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BERÜHRUNGSPUNKTE ZWISCHEN GNOSIS UND JUDENTUM

3. Kontakte zwischen Judentum und Hellenismus

3. 1. Eine einführende Bemerkung

Obwohl die gnostische Bewegung etwa um die Zeitwende aufgetaucht ist, sind die geistigen Bewegungen, die die Entstehung der Gnosis beeinflusst haben, schon im vorchristlichen, genauer im hellenistischen Zeitalter, entstanden. Der Großteil der gnostischen Schriften wurde in der Koine abgefasst. Die größten Zentren der Gnosis lagen in Alexandrien, in Antiochia und in anderen Städten, die im hellenistischen Zeitalter entstanden sind. Die griechisch-hellenistische Gedankenwelt hat für die Ausbildung und die Entwicklung der Gnosis eine erhebliche Bedeutung gehabt. Deswegen kann man behaupten, dass der Hellenismus eine entscheidende Voraussetzung für die Gnosis bildet. Für das Thema „Berührungspunkte zwischen Gnosis und Judentum” sind die Kontakte zwischen Judentum und Hellenismus besonders wichtig. Im Folgendem versuche ich diese Kontakte nur soweit beschreiben, wie es zum Verständnis der Kontakte zwischen dem Judentum und der Gnosis unentbehrlich ist.

3. 2. Der historische Rahmen

Die Kontakte zwischen dem Judentum und dem Hellenismus begannen, als Alexander der Große im Jahre 332 Palästina in Besitz nahm und damit dieses Gebiet mit der hellenistischen Welt vereinigte. Zuerst hat diese Einnahme nur einen Machtwechsel mitgebracht und hat das Leben der Juden im Binnenland von Palästina nur wenig berührt.466 Im Laufe der Zeit hat sich diese Lage verändert. Als Alexander 323 starb, wurde der gesamte Orient mit einer Welle von Kriegen überschwemmt, den Kriegen der Diadochen oder „Nachfolger”, die sich um das Erbe stritten.

Palästina wechselte mehrere Male den Besitzer. Im Jahre 301 fiel es schließlich Ptolemäus I. von Ägypten zu, und es blieb bis 200 v.Chr. unter ptolemäischer Herrschaft. Danach eroberten die Seleukiden Palästina, aber an Dauer und Kontinuität übertraf die ptolemäische Herrschaft in Palästina alle anderen fremden Mächte vom Untergang Persiens bis zum Beginn der römischen Besetzung. Die Regierungsformen und -einrichtungen sowie die kulturellen und wirtschaftlichen Einflüsse, die sich in der ptolemäischen Epoche entfalteten, blieben bis zur römischen Zeit bestimmend.467

Zuerst fanden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur statt. Bis zur griechischen Eroberung hatten die Bewohner – Juden, Phönizier, Samaritaner, Edomiter oder Nabatäer – von altersher in ihren angestammten Gebieten gelebt. Als Folge der Eroberung trat eine neue

466 Gunneweg, Antonius. Iisraeli ajalugu (Handschrift), 147–148.

467 Stern, Menchem. Die Zeit des Zweiten Tempels. In: Ben-Sasson, Haim Hillel (Herausgeber). Geschichte des jüdischen Volkes. Erster Band. Von den Anfängen bis zum 7. Jahrhundert. Von Abraham Malamat, Hayim Tadmor, Menahem Stern, Shmuel Safrai. Zweite, unveränderte Auflage. Verlag C. H. Beck, München 1981, 232.

ethnische Gruppe, die der Mazedonier und Griechen, auf den Plan.468 In Palästina und Syrien entstanden große griechische Niederlassungen, wie Antiochia in Syrien, und auch griechische Militärkolonien wurden gegründet; selbst die alten Städte des Landes machten einen Wandel durch, und der Einfluss der hellenistischen Städte strahlte auf das Leben des Volkes aus.469 Die oberen Schichten der angestammten Bevölkerung schlossen sich schon bald an die Neubürger aus Griechenland an.470 Auch die anderen Gruppierungen gerieten immer mehr unter den Einfluss einer allgemeinen hellenistischen Atmosphäre. Viele Juden lebten in Städten, deren Einwohner größtenteils hellenisiert waren, und jüdische Kaufleute, die mit weit entfernten ausländischen Städten Handel trieben, übernahmen mit den Handelsgütern der Griechen auch deren Kultur und gaben sie an ihre jüdischen Mitbürger weiter.471 Am tiefsten berührte die hellenistische Kultur in Palästina jedoch die oberen Schichten des Judentums, besonders die Aristokatie Jerusalems.

Im hellenistischen Zeitalter wuchs auch die jüdische Diaspora außerhalb Palästina. In Ägypten gab es schon im 3. Jahrhundert v. Chr. ein zahlreiches und weitgestreutes, griechischsprechendes Judentum, und nicht wie in Palästina nur die dünne Oberschicht, sondern alle Volksschichten erfassend.472 Am Anfang spielen hier jüdische Söldner eine Rolle. Solche treffen wir in Ägypten schon viel früher an, so die jüdische Garnison in Jeb/Elephantine im 6.

Jahrhundert v. Chr. Alexanders Nachfolger, zumal die Ptolemäer, nahmen Juden in großer Zahl in ihre Heere auf und siedelten sie als Militärkolonisten an. Hier lebten sie in engem Kontakt mit griechisch-makedonischen Soldaten und das beschleunigte ihre Hellenisierung. Die günstigen Niederlassungsbedingungen lockten aber auch zivile Kolonisten, Kaufleute und Handwerker an, die aus dem übervölkerten Mutterland hinausdrängten. Die Zahl der griechischsprechenden Juden wuchs ständig und erreichte eine erstaunliche Höhe.473 Philon berichtet, die Juden hätten in Alexandria zwei von fünf Stadtvierteln bewohnt. In Ägypten betrug ihre Zahl nach ihm eine Million.474 Sehr zahlreich waren die Juden auch in Syrien, in Mesopotamien und Teilen von Kleinasien,475 aber von der frühhellenistischen Diaspora außerhalb Ägyptens und ihrer

„Hellenisierung” besitzen wir nur ganz wenige Nachrichten.476

468 Stern, op. cit., 233. Freilich hatten schon in der Perserzeit griechische Kaufleute und Söldner eine gewisse Rolle in Palästina gespielt, doch die Zahl der Griechen, die sich hier wirklich niederließen, und deren Einfluss müssen sehr gering gewesen sein. Erst nach der Eroberung entstanden größere griechische Niederlassungen (Stern, op. cit., 234).

Über die Kontakte zwischen Griechen und Juden im vorhellenistischen Zeitalter s. Hengel, Judentum und

Hellenismus, 61–67; Hengel, Martin. Juden, Griechen und Barbaren. Aspekte der Hellenisierung des Judentums in vorchristlicher Zeit. Stuttgarter Bibelstudien 76. Herausgegeben von Herbert Haag, Rudolf Kilian und Wilhelm Pesch. KBW Verlag Stuttgart 1976, 12.

469 Stern, Die Zeit des Zweiten Tempels, 234.

470 Stern, op. cit., ibid.

471 Stern, op. cit., 245.

472 Hegermann, Harald. Das griechischsprechende Judentum. In: Hegermann, Harald. Griechisch-jüdisches Schrifttum. In: Maier, Johann, Schreiner Josef (Herausgeber). Literatur und Religion des Frühjudentums. Eine Enführung. Echter Verlag Würzburg. Gütersloher Verlagshaus. Gerd Mohn. Würzburg 1973, 338; Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 127.

473 Hegermann, Das griechischsprechende Judentum, 338–339.

474 Flacc. 43.

475 Hegermann, Das griechischsprechende Judentum, 339; Maier, Geschichte der jüdischen Religion, 82

476 Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 144–152. In hellenistisch-römischer Zeit entstand die neben Babylonien zahlenmäßig stärkste jüdische Volksgruppe außerhalb Agyptens in der Cyrenaika und in fast allen bedeutenderen Hafen- und Handelsstädten des östlichen Mittelmeerraumes, in Kleinasien bis einschließlich der Schwarzmeerküste und schließlich auch in Rom (Maier, Geschichte der jüdischen Religion, 80–81).

3. 3. Die Einflüsse des Hellenismus im Judentum

Die Einflüsse des Hellenismus sind sowohl in Palästina als auch in der Diaspora seit der frühen Ptolemäerzeit nachweisbar. Diese Einflüsse sind zahlreich und vielfältig und zeigen sich sowohl in der materiellen als auch in der geistigen Kultur – in der Sprache, in der Literatur, in der Philosophie und in der Religion.

3. 3. 1. Das Eindringen der griechischen Sprache

Mit den Griechen und Makedoniern drang die griechische Sprache (die Koine) auch in jüdische Gemeinschaften ein. Zuerst nahmen die Juden die griechische Sprache in Ägypten an. Da ersetzte das Griechische bald fast völlig das Aramäische als lingua franca und drängte auch das Hebräische in den Hintergrund,477 aber das Vordringen der griechischen Sprache war selbst im jüdischen Palästina unaufhaltsam. In Palästina zeigt sich der Siegeszug der griechischen Sprache eindrücklich in Inschriften. Es ist kein Zufall, dass wir ab dem 3. Jh. v. Chr. – wenn man von den späteren nabatäischen Inschriften im Ostjordanland und den typisch jüdischen Grab-, Ossuarien-und Synagogeninschriften, die auf einem gewissen nationalen Selbstbewusstsein beruhen, absieht – in Palästina nahezu ausschließlich griechische Inschriften finden. Dies gilt, um nur die nachweisbar frühen Zeugnisse des 3. und 2. Jh.s v. Chr. zu nennen, für die offiziellen Texte zu Ehren Ptolemaios IV. Philopator in Marisa und Joppe oder für die große Warninschrift mit Briefen Antiochos III. und Seleukos IV. aus Hefzibah bei Skythopolis in gleicher Weise wie für die Grabinschriften in Gaza, Marisa und jetzt auch in Sichem, ja selbst die Graffiti wurden in Griechisch abgefasst. Wahrscheinlich galt außerhalb des jüdischen Bereichs sehr bald der Grundsatz: Wer lesen und schreiben konnte, beherrschte auch die griechische Sprache.478 Die Zenon-Papyri bezeugen, dass die Kenntnis der griechischen Sprache sich schon in der Ptolemäerzeit in den oberen Schichten des Judentums verbreitet hat.479 Belege für das Eindringen der griechischen Sprache sind auch das Vordringen griechischer Namen, die sowohl in Ägypten als auch in Palästina seit dem 3. Jahrhundert nachweisbar sind480, und das Eindringen griechischer Lehnwörter in die aramäische und hebräische Sprache. In der alttestamentarischen Literatur sind griechische Lehnwörter zwar außerordentlich selten481, aber im Gegensatz zum literarischen Hebräisch nahm die aramäische bzw. hebräische Volkssprache ständig neue griechische Fremdwörter auf, was zwar den Stand einer späteren Zeit widerspiegelt, jedoch in seiner Entstehung weit in die vorchristliche Zeit zurückreicht.482 Die Kenntnis des Griechischen wurde zu einer Vorbedingung des Erfolges auch für Juden – die jungen Juden, die sich über die Masse des einfachen Volkes erheben wollten und im gesellschaftlichen Leben und im Geschäft Erfolg haben wollten, mussten Griechisch lernen.483

477 Maier, op. cit., 84; Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 127.

478 Hengel, Judentum und Hellenismus, 109–110.

479 Hengel, op. cit., 110–111.

480 Hengel, op. cit., 117 ff. S. auch Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 127 ff.

481 Hengel, Judentum und Hellenismus, 112–113. Hld 3, 9 finden wir ’appirjon, das vielleicht von fore¡on „Sänfte“

abzuleiten ist. Dn 3, 17 begegnen wir den Namen verschiedener Musikinstrumente, deren Namen aus dem Griechischen stammen.

482 Hengel, op. cit., 113. Die Zusammenstellung der Lehnwörter der Mischna bei SCHÜRER zeigt, in welchen Bereichen der hellenistische Einfluß zuerst sichtbar wurde: Es handelte sich um das Militärwesen, die staatliche Verwaltung und Rechtsprechung, Handel und Gewerbe, Kleidung und Hausgeräte und nicht zuletzt um den Bausektor (Hengel, op. cit. ibid).

483 Hengel, op. cit., 112.

3. 3. 2. Berührungen mit der griechischen Erziehung und Bildung

Mit der Sprache erwarben die jungen Juden auch die griechische Bildung. Die griechisch-makedonischen Soldaten, Beamten und Kaufleute verpflanzten die ihnen vertrauten Erziehungseinrichtungen in die neueroberten Gebiete des Ostens, die griechische Schule und vor allem das Gymnasium.484 Aus Ägypten besitzen wir indirekte Hinweise über griechische Schulen schon aus dem 3. Jahrhundert.485 In Ägypten wurde dabei selbst noch in römischer Zeit aus politischen Gründen streng darauf geachtet, dass die einheimischen Ägypter möglichst von der Zulassung zum Gymnasium ausgeschlossen waren und nur Söhne griechischer Eltern, deren Väter selbst das Gymnasium durchlaufen hatten, aufgenommen wurden.486 In einer besseren Situation waren die nichtgriechischen Ausländer: vornehme Perser und Juden, vor allem aus den Kreisen der Militärsiedler, konnten sich über die griechische Bildung und das Gymnasium den Zugang zur führenden Oberschicht verschaffen. Die bewunderungswürdige und wohl historisch einmalige Verschmelzung der jüdischen und hellenistischen Kultur in Alexandrien ab dem 3. Jh.

v. Chr. ist nur auf Grund des ungehinderten Zugangs ägyptischer Juden zu den Schätzen griechischer Bildung zu verstehen.487 Der Aristeasbrief um ca. 140 v. Chr. zeigt mit seiner häufigen Hervorhebung des gymnasialen Erziehungsideals der kalokΩgauºa, dass dieses von der jüdischen Oberschicht in Alexandrien akzeptiert und anerkannt worden war488 und auch für Philo war die gymnasiale Erziehung des vornehmen Juden eine Selbstverständlichkeit.489 Nach Josephus kann man vermuten, dass die Juden auch im seleukidischen Antiochien zur Ausbildung im Gymnasium zugelassen wurden.490 Selbst in Jerusalem wurde 175 v. Chr. ein Gymnasium gegründet.491 Über die Ausbildung im Gymnasium in Jerusalem wissen wir keine Einzelheiten, aber dass in diesem Gymnasium die gymnasiale Erziehung die jungen Epheben ganz im Sinne des griechischen Lebensstils prägte, sagt 2. Makk. 4, 10: ®pÁ tØn \EllhnikØn xarakt∂ra toÂq

∏mof¥loyq met™sthsen; der Unterricht wird so nicht nur die sportlichen Disziplinen, sondern auch musische Fächer, wie etwa die Lektüre Homers, umfasst haben.492 Die Gründung dieses Gymnasiums war ein Teil des Hellenisierungsprogramms, das der Hohepriester Jason und „die hellenistische Partei”, die unter dem Schutz des Königs Antiochos IV. standen, in Jerusalem durchzuführen versuchten.

3. 3. 3. Hellenistische Einflüsse in der jüdischen Literatur

Inhaltliche griechische Einflüsse hat man in der späten hebräischen Literatur des alttestamentlichen Kanons gesucht – bei Hiob493, im Hohenlied494, den Sprüchen495, aber von einem direkten, nachweisbaren griechischen Einfluss auf die uns erhaltene hebräische Literatur

484 Hengel, op. cit., 121.

485 Hengel, op. cit., 122.

486 Hengel, op. cit., 123.

487 Hengel, op. cit., ibid.

488 Ps. Arist. 3. 272. 285 vgl. 43. 46. 207.

489 Spec. leg. 2, 230, de somn. 69. 129 ff.

490 Ant. 12, 119 f.

491 2. Makk. 4, 9–14 u. 1. Makk. 1, 14 f.

492 Hengel, Judentum und Hellenismus, 137. S. auch Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 161.

493 Hengel, Judentum und Hellenismus, 199–200.

494 Hengel, op. cit., 201.

495 Hengel, op. cit., ibid.

vor Sirach kann nirgendwo die Rede sein. Das gilt auch für den Prediger, obwohl bei keinem alttestamentlichen Werk so häufig die Beeinflussung durch die griechische Gedankenwelt vermutet wurde wie beim Prediger.496 Dennoch sprechen auch solche Forscher, die eine direkte Abhängigkeit Qohelets von griechischer Philosophie und Literatur verneinen, von einer

„gedanklichen und stimmungsmäßigen Berührung mit dem hellenistischen Zeitgeist”.497 Auch die Septuaginta, die in Ägypten in der Ptolemäerzeit abgefasst wurde, bezeugt im Grunde als eine wörtliche Übersetzung der hebräischen Schriften das treue Festhalten der Juden am

„väterlichen Gesetz” und von einem „hellenistisch-philosophischen Einfluss” kann man hier nicht reden.498 Aber die Septuaginta enthält auch jüdische Schriften, die zwischen dem 3. Jh. v.

und dem 1. Jh. n. Chr. entstanden sind, aber nicht mehr in die hebräische Bibel aufgenommen worden sind (die deuterokanonischen Bücher oder Apokryphen). Sie bieten uns einen Einblick, wie zumal das palästinische, aber auch das in der ägyptischen und in der westasiatischen Diaspora lebende Judentum sich über seinen Glauben an seine göttliche Erwählung und die damit verbundene Verpflichtung auf den Gehorsam gegen die Tora oder Weisung seines Gottes in einer zunehmend hellenisierten Umwelt Rechenschaft ablegte und dabei die alten biblischen Themen einschließlich der seiner geschichtlichen Führungen und Fügungen neu durchbuchstabierte.499 In diesen Schriften begegnen uns viele Einflüsse der hellenistischen Umwelt. So begegnen wir z.B. im Buch Jesus Sirach (um 190–180 v. Chr.500) einer ganzen Reihe von Motiven, die in der griechischen Dichtung und Philosophie ihre Parallelen besitzen.501 Auch in der Weisheit Salomos (ihre Datierung schwankt in der gegenwärtigen Diskussion zwischen dem letzten Drittel des 2. Jh.s v. Chr. und der Mitte des 1. Jh.s n. Chr.502) begegnen wir solchen Motiven.503 In Alexandrien entstand im 3. Jahrhundert eine umfangreiche griechischsprachige

496 Hengel, op. cit., 210.

497 Hengel, op. cit., 214.

498 Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 131. Eine andere Meinung hat aber z.B. KARPELES, der sagt, dass man in der Septuaginta schon die ersten Spuren der jüdisch-hellenistischen Philosophie entdecken kann (Karpeles, Gustav. Geschichte der jüdischen Literatur. Erster Band. Dritte Auflage. Verlag von M. Poppelauer. Berlin 1920, 167–168).

499 Kaiser, Otto. Die alttestamentlichen Apokryphen. Eine Einleitung in Grundzügen. Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000, 8.

500 Kaiser, op. cit., 84.

501 Kaiser, op. cit., 85. Einige Beispiele: so besitzt das „Vor dem Tode preise keinen Menschen glücklich“ Sir 11, 28 bei Herodot I, 32, 7; 86, 3, Sophokles, Oid. Tyr. 1528–1530, und Euripides, Andr. 100–102, seine Parallelen und der Vergleich des Wechsels der Generationen mit dem des Laubes an einem grünen Baum in 14, 18 seine Entsprechung bei Homer, Ilias VI. 146. Als theologisch bedeutsamer erweisen sich die stoischen Einflüsse auf das Denken von Sirach: Wenn Ben Sira in seinem Hymnus auf die Vorsehung Gottes in 39, 12–35 den Gott preist, der den ganzen Lauf der Welt überblickt (V.20), und dessen providentielles und teleologisches Schöpfungshandeln im Dienst seiner distributiven Gerechtigkeit steht (V.16–35; vgl. auch 33, 7–15), ist die Abhängigkeit von der stoischen Lehre von der Providenz des Zeus unübersehrbar. Ebenso deutlich ist es freilich auch, daß Ben Sira in Übereinstimmung mit seiner nachdtr. Entscheidungssethik (15, 11 ff.) den bei den Stoikern damit verbundenen Gedanken der

Prädestination vermeidet. Bei ihm dient der Gedanke der Providenz und Omniszienz Gottes ausschließlich der Verteidigung seiner omnipotenten Gerechtigkeit. Gott hat die Mittel, um die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen, schon bei der Schöpfung bereitgestellt. In ähnlicher Weise hat er in seinen die Lehren beschließenden Kapiteln 42, 15–43, 33, den bis zu Platon zurückgehenden und von der Stoa entfalteten Gedanken der harmonischen Schönheit des Ganzen in den Dienst der Verherrlichung der Unergründlichkeit der göttlichen Weisheit gestellt (Kaiser, op. cit., 87).

502 Kaiser, op. cit., 91.

503 Einige Beispiele: 2, 2–3: Die Vorstellung, daß der Gedanke ein Funke beim Schlag des Herzens sei, der im Tod verfliegt, erinnert an die epikureische Psychologie. Näher läge es, in der reduktionistischen Psychologie an die atomistische Pneumatologie des im 1. Jh. v.Chr. wirkenden Arztes Asklepiades von Bithynien zu erinnern, der unter epikureischem Einfluß stand (Kaiser, op. cit., 102). Für die im Lob der Weisheit in 7, 22b–8, 1 begegnende

Vorstellung von dem alles durchdringenden und alles leitenden Geisthauch finden sich eindeutige Parallelen bei den

jüdische Literatur, die unter dem Einfluss der griechischen Literatur stand (jüdisch-hellenistische Literatur). Die Reste dieser Literatur zeigen die beachtliche griechische Bildung ihrer Verfasser sowie auch die Verschmelzung von jüdischem und griechischem Denken; sie erweist den hohen

„Hellenisierungsgrad” der geistigen Führungsschicht der jüdischen Diaspora in Ägypten.504 Dazu gehören solche Autoren, wie Demetrios, der zur Zeit Ptolemaios IV. Philopator (222–205) ein großes Werk über die Könige in Juda schrieb, Artapanos, der einen „phantasievollen, historisch-aretalogischen Roman”505 über das Leben des Mose verfasste, wo er Mose mit dem ägyptischen Hermes-Thot identifiziert und zum Begründer der ägyptischen Religion macht, der Tragiker Ezechiel, der in der Form eines Dramas und in der Sprache des Aischylos und Euripides den Exodus aus Ägypten beschrieb und der Geschichtsschreiber Eupolemos. Ein Teil der jüdisch-hellenistischen Literatur ist anonym. Zu dieser Literatur gehören z.B. die jüdische Sibylle, deren Urschrift um 140 v. Chr. in der Sprache Homers der griechischen Welt das kommende Gericht und Gottesreich, zugleich aber auch eine Deutung der ganzen Weltgeschichte, verkündete. Ab dem 2. Jh. v. Chr. sind auch Ansätze einer griechisch-jüdischen Literatur in Palästina nachweisbar.506 Dazu gehören fast ohne Ausnahme die Geschichtswerke, wie die Werke des samaritanischen Anonymus (er schrieb zwischen der seleukidischen Eroberung 200 v. Chr. und der makkabäischen Erhebung507), der den Versuch unternahm, unter Heranziehung nichtjüdischer Quellen, wie Berossos, Hesiod und vielleicht auch Ktesias, die biblische Urgeschichte und vor allem die haggadisch ausgemalten Abraham-Erzählungen der Genesis mit der babylonisch-griechischen Mythologie zu verbinden.508 Die griechischschprachige Literatur, die in der Diaspora entstanden war, war teilweise auch in Palästina bekannt. Wie die Verwendung der LXX bei dem Anonymus sowie die Auffindung von LXX-Fragmenten in Qumran zeigen, war wenigstens die Septuaginta auch in Palästina bekannt.509 Und umgekehrt – die literarischen Werke, die in Palästina hebräisch abgefasst worden waren, z. B. das Buch Ben Sira, wurden für die Juden in der Diaspora (besonders in Ägypten) ins Griechische übersetzt.510 Das ist ein Beleg dafür, dass es zwischen Palästina und der Diaspora im hellenistischen Zeitalter enge Kontakte gegeben hat.

3. 3. 4. Berührungen mit der griechischen Philosophie

Eine sehr große und wichtige Veränderung, die in der Geisteskultur des hellenistischen Zeitalters stattgefunden hat, war das Eindringen der griechischen Philosophie in den Nahen Osten. Zum Unterschied von Griechenland, Indien und China ist im Nahen Osten keine Philosophie entstanden – da herrschte die nichtkonzeptuelle Denkweise, die sich in Bildern und Symbolen

Stoikern. Auf die Vorstellung von der Weisheit als Abbild der Güte Gottes haben auch platonische bzw.

mittelplatonische Gedanken eingewirkt. In der Diatribe über die Gotteserkenntnis aus den Schöpfungswerken in 13, 1–9 begegnen wir der philosophischen Gotteslehre. Der Sache nach geht es um den Rückschluß von der Schönheit und Güte der Welt auf ihren Urheber, dessen Geschichte in der griechischen Philosophie bei Xenophon und Platon einsetzt, von Aristoteles aufgenommen und weiterhin zumal in der Stoa gepflegt worden ist (Kaiser, op. cit., 103).

Die Aussage 9, 15, daß der sterbliche Leib die Seele beschwert, und die Anspielung auf die Präexistenz der Seele in 8, 21 f. stehen unter platonischem bzw. pythagoreischem Einfluß (Kaiser, op. cit., 105).

504 Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 134.

504 Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, 134.