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Da in der Gnosis neben den Einflüssen des Judentums auch Einflüsse der griechischen Philosophie eine große Rolle spielen, vermuten manche Forscher (POKORNY, STÜRMER, QUISPEL), dass die religionsgeschichtliche Herkunft der Gnosis im hellenistischen Judentum zu suchen sei. Der Begriff „hellenistisches Judentum” wird dabei aber weiter gefasst verstanden als früher, weil sich herausgestellte, dass selbst das traditionelle Judentum Palästinas vom

„hellenistischen Geist“ stark beeinflusst worden war. Die Einflüsse des Hellenismus sind sowohl in Palästina als auch in der Diaspora seit der frühen Ptolemäerzeit nachweisbar. Diese Einflüsse sind zahlreich und vielfältig und zeigen sich sowohl in der materiellen als auch in der geistigen Kultur – in der Sprache, in der Literatur, in der Philosophie und in der Religion, weswegen die neuere Forschung zunehmend davon Abstand nimmt, ein „hellenistisches“ und ein

„palästinensisches“ Judentum streng voneinander zu unterscheiden. Obwohl die gnostische Bewegung etwa um die Zeitwende auftauchte, waren die geistigen Bewegungen, die die Entstehung der Gnosis beeinflussten, bereits im vorchristlichen, genauer im hellenistischen Zeitalter, entstanden. Der Großteil der gnostischen Schriften wurde in der Koine abgefasst. Die größten Zentren der Gnosis lagen in Alexandrien, in Antiochia und in anderen Städten, die im hellenistischen Zeitalter entstanden sind. Aus diesem Grunde kann man behaupten, dass die griechisch-hellenistische Gedankenwelt für die Ausbildung und die Entwicklung der Gnosis eine erhebliche Bedeutung hatte und der Hellenismus eine entscheidende Voraussetzung für die Gnosis bildet.

Im hellenistischen Zeitalter fand im Judentum viele Veränderungen stattgefunden, die für die Ausbildung der Gnosis eine wichtige Rolle spielten. Das Hauptmerkmal der jüdischen Religion in diesem Zeitalter war die ausschließliche Vorherrschaft ihrer monotheistischen Glaubensvorstellungen in jener Form, wie sie sich in den vorausgehenden Generationen

1351 Irenäus, Adv. haer. I 23, 1 ff.

1352 Bousset/Gressmann, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, 325 ff; Rudolph, Theogonie, Kosmogonie und Anthropogonie in den mandäischen Schriften, 200; Fossum, The Name of God and the Angel of the Lord,198 ff; Quispel, Christliche Gnosis und jüdische Heterodoxie, 476–477; Quispel, Gnosis, 420–421;

Bormann, Die Ideen- und Logoslehre Philons von Alexandrien, 56 ff.

1353 Lohse, Umwelt des Neuen Testaments, 199.

herausgebildet hatte. Der jüdische Monotheismus in dieser Zeit war ausgesprochen abstrakt, eine Tendenz, die sich noch verstärkte, als man eine Verbindung zwischen Mensch und überirdischer Welt nicht mehr empfand. Mit der Betonung der Singularität und Transzendenz von Jahwe hatten sich die göttlichen Mächte zu selbständigen Hypostasen entwickelt, zu Wesen, die für sich handeln, und in deren Wirksamkeit der Mensch das Handeln von Jahwe erfährt. Solche Hypostasen fungieren gleichzeitig als Vermittler zwischen Gott und Mensch. Die berühmteste Hypostase war die Weisheit (hokma), deren Gestalt in der jüdischen Weisheitsliteratur eine zentrale Rolle spielt und dort eine kosmogonische Bedeutung innehat. Die Gestalt der

„Weisheit” beeinflusste sicherlich die gnostischen Vorstellungen von der Sophia, wie die jüdische Weisheitslehre überhaupt als eine religiöse Strömung betrachtet werden kann, die starken Einfluss auf die gnostische Bewegung ausübte. Auch der Glaube an Engel als Vermittler zwischen Gott und Mensch gewann mehr und mehr an Boden. Den Glauben an Engel gab es zwar bereits im AT, im hellenistischen Zeitalter jedoch erlangte dieser Glaube mehr und mehr Bedeutung. In diesem Zeitalter entwickelte sich auch der Glaube an Satan und Dämonen. Wie die Engel, so waren auch die Dämonen in der israelitischen Religion schon früher bekannt;

herrschte früher allein die Vorstellung, dass die Dämonen für die äußeren Unfälle verantwortlich waren, so wurden sie jetzt auch zum Verführer für das ethisch Böse. Der Satan, der früher nur ein böses Wesen unter anderen war, wurde zum Haupt der Dämonen. Der Kampf zwischen Gott und Satan, zwischen Engel und Dämonen ist ein wichtiges Thema in der Apokalyptik, die eine neue, im hellenistischen Zeitalter entstandene religiöse Bewegung darstellt. Die apokalyptische Bewegung erwuchs zwar aus den Voraussetzung der israelitischen Religion, aber viele charakteristische Züge der Apokalyptik weisen auf fremde Einflüsse, besonders auf die Einflüsse des Zoroastrismus, hin. So lässt sich z. B. mit großer Sicherheit bestimmen, dass der Dualismus zwischen Gott und Satan vom Iranischen abhängig ist. Andere charakteristische Züge der Apokalyptik sind die Ausrichtung auf die jenseitige Welt, auf die Welt der Engel und Geister, der Mythologismus, die kosmologische Orientierung, die pessimistische Geschichtsbetrachtung und die Gegenüberstellung von den zwei Äonen – von jener Weltzeit (ha olam hazze, a˝◊n o»toq), die unter der Herrschaft Satans und der Dämonen steht, mit der kommenden Weltzeit (ha olam habba, a◊n m™llvn), die mit dem Reich Gottes identisch ist. Viele Wissenschafter vermuten, dass auch die Apokalyptik die gnostische Bewegung beeinflusst hat. Man hat mehrere Phänomene des apokalyptischen Judentums aufgeführt, die für die Ausbildung des gnostischen Denkens „entscheidend“ gewesen sein könnten. Solche Phänomene sind der Dualismus, die Abwertung „dieses Äons“ zugunsten des zukünftigen, die Ausbildung einer Arkandisziplin und eines esoterischen, das Heil verbürgenden Wissens, starkes Interesse für Kosmologie und Angelologie (Zwischenwelt), verbunden mit einer zunehmenden Transzendalisierung Gottes und pessimistische Skepsis über den Lauf dieser Welt. Aber Zudem liehen die Gnostiker von der Apokalyptik viele konkrete Gestalte und Motive: So ist beispielsweise beinahe die gesamte Lichtwelt in der Gnosis von Wesen erfüllt, die aus der Apokalyptik bekannt sind. Auch die jüdisch-hellenistische Philosophie, die im hellenistischen Zeitalter entstanden ist und deren Hauptvertreter Philo von Alexandrien war, hat viele Berührungspunkte mit der Gnosis und hat sie auch sicherlich beeinflusst.

In der gnostischen Literatur spielt der alttestamentliches Stoff eine sehr wichtige Rolle. Die Gnostiker haben verschiedene alttestamentliche Texte verwendet, allerdings benutzten sie nur solche Bibelstellen, die für die gnostischen Grundaussagen zu adaptieren waren (der sog.

„selektive Gebrauch der Bibel“ der Gnostiker). Die große Bedeutung, die die Anfänge der Bibel für die Gnostike haben, hängt mit ihrem Interesse an den Uranfängen der Welt zusammen, bei denen sich das Verhängnis der kosmischen Entwicklung entschied. Solche Bibelstellen, wie Gen.

1, 1, 2, 26, 27 ff., 10–14, 17, 21; 3, 1–20; 23 f dienen als Illustration von Kosmogonie;

Anthropogonie und dem Urzustand („Paradies“) des Menschen. Andere Zitate, wie aus Jesaja (bes. 6, 3. 10; 45, 5; 46, 9), dienen entweder zum Beweis der Verstocktheit der Juden bzw. der Anhänger des Demiurgen oder der Charakterisierung des überheblichen Schöpfergottes (Archon, Jaldabaoth, Saklas). Am kennzeichnendsten ist für die Gnosis die sog. „Protestexegese“ – die Gnostiker haben viele Bibelstellen so uminterpretiert, dass ihre ursprüngliche Sinn zum Gegensätzlichen hin verändert wurde. Wenn z. B in Jes 45, 5 Gott sagt: „Ich bin der Herr und sonst niemand; / außer mir gibt es keinen Gott“, ist das für die Gnostiker nicht eine Selbstmanifestation des wahren Gottes, wie für die Juden, sondern eine Aussage, die nur den Hochmut des Demiurges ausdrückt. Außer der Bibel benutzten die Gnostiker auch die jüdischen Pseudepigraphen. Zumeist jedoch interpretierten sie die Motive von Pseudepigraphen um, um sie der gnostischen Grundkonzeption dienstbar zu machen. So werden sieben Erzengel, die in den Pseudepigraphen vorkommen, in der Gnosis zum bösen Archonten, und der Abstieg der Weisheit (1 Hen 42, 1–3 ) wird zum Fall von Sophia. Ein Teil des Materials, das aus der apokryphischen und pseudepigraphischen Literatur stammt, wird von Gnostikern auch „neutral”

benutzt, es dient den Gnostikern nur als ein illustrierendes Material, das – aus der Perspektive der Grundkontzeptionen dieser Werke aus betrachtet – nur eine sekundare Rolle spielt.

Auch die wichtigsten der gnostischen Grundmythologemen haben einen alttestamentlichen-jüdischen Hintergrund. Dies gilt für bestimmte Anschauungen und Vorstellungen, wie z. B. der Unterscheidung zwischen dem unbekannten und wahren Gott und dem Demiurgen oder dem Schöpfer dieser Welt, für die sieben Archonten, den Gott „Mensch”, die Weisheit und den Gottesgeist im Menschen. So ist z. B. die Lehre vom Gott „Mensch” in der Gnosis aus gnostischer Interpretation von Gen. 1, 26 f. ableitbar. Die zweite Quelle von der Lehre vom Gott

„Mensch“ ist sicherlich eine Vision des Propheten Hezekiel. Sie erzählt, wie Hezekiel die Glorie (kabod) des Herrn schaute, welche ihn auch im babylonischen Exil nicht verlassen hatte – diese Offenbarungsgestalt wird die „Gestalt wie das Aussehen Adams („des Menschen”)” genannt (1, 26).

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der jüdische Stoff bereits bei den gnostischen Sekten eine große Rolle spielte, die als die ältesten gnostischen Sekten betrachtet werden – bei den Mandäern und den Simonianern. Da die beiden Sekten in Palästina entstanden sind, wäre das ein Beweis dafür, dass die Gnosis schon im 1. Jahrhundert n. Chr. nicht nur in Diaspora, sondern auch in Palästina vorhanden war. Die Wurzeln beider Sekten liegen in synkretistischen Kreisen des Judentums, und diese Tatsache scheint die Hypothese zu bestätigen, wonach die religionsgeschichtliche Herkunft der Gnosis in diesen Kreisen zu suchen sei. Zudem sind sowohl die Mandäer als auch die Simonianer ein gutes Beispiel für die Gnosis, die unabhängig vom Christentum entstanden ist.

III. Teil

DIE BERÜHRUNGSPUNKTE ZWISCHEN GNOSIS UND