Aufgrund unterschiedlicher Machtasymmetrien oder Bedingungen wie der fehlenden Freiwilligkeit bedarf es reflektierte Handlungs- und Verhaltensstrategien auf Seiten des professionellen Akteurs. In Anlehnung daran, kann auch bei der Beziehung zwischen Eltern und den Schulen nur von einer einge-schränkten Freiwilligkeit ausgegangen werden. Zwar besteht die grundsätzliche Schulpflicht – Eltern müssen laut Gesetz ihrem Kind eine Beschulung zukommen lassen – nichtsdestotrotz verbleiben El-tern diverse Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsfreiräume. Auf Seiten der Institution bzw. Organi-sation bedarf es deshalb auf Seiten der Schule ebendiese Reflexion über Handlungsstrategien, damit Vertrauenswürdigkeit erzeugt werden kann und der Beziehungsaufbau zwischen Eltern und der Schule in positiver Weise gelingen kann. Zwar fokussiert die hier vorliegende Untersuchung lediglich die Perspektive der Eltern als Vertrauensgeber – es kann also nicht analysiert werden, wie die Vertrauens-objekte wiederum Vertrauenswürdigkeit herzustellen vermögen. Aus den Berichten und Erzählungen der Eltern lässt sich dennoch schlussfolgern welche Bedingungen und Handlungsstrategien als poten-ziell vertrauensförderlich wahrgenommen werden.

Des Weiteren erscheint auch die mögliche Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Facetten einer Vertrauensbeziehung (z. B. emotionale und rationale Aspekte, die beeinflussend wirken), wie sie im Bereich der sozialpädagogischen Vertrauensforschung diskutiert wird, im Hinblick auf die Beziehung zur Schule theoretisch plausibel. Da gerade in der Beziehung zwischen Eltern und Schulen primär das jeweilige Kind im Mittelpunkt der elterlichen Betrachtungsweise steht, ist denkbar, dass unterschiedli-che Vertrauensaspekte (z. B. professionelle vs. persönliunterschiedli-che Merkmale) und verschiedene Beziehungen gleichzeitig bestehen können und von den Eltern differenziert bewertet werden.

Die empirische Vertrauensforschung lässt sich durch einen zentralen methodischen Schwerpunkt durch standardisierte, quantitative Erhebungen kennzeichnen. Andere Möglichkeiten liegen in Expe-rimenten, Beobachtungen und qualitativen Interviews. Insbesondere im empirisch-qualitativen Bereich existieren nur wenige Untersuchungen. Zudem zeigen die Ausführungen zu der methodischen Erfas-sung von Vertrauen, dass positive Werte in standardisierten Einstellungserhebungen noch keine Aus-sagen über nachfolgende Handlungen zulassen (siehe Kap. 3.6).

Die Studie zum elterlichen Vertrauen in die Schule geht also mit einer empirisch-qualitativen Heran-gehensweise auch aus einer methodischen Perspektive bislang eher neue Wege.

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