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Zusammenfassung und Ausblick

Im Dokument Fachspezifische Lehr Lernkulturanalysen (Seite 158-163)

Die vorliegende Studie konnte anhand von drei Fallbeispielen charakteristische sowie spezifische Modi des Lehrens und Lernens in der wWB aufzeigen. In den theoretischen Vorüberlegungen wurden als angebotsübergreifende Charakteristika der wWB auf Seiten der Teilnehmenden eine hohe Expertise und Heterogenität sowie Mehrfachbelastung beschrieben, auf Seiten der Anbieter wurde eine hohe Serviceorientierung auf organisatorischer Ebene und ein erhöhtes lernendenzentriertes Lehren (inhaltlich wie didaktisch) betont. Diese Merkmale zeigten sich auch in den empirischen Fällen. Die Expertise, die durchaus heterogen und interdisziplinär eingestuft wurde, erkannten die Lehrenden aller Fälle an und führten dies teilweise auch als Grund an, warum man gerne in Weiterbildungsstudiengängen lehre. Es sei eine fordernde Aufgabe auch für die Lehrenden, die zugleich von dem praxisgesättigten Wissen der Studierenden profitieren. Daher wurden die Studierenden in allen Fällen auch stark in das Lehr-/Lerngeschehen eingebunden, indem z.B. nach ihren Perspektiven gefragt wurde oder indem sich die Studierenden gegenseitig beraten haben oder reflektierten. So kommunizierten die Lehrenden an vielen Stellen auf Augenhöhe mit den Studierenden, wenn auch die Position des steuernden Lehrenden nicht verlassen wurde. Auch die Mehrfachbelastung durch Berufs-, Weiterbildungs- und Privatverpflichtungen beeinflusste in allen Fällen die Lehr-/Lernkultur, sodass diverse Vereinbarkeitsstrategien angeboten wurden, die als entsprechend serviceorientierte Maßnahmen ein erfolgreiches Absolvieren des Studiums ermöglichen sollen. Das mobile Prüfungsbüro im rechtswissenschaftlichen Fall, die zusätzlichen, aber nicht verpflichtenden Übungsstunden im erziehungswissenschaftlichen Fall oder die ortsungebundenen Online-Chat-Sprechstunden im betriebswirtschaftswissenschaftlichen Fall zeugen von einer hohen Teilnehmerorientierung.

Mit Blick auf die Spezifika konnten entlang der räumlichen, zeitlichen, sozialen und inhaltlichen Dimensionen der Lehr-/Lernsettings die handlungsleitenden Orientierungen der an den Weiterbildungen beteiligten Personen(gruppen) herausgearbeitet werden. Auf einer raumbezogenen Ebene lassen sich im rechtswissenschaftlichen Fall vor allem Vereinbarkeitsstrategien finden, die es den Teilnehmenden erlauben, ihre Mehrfachbelastung von Beruf, Weiterbildung und Privatleben an einem Ort zu bündeln. Das Hotel ermöglicht die Durchführung der Lehre, den Rückzug in das eigene Zimmer (um z.B.

berufliche Telefonate durchzuführen) sowie die Begleitung durch die Familie. Die in diesem Fall lernarchitektonischen Optimierungsbedürfnisse werden zugunsten dieser die Mehrfachbelastung entlastenden Infrastruktur zwar bemängelt, jedoch in Kauf genommen.

Im erziehungswissenschaftlichen Fall hingegen wird Raum stärker unter lernbedingten Aspekten wahrgenommen und den Bedürfnissen der Beteiligten entsprechend ausgehandelt

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und fluide gestaltet oder genutzt. So wird die Bestuhlung (als einziges Mobiliar) mit Blick auf die aktuellen Lehr-/Lernmodi zusammengesetzt oder es werden ganze Räume so lange gesucht oder gestaltet, bis eine lernförderliche Atmosphäre hergestellt ist. Im betriebswirtschaftswissenschaftlichen Fall lassen sich beide Orientierungen wiederfinden, indem der virtuelle Raum des Chats einerseits eine raumentbundene Präsenz ermöglicht, das heißt, das Lehr-/Lernsetting kann von jedem (z.B. beruflichen oder privaten) Ort (mit Internetzugang) aus betreten werden. Zum anderen steht in diesem virtuellen Raum das Weiterbildungslernen im Fokus, weshalb die digitalen Strukturen hinsichtlich ihrer (noch) nicht vorhandenen Passung bezüglich der Lehr-/Lernbedürfnisse kritisiert werden.

Auch auf einer zeitbezogenen Ebene lassen sich im rechtswissenschaftlichen Fall (temporale) Vereinbarkeitsbestrebungen finden. So ermöglicht beispielsweise das WLAN im Seminarraum auch das Beantworten von beruflichen E-Mails oder die Wellnesszeit und die Zeit an der Bar am Abend lassen einen Austausch mit den Kommilitonen sowie mit der begleitenden Familie zu. Die knappen zeitlichen Ressourcen der Weiterbildungsstudierenden werden aber auch hinsichtlich der anstehenden Prüfung geschont, wenn lediglich die für die Prüfung relevanten Inhalte vertieft werden: „Wissenschaftliche Weiterbildung als berufs- oder familienbegleitendes didaktisches Arrangement hat Zeitknappheit als Ausgangsprämisse“

(Seitter 2017, S. 11). Im erziehungswissenschaftlichen Fall dient Zeit und insbesondere das Sich-Zeit-Nehmen als Anlass, das während des Lehr-/Lernprozesses Erlebte und Wahrgenommene wirken zu lassen und zu reflektieren. Hier spielen innere zeitgeprägte Bedürfnisse hinsichtlich des Lernerfolgs eine wichtige Rolle, dessen Inhalte nur bedingt von außen gesetzt werden, sondern der vielmehr Ergebnis innerer Auseinandersetzungen mit sich und der Umwelt ist. Im betriebswirtschaftswissenschaftlichen Fall spielen wiederum Vereinbarkeitsstrategien eine bedeutende Rolle und zwar im Sinne einer (a)synchronen Teilnahme an den Chat-Sprechstunden. Das nicht-verpflichtende Angebot, kurz vor der Klausur über den Chat offene Fragen zu klären, lässt den Studierenden die Entscheidungsfreiheit über eine Teilnahme, Teil-Teilnahme oder Nicht-Teilnahme. So treten einige Studierende erst zu einem späteren Zeitpunkt ein oder verlassen den Chat früher, entweder aufgrund anderer terminlicher Verpflichtungen oder auf Grund von Problemen mit der Internetverbindung. Das nachträgliche Bereitstellen des Chatprotokolls ermöglicht außerdem einen späteren und damit zeitflexiblen Zugang zu dem Besprochenen.

Mit Blick auf das Sozialgewebe innerhalb der Lehr-/Lernsettings wurden insbesondere die Dozierendenrollen thematisiert. Im rechtswissenschaftlichen Fall bewegt sich der Dozierende zwischen der Rolle des Wissensvermittlers mit einer lehrendenzentrierten Didaktik und der Rolle des Initiators eines gegenseitigen Erfahrungsaustauschs hin und her. So macht der Dozierende deutlich, dass auch er von den in der Praxis und anderen Disziplinen agierenden

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Studierenden lerne und er die Expertise der Gruppe schätzt. Im erziehungswissenschaft-lichen Fall nimmt der Dozierende, der bereits als Trainer bezeichnet wird, die Rolle des Lernbegleiters ein, bei der er die Reflexionsprozesse der Studierenden initiiert und lenkt.

Dabei schafft er eine sehr enge, vertraute Atmosphäre, in der sich die Studierenden hineinfallen lassen können. So entsteht eine starke Bindung auch innerhalb der Gruppe, wozu auch der Studiengangkoordinator als „kommunikative[s] Herz eines Studiengangs“

(Pellert 2013, S. 33) beiträgt, der der Gruppe kontinuierlich zur Seite steht. Im betriebswirtschaftswissenschaftlichen Fall entsteht in dem eher informellen, virtuellen Chatraum ebenfalls eine eher vertraute Stimmung, in der die oder der Dozierende unter anderem die Aufgabe übernimmt, Prüfungsängste ab- und Prüfungssicherheit aufzubauen.

So sind einige Fragen der Studierenden als Sicherheitsabfragen einzuordnen („Hab ich es richtig verstanden, dass I“), die die/der Dozierende oftmals nur bejahen muss. Sie/Er signalisiert in dem Zuge immer wieder, dass ihr/ihm am Erfolg der Studierenden gelegen ist und sie/er diese auf dem Weg dorthin unterstützt.

In allen drei Fällen sind die Dozierenden außerdem mit der Heterogenität und der

„Niveaudiversität der Wissensbestände und der Lernfähigkeit“ (Habeck/Rundnagel 2017, S.

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Im betriebswirtschaftswissenschaftlichen Fall, welcher im Gegensatz zu den beiden Weiterbildungsmasterstudiengängen keine fachspezifische Vertiefung verfolgt, sondern als berufsbegleitender Bachelorstudiengang durchgeführt wird, sollen fachliche Grundlagen ergänzend zu den bereits vorhandenen praktischen Kompetenzen und Wissensbeständen aufgebaut werden. Dennoch kommen auch in diesem Fall sehr heterogene Berufs- und damit Kompetenz- und Erfahrungshintergründe zum Tragen. Den entsprechend differenten

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Rückfragen inhaltlicher Art wird mit der Chatsprechstunde auf individueller Ebene begegnet, wobei zeitgleich ein kollektiver Mehrwert durch die Beantwortung entsteht.

Fall

Tabelle 7: Handlungsleitende Orientierungen in den empirischen Fällen

Mit Blick auf das Forschungsdesign, welches eine explorative Annäherung an mögliche fachspezifische Lehr-/Lernkulturen in der wWB anstrebte, muss festgehalten werden, dass es sich nicht um empirisch gesättigte und abgesicherte Ergebnisse handelt. Dennoch – und dies war der Anspruch des Forschungsvorhabens – bieten die herausgearbeiteten Handlungsorientierungen eine Erkenntnisgrundlage, auf deren Basis weitere fachspezifische Lehr-/Lernkulturanalysen vorgenommen werden können und sollten. So müssten in einem nächsten Schritt weitere Studiengänge in die vergleichende Analyse aufgenommen werden, die trotz eigener Schwerpunktsetzungen der gleichen Fachdisziplin zugeordnet werden können. So könnte die Frage eines anknüpfenden Forschungsprojektes lauten: Lassen sich die im Rahmen der vorliegenden Pilotstudie ausgemachten handlungsleitenden Orientierungen auch in weiteren Fällen wiederfinden oder müssen diese zugespitzt, ausgeweitet oder gar verändert formuliert werden?

In methodologisch-methodischer Hinsicht zeigte sich das entwickelte qualitativ angelegte Forschungsdesign als zielführend für das Erkenntnisinteresse. Die Erhebungsmethoden (Teilnehmende Beobachtung, Fotodokumentation sowie Online-Chat-Protokolle) erwiesen

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sich als geeignet, um das atheoretische, vorreflexive Wissen hervorzubringen18, auf das die Beforschten nur unbewusst zurückgreifen, welches jedoch das Lehren und Lernen prägt.

Auch die auswertungsleitenden Kategorien Raum, Zeit, Sozialität und Inhalt ermöglichten einen umfassenden Einblick in die jeweilige Lehr-/Lernkultur der Angebote. In den durch die teilnehmende Beobachtung untersuchten Präsenzstudiengängen lag es nahe, diese (wie in Kap. 4 dargelegt auch als anthropologische Konstanten verstehbaren) Kategorien durch eine weitere Dimension zu ergänzen. Die Wahrnehmung und der Umgang mit der Forschung, in Persona der Forscherin, zeigte in der Auswertung unterschiedliche Ausformungen, die zum einen auf die (Lehr-/Lern-)Kultur des Angebots zurückzuführen ist, zum anderen auch mit der Beobachterin und später mit der Auswerterin19 zusammenhängt. So fand im erziehungswissenschaftlichen Fall eine „anthropology at home“ (Sökefeld 2002, S. 85) statt, da die Beobachterin ebenfalls Erziehungswissenschaftlerin ist und so auch von den Beobachteten wahrgenommen wurde. Diese waren gleichzeitig mit dem Beobachtet werden vertraut, da es eine wiederkehrende Praxis zwecks Selbstreflexion darstellt. Hier stellt sich insbesondere die Anforderung: „Je entfernter die Menschen sind, die der Ethnologe untersucht, desto mehr sind sie anders, und desto weniger ist der ethnologische Blick getrübt von Selbstverständlichkeiten, die gar nicht mehr wahrgenommen werden.“ (ebd., S. 83). Dies sollte jedoch nicht auf eine räumliche oder kulturelle Distanz bezogen werden, sondern auf eine mentale Distanz, welche nur durch eine kontinuierliche Reflexion der Voreingenommenheiten erreicht werden kann. Dies stellte sich zwar insbesondere im

„hauseigenen“ Fall als Herausforderung dar, sollte jedoch auch unbedingt in allen anderen Fällen Forschungsprämisse sein. Eine weitere Herausforderung in der Auswertung zeigte sich in der Fallbeschreibung und Ergebnisdarstellung, die trotz der Anforderungen an die Anonymitätswahrung die Alleinstellungsmerkmale und Spezifika der Angebote aufzeigen sollte. So müssen die beforschten Angebote einen Umgang mit stellenweise auftretenden Anonymitätslücken finden bzw. mit diesen einverstanden sein. Dies führte in der Erhebungsphase zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Samplegenerierung und auch innerhalb des Forschungs- und Auswertungsprozesses kam es zu weiteren notwendigen Rücksprachen mit den Fällen. Gleichzeitig wird diesen eine fallspezifische Analyse zugänglich gemacht, die es erlaubt, die eigenen Handlungsmodi im Lehren und dessen organisatorischer Rahmung bewusst zu hinterfragen und mögliche Optimierungsprozesse anzustoßen.

18 Welches im Falle des betriebswirtschaftswissenschaftlichen Angebots zusätzlich durch Expert/-innen-Interviews angereichert wurde.

19 Es handelt sich um zwei verschiedene Personen

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