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Einbettung der sozialen Eltern-Schule-Beziehung in einen vertrauenstheoretischen Kontext

4. SCHULEN, ELTERN UND VERTRAUENSKRISEN

4.6 Vertrauen von Eltern in die Schule – ein Zwischenfazit

4.6.1 Einbettung der sozialen Eltern-Schule-Beziehung in einen vertrauenstheoretischen Kontext

137 nung zur zuständigen Schule, die jeweilige Qualität der Schule sowie die ethnische Zugehörigkeit der Familie bestätigt werden (ebd.: 340). Neumann et al. (2013) machen auf den Umstand aufmerksam, dass im Hinblick auf die spezifische Schulwahl für die Eltern zahlreiche Informationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Vor allem das Internet macht es möglich, z. b. einzelne Schulprofile oder -konzepte miteinander zu vergleichen. Es wird allerdings nicht hinterfragt, inwieweit solche Informati-onsangebote auch tatsächlich in Anspruch genommen werden (können).

„Dabei wird jedoch auch deutlich, dass beide Zielsetzungen – Profilierung und Passung von Schulprogramm und Schülerschaft auf der einen und die Sicherung hinreichender Heterogeni-tät in der Schülerschaft auf der anderen Seite – durchaus in Spannung zueinander stehen kön-nen.“ (Neumann et al. 2013: 96)

Böse et al. (2013) untersuchen, wie die neuen Übergangsregelungen in Berlin von den unterschiedli-chen Akteuren (u. a. Eltern) bewertet werden und welche Erwartungen daran geknüpft werden. Bezo-gen auf die Elternschaft äußern sich die AutorInnen skeptisch. Es scheint fraglich, „wie die größeren Wahlfreiheiten von den Eltern wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die größeren Wahlmöglichkeiten auch mit einem höheren Aufwand verbunden sind, etwa mit Blick auf die Informationsbeschaffung und die Wahl der „richtigen“ Schule für das Kind (Böse et al. 2013:

235). Eine freie Schulwahl für die Eltern kann also insgesamt als Zeichen einer wettbewerbsorientier-ten Schulsteuerung angesehen werden, wobei teilweise deutliche Segregationseffekte hervortrewettbewerbsorientier-ten (von Ackeren 2006).

„Privilegierte Familien berücksichtigen stärker den Ruf einer Schule einschließlich der Leis-tungsergebnisse und wissen die verfügbaren Informationen besser zu beschaffen, zu interpre-tieren und tatsächlich zu nutzen, indem sie auch längere Schulwege in Kauf nehmen und fi-nanzieren können.“ (van Ackeren 2006: 306).

vor-138 hersagen kann, dass das Vertrauen gerechtfertigt ist, da tendenziell auch die Möglichkeit eines Ver-trauensmissbrauchs besteht. Die Situation ist also von Unsicherheit geprägt. Schweer und Thies (1999) geben hierzu ein Beispiel:

„Der Schaden, der entsteht, wenn Vertrauen enttäuscht wird, ist größer als der Nutzen, den die Vertrauenshandlung bringt. So kann es beispielsweise hilfreich sein, jemandem sein Kind an-zuvertrauen, um einen wichtigen Termin einhalten zu können – der Schaden aber, wenn dieses Vertrauen mißbraucht wird, ist ungleich größter.“ (Schweer, Thies 1999: 23)

Der Bezug zu Eltern und der Vertrauensbeziehung zur Schule liegt folgendermaßen vor. Eltern ver-trauen einer i.d.R. öffentlichen Schule ihr Kind an, wobei grundsätzlich noch andere Alternativen zur Verfügung stehen (Privatschulen, Internate bis hin zur Home Education). Durch diese Übergabe be-steht ein gewisses Risiko, da das entgegengebrachte Vertrauen prinzipiell auch missbraucht bzw. ent-täuscht werden kann, die positiven Erwartungen also nicht eingehalten werden. Die Eltern übertragen die Kontrolle und die Bildung des Kindes an die Institution Schule, welche aber nicht losgelöst von übergeordneten staatlichen Bedingungen und Bestimmungen agieren kann. Die Eltern wiederum ha-ben nur eine eingeschränkte Informationsgrundlage über das schulische Geschehen, sie befinden sich in einem mittleren Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, weshalb der Institution Schule Ver-trauen geschenkt werden muss, damit diese handeln kann und auch die Eltern ihre eigene Handlungs-fähigkeit beibehalten können. Die Eltern geben die Kontrolle über die Bildung des Kindes allerdings nicht komplett ab, da sie in einem bestimmen Umfang diverse Möglichkeiten haben, um die eigenen Erwartungen „besser“ erfüllen zu können. So lässt sich bspw. in der verstärkten Inanspruchnahme von professioneller Nachhilfe eine verstärkte Kontrolle über die Bildung des Kindes erkennen.

Das Merkmal Zeit ist in einer Vertrauensbeziehung von zweifacher Hinsicht bedeutsam. Zwar kann es schnell zu einem Vertrauensvorschuss zwischen zwei Subjekten kommen, allerdings bedarf es eine gewisse Beziehungsdauer, bis Vertrauen vollständig vorhanden ist. Schweer und Padberg (2002) füh-ren dafür im schulischen und zwischenmenschlichen Kontext aus, dass eine stabile Vertrauensbezie-hung „eine Reihe von Interaktionserfahrungen“ benötigt, um tatsächlich stabil zu sein. Bei dem hier fokussierten Vertrauen von Eltern in Schulen wird dieser doppelte Zeitcharakter besonders deutlich.

Eltern speisen aus ihren eigenen Erfahrungen mit Schulen, dazu kommen noch Informationen von außen, also z. B. Berichterstattung der Medien, Informationstage der verschiedenen Schulen, Erfah-rungen aus dem Bekanntenkreis. Hinzu kommt, dass mit dem Eintritt der Kinder in die Schule ein Blick in die Zukunft geworfen wird, der Erfolg von Bildungsentscheidungen also erst in der Zukunft deutlich wird. Auch wenn die Reziprozität bei Institutionen oder Systemen nicht so deutlich wie in zwischenmenschlichen Beziehungen ist, kann davon ausgegangen werden, dass auch ein System wie das Bildungssystem Vertrauen in ihre „KundInnen“ haben muss, um überhaupt funktionsfähig sein zu können. Eine ‚misstrauische‘ Atmosphäre innerhalb der Schule würde die tägliche pädagogische Ar-beit behindern, fehlendes Vertrauen von außerhalb würde langfristig die Legitimation einer Institution in Frage stellen.

139 Bei sinkendem Vertrauen von Eltern in die Schule können in Anlehnung an Preisendörfer (1995) fol-gende Handlungsstrategien (theoretisch) konstatiert werden. Zum einen kann das Kind gänzlich der Schule entzogen werden, was zwar nicht zulässig ist, aber am Beispiel Homeschooling in einem ge-ringen Ausmaß existiert, von einigen wenigen Eltern also als Handlungsalternative angesehen wird.

Weiter kann eine Art Risikostreuung erfolgen, in dem das Kind nicht nur einer Institution „ausgesetzt“

wird, Schulwechsel oder auch externe Nachhilfe können hier beispielhaft genannt werden. Ein sehr enger Kontakt mit den Lehrpersonen bzw. der Schule stellt eine weitere Möglichkeit dar, wobei hier das Prinzip der zusätzlichen Informationsbeschaffung greift und mit einem erhöhten zeitlichen Auf-wand einhergeht. Eine vierte Möglichkeit sind vertragliche Regulierungen mit der Schule.63 Insgesamt stellt sich die Frage, ob die genannten Möglichkeiten tatsächlich als sinnvolle Alternativen zur öffent-lichen Schule und zu Vertrauen in Schule angesehen werden können. Zum einen bleibt ein gewisses Risiko dennoch bestehen (der Bildungserfolg in der Zukunft ist immer noch unsicher), zum anderen sind die Alternativen teilweise nur durch erhebliche finanzielle oder zeitliche Ressourcen zu realisie-ren. Während Homeschooling an sich rechtlich in Deutschland überhaupt nicht zulässig ist und als

„radikalste“ Form der Kritik gewertet werden muss, ist bzgl. Nachhilfe bislang unklar, welche konkre-ten Erwartungen seikonkre-tens der Eltern damit einhergehen und die Forschungslage zeigt ein uneinheitliches Bild zu Formen, Ursachen und Konsequenzen der Inanspruchnahme von Nachhilfe.

Eine stärkere Beteiligung der Eltern bzw. die Übernahme eigener Kontrolle durch mehr Informationen kann hinsichtlich der Vertrauensbeziehung mit der Schule folglich ambivalent aufgefasst werden. Die Beteiligung kann als Zeichen für ein positives Verhältnis bzw. für eine demokratische Beteiligung der Eltern am Schulgeschehen gesehen werden (Guppy, Davies 1999: 266) oder als Merkmal der stärkeren Übernahme eigener Kontrollmöglichkeiten und damit auf Probleme, Unzufriedenheit bis hin zum Ver-trauensverlust hindeuten (von Rosenbladt, Thebis 2003).

Die Ausführungen zum Konzept der Erziehungs- und Bildungspartnerschaften haben kenntlich ge-macht, dass eine positive Beziehung zwischen Eltern und Schule als förderlich erachtet wird, da beide Instanzen von wesentlicher Bedeutung für die kindliche Entwicklung sind. Zwar haben die familialen Bedingungen und Einflüsse eine größere Bedeutung für die kindliche Entwicklung im emotionalen und im leistungsbezogenen Kontext (z. B. Pekrun 1997; Krumm 1996). Die Schule als pädagogische Institution stellt allerdings eine formale Institution dar, die im Leben eines jeden Individuums einen großen Stellenwert einnimmt. Unter dem Konzept der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft wird seit einigen Jahren das bildungspolitische Ziel verfolgt, eine verbesserte Kooperation zwischen Schule und Elternhaus zu erlangen um positive Effekte verzeichnen zu können, z. B. hinsichtlich schulischer Leis-tungen. Bislang fehlt es aber an klaren Vorstellungen des Konzepts sowie an aussagekräftigen empiri-schen Erhebungen über die Wirksamkeit der Zusammenarbeit von Eltern und Schule im deutempiri-schen Schulsystem (Gomolla 2009). Hinzu kommt, dass Eltern insgesamt nur eher wenige

63 Für Großbritannien stellt Detert (2007: 54) eine Art Vertrag am Beispiel von home-school-agreements vor.

140 rechte oder Beteiligungsmöglichkeiten im schulischen Kontext zugestanden werden. Dennoch sind sie in hohem Maß am schulischen Alltag involviert, indem den Kindern bei Hausaufgaben oder beim Ler-nen geholfen werden muss/kann, die Eltern über den Lern- und Verhaltensstand des Kindes informiert und an regelmäßigen direkten Kontakten z. b. bei Elternsprechtagen teilnehmen sollen (Kohl et al.

2014: 97). Im Rahmen der Diskussionen rund um erstrebenswerte Erziehungs- und Bildungspartner-schaften wird Vertrauen bislang als nicht Variable angesehen. Das Konzept verbleibt vorwiegend auf einer eher normativen Vorstellung darüber, wie Eltern und Schule miteinander intergieren sollten.

Dabei spielt Vertrauen in der Beziehung von Eltern und Schule sowie zwischen Eltern und Lehrperso-nen eine bedeutende Rolle und wird als wichtiges Qualitätsmerkmal guter KooperatioLehrperso-nen (z. B. Sacher 2014, Neuenschwander et al. 2004) angesehen. Es scheint daher notwendig, die Vertrauensbeziehung zwischen den Akteuren explizit zu thematisieren, Vertrauen theoretisch zu rahmen und hinsichtlich seiner Reichweite auf elterliches Verhalten zu untersuchen.

4.6.2 Defizite innerhalb der Vertrauensforschung und Implikationen für eine