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Forschungsvorhaben und Forschungsdesign

Im Rahmen des Verbundprojektes WM³ Weiterbildung Mittelhessen zielt das Arbeitspaket 4

„Fachspezifische Lehr-/Lernkulturanalyse“ darauf ab, die Gestaltung des Lehrens und Lernens in der wWB zu untersuchen und diese in ihren spezifischen Formbildungen als differenzierbare Lehr- und Lernkulturen zu bestimmen. Dabei haben die theoretischen Vorüberlegungen gezeigt, dass die neue Zielgruppenorientierung auf nicht-traditionelle Studierende und die damit einhergehende neue Nachfrageorientierung in der Handlungslogik der Hochschulen auch für die Lehrenden und für die die Lehre mitgestaltenden Personen wie Studiengangkoordinationen bestimmte Herausforderungen bereit halten. So muss den Charakteristika der Weiterbildungsstudierenden, die sich insbesondere in deren Heterogenität, Expertenschaft und Mehrfachverortung (Berufs-, Familien- und Weiterbildungsverpflichtungen) ausdrücken, mit einer erhöhten Serviceorientierung, einer Einbindung von orts- und zeitungebundenen Lehr-/Lernangeboten sowie mit lernendenzentrierten, die Expertisen anerkennenden Lehr-/Lernsettings begegnet werden.

Gleichzeitig, so die Annahme, spielt bei diesen Anforderungen auch der fachkulturelle Hintergrund eines Angebots eine tragende Rolle. Dabei wird in der Fachkulturforschung davon ausgegangen, dass die Fachkultur ein habitusprägender konjunktiver Erfahrungsraum ist, der spezifische Orientierungsmuster im Wahrnehmen, Denken und Handeln hervorbringt und reproduziert. Dies ist für die wWB insofern interessant, als dass viele der Teilnehmenden bereits eine fachkulturelle Sozialisation in einer Hochschule durchlaufen haben (ob nun dem Weiterbildungsangebot fachfremd oder fachnah) und so bereits mit den fachkulturellen Orientierungen vertraut sind oder diesbezüglich Neuland betreten. Nicht zuletzt ist davon auszugehen, dass auch das bildungspolitisch seit Jahrzehnten eingeforderte Paradigma des lebenslangen Lernens Einfluss auf das Lehren und Lernen in der wWB nimmt. So werden eine entsprechende Lebensphasenorientierung, eine stärkere Fokussierung auf den Lernenden und eine gezielte Kompetenzorientierung zum Usus in wissenschaftlichen Weiterbildungsangeboten, die zudem häufig in zeitlich verdichteten Lehr-/Lernarrangements stattfinden. An dieser Stelle zeigt sich jedoch eine empirische Leerstelle, die es zu füllen gilt: „Es sind (I) empirische Studien zur Didaktik und ihren besonderen Voraussetzungen in der wissenschaftlichen Weiterbildung erforderlich“

(Habeck/Rundnagel 2017, S. 135).

Für die vorliegende Untersuchung wurde die erkenntnisleitende Frage zugrunde gelegt, wie das Lehren und Lernen in der wWB mit Blick auf die benannten Einflussfaktoren konkret beschreibbar wird, also welche spezifischen und kollektiven Gestaltungsmodi das Lehren und Lernen leiten?

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Dafür wurde ein qualitativ angelegtes Forschungsdesign entwickelt, welches dem hier zugrunde gelegten explorativen, hermeneutischen Erkenntnisinteresse entspricht. Im Fokus steht also die Beschreibung und Analyse der in den ausgewählten Fällen zum Tragen kommenden Sichtweisen, Sinnstrukturen und Handlungs- und Deutungsmuster, die einen verstehenden Einblick in das Lehren und Lernen in der wWB erlauben. Konkret wurden drei Fälle ausgewählt, wobei jeder Fall ein wissenschaftliches Weiterbildungsangebot darstellt.

Das Sample setzt sich aus zwei weiterbildenden Masterstudiengängen und einem berufsbegleitenden Bachelorstudiengang zusammen. Bei den weiterbildenden Masterstudiengängen handelt es sich zum einen um ein Angebot aus den Erziehungswissenschaften, das zweite Angebot ist dem rechtswissenschaftlichen Bereich zuzuordnen. Beide finden überwiegend in Präsenzlehre statt. Bei dem berufsbegleitenden Bachelor handelt es sich um ein Angebot, welches aus der Betriebswirtschaftslehre stammt und somit auch Anteile aus der Mathematik enthält. Dieser Studiengang stellt auch Online-Lehr-/Lernanteile bereit. In den Fällen kamen unterschiedliche, auf die Organisationsform des Angebots abgestimmte Datenerhebungsverfahren zum Einsatz. In den zwei weiterbildenden Masterstudiengängen wurden eine teilnehmende Beobachtung und eine Fotodokumentation durchgeführt, während in dem berufsbegleitenden Bachelor Chatprotokolle einer onlinebasierten Sprechstunde, deren Teilnahme freiwillig war, sowie leitfadengestützte Interviews mit den diese Sprechstunden durchführenden Lehrenden die Datengrundlage bilden. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalysen und Bildinterpretationsverfahren.

Raum, Zeit, Sozialität und Inhalt – die analyseleitenden Kategorien

Die qualitative Inhaltsanalyse erfolgte entlang der deduktiven Kategorien Raum, Zeit, Sozialität und Inhalt als das Lehren und Lernen prägende Dimensionen. Dies ist insofern interessant, als dass die ersten drei Parameter auch als „anthropologische Konstanten“

aufgefasst werden, „die durch das Raster spezifischer kultureller Ordnung betrachtet Denken und Handeln organisieren“ (Bormann 2001, S. 22). Dabei können diese Parameter vielfältig definiert werden.

Bei der Kategorie Raum gerät zunächst eine architektonische Begriffsbestimmung ins Blickfeld, die die formale und ästhetische Gestaltung eines Gebäudes, Innen- oder Außenraumes verbunden mit einer konkreten Ortsbestimmung, meint. Darüber hinaus kann der Mensch als ein den Raum wahrnehmendes und interpretierendes Wesen, welches ein Urteil über Gefallen und Nicht-Gefallen trifft, welches den Raum nutzt oder für einen Aufenthalt ablehnt, eine solche begriffliche Auffassung erweitern. In der vorliegenden Untersuchung wird daher, abstrakter gefasst, nicht nur von einem architektonischen, sondern auch von einem konstruktivistischen Raumbegriff ausgegangen, mit welchem die Frage

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verbunden ist, wie Räume als „Artefakte von gesellschaftlichen Konstruktionsprozessen“

(Wardenga 2002, S. 48) Kommunikation und Interaktion beeinflussen – oder, wie Räume geprägt durch kulturelle Sozialisationsprozesse von Individuen wahrgenommen und genutzt werden. In die Analyse der Präsenzfälle wurden bspw. der Veranstaltungsort, die Lehr-/Lernräume sowie die Pausen- und Aufenthaltsräume mit Blick auf ihre wahrnehmungs-, kommunikations- und handlungsprägenden Konsequenzen einbezogen.

Auf die Kategorie Zeit bezogen, fällt zunächst ein Begriffsverständnis ins Auge, das von einer allgemein anthropologischen Biozeitlichkeit ausgeht, nach der sich Menschen weltweit orientieren und ihren Alltag strukturieren. Dazu gehören der Lebensrhythmus durch den ca.

sekündlichen Herzschlag, der 24-Stunden-Rhythmus zur Abgrenzung von Tageseinheiten oder auch der (lebensempfangende) Menstruationszyklus (vgl. Schäfers 1997, S. 143f.). Zeit kann und sollte aber auch verstanden werden als sozial konstituierte, kulturspezifisch wahrgenommene Dimension: „Zwischen einem naturwissenschaftlich arbeitenden und denkenden Wissenschaftler und einem Künstler wird es im Hinblick auf Zeitbewusstsein und Zeitplanung ebenso große Unterschiede geben, wie zwischen Menschen der industriell-bürokratischen Kulturstufe und Angehörigen von Stammeskulturen, bei denen die Rhythmen des Naturgeschehens zu Rhythmen des Zeiterlebens geworden sind.“ (ebd., S. 143). So gehe man in dieser Begründungslinie davon aus, dass die Individuen ihr spezifisches Zeitverständnis im Sozialisationsprozess erwerben und in soziale Prozesse wieder einfließen lassen (vgl. ebd. S. 146). Für die Analyse spielten insbesondere die (fachkulturelle) Wahrnehmung und der Umgang mit Zeit innerhalb und außerhalb des Lehr-/Lernsettings eine Rolle. Dabei wird Zeit auch mit Blick auf (lern-)biographische Rahmenbedingungen und Entscheidungen relevant.

Immer in Raum und Zeit verortet ist die Sozialität, also die „Fähigkeit zu symbolisch orientiertem, bedeutungsgeleitetem Handeln“ (Bormann 2011, S. 22). Leben und Alltag sind sozial konstituiert, spielen sich also in Kommunikations- und Handlungsprozessen zwischen zwei oder mehreren Akteuren ab. Diese sind insofern vom Raum-Zeit-Gefüge geprägt, als dass dieses Regeln und Routinen hervorbringt, die für eine Gruppe gültigen Charakter besitzen. Das Wissen über diese Regeln und deren Verinnerlichung macht das Individuum sprach- und handlungsfähig, es weiß, welches Verhalten in bestimmten Situationen angebracht ist und was von anderen abgelehnt wird. Und es erwartet in bestimmten Situationen von anderen ein passendes Verhalten (vgl. Jetzkowitz 2010, S. 260f.). In der vorliegenden Untersuchung wurden deshalb auch die verschiedenen Rollenkonstitutionen der an der Weiterbildung beteiligten Personengruppen und die herrschenden Umgangsformen in den Verstehens- und Analyseprozess miteinbezogen.

Nicht zuletzt leitete auch der Inhalt als weitere Kategorie die Analysearbeiten. Darunter wird zum einen das Lehr-/Lernziel verstanden, also die Kenntnisse und Fähigkeiten, die innerhalb

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der Lehr-/Lerneinheit angeeignet werden sollen. Zum zweiten wird hier auch der Lehr-/Lerngegenstand betrachtet, also das Unterrichtsobjekt oder das Lernmedium, anhand dessen Wissen und Kompetenzen erworben werden sollen. Auch der Inhalt steht in einem engen Zusammenhang mit den drei anthropologischen Konstanten Raum, Zeit und Sozialität. So werden bspw. für bestimmte Lernmedien passende Räumlichkeiten notwendig oder die vorgefundenen Räumlichkeiten verlangen nach entsprechend abgestimmten Lernmedien.

In der folgenden angebots- bzw. fachkulturspezifischen Ergebnisdarstellung werden die (multimethodisch) generierten Daten hinsichtlich dieser Kategorien ausgewertet, wobei das Sample und das damit zusammenhängende konkrete methodische Vorgehen zuvor jeweils fallbezogen erläutert wird.

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