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DIE BERÜHRUNGSPUNKTE ZWISCHEN GNOSIS UND JUDENTUM IN DEN PAULINISCHEN BRIEFEN

11. Der erste Korintherbrief

In 1. Kor begegnen wir einer scharfen Polemik gegenüber den Gegnern des Paulus, die von manchen Wissenschaftern als jüdische Gnostiker identifiziert werden; allerdings treten hier auch einige Motive auf, die nur teilweise oder außerhalb des polemischen Kontextes vorkommen und die sowohl an die Gnosis erinnern als auch im Judentum Parallelen haben.

11. 1. Die Gegner des Paulus und ihre Verbindung mit der Gnosis und mit dem Judentum In 1. Kor gibt es viele Hinweise, die mit den Gegnern des Paulus in Verbindung gebracht wurden. Auf Grund der Terminologie, die Paulus hier benutzt, kann man vermuten, dass die

1522 Brandenburger, op. cit., 177. Über die Verbindung des Fleisches oder des Leibes mit der Begierde und der Lust s. migr. 9; agric. 22 ( Ôdonaº des Soma); immut. 143 (Ôdonaº der Sarx); leg. all. I 103 (®piuymºai des Soma); gig. 34 f. (®piuymºai der Sarx). BRANDENBURGER zieht hier eine Parallele zu Gal 5, 16 f, wo wir auch dem Gedanken der ®piuymºa (-ai) sarkøq begegnen (Brandenburger, Fleisch und Geist, 118).

1523 Brandenburger, op. cit., 177.

1524 Bousset, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, 400 ff.

1525 In diesem Sinn gleicht die Anschauung von Paulus eher der Theologie von Qumran. MUßNER weist auf die Tatsache hin, dass der Laster- und Tugendkatalog in Gal 5, 19 ff die Parallelen in Qumran (1 QS IV) hat. S. Mußner, Der Galaterbrief, 380 ff, bes. 392–395.

1526 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 55.

Gegner selbst ihre Lehre „die Weisheit” (sofºa – 1. Kor 1, 20–22; 2, 1. 6–7) und sich selbst „die Weisen” (sofoº – 1. Kor 1, 19. 26–27), „die Vollkommenen” (t™leioi – 1. Kor 2, 6) und „die Geisterfüllten” (pneymatikoº – 1. Kor 2, 14 ff.; 15, 21. 44–49) genannt haben. Sie glaubten, dass nur sie den „Geist” (pne†ma – 1. Kor 2, 4 ff.; 14, 12 ff.), die „Weisheit (sofoº – 1. Kor 2, 20–22) und die „Erkenntnis” (gn©siq – 1. Kor 8, 1 ff.; 13, 18 ff.) besitzen.1527 Der Pneumabesitz trennt die Christen ihrer Meinung nach in zwei Klassen, die Pneumatiker bzw. die „Vollkommenen”

einerseits und die Sarkiker (sarkikoº – 1. Kor 3, 3) bzw. „Unmündigen” andererseits (3, 1).1528 Sie sind stolz auf ihre „Erkenntnis” und geringschätzen die „Schwachen” (1. Kor 10, 23–31).1529 Für den Pneumatiker ist das „Fleisch” (sÅrj), d.h. Vergänglichkeit und Tod, unwesentlich geworden und das ewige Leben Gegenwart (4, 8). Aus dieser Perspektive ist auch die Leugnung der (leiblichen) Auferstehung zu verstehen (15, 12 ff): Die Auferstehung ist im Pneuma bzw. in der Gnosis vorweggenommen (wie 2 Tim 2, 18), vielleicht auch in der Taufe1530; denn der Brauch, sie stellvertretend für Verstorbene zu vollziehen („Vikariatstaufe” 15, 21), setzt doch die Anschauung voraus, sie verleihe das Leben. Auch ansonsten scheint sich ein magisches Verständnis der Sakramente mit dem korinthischen Pneumatismus vertragen zu haben; Paulus polemisiert jedenfalls 10, 1 ff gegen die Meinung, die Sakramente feiten vor Sünde und Tod.1531 Außerdem wird die Gemeindeversammlung (besonders das Abendmahl) bei ihnen zu einer Demonstration der Geistesbesessenheit (1. Kor 12, 3; 14, 2–19).1532 In ihrer Freiheit vom Tode verstanden sich die Pneumatiker auch frei gegenüber der vergänglichen Welt: Sie konnte ihnen nichts anhaben und zu nichts verpflichten. Nach ihren Worten lautet es: pånta (moi) ‘jestin (6, 12; 10, 23) und hat dem Kontext nach im Verhalten zur Sexualität und zum Götzenopferfleisch eine gewichtige Rolle gespielt.1533

Wer waren nun diese Gegner des Paulus in Korinth? Zu dieser vieldiskutierten Frage findet man sehr unterschiedliche Meinungen. Seit HAMMOND1534 haben viele Exegeten gemeint, dass diese Gegner Gnostiker gewesen wären. Diese Ansicht teilen z. B. BURTON1535, GODET1536,

1527 Schmithals, op. cit., 31; Rudolph, Die Gnosis, 322.

1528 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 133.

1529 Rudolph, Die Gnosis, 322.

1530 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 133.; Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 31. 32;

Rudolph, Die Gnosis, 322.

1531 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, Brandenburger, Fleisch und Geist, 59 ff. In der Apokalyptik sind Fleisch und Geist klar gegeneinander abgesetzt: Die Gerechten, denen in ihrem Fleische, d. h. in der Zeit fleischhafter Seinsweise, nicht mit Ehre gelohnt wurde, deren Geister werden im Eschaton verklärt werden (äthHen 108, 11). Die Gebeine der Gerechten werden in der Erde ruhen, aber ihr Geist wird an den Freuden des Endheils teilhaben (Jub 23, 31). Der Geist Adams geht aus seinem Leibe heraus und kehrt zu Gott zurück (4 Esra 7, 78; vgl.

88, 100). (Brandenburger, Fleisch und Geist, 60). Es gibt aber auch solche Texte, aus denen hervorgeht, dass irdischeund himmlische Sphäre samt ihren Bewohnern schon früh in ihrer substantiellen Beschaffenheit nach Fleisch und Geist differenziert wurden. So deutet das Nebeneinander von „kein Engel” und „kein Fleisch” äthHen 14, 21 einen deutlichen Unterschied zwischen Geist- und Fleischwesen an. In 61, 12 wird die Gesamtheit der Himmelsbewohner, zu denen hier auch die vollendeten Auserwählten zählen, mit „jeder Geist des Lichtes” der Welt des Fleisches, „alles Fleisch”, gegenüberstellt. Nach Jub 2, 2 ff. 11 ff wurden die Geistwesen am ersten, die

Fleischwesen dagegen erst am fünften Schöpfungstag erschaffen, was durchaus ihren ontologischen Rang

bezeichnet. Mit den Geistwesen hielt Gott bereits Sabbat im Himmel, bevor es den Fleischwesen gezeigt wurde, auf Erden dasselbe zu tun (Jub 2, 30) (Brandenburger, Fleisch und Geist, 65).

1532 Rudolph, Die Gnosis, 322.

1533 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, ibid.; Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 31.

1534 Hammond, H. NT Domini nostri Jesu Christi ex versione vulgata cum paraphrasi et adnotationibus...in Latinam transtulit, suiseque animadversionibus illustravit, castigavit, auxit Johannes Clericus. Bd II, 73 f. 81. 98 f. 108 f.

1535 Burton, E. An Inquiry into the Heresies of the Apostolic Age, 1829, 130 ff.

1536 Godet, F. Einleitung in das NT, I, 1894, 145 ff.

SCHLATTER1537, LAKE1538, BAUER1539, BULTMANN1540, WENDLAND1541, REICKE1542, GOPPELT1543, SCHNIEWIND1544, CONZELMANN1545, KÖSTER1546, WILCKENS1547, DINKLER1548, SCHMITHALS1549, JEWETT1550, PETREMENT1551, RUDOLPH1552 und NIKOLAINEN.1553

Unter diesen Wissenschaftern hat SCHMITHALS einen Versuch unternommen, die Gnosis in Korinth möglichst präzise zu rekonstruieren.1554 Er weist auf eine Reihe von Übereinstimmungen zwischen Aussagen des 1 Kor und gnostischen Texten hin: Sarx-Pneuma-Dualismus, Sophia-Spekulationen, Abwertung der Leiblichkeit, bereits erfolgte Auferstehung. Seine Hypothese stieß jedoch auf scharfe Kritik. So sind SCHENKE und FISCHER der Ansicht, dass wir in Korinth bestimmten Parolen und Verhaltensweisen begegnen, die als Ausdruck einer spezifisch

1537 Schlatter, Adolf. Die korintische Theologie, 1914.

1538 Lake, K. The Earlier Epistles of St. Paul, 1914.

1539 Bauer, Walter. Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Cristentum. 2. Auflage mit einem Nachtrag von G.

Strecker. J. C. H. Mohr (Paul Siebeck). Tübingen 1964, 103 f.

1540 Bultmann, Rudolf. ThWNT I, 706.

1541 Wendland, Hans-Dietrich. Die Briefe an die Korinther. Das Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger

Bibelwerk. Herausgegeben Gerhard Friedrich. Teilband 7. 13. Auflage. Vandenhoeck&Ruprecht. Göttingen 1972, 2 f.

1542 Reicke, Bo. Diakonie, Festfreude und Zelos, Zürich 1951, 273 ff.

1543 Goppelt, Leonhard. Christentum und Judentum im ersten und zweiten Jahrhundert. Vandenhoeck&Ruprecht.

Göttingen 1954, 126 ff.

1544 Schniewind, Julius. Nachgelassene Reden und Aufsätze, 1952, 114.

1545 CONZELMANN sagt: „Einzelne Spuren weisen auch darauf, dass sich das zu formieren beginnt, was sich später als „Gnosis” präsentiert, also Gnosis in statu nascendi. Man mag die Korinther als Proto-Gnostiker

charakterisieren” (Conzelmann, Hans. Der erste Brief an die Korinther. Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament. Fünfte Abteilung – 11. Auflage. 1. Auflage dieser Neuauslegung. Göttingen. Vandenhoeck &

Ruprecht 1969, 30). Ähnlich denkt auch KÖSTER, der schreibt: „Es ist nicht falsch, die Gegner in Korinth (die

„Starken” unter den Gemeindegliedern) als Gnostiker oder als Proto-Gnostiker zu bezeichnen, wenn man damit ihr Selbstbewusstsein beschreiben will” (Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der

Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, 555). S. auch SCHRAGE: „Die seitherige Diskussion hat dazu geführt, dass im Anschluss an das Messina-Kolloquium, wo Gnosis als Religion und Gnostizismus als ausgearbeitete christlich-gnostische Systeme des 2. Jh. unterschieden wurden, die meisten heute vorsichtiger auch bei den Korinthern von Prae-Gnosis oder Proto-Gnosis sprechen, von Gnosis in statu nascendi, von Frühgnosis oder Frühstufe der Gnosis oder, wohl am besten, von „gnostisierenden” Pneumatikern oder Tendenzen. Das ist darum sinnvoll, weil ein radikal dualistisches Daseins-, Welt- und Gottesverständnis mit einem metaphysischen Antagonismus von Gott und Schöpfung in Korinth nicht auszumachen, für die Gnosis aber im allgemeinen konstitutiv ist (Schrage, Wolfgang. Der erste Brief an die Korinther. Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Herausgegeben von Norbert Brox, Rudolf Schnackenburg, Eduard Schweitzer und Ulrich Wilckens. Band VII/1. Benziger Verlag. Neukirchener Verlag, 52).

1546 Köster. Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, 554 ff.

1547 Wilckens, U. Weisheit und Torheit, 1959.

1548 Dinkler, Erich. Korintherbriefe. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Vierte, völlig neu bearbeitete Auflage. IV Band. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).

Tübingen, 17 ff.

1549 Schmithals, Walter. Die Gnosis in Korinth. Eine Untersuchung zu den Korintherbriefen. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Herausgegeben von Rudolf Bultmann. Neue Folge, 48.

Heft. Der ganzen Reihe 66. Heft. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 1956.

1550 Jewett, R. Paul’s Anthropological Terms. A Study of their Use in Conflict Settings. 1971, 34 ff.

1551 Petrement, S. Sur le probleme du gnosticisme, 1980, 154.

1552 Rudolph, Die Gnosis, 322–323.

1553 Nikolainen, Aimo T. Pauluse kirjad korintlastele. Kaine kristluse alused. Esimene kiri. EELK Konsistooriumi kirjastus- ja pressiosakond, Tallinn 1995, 17.

1554 Schmithals, Die Gnosis in Korinth.

gnostischen Daseinshaltung gedeutet werden können – jedoch nicht müssen (die Parole pånta (moi) ‘jestin (1. Kor 6, 12; 10, 23), die Parole Ωnåstasiq nekr©n oªk ‘stin (1. Kor 15, 12), und überhaupt das hohe Selbstbewusstsein der Korinther, das sich in der Begrifflichkeit des Paulus als ein kayx˙suai und fysio†suai widerspiegelt (vgl. besonderes 1. Kor 4, 7–13).1555 So ist z. B.

unklar, wie die Parole Ωnåstasiq nekr©n oªk ‘stin zu verstehen ist, hebräisch, gnostisch, mysterienhaft oder griechisch, d. h. ob in dem Sinne, dass das Heil, das das Christentum verspricht, nur für das irdische Leben gilt, weil es kein zukünftiges gebe, oder ob im Sinn der in den Pastoralbriefen bekämpften Gnostiker, die behaupten Ωnåstasin ˚dh gegon™nai (2 Tim 2, 18), ob im Sinne von syn¸geiren kaÁ synekåuisen (Ôm˙q) ®n to¡q ®poyranºoiq (Eph 2, 6) oder ob im Sinne der bei Justin dial. 80 erwähnten sogenannten Christen, deren Meinung es ist mÓ eµnai nekr©n Ωnåstasin, ΩllÅ Ÿma tˆ Ωpounískein tÅq cyxÅq aªt©n Ωnalambånesuai e˝q tØn oªranøn.1556 Außerdem geht SCHMITHALS in seiner Abhandlung von Stellen aus, aus denen entweder gar nicht ersichtlich ist, dass Paulus gegen gegnerische Auffassungen ankämpft, oder an denen unklar ist, wie und wogegen er eigentlich polemisiert. Aus diesen Stellen konstruiert er nun die bisher vermisste mythologische Lehre der Gegner des Paulus. Er entnimmt aus 1. Kor 12, 3 (Ωnåuema |Ihso†q) z. B., dass die Häretiker eine typische Christologie vertreten hätten, in der zwischen dem irdischen Menschen Jesus und dem himmlischen Geist-Christus unterschieden worden wäre.1557 SCHMITHALS erklärt auch den paulinischen Dualismus sÅrj_ pne†ma für genuin gnostisch.1558 Die Rekonstruktion von SCHMITHALS ist also unzureichend begründet, teilweise erscheint sie sogar willkürlich – aus diesem Grunde gebe ich SCHENKE und FISCHER Recht, wenn sie sagen:

„Er (d. h. SCHMITHALS) legt bestimmten paulinischen Wendungen einfach einen gnostischen Sinn unter und hält das dann für Terminologie und Mythologie der Häretiker.

Dieses Verfahren, dessen sich SCHMITHALS anscheinend nicht bewusst ist, muss dazu führen, Paulus selber für einen Gnostiker, d. h. als seinen eigenen Gegner, zu erklären.”1559 Auch SCHNELLE kritisiert die Anschauung von SCHMITHALS scharf. Er sagt, dass eine dualistische Anthropologie noch nicht ausreicht, um einen gnostischen Einfluss zu postulieren.

SCHNELLE macht weiters auf die Tatsache aufmerksam, dass sich auch die Vorstellung einer Konsubstantialität zwischen dem eigentlichen Selbst und der Gottheit für die Gegner des Paulus in Korinth nicht nachweisen lässt, und dass die Schöpfung für sie nicht als Bereich einer widergöttlichen Macht erscheint, so dass die Gegner nicht zwischen einer obersten Gottheit und einem minderwertigen Schöpfergott unterscheiden. Von Gnosis kann nach SCHNELLE erst dort sinnvoll gesprochen werden, wo Gott und damit auch die Schöpfung in einen protologischen Dualismus mit hineingenommen werden.1560 Deswegen versuchen manche Wissenschafter, wie

1555 Schenke/Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments. I Bd., 100.

1556 Schenke/Fischer, op. cit., 97.

1557 Schenke/Fischer, op. cit., 104.

1558 Schenke/Fischer, op. cit., ibid.

1559 Schenke/Fischer, op. cit., 105.

1560 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 80. Ähnlich denkt auch ARAI, der schreibt: „Es sei zwar zugegeben, dass einzelne Bedingungen, unter denen die ‘Gnosis’ bestehen kann, in der korinthischen Gemeinde schon vorhanden waren, da sowohl die Logoi-Tradition, als auch die präsentische Eschatologie je in ihrem Wesen den Samen der Gnosis tragen, der aufgehen soll, sobald er auf die Bahn einer dualistischen Anthropologie gerät.

Dennoch scheint es mir so zu sein, dass sich dieser Same trotz der dualistischen Anthropologie in Korinth noch nicht zur Gnosis, bzw. zum Gnostizismus entfaltet, und zwar aus folgenden Gründen: Zunächst ist es bei den Gegnern des Paulus noch unklar, ob ihre Erlösung in der Tat im Wissen, also in der Gnosis, um Konsubstantialität vom eigentlichen Selbst und der Gottheit besteht. Einerseits ist mit dem salvandum, das zum salvatum werden wird (15, 37), sicher das eigentliche Selbst gemeint. Andererseits scheinen sie aber behauptet zu haben, ‘alle Geheimnisse

z. B. VIELHAUER, die „korinthische Theologie” ohne gnostische Einflüsse zu erklären.

VIELHAUER ist der Ansicht, dass das Pneumatikertum eher das Produkt einer inneren (sozusagen „endogenen”) Entwicklung der korinthischen Gemeinde gewesen zu sein scheint:

Dafür spricht die einseitige Betonung einzelner Elemente der paulinischen Verkündigung und ihre einfache Verbindung mit den mitgebrachten weltanschaulichen und religiösen Gedanken und Vorstellungen, wie LÜTGERT und REITZENSTEIN bereits früher gemeint hatten.1561 In Korinth waren verschiedene Religionen vertreten1562 und sogar jene Wissenschafter, die bei der

„Theologie von Korinth” die Einflüsse der Gnosis bejahen, rechnen bei eben dieser „Theologie”

mit verschiedenen Einflüssen (wie z. B. Einflüssen der Stoa und Mysterienreligionen).1563

Ich stimme mit VIELHAUER überein, wenn er sagt, dass sich eine vollständige Rekonstruktion der „korinthischen Theologie” aufgrund der Quellen nicht durchführen lässt, sondern nur mit Hilfe von Phantasie1564 – und deshalb möchte ich eine solche Rekonstruktion hier nicht vornehmen. Aber aufgrund der knappen Angaben, die wir über diese Irrlehre haben, stimme ich doch auch RUDOLPH, NIKOLAINEN und vielen anderen zu, wenn sie vermuten, dass in der „korinthischen Theologie” sicherlich (u. a.) auch gnostische Einflüsse wirken. Auf die Gnosis scheint in erster Linie die Terminologie, die Paulus hier verwendet, zu verweisen:

gn©siq (1. Kor 8, 1), sofºa (1 Kr 1, 20–22; 2, 1. 6–7), “rxonteq to† a˝©noq to¥toy (1. Kor 2, 6.

8).1565 Wenn auch gn©siq im Griechentum und sofºa im Judentum (in der Weisheitsliteratur) vorkommt, so sind der Ausdruck “rxonteq to† a˝©noq to¥toy und die anthropologischen Begriffe pneymatikoº (1. Kor 2, 14 ff.), csyxikoº(1. Kor 2, 14), sarkikoº (1. Kor 3, 3) nur für die antike Gnosis charakteristisch. Auch die „Vikariatstaufe”, die Paulus in 1. Kor 15, 21 erwähnt hat, kommt später nur in der Gnosis vor (s. z. B. Ex. ex. Theod. 22).1566 Hier fehlt noch ein ausgebildeter gnostischer Mythos, aber das stolze Selbstbewusstsein des Pneumatikers, das hier auftaucht, ist ähnlich der gnostischen Haltung, die wir kurze Zeit später in der Gnosis vorfinden.1567 Deswegen sprechen viele Wissenschafter bei der Irrlehre in Korinth von „Prae-Gnosis oder Proto-„Prae-Gnosis, von „Prae-Gnosis in statu nascendi, von Frühgnosis oder Frühstufe der Gnosis oder von „gnostisierenden” Pneumatikern oder Tendenzen.1568

und alle Erkenntnis’ zu besitzen (13, 2), so dass Paulus ‘den eschatologischen Vorbehalt’ hervorheben musste: ‘Jetzt erkenne ich noch ein Stück, dann aber werde ich es ganz erkennen, so wie ich erkannt worden bin’ (13, 12). Steht aber Paulus damit auch, wie ROBINSON meint, ‘auf der Ebene der Gnosis’? Nein, an keiner Stelle ist belegt, dass das Objekt ihres Wissens ihr eigentliches Selbst sei. Hinzu kommt noch der schwerwiegende Tatbestand, dass ausgerechnet im Kap. 8, wo der Begriff ‘Gnosis’ am häufigsten, und zwar im technischen Sinne, gebraucht wird, erklärt wird, dass die Korinther ‘wissen’ wollten: ‘Es gibt keinerlei Götzen auf der Welt. Es gibt keinen Gott außer dem einen einzigen’ (V. 4 vgl. V. 1, 2, 7, 10, 11), also Alleinherrschaft Gottes, nicht aber das eigentliche Selbst. So muss zweitens betont werden, dass die Korinther, bzw. die Gegner des Paulus, noch keinen ‘Bruch in der Gottheit’

kannten. Das heißt, dass sie mit ihrem Dualismus noch nicht – wie Gnostiker im allgemeinen – so weit gegangen sind, den jüdisch-christlichen ‘Gott’ der ‘Abwärtsentwicklung’ anheimzustellen” (Arai, Sasagu. Die Gegner des Paulus im 1. Korintherbrief und das Problem der Gnosis. In: New Testament Studies. Vol. XIX 1972–1973.

Cambridge at the University Press 1973, 436–437).

1561 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 139.

1562 Vielhauer, op. cit., 128–129.

1563 Grant, Gnosticism and Early Christianity, 157–158; Fischer, Algkristlus, 120–121.

1564 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 128–129.

1565 Lahe, Gnoosis ja algkristlus, 125–126.

1566 Lahe, op. cit., 126–127. Auch RISSI hat gezeigt, dass weder aus dem Judentum noch aus dem Bereich heidnischer Religiosität keine direkte Linie zu 1. Kor 15, 29 führt (Rissi, Mathis. Die Taufe für die Toten. Ein Beitrag zur paulinischen Tauflehre. Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments. Herausgegeben von W. Eichrodt und O. Cullmann. Zwingli Verlag Zürich/Stuttgart 1962, bes. 59 ff.).

1567 Lohse, Uue Testameni tekkelugu, 50.

1568 Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 52. Vgl. Anmerkung 192.

SCHMITHALS1569 und RUDOLPH1570 vermuten, dass die Gegner des Paulus dieselben Gegner sind, mit denen er in 2. Kor zu tun hat. Die jüdische Herkunft dieser „Apostel” wird ausdrücklich festgehalten (2. Kor. 11, 22).1571 Solcherart haben schon LÜTGERT und BULTMANN die Gegner des Paulus in 1. Kor identifiziert. Demgegenüber macht KÄSEMANN gegen eine Gleichsetzung der Gegner in beiden Korintherbriefen geltend, dass der 2 Kor eine neue, fortgeschrittene Situation voraussetzte. Für ihn sind die Gegner in 2 Kor der Jerusalemer Urgemeinde nahestehende Missionare, die den Versuch unternahmen, die Autorität der Urapostel gegen Paulus durchzusetzen. Über die Vermutung von KÄSEMANN lässt sich streiten1572, es ist jedoch nicht elementar, um die Gegner des Paulus in beiden Briefen zu identifizieren: Die Züge, die für die Gegner in 1. Kor kennzeichnend sind, fehlen bei den Gegnern in 2. Kor (gegen SCHMITHALS und VIELHAUER). Zum Unterschied von 1. Kor setzt 2. Kor auch nicht voraus, dass die Gegner des Paulus Judenchristen waren.1573 Dennoch muss man aber in Korinth auch mit jüdischen-judenchristlichen Einflüssen rechnen.1574

Auf den Einfluss hellenistisch-jüdischer Weisheitstheologie in Korinth verweisen SCHNELLEs Meinung nach die Sophia-Theologie in 1. Kor 2, 6–16, der Sarx-Pneuma-Dualismus, die Hochschätzung der Erkenntnis (vgl. 1. Kor 8, 1–6; 13, 2), die Abwertung des Leibes (vgl. 1. Kor 6, 12–20) und die Vorstellung der zwei Urmenschen in 1. Kor 15, 45.1575 SELLIN vermutet, das eine alexandrinisch-jüdische Weisheitstheologie durch Apollos, der ein hellenistischer Jude aus Alexandrien war (vgl. Apg 18, 24–19,1), in die überwiegend heidenchristliche korinthische Gemeinde eingedrungen war.1576 Auch SCHENKE und FISCHER meinen, dass der Einfluss des Apollos sich vermutlich im wesentlichen auswirkt in einer Vorliebe für wohlgeformte und tiefsinnige Erörterungen über die Geheimnisse des Glaubens (1.

Kor 1, 17–4, 6; Schlagworte sofºa und gn©siq), in ekstatischen Formen des Gottesdienstes (Paulus nennt die Korinther zhlvtaÁ pneymåtvn 1. Kor 14, 12), namentlich in dem Phänomen und der Hochschätzung der Glossolalie (1. Kor 12, 14), in einer besonderen Akzentuierung der christlichen Freiheit und ®joysºa (1. Kor 6, 12; 10, 23).1577 Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Paulus selbst aus dem hellenistischen Judentum stammt1578 und deswegen durch die hellenistisch-jüdischen Weisheitsspekulationen beeinflusst werden konnte. Deshalb meint SCHNELLE, dass die Theologie des Paulus und die Position der korinthischen Gegner nicht in jedem Fall einleuchtend trennbar sind.1579

Die jüdisch-hellenistische Weisheitslehre kann man nicht mit der Gnosis gleichsetzen, jedoch diente sie – wie ich II, 2, 3 gezeigt habe – als wichtige Quelle für diese und weist deshalb auch Ähnlichkeiten sowohl mit dem Judentum als auch mit der Gnosis auf. Ich betrachte im Folgenden die Motive in 1. Kor, die mit beiden religiösen Strömungen Berührungspunkte zeigen.

1569 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 32–33.

1570 Rudolph, Die Gnosis, 322.

1571 Rudolph, op. cit., ibid.

1572 Lohse, Uue Testamendi tekkelugu, 55; VIELHAUER sagt: „diese kühne Konstruktion ist jedoch in sich unwahrscheinlich und lässt sich exegetisch nicht halten” (Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 149).

1573 Lohse, Uue Testamendi tekkelugu, 55.

1574 SCHENKE und FISCHER schreiben: „So steht die korinthische Gemeinde im Spannungsfeld sehr verschiedener Einflüsse. Es sin im ganzen vier Kräfte, deren Wechselspiel die Korinther ausgesetzt sind: der Einfluss des Paulus, der Einfluss des Apollos, der Einfluss Jerusalems und der Einfluss der heidnischen Vergangenheit und Umgebung”

(Schenke/Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, 95).

1575 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 81.

1576 Schnelle, op. cit., ibid.

1577 Schenke/Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, 95.

1578 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 81.

1579 Schnelle, op. cit., ibid.

11. 2. Die Motive, die sowohl mit der Gnosis als auch mit dem Judentum die Berührungspunkte haben

11. 2. 1. Die ‘Leib Christi’-Vorstellung

In 1. Kor verwendet Paulus zweimal das Bild vom Leib Christi und von seinen Gliedern – in1.

Kor 6, 15–17 und in 1. Kor 12, 12–27. Eigentlich spricht Paulus in 1. Kor 6, 15–17 nur von Gliedern Christi (tÅ m™lh to† Xristo†), aber es ist sicher, dass der Hintergrund dieses Abschnittes die Vorstellung vom Leib Christi (s©ma Xristo†) ist.1580

In 1. Kor 6, 15–17 benutzt Paulus das Bild von den Gliedern Christi in seiner Polemik gegen die porneºa unter Christen: die Leiber der Christen sind die Glieder Christi, d. h. sie gehören ihm. Durch die porneºa entreißt man sich der Zugehörigkeit zum Leib Christi.1581 V. 15 betont mit einem entschiedenen mÓ g™noito, dass es zwischen m™lh to† Xristo† und m™lh pørnhq keine

In 1. Kor 6, 15–17 benutzt Paulus das Bild von den Gliedern Christi in seiner Polemik gegen die porneºa unter Christen: die Leiber der Christen sind die Glieder Christi, d. h. sie gehören ihm. Durch die porneºa entreißt man sich der Zugehörigkeit zum Leib Christi.1581 V. 15 betont mit einem entschiedenen mÓ g™noito, dass es zwischen m™lh to† Xristo† und m™lh pørnhq keine