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4. SCHULEN, ELTERN UND VERTRAUENSKRISEN

4.4 Eltern als zentrale Akteure im schulischen Bereich

4.4.2 Die Beteiligung der Eltern am Beispiel von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften

126 79% der Eltern für G9, also die längere Schullaufzeit, entscheiden. Nur 17% bzw. 18% finden die verkürzte Schulzeit positiv. Diese deutliche Skepsis gegenüber G8 wird dabei von fast allen Personen-gruppen getragen, unabhängig von Familiensituation, der eigenen Schulbildung, dem Haushaltsein-kommen oder der Schulform des Kindes (Tillmann 2012: 40f.; Tillmann 2014: 32f.).55 Hinzu kommt, dass die Verwirklichung des bildungspolitischen Ziels der Leistungsorientierung von den meisten El-tern bereits als erreicht angesehen wird (74%), wenngleich es nur von einem kleinen Teil der ElEl-tern überhaupt als wichtig angesehen wird.

127 hat, wobei mittlerweile eine Umformulierung von Elternarbeit zu Erziehungs- und Bildungspartner-schaft stattgefunden hat, was eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Eltern und Schule (bzw. pä-dagogischen Institutionen) kennzeichnen soll (z. B. Stange 2012).57

„Synergien von Eltern und Schule entwickeln sich nicht zwangsläufig. Sie setzen vielmehr wechselseitige Information, Vertrauen, Respekt sowie gemeinsame oder aufeinander bezogene Maßnahmen voraus.“ (Fölling-Albers; Heinzel 2007. 50)

Auch wenn Untersuchungen zur Elternarbeit bzw. zu Erziehungs- und Bildungspartnerschaften das Phänomen Vertrauen i.d.R. nicht explizit erfassen, so wird es doch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Eltern und Schule als bedeutendes Beziehungsmerkmal diskutiert. So verwendet beispiels-weise Sacher (2004) mehrere Skalen, um unterschiedliche Dimensionen in dieser Beziehung bzw. der Atmosphäre zu erfassen: a) Information und Kooperation, b) Achtung und Vertrauen, c) Gesprächs-kultur, d) Verzicht auf Kontrolle und e) Beschwerden.58 Auch Neuenschwander u. a. (2004) unter-scheiden in der Eltern-Schule-Beziehung nach drei Qualitätsmerkmalen: a) kognitiv (Informationen), b) emotional (Vertrauen) und c) handlungsorientiert (Koordination). Es lässt sich bei diesen zwei Bei-spielen also eine Reduktion auf die jeweilige(n) Lehrperson(en) der Kinder aufzeigen, sodass die Be-ziehung auf einer zwischenmenschlichen Ebene, eingebettet in den spezifischen organisationellen Kontext, betrachtet wird. Zwar stellt Vertrauen bei Sacher (2004) nur eine Dimension der Beziehung dar, bei Neuenschwander u. a. (2004) liegt eine Reduktion von Vertrauen auf einer emotionalen Ebene vor, dennoch ist Vertrauen als Merkmal der Beziehung durchaus von Bedeutung.

Zwischen Eltern und der Schule existieren unterschiedliche formelle und informelle Kontakte. Unter formellen Kontakten werden rechtlich festgeschriebene Kontaktformen, wie z. B. Elternsprechtage, verstanden. So gehört der Besuch von Elternabenden zu den am häufigsten stattfindenden Kontakten zwischen Eltern und den Lehrpersonen (z. B. 95% Zustimmung bei einer Infratest-Studie, von Rosen-bladt, Thebis 2003). Bereits im frühpädagogischen Kontext gelten solche Gruppenangebote als traditi-onelles und am häufigsten wahrgenommenes Angebot seitens der Institutionen (z. B. Vomhof 2016).

Informelle Kontakte erfolgen hingegen freiwillig und sind nicht festgeschrieben (Sacher 2008: 41f.).

Grundsätzlich lässt sich aber eine Diskrepanz zwischen der bloßen Inanspruchnahme und der Bewer-tung der Kontakte feststellen: die Häufigkeit der Nutzung korreliert zumeist nur schwach mit dem wahrgenommenen Nutzen für die Eltern (ebd.).

57 Auch im frühpädagogischen Kontext ist das Konzept der Erziehungs- und Bildungspartnerschaften präsent und verweist auf die Notwendigkeit einer positiven Zusammenarbeit zwischen Familien und Fachkräften (z. B.

Göbel-Reinhardt, Lundbeck 2015).

58 Die Dimension „Atmosphäre der Achtung und des Vertrauens“ setzt sich dabei aus folgenden Items zusam-men: (1) „Ich komme gut mit den Lehrkräften meines Kindes aus.“ (2) „Ich bin froh, wenn ich nichts mit den Lehrkräften meines Kindes zu tun habe.“ (3) „Ich fühle mich unsicher, wenn ich mit den Lehrkräften meines Kindes rede.“ (4) „Mit den Lehrkräften meines Kindes kann ich über alles reden.“ (5) „Die Lehrkräfte meines Kindes erkennen an, dass auch wir Eltern es gut meinen.“ (6) „Die Lehrkräfte meines Kindes sind vorsichtig mit Eltern, damit sie keinen Ärger mit der Schulleitung bekommen.“ Das zweite und dritte sowie das letzte item wurden bei der Skalenbildung umgepolt.

128 Neben den Kontaktmöglichkeiten ergeben sich für die Eltern zudem unterschiedliche Beteiligungs-möglichkeiten, was ebenfalls als zentrales Merkmal von förderlichen Erziehungs- und Bildungspart-nerschaften angesehen wird (Epstein 1995). Dabei kann zwischen schul- und heimbasiertem Engage-ment unterschieden werden (Sacher 2012b). Schulbasiertes EngageEngage-ment umfasst Leistungen bzw.

Unterstützungen, die durch oder über die Schule verlaufen, z. B. der Besuch von Sprechstunden und Elternabenden, das Mitwirken in Gremien, Hospitation im Unterricht u. a. Heimbasiertes Engagement findet hingegen im häuslichen Umfeld statt, bezieht sich aber auch allgemein auf eine unterstützende Einstellung und Haltung gegenüber der Schule. Schwanenberg (2015: 44) unterscheidet bei den For-men der Elternarbeit zwischen a) organisatorische Elternarbeit (Unterstützungsleistungen der Eltern für die Schule, z. B. Mithilfe bei Veranstaltungen, b) Lernbezogene Elternarbeit (Unterstützung der Lernprozesse, z. B. durch Zusammenarbeit mit den Lehrkräften, c) Konzeptionelle Elternmitarbeit (Mitwirkung an schulischen Entscheidungen, z. B. durch die Mitarbeit in der Elternvertretung). Gera-de aufgrund Gera-der unterschiedlichen elterlichen Beteiligung im schulischen Kontext, existiert keine ein-deutige Forschungslage zum Zusammenhang von elterlichem Engagement und schulischem Erfolg der Kinder (Sacher 2012b: 232). Stange (2012: 20) äußert, dass weder durch Eltern-LehrerInnen-Kontakte, die elterliche Mithilfe in der Schule oder die elterliche Beteiligung an schulischen Gremien eine bedeutende Effektivität hinsichtlich des kindlichen Bildungserfolgs verzeichnet werden kann.

Vielmehr wirkt sich das elterliche Engagement erst dann positiv auf das Leistungsverhalten der Kinder aus, wenn die Eltern interessiert, unterstützend und begleitend an der Seite der Kinder aktiv werden.

So zeigen sich im Rahmen der TIES-Untersuchung bereits positive Effekte, wenn ein grundlegender Kontakt zwischen Eltern und Schule besteht. So verweisen auch Wilmes et al. (2011: 44f.) darauf, dass bereits der Kontakt zwischen türkischen Eltern und LehrerInnen den Schulverlauf der Kinder positiv beeinflusst bzw. die Wahrscheinlichkeit für eine Empfehlung für das Gymnasium als weiter-führende Schule erhöht. Sacher (2012b: 232) schließt daran an und konstatiert keine eindeutige For-schungslage zum Zusammenhang von elterlichem Engagement und schulischem Erfolg der Kinder.

Killus und Paseka (2016) formulieren hierzu:

„Einerseits zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Eltern ihren Kindern beim häuslichen Lernen hilft und sie unterstützt (…). Andererseits sagt die Tatsache der Unterstützung noch nichts über deren Nutzen aus.“ (Killus, Paseka 2016: 158)

In einer Analyse von Sacher (2005) über unterschiedliche Personengruppen – Eltern, LehrerInnen, Elternbeiräte und Schulleitungen – zeigt sich, dass die Beziehungen untereinander sehr heterogen be-wertet und über die Schulzeit hinweg verändert wahrgenommen werden. Die Atmosphäre zwischen Schule und Elternhaus wird in der Grundschule positiver wahrgenommen als in den weiterführenden Schulen. Insbesondere an den Gymnasien finden sich in der Regel die niedrigsten Werte (auch wenn sie sich immer noch im positiven Bereich befinden). Die Qualität der Beziehung zwischen Eltern und Schule wird also je nach „Schulphase“ unterschiedlich wahrgenommen (Adams, Christenson 2000).

Die positive Stimmung zwischen Elternhaus und Schule zu Beginn der Schulzeit der Kinder fasst

Sa-129 cher (2005) als „Zauber des Anfangs“ auf, wobei auf der anderen Seite weniger Sprechstundenbesuche und Elternabende anstehen (allerdings gibt es mehr Infobriefe und Informationsveranstaltungen). Der Kontakt scheint also erst einmal geringer auszufallen, wobei die Atmosphäre als positiver angesehen wird. Mit der vierten Jahrgangsstufe kommt es zu einer bedeutenden Phase im Bildungsverlauf, die mit häufigeren Sprechstundenbesuchen und Elternabenden einhergeht, wobei es trotz mehr Angeboten von Informationsveranstaltungen nicht zu mehr Besuchen kommt. Es scheint, als dass Eltern „haupt-sächlich intensivere Einzelkontakte mit der Schule, nicht unbedingt aber auch mehr Kontakte über Veranstaltungen“ suchen (Sacher 2005: 86). Die Schule bietet hingegen mehr allgemeine Veranstal-tungen an, „insofern (besteht) ein gewisser Gegensatz, als Eltern mehr die Individualberatung suchen, die Schule aber auf verstärkte Pauschalinformation setzt.“ (ebd.: 86). Nach dem Übergang in die fünfte Klasse herrscht bei allen Schularten eine schlechtere Atmosphäre vor, bei allen Schularten gehen die Besuche von Elternabenden zurück, Möglichkeiten zum Austausch von Informationen finden seltener statt. „Am ehesten noch im Gymnasium und nur teilweise in der Realschule ist ein anhaltendes Kon-taktinteresse der Eltern zu registrieren. Eltern von Hauptschülern hingegen ziehen sich im fünften Jahrgang stark aus Kontakten mit der Schule zurück.“ (ebd.: 88). Allerdings lässt sich aus der Häufig-keit der Kontakte noch nicht ableiten, welcher Nutzen aus ihnen gezogen wird sowie wie die Eltern die Kontakte überhaupt bewerten.

„Eltern vollziehen mit dem Halten solcher Kontakte [wie Elternabende, Sprechstunden, J.A.]

oft nur ein Ritual, glauben sich in der Schule sehen lassen zu müssen, damit sie nicht den Ein-druck erwecken, am schulischen Fortkommen ihres Kindes desinteressiert zu sein.“ (Sacher 2008: 42)

Die unterschiedlichen Kontakte und Kontaktmöglichkeiten zwischen Lehrpersonen und Eltern werden zudem unterschiedlich wahrgenommen. Während die meisten Kontaktinitiativen der Lehrpersonen positiv von den Eltern aufgefasst werden, zeigen insbesondere Einladungen von LehrerInnen einen zwiespältigen Effekt.

„Einerseits gehen sie mit höherer Kooperationsbereitschaft, besserer Gesprächskultur und häu-figerem Sprechstundenbesuch einher. Andererseits sprechen Eltern, die solche Einladungen erhalten, seltener Lehrkräfte an und üben in geringerem Ausmaß Kontrollverzicht. Offenbar räumen Gespräche zwischen Lehrkräften und Eltern nicht in allen Fällen ein vorhandenes Konfliktpotenzial völlig aus und führen dann zu Kontaktabstinenz und verstärktem Misstrau-en.“ (Sacher 2006: 11)

Für die Wahrnehmung und Beurteilung von Kontakten zwischen den Eltern und der Schule zeigt auch die eigene Bildungserfahrung der Eltern einen Einfluss. So lässt sich beispielsweise bei Eltern mit Migrationshintergrund eine gewisse Zurückhaltung feststellen, was Kontaktmöglichkeiten mit den Lehrkräften angeht (Sacher 2012a).

Der Einbezug der Eltern gilt für die Befürwortenden von Elternarbeit als „unverzichtbares Element partizipativer Demokratie“ (Sacher 2008: 47) und zeigt sich als „Konsequenz aus der demokratischen Verfasstheit unserer Gesellschaft“ (ebd.: 23). Allerdings lassen sich auch Gefahren einer stärkeren

130 Elternbeteiligung am schulischen Geschehen festmachen: in Anlehnung an den Begriff der ‚Parento-kratie‘ (also Elternherrschaft) verweist Sacher (2008: 25) auf eine verstärkte Bildungs- und Chancen-ungleichheit, die durch elterliches Engagement (mit)verursacht wird. Als Konsequenz kann hier gezo-gen werden, dass die gegezo-genseitigezo-gen Erwartungezo-gen von Eltern und Schule aktiv wahrgezo-genommen und reflektiert werden müssen. Die Eltern können nicht nur als KundInnen gesehen werden, dieses würde eine Elternherrschaft implizieren. Die Schule muss hingegen neben ihren gesellschaftlichen Aufgaben auch die elterlichen Wünsche zumindest berücksichtigen.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass Studien rund um das Thema Elternarbeit und Elternengagement häufig die Frage nach dem Erfolg als verfolgtes Ziel definieren. Die hier vorliegende Untersuchung unterliegt dieser Erwartungshaltung nicht. Es wird nicht danach gestrebt, einen vorab definierten Er-folg elterlichen Engagements (z. B. resultierend in guten Schulnoten der Kinder) zu „messen“, statt-dessen sollen die elterlichen Einstellungen zu ihrem eigenen Engagement erfasst werden, woraus Hinweise für ihr subjektives Vertrauensverhältnis in die Schule gezogen werden sollen.59

4.4.3 Exkurs: Einstellungen, Bildungsaspirationen und Engagement von Eltern mit