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DIE BERÜHRUNGSPUNKTE ZWISCHEN GNOSIS UND JUDENTUM IN DEN PAULINISCHEN BRIEFEN

10. Der Galaterbrief

Wie im ersten Thessalonicherbrief gibt es auch im Galaterbrief zweierlei Stellen, die sowohl mit der Gnosis als auch mit dem Judentum Ähnlichkeiten zeigen. Zunächst begegnen wir hier einer scharfen Polemik den Gegnern des Paulus gegenüber, die von manchen Wissenschaftern mit den jüdischen Gnostikern gleichgesetzt wurden. Darüber hinaus kommen hier auch einige Motive vor, die wiederum einerseits an die Gnosis und andererseits an das Judentum erinnern. Eine wichtige Sonderfrage, die im Gal auftauchen wird, ist die Frage danach, wie diese Motive mit den Gegnern des Paulus in Verbindung gebracht werden können und ob diese Motive überhaupt irgendwelche Berührungen mit der Theologie der Gegner haben.

10. 1. Die Gegner des Paulus in Galatien und ihr Verhältnis zur Gnosis und zum Judentum Der Anlass des Galaterbriefes ist das Auftreten von Irrlehrern in den galatischen Gemeinden;

sein Zweck ist es, die Irrlehrer aus dem Felde zu schlagen und die Gemeinden wieder zum wahren Evangelium zurückzuführen.1397 Aus diesem Grunde ist die Frage, wer diese Irrlehrer waren, bedeutend für das Verständnis des Galaterbiefes.

Aus den Aussagen und Andeutungen des Briefes ergibt sich hinsichtlich der Lehre der Gegner nach MUßNER folgendes:

a) Die Gegner vertreten eine jüdische Gesetzesfrömmigkeit; die Galater wollen ja auf die

Agitation der Gegnern hin „unter dem Gesetz” sein (4, 21) und „durch das Gesetz” gerechtfertigt werden (5, 4). Den Gegnern selbst wirft der Apostel vor, dass sie selber das Gesetz nicht halten (6, 13).

b) Damit hängt wesentlich die Beschneidungsforderung zusammen, die die Gegner erheben, wie aus dem Brief eindeutig hervorgeht (vgl. 5, 2; 6, 12: o»toi Ωnagkåzoysin Êym˙q perit™mnesuai;

6, 13: u™loysin Êym˙q perit™mnesuai).

c) Weiters steht damit auch eine bestimmte Kalenderfrömmigkeit im Zusammenhang, die sich als Beobachtung bestimmter „Tage, Monate, Zeiten und Jahre” äußert (vgl. 4, 10) und die Galater dadurch erneut zum stoixe¡a-Dienst verführen kann.

d) Mit diesen Frömmigkeitsforderungen verbanden sich gewisse Vorwürfe der Gegner gegen Paulus, wie etwa folgende: er sei kein richtiger Apostel (vgl. 1, 1. 12); es ginge ihm bei seiner Verkündigung um den Beifall der Menschen (vgl. 1, 10); sein „Evangelium” stimme nicht überein mit jenem der maßgebenden Männer der Urgemeinde (2, 2 ff); er lehne selber die Beschneidung nicht grundsätzlich ab (vgl. 5, 11). Wahrscheinlich spielten sie auch Jerusalem als Sitz der Urgemeinde und Ursprungsort des messianischen Heils gegen den Apostel aus.1398

In der gängigen Forschungsliteratur finden sich aufgrund dieser Angaben durchaus unterschiedliche Urteile über die religionsgeschichtliche Herkunft der Gegner des Paulus in Galatien. Die überwiegende Anzahl der Wissenschafter vermutet, die Gegner des Paulus in Galatien wären „Judaisten”, d. h. Judenchristen streng gesetzlicher Observanz,.1399 Bei ihrem

1397 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 113.

1398 Mußner, Franz. Der Galaterbrief. Fünfte, erweiterte Auflage. Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Herausgegeben von Alfred Wikenhauser, Anton Vögtle, Rudolf Schnackenburg. Band IX. Herder.

Freiburg Basel Wien 1988, 12.

1399 Beyer, Hermann. Der Brief an die Galater. In: Beyer, Hermann, Althaus, Paul, Wendland, Heinz-Dietrich, Rendtorff, Heinrich, Heinzelmann, Gerhard, Oepke, Albrecht. Die Apostelgeschichte. Die Briefe des Apostels Paulus. Das Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk. Dritter Band. 7./8. Auflage. Vandenhoeck &

Ruprecht Göttingen 1958, 1 ff.; Becker, Jürgen, Der Brief an die Galater. In: Becker, Jürgen, Conzelmann, Hans,

„Judaismus” werden allerdings verschiedene Nuancen unterschieden: die „judaisierenden Heidenchristen”, d. h. die Heidenchristen, die das mosaische Gesetz zu befolgen haben (HIRSCH, MUNCK)1400; die hellenistischen Judenchristen, deren Lehre auf „synkretistische Züge” verweist (TALBERT, LÜHRMANN, SÖDING)1401 usw. Der Nomismus dieser Gegner steht außer Zweifel. Ihre „Kalenderfrömmigkeit” hat viele Parallelen im antiken Judentum (vgl.

z. B. 1 QS 1, 13–15; 9, 26–10, 8; 1 QM 2, 4; 10, 15; CD 3, 12–16; 16, 2–4; 1 QH 1, 24; 12, 4–9;

Jub 6, 32. 36. 37; äthHen 72, 1; 75, 3 f; 79, 2; 84, 4. 7–10).1402 Die „synkretistischen Züge” der Gegner wurden auf Grund des Begriffes tÅ stoixe¡a to† køsmoy (Gal 4, 3) behauptet, wobei nicht sicher ist, ob dieser Begriff von den Gegnern stammt.1403 Ohne über den Begriff des

„Synkretismus” hier zu diskutieren1404, sollte man jedoch auch bei der „Hellenisten-Hypothese”

betonen, dass das Judentum seit der Entstehung der Diadochenreiche hellenistischen Einflüssen unterliegt1405 und dass das traditionelle Judentum sogar in Palästina vom hellenistischen Denken stark beeinflusst wurde, so dass die neuere Forschung zunehmend davon Abstand nimmt, ein

„hellenistisches” und ein „palästinisches” Judentum streng voneinander zu scheiden.1406 In diesem Sinn war auch Paulus selbst ein „Hellenist”.

Am bedeutendsten für unser Thema ist wohl die Hypothese, wonach die Gegner des Paulus in Galatien Gnostiker waren. Schon LÜTGERT hat in seinem Buch „Gesetz und Geist” (1919) die These vertreten, dass Paulus im Galaterbief einen „Zweitfrontenkrieg” zu führen hatte. Einmal gegen Judaisten, zum andern gegen pneumatisch-libertinistische Schwarmgeister. LÜTGERT beruft sich in seiner These von den zwei verschiedenen Gruppen innerhalb der galatischen Gemeinden vor allem auf Stellen wie 4, 21; 5, 4 und 6, 1, die sich jeweils nur auf einen Teil der Gemeinde beziehen können – eben auf eine ihrer beiden Gruppen. Während die Judaisten vor allem für die Beschneidung und das Gesetz agitieren, vertreten die Schwärmer nach LÜTGERT einen Begriff der Freiheit, der zu einer Missachtung des Liebesgebotes und jeder ethischen Gebundenheit führt. Mit den Judaisten setze sich Paulus in jenen Abschnitten des Briefes auseinander, die das Gesetz zum ausdrücklichen Thema haben; mit den Schwärmern, die Libertinisten waren, im ethischen Schlussteil des Briefes1407, d. h. im Lasterkatalog 5, 19–21, den LÜTGERT als Beweis für das Vorhandensein von Libertinisten in Galatien betrachtet.1408 Diese Hypothese hat trotz ihrer Erneuerung durch ROPES keinen Anklang gefunden und – wie BECKER meint – „mit guten Gründen”: Eine Doppelfront lässt sich im Galaterbrief nicht erkennen. Paulus behandelt zwar verschiedene Sachprobleme, aber es fehlt schlechterdings jedes

Friedrich Gerhard. Die Briefe an die Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher und Philemon. Das Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk. Herausgegeben von Gerhard Friedrich und Peter Stuhlmacher. Teilband 8. 15., durchgesehene und ergänzte Auflage (2. Auflage dieser Bearbeitung). 63.–66.

Tausend. Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht 1981, 3 ff; Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 115 ff.;

Schenke/Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments. I Bd, 81 ff.; Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 118 ff.; Fischer, Algkristlus, 123; Lohse, Uue Testamendi tekkelugu, 45–46.

1400 Mußner, Der Galaterbrief, 16–17.

1401 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 38; Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 117.

1402 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 116–117; Mußner, Der Galaterbrief,

1403 S. Abschnitt c. Für die Abstammung von den Gegnern sind z. B. SCHLIER, SCHMITHALS, STÄHLIN., MARXEN, EDUARD SCHWEITZER, BECKER (Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 115; Becker, Der Brief an die Galater, 47 ff.). Dagegen (und für die paulinischen Abstammung dieses Begriffes) ist z. B.

VIELHAUER (Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 115–116).

1404 Ich stimme mit RUDOLPH überein, wenn er sagt: „ist doch jede Religion strenggenommen ein synkretistisches Gebilde; „reine Religionen” finden sich nur in Schreibtischtheorien” (Rudolph, Die Gnosis, 307).

1405 Becker, Der Brief an die Galater, 3.

1406 Rudolph, Die Gnosis, 304.

1407 Mußner, Der Galaterbrief, 15.

1408 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 120.

Indiz, dass sie mit zwei zu unterscheidenden Personengruppen zusammenhängen. Paulus spricht vielmehr mit der Gemeinde über eine einzige Front, deren innerlich zusammenhängende Position er aspektweise nacheinander behandelt.1409 Vor allem aber setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Passus Gal 5, 13–6, 10, auf den LÜTGERT und ROPES sich stützen, formgeschichtlich zur Gattung der Paränese gehört, die nicht aktuell motiviert, sondern traditionell formuliert ist und deshalb keinen Aufschluss über die tatsächlichen moralischen Verhältnisse bei den Angesprochenen oder Adressaten gibt.1410

Trotz dieser Gegenargumente hat SCHMITHALS LÜTGERTs These von den pneumatischen Libertinisten aufgenommen und dahingehend radikalisiert, diese seien die einzigen Gegner des Paulus in Galatien; die Häretiker in Galatien seien nicht nomistische Judaisten – Judaisten habe es nach SCHMITHALS überhaupt nicht gegeben –, sondern judenchristliche Gnostiker mit ausgesprochenen libertinistischen Tendenzen.1411 Das Vorhandensein des Libertinismus in Galatien vermutet SCHMITHALS wie LÜTGER auf Grund des Lasterkataloges 5, 19–21. Das Hauptargument für das Gnostikertum der Gegner des Paulus ist aber für SCHMITHALS die Kritik der Gegner am Apostolat von Paulus.1412 SCHMITHALS schreibt:

„Gleich am Anfang des ersten Satzes des Galaterbriefes ist die defensive Polemik in voller Stärke da: Paulus soll sein Evangelium von Menschen empfangen haben: Denn ihr sollt wissen, Brüder, dass das von mir gepredigte Evangelium nicht menschlich ist; denn auch ich habe es nicht von einem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi (Gal 1, 11 f.). Für die schismatischen Christen in Galatien sind also Reinheit des Evangeliums und Unmittelbarkeit des Apostolates unlösbar voneinander [---].1413 Wer bekämpft dann aber Paulus mit dem grundlegenden Argument, der Apostel müsse seine apostolische Vollmacht und damit automatisch sein Evangelium direkt von Gott bzw.

Christus empfangen haben, so dass Paulus in Gal 1, 12 entgegnet, auch er habe – nämlich wie sie es von sich behaupten – das Evangelium nicht von Menschen, sondern durch eine Ωpokålyciq empfangen? Nun, dies Argument ist genuin gnostisch. Der gnostische Apostel weist sich nicht durch eine Traditionskette, durch die apostolische Sukzession aus, sondern durch direkte pneumatische Berufung. Wenn Paulus sagt: „Bin ich nicht ein Apostel; habe ich nicht Jesus unseren Herrn gesehen?” (1. kor 9, 1), so ist diese Zusammenstellung, die eine Gleichung darstellt, im Ursprung typisch gnostisch. Der gnostische Apostel wird direkt von Gott berufen. Er erweist sich dann als solcher durch die shme¡a to† Ωpostøloy (2. Kor 12, 12), nämlich ®n shmeºoiq te kaÁ t™rasin kaÁ dynåmesin (2. Kor 12, 12; Röm 15, 19; Hebr 2, 4), d. h. durch die ekstatische Bezeugung des Pneuma-Selbst.”1414

Die Beschneidungsforderung der Gegner des Paulus erklärt SCHMITHALS allegorisch: die Gnostiker hätten sie nicht jüdisch, sondern gnostisch als „Befreiung des Pneuma-Selbst von dem Kerker dieses Leibes”1415 verstanden. SCHMITHALS verneint nicht, dass die Irrlehrer in Galatien die Beschneidung auch wirklich ausgeübt haben, vermutet aber als Grund für die Ausübung den Versuch, der Verfolgung durch die Synagoge zu entgehen, die den Juden Paulus wegen seiner gesetzesfreien Mission traf (5, 11; 2 Kor 11, 24)1416, d. h., dass die Gegner des

1409 Becker, Der Brief an die Galater, 3.

1410 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 120; vgl. auch Becker, Der Brief an die Galater, 3.

1411 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 120–121.

1412 Schmithals, Paulus und die Gnostiker, 13 ff.

1413 Schmithals, op. cit., 13.

1414 Schmithals, Paulus und die Gnostiker, 19–20.

1415 Schmithals, op. cit., 27.

1416 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 38.

Paulus in Galatien nicht Nomisten (Judaisten) waren, wie die überwiegende Mehrzahl der Exegeten meint.

Die Gnostiker-Hypothese von SCHMITHALS wurde vielfach kritisiert. So sagt BECKER, dass die Gnostikerthese nicht zu überzeugen vermag, da sie von drei Voraussetzungen abhängt:

1) der Vorwurf paulinischer Abhängigkeit von den Jerusalemer Autoritäten, der aus Gal 1, 10 ff.

erschlossen wird, sei typisch gnostisch; 2) die Mahnungen in 5, 13–6, 10 seien konkret gegen eine gnostische Front formuliert; 3) die paulinische Polemik in 4, 9 f.; 6, 12 f. könne nur auf gnostische Missionare abzielen.1417 All diese Voraussetzungen sind jedoch unzureichend begründet. Wie VIELHAUER erwähnt, basiert das Argument, dass die Auffassung, die Echtheit des Evangeliums werde durch den unmittelbar göttlichen Ursprung des Apostolates garantiert und ausgewiesen, von Paulus und seinen Gegnern geteilt werde, nicht aber von den Jerusalemern, und typisch gnostisch sei, auf der unhaltbaren These vom gnostischen Ursprung des Apostolates1418 und auf der Eintragung von Motiven aus den Korintherbriefen in den Gal.1419 Was die Mahnungen in 5, 13–6, 10 betrifft, legt 1, 10 ff. ein anderes Verständnis nahe: Die Mahnungen zum christlichen Verhalten in 5, 13–6, 10 sind schwerlich konkret polemisch zu verstehen, und von den Stellen 4, 9 f.; 6, 12 f. bezeugt gerade letztere die judaistische Grundposition, die erstere hingegen bringt keineswegs sichere gnostische Indizien.1420

Festzuhalten ist, dass die Gnostiker-Hypothese von SCHMITHALS nicht ausreichend begründet ist, weshalb sie sich in der Forschung nicht durchsetzen konnte. Es gibt nur einige Wissenschafter, die bei den Gegnern des Paulus auch gnostische Züge erkennen. So bemerkt MARXEN, dass Paulus „sich ja nicht eigentlich in eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dieser Häresie” einlässt, sondern „die Auseinandersetzung am Gesetz” durchführt; „und er führt sie so durch, wie er sie auch dann hätte durchführen können, wenn seine Gegner pharisäische Judaisten gewesen wären, was sie doch offenbar nicht waren”. Wer in Galatien gegen die Beschneidung predige, habe in Wirklichkeit doch keine Verfolgung zu erwarten, was jedoch nach Gal 5, 11 der Fall zu sein scheine. Daraus könne man ersehen, „dass Paulus von sich aus (im Zusammenhang mit älteren Erfahrungen) die Beschneidungspraxis interpretiert”, eben im pharisäisch-judaistischen Sinn, der den Gegnern in Wirklichkeit fern lag. Denn die „galatische Beschneidung sollte ja gar nicht unter das Gesetz stellen”. So lösen sich nach MARXEN „die verschiedenen Schwierigkeiten am besten, wenn man annimmt, dass Paulus die Position der Gegner nicht völlig durchschaut. Seine Nachrichten dürften ungenau gewesen sein. Er hört vom Auftreten dieser Leute, die ethisch offenbar wenig gefestigt sind. Er hört ferner, dass sie die Beschneidung bringen. – Nun hat er seine Erfahrung auf dem Apostelkonzil gemacht. Man hat ihm dort zugestanden, dass die Heiden nicht beschnitten werden sollen. Um der Freiheit des Evangeliums willen kann die Beschneidung von den Heiden nicht gefordert werden. Wird sie nun doch nach Galatien gebracht, ist seine Reaktion verständlich. Die Freiheit des Evangeliums ist in Gefahr. Die Galater fallen zurück. Sie fallen zwar unter die Weltelemente; davon hat Paulus gehört. Aber er setzt sie mit dem Gesetz gleich, denn der Beschnittene gehört (nach

1417 Becker, Der Brief an die Galater, 3.

1418 S. Schmithals, Walter. Das kirchliche Apostelamt. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. 79. 1961. Kritik dazu s. Haenchen, Simon Magus in der Apostelgeschichte, 268–270. HAENCHEN sagt: „Methodisch bedenklich ist bei SCHMITHALS die allzu freie Art, mit der er Traditionen aus sehr

verschiedenen Zeiten und Quellen so anführt, als stünden sie gleichrangig nebeneinander. [---] Aber für die entscheidende These, dass man zuerst besonders für die Mission begabte Gnostiker „Apostel” nannte, reichen die Hinweise auf Stellen wie Epist Apost I oder Apost Const VI 8 nicht aus, wo von Lügenaposteln, von

ceydapøstoloi, die Rede ist. Denn diese Ausdrücke sind als Gegenbild des christlichen Apostolats gebildet”

(Haenchen, op. cit., 269–270).

1419 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 121–122.

1420 Becker, Der Brief an die Galater, 3.

Paulus) der Herrschaft des Gesetzes unterstellt. So hängt seine Polemik gegen dieses Unterstellen unter das Gesetz damit zusammen, dass er die Beschneidungspraxis in Galatien überinterpretiert.” Auch die Freiheit des Evangeliums sei „kein konkret veranlasstes Thema, sondern ein (auf Grund seiner Nachrichten) von Paulus konstruiertes...Denn das eben liest er aus den knappen Nachrichten heraus: Die Gegner veranlassen die Gemeinden zum Rückfall.

Tatsächlich aber brachten sie etwas Neues: einen christlich-jüdisch-gnostischen Synkretismus.”1421

Nach MARXEN bekämpft Paulus gar nicht die in Galatien wirkenden Gegner, sondern vielmehr sein eigenes Phantasieprodukt, d. h. ein durch und durch falsches Bild, das er sich von ihnen macht.1422 Ohne näher darauf einzugehen, ob Paulus die Nachrichten über die Gegner in Galatien nun falsch physiognomisiert hat1423 oder nicht, möchte ich betonen, dass „der Synkretismus” noch nicht ohne weiteres mit der Gnosis gleichzusetzen ist. Letzteres ist das allgemeine religiöse Kolorit des Zeitalters des NTs. Bei den Gegnern des Paulus in Galatien begegnen wir manchen Motiven, die auch mit der Gnosis bestimmte Berührungspunkte haben (vielleicht der Begriff tÅ stoixe¡a to† køsmoy (Gal 4, 3), aber kein einziges davon ist nur für die Gnosis charakteristisch. Häufig lassen sich bei diesen Gegnern jene Züge erkennen, die Parallelen zum Judentum haben (Beschneidungsforderung, „Kalenderfrömmigkeit” ). Am überzeugendsten ist deshalb immer noch die von der Mehrzahl der Exegeten vertretene und seit BAUR etablierte These, die Gegner des Paulus in Galatien wären judenchristliche Missionare (strenger Provenienz) gewesen, die von außen in die Gemeinde eingedrungen wären und das gute Verhältnis zwischen Gemeinde und Apostel zerstört hätten (vgl. Gal 5, 7; 4, 13–15).1424

10. 2. Die Motive, die mit der Gnosis und mit dem Judentum die Berührungspunkte haben

10. 2. 1. Die negative Beurteilung des Gesetzes und die Vorstellung, dass das Gesetz Gottes durch Engel erlassen wurde

In Gal 3, 19 fragt Paulus: Tº o«n ∏ nømoq; und antwortet: t©n parabåsevn xårin proset™uh, “xriq o» ‘luë tØ sp™rma ÿ ®p¸ggeltai, diatageÁq di| Ωgg™lvn ®n xeirÁ mesºtoy.

Vieldeutig und umstritten ist in diesem Abschnitt das erste Wort. Als Übersetzungen davon sind bekannt: Was ist das Gesetz? oder: Wozu das Gesetz? Nach OEPKE zeigt die genaue Parallele Röm 3, 1, dass Paulus tº als Pronomen und nicht als Konjunktion gebraucht. OEPKE meint, dass allein die Vertreter der zweiten Aufassung in ihrer Annahme richtig liegen, dass in solchen Fällen nicht nach der Beschaffenheit des Subjekts gefragt wird, sondern nach seiner Bedeutung, nach Aufgabe und Zweck (vgl. 1. Kor. 3, 5): Was hat das Gesetz im Heilsplan Gottes zu bedeuten? Hat es überhaupt etwas zu bedeuten? Ist es nicht ein Fremdkörper? Die Antwort ist in Verbindung mit letzterem zu sehen: Zur Thora (und dem Buch Josua) sind die übrigen Bücher des AT nur der Sünde Israels wegen hinzugesetzt worden. Paulus sagt, die Thora (im engeren Sinn) sei selbst ein Zusatz (proset™uh), und zwar – da das früher geschriebene in Kraft bleibt – nicht ein gleichberechtigter, nun maßgeblicher Zusatz, ein „Kodizill” des Testators, sondern vielmehr ein Anhängsel, vielleicht gar ein Gegentestament von fremder Hand. Über die Herkunft

1421 Mußner, Der Galaterbrief, 18–19.

1422 Schenke/Fischer, Karl Martin. Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments. I Bd., 88.

1423 Dazu s. Mußner, Der Galaterbrief, 27–28.

1424 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 116.

bleiben wir einstweilen im Unklaren. Der Ausdruck ist absichtlich undefiniert, wie auch in Röm 5, 20. Das dortige pareis∂luen erinnert an pareis∂luon in Gal 2, 4. Auch das Gesetz hat sich in den Text eingeschlichen. Paulus behauptet, die Thora sei da um der Übertretungen willen, das bedeutet, um sie hervorzurufen (t©n parabåsevn xårin). xårin statt dessen als Ursache zu verstehen, ist sprachlich zwar möglich (1. Joh 3, 12; Luk 7, 47). Ebensooft gibt es jedoch den Zweck an (Tit 1, 11; 1. Tim 5, 14; Judas 16). Was Paulus nun wirklich meint, sagt er im Röm 4, 15; 5, 20; 7, 7 ff. mit voller Deutlichkeit: Das Gesetz regt die unter Umständen vorhandene Sünde zur bewussten Übetretung an und provoziert daher den Zorn Gottes und den Tod, ja, es reizt geradezu zum Sündigen an.1425

Die überwiegende Mehrzahl der Exegeten hat gezeigt, dass die Beurteilung des Gesetzes durch Paulus im Galaterbrief negativ ist. Man spricht von der „Abwertung oder Degradierung des Gesetzes” (BECKER1426) oder sogar von der „Inferiorität des Gesetzes” (MUßNER1427, OEPKE1428).

Ebendiese negative Beurteilung des Gesetzes provoziert die Frage nach der Bedeutung des Gesetzes (Tº o«n ∏ nømoq;) überhaupt (BECKER).1429 Selbstverständlich muss es auch nach Paulus eine gesetzliche Ordnung des menschlichen Gemeinschaftslebens geben. Aber im Verhältnis zu Gott bringt das Gesetz nicht das Heil, es deckt vielmehr gerade die Heillosigkeit auf (BEYER).1430 Deswegen stellt sich die Frage, ob das Gesetz gegen die Verheißungen Gottes steht. (BECKER).1431

Nach BECKER wurde der theologische Ort des Gesetzes in Gal 3, 19 durch Paulus in vier lapidaren Sätzen bestimmt, die nur abwertende Aussagen enthalten. Die erste Aussage (t©n parabåsevn xårin proset™uh) lautet: Das Gesetz ist Nachtrag und Sündenspiegel. Auch Veranlassung und Aufgabe des Gesetzes sind nicht positiv: Es soll längst nach dem Auftreten der Sünde diese als Übertretung darstellen (Röm 4, 15). Es besitzt also weder die Kraft, die bestehende Sündhaftigkeit zu heilen, noch die Kraft, neue Sünde zu verhindern.1432 Es kann dem Sünder nur seinen empirischen Zustand aufdecken, ihn als gottlos, nächstenfeindlich, totverfallen und mit sich selbst im Zwiespalt lebend bloßstellen (vgl. Röm 3, 20; 5, 20; 7, 7 ff.; (indirekt:) 13, 8 ff.; Gal 5, 14 f.; natürlich auch zum Ganzen Gal 3, 10 ff.). Es hat nicht die geringste Heilsfunktion, sondern qualifiziert den Sünder zu einem offen erkennbaren Gesetzesbrecher.

Dies schließt jede Konkurrenz zur Verheißung aus.1433

Die zweite Aussage (“xriq o» ‘luë tØ sp™rma ÿ ®p¸ggeltai) ergänzt den Zeitaspekt, indem sie die Aufgabe des Gesetzes in Richtung Zukunft hin eingrenzt: Die Zeit des Gesetzes hat den eindeutigen Charakter eines Interregnums, dass mit Christus abgeschlossen ist1434. Das Gesetz

1425 Oepke, Albrecht. Der Brief des Paulus an die Galater. 5. Auflage. Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1984, 115.

1426 Becker, Der Brief an die Galater, 41–42.

1427 Mußner, Der Galaterbrief, 247.

1428 Oepke, Der Brief des Paulus an die Galater, 116.

1429 Becker, Der Brief an die Galater, 42.

1430 Beyer, Der Brief an die Galater, 29.

1431 Becker, Der Brief an die Galater, 42.

1432 Vgl. LIETZMANN: „ t©n parabåsevn xårin ist nicht „um den Übertretungen zu wehren”, sondern „um sie zu

1432 Vgl. LIETZMANN: „ t©n parabåsevn xårin ist nicht „um den Übertretungen zu wehren”, sondern „um sie zu