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5. DIE QUALITATIVE INHALTSANALYSE

5.1 Grundzüge der qualitativen Inhaltsanalyse

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145 Die grundlegendste Form einer qualitativen Inhaltsanalyse ist die Zusammenfassung. Dabei wird das Material soweit reduziert, dass alle wesentlichen Inhalte erhalten bleiben und sich auf einzelne Kate-gorien reduzieren lassen. Als Unterformen der Grundtechnik fasst Mayring eine induktive KateKate-gorien- Kategorien-bildung und die Zusammenfassung des kompletten Materials. Die zweite Form stellt die Explikation dar, wobei zu einzelnen fraglichen oder unklaren Textteilen jeweils weiteres, zusätzliches Material herangetragen wird, um das Verständnis zu erweitern. Die Explikation lässt sich in eine enge und eine weite Kontextanalyse unterteilen. Die Strukturierung stellt die dritte mögliche Form nach Mayring dar.

Hier werden bestimmte Aspekte herausgefiltert, um nach vorab festgelegten Ordnungskategorien ei-nen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzu-schätzen. Die strukturierende Inhaltsanalyse lässt sich weiter in vier Unterformen unterteilen: während die inhaltliche Strukturierung das Datenmaterial nach bestimmten Themen extrahiert, versucht die formale Strukturierung die innere Struktur des Materials nach bestimmten formalen Strukturierungs-punkten zu bearbeiten. Die typisierende Strukturierung erfolgt im Hinblick auf die Herausarbeitung von Typisierungsdimensionen anhand einzelner markanter Ausprägungen im Material und die skalie-rende Form geht mit der Einschätzung des Materials nach vorab definierten Skalenpunkten einher.

Auch wenn die unterschiedlichen Unterformen der strukturierenden Inhaltsanalyse das Material im Hinblick auf unterschiedliche Ziele bearbeiten, so bleibt das grundlegende methodische Vorgehen gleich: „Allen vier Varianten der Strukturierung ist aber gemeinsam, daß zunächst ein (eventuell vor-läufiges) Kategoriensystem formuliert wird, im zweiten Schritt Ankerbeispiele definiert und in einem dritten Schritt Kodierregeln aufgestellt werden.“ (Diekmann 2006: 513; Hervorh. im Original).

Kuckartz (2012) baut auf den Überlegungen von Mayring auf und stellt drei eigene unterschiedliche Formen der Inhaltsanalyse vor: die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse, die evaluative und die typenbildende Inhaltsanalyse.

Die kurze Darstellung der unterschiedlichen Formen der qualitativen Inhaltsanalyse zeigt, dass unter-schiedliche Auswertungsformen möglich sind, die jeweils auf die konkreten Forschungsfragen abge-stimmt werden müssen. Die Verfahren können in einem Forschungsvorhaben separat angewendet werden oder in der Kombination unterschiedlicher Formen innerhalb eines Vorhabens.

„Die qualitative Inhaltsanalyse stellt also einen Ansatz empirischer, methodisch kontrollierter Auswertung auch größerer Textcorpora dar, wobei das Material, in seinen Kommunikations-zusammenhang eingebettet, nach inhaltsanalytischen Regeln ausgewertet wird, ohne dabei in vorschnelle Quantifizierungen zu verfallen.“ (Mayring 2000: [5])

Zwar setzt die qualitative Inhaltsanalyse bei Mayring erst mit der Arbeit mit vorhandenem Datenmate-rial an, womit sich die qualitative Inhaltsanalyse vor allem als Auswertungsmethode, nicht als Daten-erhebungsmethode zeigt. Vor der tatsächlichen Auswertung steht aber auch bei Mayring (2008a: 29f.) eine genaue Betrachtung des geplanten Projekts. Überlegungen zur Quellenkunde und zum Vorver-ständnis des Forschenden liegen dieser Phase zugrunde. Dabei muss vor der Analyse kundgetan wer-den, unter welchen Bedingungen das verwendete Material entstanden ist. Im Gegensatz zum oft

dekla-146 rierten (und mittlerweile modifizierten) fehlenden Vorverständnis des Forschenden innerhalb der Grounded Theory67, betont Mayring zudem die Darlegung des vorhandenen Vorwissens des For-schenden. „Fragestellungen, theoretische Hintergründe und implizite Vorannahmen müssen ausformu-liert werden.“ (ebd.: 29). Eine dritte Grundlage sieht Mayring weiter im Verstehensprozess in der Ar-beit mit einer qualitativen Inhaltsanalyse: „Qualitative Inhaltsanalyse ist immer ein Verstehensprozeß von vielschichtigen Sinnstrukturen im Material. Die Analyse darf nicht bei dem manifesten Oberflä-cheninhalt stehenbleiben, sie muß auch auf latente Sinngehalte abzielen.“ (ebd.: 29; Hervorh. im Ori-ginal). Kuckartz und Grunenberg (2010: 508f.) stellen einen Forschungsprozess vor, der bereits vor der Arbeit mit dem fertigen Material ansetzt: nach der Transkription, die nach vorab definierten Tran-skriptionsregeln erfolgt, schließt sich der Import der Daten in eine QDA-Software an. Als weiterer Schritt erfolgt eine Einzelfallanalyse, die jeden einzelnen Text umfasst und mit dem Anfertigen von Case Summarys endet, im Anschluss erfolgt eine vergleichende Einzelfallanalyse. Erst daraufhin kommt es zur Kategorienbildung und der Erstellung des Kategoriensystems und dem systematischen Kodiervorgang. Die Auswertung bzw. Analyse erfolgt im Anschluss.

Zentral, nicht nur innerhalb der qualitativen Inhaltsanalyse, ist die Einhaltung von Gütekriterien:

Nachvollziehbarkeit der Analyse, eine Triangulation (hier die Vergleichbarkeit bzw. ein Vergleich mit anderen Studienergebnissen; Ramsenthaler 2013: 25) sowie vor allem Reliabilität im Sinne einer In-terkoderreliabilität (Mayring 2000). Die Analyse vom Material soll nach Möglichkeit von mehreren KodiererInnen durchgeführt werden, divergente Ergebnisse sollen miteinander verglichen und reflek-tiert werden (Mayring 2010: 51). Die Frage nach den Gütekriterien stellt sich grundsätzlich im Hin-blick auf empirische Forschungsarbeiten. Als klassische Gütekriterien der quantitativen Sozialfor-schung lassen sich die Vorgaben nach Objektivität, Reliabilität (Zuverlässigkeit der Methode) und Validität (Gültigkeit des empirischen Verfahrens) in der qualitativen Forschung aber nicht direkt über-tragen. Zudem herrschen unterschiedliche Auffassungen vor, wie Güte in der qualitativen Forschung grundsätzlich umsetzbar ist. Neben der Auslegung, dass es innerhalb der qualitativen Sozialforschung keinerlei Gütekriterien bedarf, fokussieren andere Ansätze entweder eine direkte Übertragung bzw.

eine Reformulierung der quantitativen Kriterien im Sinne von „Einheitskriterien“ (Steinke 2008: 319) oder diskutieren die Erstellung eigener Gütekriterien für die qualitative Forschung (Steinke 2008;

Flick 2014). Grundsätzlich ist die Festlegung und Verwendung von Gütekriterien für einen qualitati-ven Forschungsprozess aber nötig und wichtig, um der jeweiligen qualitatiqualitati-ven Arbeit eine gewisse Qualität zuschreiben zu können. Ein zentraler Aspekt umfasst daher die Dokumentation des For-schungsprozesses, damit das Vorgehen intersubjektive Nachvollziehbarkeit erlangt. In der

67 Dem Verweis, dass der Forschende ohne Vorwissen in das Forschungsfeld einmündet, kann innerhalb der aktuellen Grounded Theory Methodologie nicht mehr ohne weiteres gefolgt werden (zur Diskussion um das Vorwissen des Forschenden, z. B. Strübing 2014), da auch hier mittlerweile davon ausgegangen wird, dass dem Forschenden vorab ein bestimmtes Verständnis zugrunde liegt. Zudem kann nicht mehr von einem klaren Kon-zept der Grounded Theory ausgegangen werden, vielmehr sprechen z. B. Mey und Mruck (2011: 12) von zahl-reichen Methodologien und einer „Second Generation“, was die Verfahrensweisen der GT angeht, da sich seit dem Ursprung der GT vielfältige Weiterentwicklungen ergeben haben.

147 tation des Forschungsprozesses zeigt sich ebenfalls die Position und das vorhandene Vorverständnis des Forschenden als zentraler Aspekt, ebenso wie die explizite Darstellung von Erhebungsmethode und -kontext (Mruck, Mey 2000: [27]; Lamnek 2005: 146ff.). Auch die Darlegung von Transkriptions-regeln, Auswertungsmethoden und -vorgehen sowie die Nennung und Reflexion von aufgekommenen Problemen im Forschungsprozess, tragen zur „Qualitätssicherung“ qualitativer Untersuchungen bei (Steinke 2008). Bezogen auf die Verwendung qualitativer Interviews rät beispielsweise Kruse (2015:

149f.; Hervorh. im Original) dazu, die „durchgeführten qualitativen Interviews umfassend zu qualifi-zieren, d.h. genauer zu beschreiben, was man genau wie gemacht hat“ und damit nicht nur auf vorhan-dene Standardkonzepte (bzw. Interviewformen) zu verweisen. Die Güte eines qualitativen For-schungsprozesses setzt damit nicht erst bei der Datenerhebung und -auswertung an, sondern zeigt ihre Bedeutung bereits bei der Datengenerierung (Kruse 2015: 58), wodurch eine Gegenstandsangemes-senheit der verwendeten Methode angesprochen ist.

„Mit Theoriegeleitetheit ist gemeint, dass der Stand der Forschung zum Gegenstand und ver-gleichbaren Gegenstandsbereichen systematisch bei allen Verfahrensentscheidungen herange-zogen wird. Inhaltliche Argumente sollten in der qualitativen Inhaltsanalyse immer Vorrang vor Verfahrensargumenten haben“ (Mayring 2000: 51).

Auch Mayring (2002) betont, dass sich qualitative Ansätze nicht starr an bestimmten Methoden fest-halten, sondern eher auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand eingehen und verschiedene Techni-ken miteinander kombinieren sollen. Mayring (2002: 133) pointiert: „kreative, qualitativ orientierte Forschung bedeutet Vielfalt, nicht Einseitigkeit, bedeutet Gegenstandsbezogenheit, nicht Methodenfi-xiertheit.“ (ebd.: 133). Die Güte qualitativer Forschung zeichnet sich also auch darin aus, dass der Forschungsprozess sowie das -vorgehen nachvollziehbar dargestellt und begründet werden. Zwar spricht sich Mayring damit für eine grundlegende Offenheit dem Forschungsgegenstand gegenüber aus, dennoch zeigen sich seine Grundannahmen noch stark orientiert an Verfahren aus der Quantitati-ven Inhaltsanalyse. So konstatiert insbesondere Kuckartz (2010a: 93), dass die qualitative Inhaltsana-lyse bei Mayring eine starke Orientierung am vorhandenen Material sowie den deduktiv festgelegten Kategorien aufweist, eine Rückbindung von Kategorien und Material deshalb nicht vorgesehen ist.

Kuckartz relativiert aber, dass ein qualitativ-inhaltsanalytisches Vorgehen auch bei offeneren For-schungsprozessen möglich ist, im zirkulär organisierten Prozess also durchaus noch Anpassungen und Veränderungen möglich sind. Folglich bedeutet Offenheit nicht, dass qualitative Forschung beliebig und willkürlich durchgeführt werden kann, vielmehr soll „eine wissenschaftlich gerahmte und kontrol-lierte Offenheit“ (Fuhs 2007: 49; Hervorh. im Original) angestrebt werden. Der Auffassung von Kuckartz (2010a) soll in diesem Forschungsvorhaben gefolgt werden.

Der zentrale Vorteil einer qualitativen Inhaltsanalyse wird in dem der Methode zugrundeliegenden systematischen und theoriengeleiteten Vorgehen begründet. Im Gegensatz zu anderen Auswertungs-strategien, wie bspw. der Grounded Theory (GT) – in welcher der Kodiervorgang offen und dadurch möglicherweise weniger Orientierung im Forschungsprozess bietet, Flick (1998: 205) spricht in

die-148 sem Zusammenhang von einer „Unendlichkeit“ von Möglichkeiten des Kodierens und Vergleichens, – besteht die qualitative Inhaltsanalyse hingegen aus einem kontrollierten und definierten Kodiervor-gang. Die Erstellung von Ankerbeispielen sowie Ablaufmodellen dienen dabei als Stützen sowie als Kontrollinstrumente für ein systematisches Vorgehen im Forschungsprozess (Jensen 2008).

Das vorab festgelegte Ablaufschema und das systematische, regelgeleitete Vorgehen machen das Auswertungsverfahren transparent und nachvollziehbar und tragen somit zur Güte des Verfahrens bei.

Das jeweilige Kategoriensystem steht im Mittelpunkt der Analyse, durch diverse eingeplante Rück-kopplungsschleifen während des Kodierprozesses bleibt es (in einem bestimmten Umfang) flexibel und anpassungsfähig (Mayring 2008b: 474).

Die qualitative Inhaltsanalyse bietet sich aus folgenden Gründen für diese Forschungsarbeit an: zum einen handelt sich bei der hier angestrebten Analyse nicht um eine bloße Textanalyse. Mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse können „Schlussfolgerungen über den Text hinaus“ analysiert werden (Mayring, Fenzl 2014: 546). Aus den Gesprächen bzw. den Aussagen der Interviewpersonen soll auf ihr individuelles Vertrauensverhältnis zur Schule geschlossen werden.

Das systematische und regelgeleitete Vorgehen während der Auswertungs- und Analysephase kommt dem komplexen Phänomen, welches innerhalb der interdisziplinären (theoretischen wie empirischen) Forschung bislang keinem einheitlichen Verständnis folgt, entgegen. Aufgrund der unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen von Vertrauen, soll hier anhand ausgewählter theoretischer Grundlagen das thematische Feld erschlossen werden. Nicht zuletzt ist es auch möglich, größere Mengen an Da-tenmaterial mit der qualitativen Inhaltsanalyse zu bearbeiten, und dennoch durch die Anwendung un-terschiedlicher Auswertungsformen unterschiedliche Fragen im Forschungskontext zu bearbeiten (z.

B. durch den gezielten Einsatz evaluativer Elemente).

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