• Keine Ergebnisse gefunden

6. ERGEBNISSE DER KATEGORIENBASIERTEN AUSWERTUNG

6.3 Vertrauen als soziale Einstellung

6.3.1 Das Wissen der Eltern über das Vertrauensobjekt Schule

Um das umfangreiche Datenmaterial zu strukturieren, wurde die Kategorie „Kognitive Dimension “ in mehrere Subkategorien untergliedert, wodurch sich die Wissensinhalte nach unterschiedlichen Ebenen, auf denen sie lagern, unterscheiden lassen. Als kognitives Element wurden alle Aussagen der Inter-viewpersonen kodiert, die einen Bezug zu einer Haltung, den Vermerk auf vorhandene Informationen, Beschreibungen etc. aufweisen. Emotionale Bewertungen oder eigene Handlungen wurden hier also nicht berücksichtigt. Konkret liefert die Kategorie also Informationen darüber, über welches konkrete schulbezogenes Wissen bzw. Quasi-Wissen die Mütter und Väter verfügen, über „wie viele“ Informa-tionen sie verfügen sowie ggf. aus welchen Quellen sie ihre InformaInforma-tionen beziehen bzw. bezogen haben. Dabei lässt sich allerdings kein objektiver Maßstab an viel oder wenig Wissen anlegen, an dem dann viel oder wenig Vertrauen festgelegt werden kann. Die genaue Darlegung über die subjektive Informiertheit lässt aber Rückschlüsse über die Folgen und die Ausgestaltung der Vertrauensbezie-hung zu und kann auch, vergleichend zwischen den einzelnen Eltern, relevante Rückschlüsse zur je-weiligen Beziehung zur Schule geben.

Die interviewten Mütter und Väter verfügen über vielfältige und unterschiedliche Wissensbestände über das Vertrauensobjekt Schule. Es werden sowohl kindbezogene als auch schulbezogene Informa-tionen im Interview erwähnt. Die kindbezogenen InformaInforma-tionen beziehen sich auf das eigene Kind, aber auch auf die klassenspezifische Interaktion des Kindes mit den Lehrpersonen und den anderen Kindern. Auf der schulbezogenen Ebene liegt Wissen vor, wenn Informationen über Strukturen und Rahmenbedingungen der spezifischen Schule des Kindes vorliegen, z. B. über das Angebot der Nach-mittags-AG’s, die Bereitstellung von schulinterner Nachhilfe oder der thematischen

Schwerpunktset-180 zung der jeweiligen Schule. Weiterhin lässt sich das kognitive Wissen auch auf der Ebene von bil-dungspolitischen Aspekten und Diskussionen feststellen. Als Beispiele können hier die Diskurse rund um die Umstellung von G9 auf G8, der Fokus auf die Ganztagesbetreuung oder internationale Ver-gleichsstudien mit großer medialer Reichweite wie PISA genannt werden.

Kategorie KOGNITIVE DIMENSION

Subkategorie Definition Beispiele

Ebene Kind Äußerungen der Eltern, die das eigene Kind im schulischen Setting erfassen bzw. die Kinder im All-gemeinen benennen

Also, ganz objektiv hat sich verändert, dass die Kinder, also mein Kind, sehr viel mehr Zeit in der Schule verbringt, also, diese reine Anwesenheitszeit in Schule ist viel größer.“ (I2W:

5) Ebene Schule Äußerungen der Eltern, die auf

Wissen auf der Schulebene schlie-ßen lassen, die Schule des Kindes liegt im Fokus

„Ja, zumindest in der Schule, wo meine Kinder halt sind, (…) Sie müssen sich sehr viel selbst erarbeiten und es wird Gruppenarbeit getätigt und da ist halt auch gerade vom Lern-stil eine Änderung in der Schu-le.“ (I14W: 9).

Ebene Institution - G8

- PISA

- Bildungspolitische Entscheidungen und Diskussionen

- Inklusion

- Gliederung Schule - Chancengleichheit - Gesamtschule - Elternrechte - Ganztagsschule - Föderalismus

- Offenheit nach Abitur (Beruf)

- Beförderungsgesetz - Home-Schooling - Längere

Grundschul-zeit

Äußerungen der Eltern, die auf der Systemebene lagern und in diesem Kontext auch geschildert werden

„(…) deshalb bin ich eigentlich auch eine Freundin der Ge-samtschulidee, das finde ich schon gut.“ (Int 16W: 145)

Tabelle 8: Kognitive Dimension, Subkategorie „Ebene Institution“ ausgeklappt

In der Subkategorie „Ebene Kind“ lässt sich das Wissen bzw. Quasi-Wissen auf der Ebene des eigenen Kindes vor allem auf drei Punkte beschränken. 1) Es besteht die grundlegende Annahme bzw. Auffas-sung, dass die Kinder durch die aktuelle schulische Situation eine Überforderung erfahren. 2) Die El-tern nehmen gestiegene Erwartungen wahr, die an die Kinder herangetragen werden und 3) nehmen die Eltern mehr Schulzeit wahr, was sich u. a. an mehr Wochenstunden zeigt. Die Erwartungen an die

181 Kinder und die angenommene Überforderung werden teilweise mit den eigenen Erfahrungen in der Schulzeit verglichen und folglich als gestiegen beurteilt.

I10W: 9: Ok, ansonsten, ich komme aus einer ländlichen Gegend, war das schon noch so, willst du nicht unbedingt studieren, musst du auch kein Abitur haben und das war aber auch ok. Es sind trotzdem alle ihren Weg gegangen, und das sehe ich heute eben sehr verändert. (3) Da ist von Anfang an, also, viele versuchen leider, wird schon oft in der Grundschule ein ge-wisser Druck aufgebaut dahin führend, dass man sagt, aber du sollst doch aufs Gymnasium gehen.

Auch wenn die kognitiven Wissensbestände auf dieser Ebene zuerst als neutral „gewertet“ werden, so klingt doch zumeist auch eine emotionale Bewertung dieser Wissensbestände durch. I.d.R. werden die wahrgenommenen Erwartungen an die Kinder und die gestiegenen Anforderungen als Druck für die Kinder angesehen und negativ bewertet. Als weitere Kategorien in dieser Subdimension erwähnen ein paar Eltern zusätzlich die Möglichkeit an Elternsprechstunden teilzunehmen (um sich über den Wis-senstand des Kindes zu informieren) oder dass den Kindern durch die Angebote an den Schulen „mehr Vielfalt für die Entwicklung“ (I23W: 13) ermöglicht wird.

Auf der „Ebene Schule“ findet sich ebenfalls eine Vielzahl von unterschiedlichen Informationen bzw.

Wissensbeständen der Eltern. Dabei liegt ein Großteil der Kodierungen in drei Subkategorien: bezo-gen auf das Konzept der jeweilibezo-gen Schule, den konkreten Unterricht bei ihren Kindern und auf die Möglichkeiten der Eltern hinsichtlich der allgemeinen bzw. spezifischen Schulwahl in die weiterfüh-rende Schule.

Das Wissen um das Konzept der Schule umfasst dabei bei fast allen Eltern ein weites Spektrum von schulspezifischen Besonderheiten oder Eigenschaften, z. B. angebotene Aktivitäten am Nachmittag, spezifische Förderschwerpunkte oder konzeptionelle Schwerpunkte der Schule. Aufgrund der Tatsa-che, dass sich die meisten Eltern zum Zeitpunkt des Interviews in der Übergangsphase zur weiterfüh-renden Schule befinden, ist es nicht verwunderlich, dass eben diese Phase einen wesentlichen Stellen-wert bei den elterlichen Erzählungen einnimmt. Es können drei Informationsquellen festhalten wer-den: die Schule selbst, andere Eltern sowie eigene aktive Bemühungen nach Informationen. Es zeigt sich aber die enge Verknüpfung zwischen den elterlichen Bemühungen und den durch die Schulen verfügbar gemachten Informationen. Zwar bieten die Schulen hinsichtlich des Übergangs in die wei-terführende Schule Informationsveranstaltungen an, die von den Eltern wahrgenommen und genutzt werden. Dennoch werden solche Veranstaltungen durchaus auch kritisch als „Werbung“ (I7M: 37) bzw. „Werbeveranstaltungen“ (I9W: 90) angesehen. Scheinbar wichtiger stellt sich für die Eltern das eigene Kennenlernen der Schulen dar, zumeist auch mit den Kindern zusammen.

Die anderen Kategorien in der Subkategorie „Ebene Schule“ zeigen sich nur vereinzelt und werden nur von einzelnen Elternteilen angesprochen. Dabei sind z. B. Privatschulen ein Thema oder die kon-krete Umsetzung des Inklusionsgedankens an der jeweiligen Schule. Vereinzelt diskutieren die inter-viewten Mütter und Väter fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten bzw. -pflichten von Lehrpersonen

182 (die aber angebracht wären, z. B. I2W; I4W), aber auch das Vorhandensein von diversen Anlaufstel-len, die Eltern grundsätzlich bei offenen Fragen zur Verfügung stehen (z. B. SchulpsychologInnen, I21W; I21W).

Die Subkategorie „Ebene Institution“ zeigt anschaulich, welche zentralen Bildungsthemen die Eltern wahrnehmen und über welche sie eigenes Wissen verfügen, auch wenn in dieser Subkategorie keine Aussagen darüber getätigt wurden, woher dieses Wissen stammt. In den 23 Interviews lassen sich insgesamt 14 Unterthemen festmachen.

Am häufigsten werden von den Müttern und Vätern die Themen G8 und die PISA-Studien angeschnit-ten. Hierbei muss aber bedacht werden, dass die PISA-Studien explizit im Interview erfragt werden, somit sich fast alle Eltern dazu äußern (eine explizite Auswertung folgt in Kap. 6.5.3). Während insge-samt 17 Eltern Wissensinhalte über die PISA-Studien aufweisen, geht bei 6 Interviews deutlich her-vor, dass die Eltern keinerlei Kenntnisse über die internationale Vergleichsuntersuchung haben.

I13W: 399: PISA habe ich schon gehört, aber ich kann jetzt nicht sagen, was das ist.

Dieses fehlende Wissen über die PISA-Studien zeigt sich ausschließlich bei Eltern mit einem eigenen niedrigen Bildungsstand (max. Realschulabschluss). Bei den Eltern mit einem hohen schulischen Ab-schluss zeigt sich hingegen, dass trotz eines offensichtlich bekundeten Desinteresses, PISA durchaus als Thema präsent ist, zum Teil auch durchdacht wird. Das zeigt sich beispielweise darin, dass Ver-gleiche zwischen ‚Spitzenreitern‘ bei PISA (wie Finnland) oder Deutschland gezogen werden. Auch wenn diese Vergleiche meist auf einer oberflächlichen und allgemeinen Ebene liegen, zeigt sich doch, dass sich die Eltern mit den internationalen Vergleichen auseinander gesetzt haben.

Die Umwandlung von G9 zu G8 wird ebenfalls in den meisten Interviews thematisiert, in lediglich 6 Gesprächen wird das Thema nicht von den Eltern angeführt. Analog zu den Äußerungen bzgl. der PISA-Studien zeigt sich auch hier ein deutlicher Zusammenhang mit dem Bildungsstatus der Befrag-ten: 6 Mütter oder Väter erwähnen das Thema G8 bzw. die Umstellung und die politischen Diskussio-nen von G9 zu G8 nicht, diese haben alle eiDiskussio-nen niedrigen bis maximal mittleren Bildungsstatus. Alle anderen Eltern äußern sich über dieses Thema, die Bewertungen sind allerdings sehr unterschiedlich und reichen von einer gänzlichen Ablehnung bis hin zur positiven Beurteilung der grundsätzlichen Idee von G8, die praktisch aber schlecht umgesetzt wurde.

Als weitere Themen, die sich bei mehreren Befragten finden lassen, zeigen sich Äußerungen über generelle bildungspolitische Entscheidungen bzw. wie bildungspolitisch über Schule gesprochen wird.

Auch Inklusion, das Konzept der Gesamtschule oder das föderalistische System der Bundesrepublik werden angesprochen, allerdings von einzelnen Müttern und Vätern.

Ausgehend von der Kategorie „Kognitive Dimension“ zeigt sich an verschiedenen Stellen im Daten-material, welche Relevanz Wissen oder Informationen in einer Beziehung zwischen den

Vertrauens-183 partnerInnen zukommt. Bei nachfolgendem Zitat wird deutlich, dass der Vater keine unreflektierten Entscheidungen im Hinblick auf den Bildungsverlauf seines Kindes treffen möchte und folglich auf Informationen angewiesen ist (was hier durch eine Lernzielkontrolle erfolgt).

I7M: 29: ja, was ich einfach voraussetze ist dann natürlich durch Eltern noch, also, zumindest so handhaben wir das, eine Lernzielkontrolle. Ich muss ja, um entscheiden zu können, um auch eh, ja, ich sag einfach ausgedrückt, mitreden zu können, muss ich ja wissen, wo steht mein Kind, wie geht es meinem Kind während der Schulzeit, während der Ausbildung und da muss ich mich, ja, mit meinem Kind zusammensetzen und mich dann auseinandersetzen, um überhaupt entscheiden zu können.

Eine andere Mutter thematisiert ebenfalls ihre Informationsgrundlage, allerdings folgt daraus, dass sie keine intensive Beteiligung am schulischen Geschehen fokussiert.

I22W: 133-135: (…) ja, mitentscheiden, (10) ansonsten, ich meine, man kann ja auch nicht so, es gibt ja so viele, manche Eltern haben selber kein Abschluss, Schulabschluss, manche haben einen. Die, die wirklich selber mal was geleistet haben, da sage ich, ja, mein Gott, wenn die unbedingt da mitentscheiden wollen, weil sie den eigenen Weg gut fanden, ja, mein Gott, aber ich, ich habe nur einen Hauptschulabschluss gemacht, (…) und eh, ich wüsste nicht, was ich da mitentscheiden soll, weil dafür müsste ich Ahnung haben, und die habe ich selber nicht.

Es lässt sich festhalten, dass die Eltern ein weitreichendes Wissen bzw. Quasi-Wissen im schulischen Bereich aufweisen, welches sich auf unterschiedlichen Ebenen zeigt. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass die Eltern Wissen darüber haben, welches ihr eigenes Kind betrifft (z. B. Lerninhalte und Ver-hältnis zu den Lehrpersonen). Hier kann angenommen werden, dass vor allem das Kind als Informati-onsquelle dient und zuhause vom schulischen Alltag berichtet. Auch die Kognitionen, die auf schuli-scher Ebene lagern, werden sich u. a. von Berichten des Kindes entwickeln. Auf dieser Ebene wird aber auch die eigene elterliche Beteiligung in der Schule zu Informationen führen, z. B. wenn Schulen persönlich angeschaut, Elternabende besucht werden oder ein schulisches Mandat übernommen wird.

Aber auch auf institutioneller Ebene haben die Eltern diverse Informationen, z. B. über den Wandel von G9 auf G8, bezogen auf das Inklusionsthema oder hinsichtlich genereller Elternrechte. Dabei kann vermutet werden, dass sich ein bildungsbezogener Effekt vorfinden lässt: mit einer niedrigen formalen Bildung liegen weniger Informationen auf dieser Ebene vor (exemplarisch dargestellt am Wissen rund um die PISA-Studien, Kap. 6.5.3). Bezogen auf die vertrauenstheoretische Ausgangssituation kann konstatiert werden, dass die kognitiven Wissensbestände als Basis für das Vertrauen der Eltern in die Schule angesehen werden können. Denn ohne Informationen lässt sich keine Grundlage für das vorlie-gende Vertrauen aufbringen. Zu viele Informationen können Vertrauen hingegen unnötig werden las-sen.