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Verschiedenen jüdischen Bewegungen, die die Gnosis beeinflusst oder die Berührungspunkte mit der Gnosis haben

BERÜHRUNGSPUNKTE ZWISCHEN GNOSIS UND JUDENTUM

4. Verschiedenen jüdischen Bewegungen, die die Gnosis beeinflusst oder die Berührungspunkte mit der Gnosis haben

4.1. Apokalyptik

Zwischen Apokalyptik und Gnosis bestehen gewisse Beziehungen, wenn auch über die Art dieser Beziehungen noch keine Einigkeit erzielt worden ist.637 Die von GRANT aufgestellte These, wonach die Gnostik zu verstehen wäre als eine durch die Ereignisse von 70 n. Chr.

bedingte Spiritualisierung apokalyptischer Erwartungen638, hat wenig Anklang gefunden.639 Wegen der Beziehungen zwischen Apokalyptik und Gnosis meinen viele Forscher (SCHUBERT, RUDOLPH, TRÖGER, BÖHLIG, KLAUCK u. a.) dennoch, dass die apokalyptische Bewegung auf irgendeine Weise die Gnosis beeinflusst hat.640 So hat RUDOLPH mehrere wichtige Phänomene des apokalyptischen Judentums aufgeführt, die für die Ausbildung des gnostischen Denkens „entscheidend” gewesen sein können. Solche Phänomene sind seiner Meinung nach der Dualismus, die Abwertung „dieses Äons” zugunsten des zukünftigen, die

633 Schreiner, Die apokalyptische Bewegung, 240.

634 Hengel, Judentum und Hellenismus, 319 ff.

635 Hengel, op. cit., 321.

636 Maier, Geschichte der jüdischen Religion, 85.

637 Keller, Carl-A. Das Problem des Bösen in Apokalyptik und Gnostik. In: Krause, Martin (Herausgeber). Gnosis and Gnosticism. Papers read at the Seventh International Conference on Patristic Studies (Oxford, September 8th–13th 1975). Nag Hammadi Studies. Edited by Martin Krause, James M. Robinson, Fredeick Wisse. VIII. E. J.

Brill. Leiden 1977, 70.

638 Grant, Gnosticism and Early Christianity, 27–38.

639 Keller, Das Problem des Bösen in Apokalyptik und Gnostik, 70. Kritik von Grants These s. S. 48.

640 S. I. Teil, 2.1, S. 37. 40–41.

Ausbildung einer Arkandisziplin und eines esoterischen, das Heil verbürgenden Wissens, starkes Interesse für Kosmologie und Angelologie (Zwischenwelt), verbunden mit einer zunehmenden Transzendalisierung Gottes641 und pessimistische Skepsis über den Lauf dieser Welt.642 Außerdem bedienen sich Apokalyptiker und Gnostiker derselben Literaturformen. Hüben und drüben finden sich Offenbarungen („Apokalypsen”), angeblich lange geheim gehalten, jetzt endlich zur Kenntnis der Auserwählten gelangt; ferner Ermahnungen und Unterweisungen, oft mit Weherufen und Seligpreisungen gespickt; Dialoge zwischen Wissenden und zu Unterweisenden; Visionsschilderungen usw.643 Wir beobachten jetzt diese Phänomene aus der Nähe.

Der Dualismus, dem wir in der Apokalyptik begegnen, ist dreifach: 1) ethischer Dualismus zwischen Gut und Böse; 2) eschatologischer Dualismus zwischen zwei Äonen; 3) anthropologischer Dualismus zwischen Leib und Seele.

Der ethische Dualismus existiert in der Apokalyptik als Dualismus zwischen Gott und seinen Engeln, die das Prinzip des Guten vertreten und gegen den Satan und seine Dämonen als Vertreter das Prinzip des Bösen kämpfen.644 Es ist ziemlich sicher, dass der Dualismus zwischen Gott und Satan von dem iranischen abhängig ist645. Der iranische Dualismus kann (durch die Apokalyptik) den gnostischen Dualismus beinflusst haben646, aber dennoch unterscheidet sich der gnostische (antikosmische) Dualismus vom iranischen Dualismus: im Iran ist die Materie nicht ein böse Prinzip wie in der Gnosis. Das ist der erste Unterschied zwischen Apokalyptik und Gnosis.

Der eschatologische Dualismus figuriert in der Apokalyptik als der Dualismus zwischen zwei Äonen. Hier werden zwei Weltzeiten einander entgegensetzt – diese Weltzeit, die unter der Herrschaft Satanas und die kommende Weltzeit, die mit dem Reich Gottes identisch ist. Schon bei der Propheten des AT (Jes 40,1–2. 3–5. 6–8; 43 ff; Hag 2, 15–19; Sach 1, 1–6) begegnet uns die Unterscheidung zwischen diesem und dem kommenden Zeitalter. Auch da steht dieses Zeitalter unter dem Kennzeichen der Schuld und der Sünden des Volkes Israels (Jes 40, 2), aber nicht unter der Herrschaft Satanas und seiner Engel, wie in der Apokalyptik. Auch in der Gnosis steht diese Welt unter der Herschaft der bösen Wesen (Demiurg, Archonten), aber die Welt an und für sich ist böse – sie ist zum Bösen geworden. Die zukünftige Weltzeit, auf die die Apokalyptiker warteten, war meistens keine immaterielle Welt, wie das Pleroma in der Gnosis, sondern eine materielle Welt: nach der Apokalyptik wird das Reich Gottes auf der Erde gegründet647, obwohl diese Erde eine erneuerte Erde ist648. Aber in der apokalyptischen Literatur begegnen wir auch der Vorstellung, dass das messianische Königreich auf der Erde nur ein Zwischenstadium ist, das zeitlich begrenzt ist: nach diesem Reich wird eine ewige Weltzeit kommen, die mit einer transzendente Welt gleichgesetzt wird.649

641 Dazu s. S. 65.

642 Rudolph, Randerscheinungen des Judentums und das Problem der Entstehung des Gnostizismus, 788–789.

643 Keller, Das Problem des Bösen in Apokalyptik und Gnostik, 70; Ullmann, Wolfgang. Apokalyptik und Magie im gnostischen Mythos. In: Tröger, Karl-Wolfgang (Herausgeber). Altes Testament – Frühjudentum – Gnosis. Neue Studien zu „Gnosis und Bibel“. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1980, 169 ff.

644 S. S. 64–66.

645 Gunkel, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments, 31 ff; Bousset/Gressmann, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, 515; Schreiner, Die apokalyptische Bewegung, 227;

Hengel, Judentum und Hellenismus, 358–359; Lohse, Uue Testamendi tekkelugu, 185; Rudolph, Die Gnosis, 302;

Fohrer, Iisraeli usundi ajalugu, 241.

646 Das meint schon JONAS (Jonas, Gnosis und spätantiker Geist. Teil I, 142).

647 Russell, From Early Judaism to Early Church, 123. So in Dan 7 und in den PsSal.

648 Russell, From Early Judaism to Early Church, 124. So in 1 Hen 10.

649 Russell, From Early Judaism to Early Church, 124–125. So in 2 Hen 8, 6; 40, 3; 44, 12; 51, 5; 51, 6.

In der Apokalyptik gibt es den anthropologischen Dualismus zwischen Leib und Seele. Wie schon früher gezeigt wurde650, kommt die Gegenüberstellung von menschlichem sårj (s©ma) und menschlichem pne†ma (cyx¸) in den Schriften des nach-atl. Judentums ziemlich oft vor.651 Solchen Gegenüberstellung begegnen wir in der apokalyptischen Literatur z. B. 4. Esra 7, 78. 88;

14, 14; Jub 23, 31; 1. Hen 103, 4; 108, 11. Die scharfe Gegenüberstellung zwischen Körper und Seele (oder Geist) fehlt im AT, gleichfalls die Vorstellung, dass die menschliche Seele (nach dem Tod oder in der Ekstase) auch unabhängig vom Leib existiere, denke und wahrnehme, wie in der apokalyptischen Literatur behauptet wird. Die entsprechenden Anschauungen verraten hellenistische (platonisierende) Einflüsse auf die Anthropologie.652 Sie zeigen sich vor allem darin, dass sich die Seele vom Leib als ihrer Wohnung lösen kann (4. Esra 7, 78. 88; 14, 14; Jub 23, 31; 1. Hen 103, 4; 108, 11), wenn auch in der Regel nur vorübergehend bis zum Tag der Auferstehung (4 Esra 7, 31 f.; sBar 30, 1 f.).653 Darin besteht aber der größte Unterschieid zwischen Apokalyptik und Gnosis. Obwohl „die Auferstehung (von den Toten)” in der Gnosis ein sehr wichtiger Terminus ist, ist dieser Terminus hier spiritualisiert – es ist „die Auferstehung” der Unwissenden. „Es gebe keine Auferstehung des Fleisches, sondern nur der Seele”, sagen die sogenannten Archontiker, eine spätgnostische Gruppe in Palästina. Diese

„Auferstehung” der Seele wird in der Gnosis in doppelter Weise verstanden: einmal als

„Auferweckung” des Lichtfunkens aus der Vergessenheit und der Unwissenheit (was beides auch als Bild des Todes verstanden wird) durch den Ruf des Erlösers und die Selbsterkenntnis, zum anderen als „Aufstieg” des Lichtfunkens zum Pleroma.654 In der Apokalyptik begegnen wir dagegen der Vorstellung, dass die Seelen in der Endzeit auch für sich neue Körper bekommen werden. Welche Natur diese neuen Körper haben, dazu gib es in der apokalyptischen Literatur verschiedene Meinungen, aber nach der 2. Baruchapokalypse (49) werden die Seelen „geistige Körper” bekommen.655 In der Apokalyptik wurde allgemein dennoch geglaubt, dass der Auferstehungskörper ein materieller Körper ist, und hier sehen wir noch einen Unterschied zwischen Apokalyptik und Gnosis – in der Apokalyptik meint man, dass der Körper als solcher nicht böse ist und mit der Seele zusammengehört.656 Der apokalyptische Dualismus ist deswegen dem iranischen Dualismus ähnlicher als dem gnostischen antikosmischen Dualismus.657

650 s. S. 70.

651 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 52.

652 Bousset/Gressmann, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, 400 ff.

653 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 52.

654 Rudolph, Die Gnosis, 208.

655 RUSSELL schreibt: „Elsewhere the resurrection body is a ‘spiritual’ body, corresponding to its ‘spiritual’

environment either in a transformed earth or in the age to come. These ‘spiritual bodies’ are variously described as

‘garments of glory’ or ‘garnments of light“ or being ‘like the angels in heaven’ or ‘shining like the stars’. They are represented as ‘transformed’ physical bodies – ‘sown a natural body, raised a spiritual body“ (cf. I Cor. 15. 42 ff) or counterparts in Paradise of the earthly body or as developing alongside and with the other“ (Russell, From Early Judaism to Early Church, 133–134).

656 Koch, Klaus, Schmidt, Johann Michael. Apokalyptik. Wege der Forschung. Band CCCLXV. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 1982, 489.

657 Diese Tatsache hat auch SCHUBERT betont. SCHUBERT sagt dazu: „Die Voraussetzungen der jüdischen Religion haben etlichen religionsgeschichtlichen Elementen, die unter anderem für die Ausbildung der heidnischen Gnosis mit verantwortlich waren, sogar eine der gnostischen Entwicklung diametral entgegengesetzte Richtung gegeben. So ist z. B. der platonische Leib-Seele-Dualismus eine der Voraussetzungen für das gnostische Denken, entsprechend dem der Lichtfunke der Seele aus den Banden des sie an die materielle Welt fesselnden Köpers durch die Gnosis befreit werden soll. Im Judentum aber entwickelte sich aus eben demselben dualistischen Denken die Auffassung der konkreten resurrectio carnis, das heißt der Wiedervereinigung des gestorbenen Fleischesleibes mit seiner Seele beim Jüngsten Gericht als Weiterbildung älterer Voraussetzungen, die im Sinne der alttestamentlichen Anthropologie nur mit einer Auferstehung der psychophysischen Einheit der menschlichen Existenz rechneten“

(Schubert Problem und Wesen der jüdischen Gnosis, 4).

Sowohl in der Apokalyptik als auch in der Gnosis ist das „Wissen”(gnosis) um die Geheimnisse Gottes wichtig. Der Inhalt dieses Wissens oder dieser Erkenntnis ist primär religiös, insofern er um die Hintergründe von Mensch, Welt und Gott kreist. Es ist Offenbarungswissen, das nur den dafür Empfänglichen und Auserwählten verfügbar gemacht worden ist, also einen esoterischen Charakter hat.658 Dieses „Wissen”beruhte entweder auf direkter Erfahrung einer Offenbarung oder auf der Einweihung in die esoterische, geheime Tradition einer solchen Offenbarung.659 Ein solches „Wissen” oder „die Erkenntnis” göttlicher Geheimnisse ist zwar ein Hauptmerkmal der Gnosis660, aber wir begegnen dieser Gnosis auch in den griechisch-orientalischen Mysterienreligionen und deshalb kann man sagen, dass „höhere Weisheit durch Offenbarung” ein Wesensmerkmal spätantiker Religiosität ist.661 Aber der Inhalt dieses Geheimwissens ist in der Apokalyptik und in der Gnosis teilweise verschieden: in der Gnosis ist diese „höhere Weisheit”in ersten Linie das Wissen über einen göttlichen „Funken”im Menschen, welcher aus der göttlichen Welt hervorgegangen und in diese Welt des Schicksals, der Geburt und des Todes gefallen ist, und der durch das göttliche Gegenstück seiner selbst wiedererweckt werden muß, um endgültig wiederhergestellt zu sein.662 In der Apokalyptik fehlt die Vorstellung eines solchen göttlichen „Funkens”, der aus der überirdischen Welt stammt. Die Apokalyptiker interessieren sich in erster Linie dagegen für die Zukunft der Welt und deshalb berührt ihre „höhere Weisheit”in erster Linie auch die Zukunft dieser Welt. Die Geschichte ist für die Apokalyptiker sehr wichtig663, aber nicht für die Gnostiker.664 Das ist noch ein Unterschied zwischen Apokalyptik und Gnosis.

Sowohl für die Gnosis als auch für Apokalyptik ist ein starkes Interesse für Kosmologie und Angelologie kennzeichnend. Die ganze Lichtwelt ist in der Gnosis von Wesen erfüllt, die aus der Apokalyptik bekannt sind. Wo dort z. B. die Torhüter, die „Dienstengel Gottes”, stehen, stehen in der Gnosis die Archonten. Aber nicht nur die himmlischen Heerscharen, die niederen Chargen der oberen Regionen, finden sich in der Gnosis wieder, sondern auch ganz einmalige und unverwechselbare Gestalten. So begegnet Paulus in der Paulus-Apokalypse (NHC V, 2) der Gottheit in der Gestalt eines Kindes, die schon aus dem 3. Henoch (dort Metatron) bekannt ist (vgl. Apokr. Joh. u. Acta Joh.); und der Greis, den Paulus im 7. Himmel trifft, erinnert an den Alten von Daniel 7 und Henoch 46. Der „kleine Jao” aus der „Pistis Sophia” findet sich bereits im 3. Henoch als „kleiner Jahwe” zur Bezeichnung des entrückten Henoch-Metatron (in Apk.

Abr.:Jahoel).665 Die Anthropos-Figur in der Gnosis erinnert an den Menschensohn in der Apokalyptik666; der Fall des Engels, dem wir in der Apokalyptik begegnen667, ist eine ausgezeichnete Parallele für den Fall der Sophia in der Gnosis und sowohl in der Apokalyptik als

658 Rudolph, Die Gnosis, 63–64.

659 Quispel, Gnosis, 413; Bianchi, Le Origini dello Gnosticismo, XXX.

660 s. S. 11 ff.

661 Hengel, Judentum und Hellenismus, 381 ff.

662 Bianchi, Le Origini dello Gnosticismo, XXX.

663 s. S. 66 ff. S. auch Auguste Sabatier, Die jüdische Apokalyptik und die Geschichtsphilosophie. In: Apokalyptik.

Herausgegeben von Klaus Koch und Johann Michael Schmidt. 1982 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 91–113.

664 Beyschlag, Karlmann. Simon Magus und die christliche Gnosis. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Herausgegeben von Martin Hengel, Joachim Jeremias und Otto Michel 16. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1974, 90.

665 Tröger, Spekulativ-Esoterische Ansätze (Frühjudentum und Gnosis), 314.

666 1 Hen 46–61.

667 1 Hen 6 ff.; Jub 5, 1–14.

auch in der Gnosis begegnen wir der Gestalt der Weisheit (hokma, sophia), die vom Himmel herabstieg und dann wieder in den Himmel zurückging.668

Eine wichtige Stellung haben sowohl in der Apokalyptik als auch in der Gnosis die Engel. In 1. Hen erzählt man, dass Gott 70 Engel über die verschiedenen Nationen eingesetzt hat, um sie zu beherrschen. Auch in der titellosen Schrift (NHC II, 5) erzählt man von 72 Engeln. Diese Zahl gründet sich auf den hebräischen Text Dt 32,8, wo man sagt: böhanöhel elijon goijm böhaförido bönei adam jazev gövlot ammim lömispar bönei israel. Nach Ex 1, 5 ist diese Zahl 70. LXX übersetzt Dt 32,8: Œte diem™rizen ∏ ‹cistoq ‘unh, ˜q di™speiren yoÂq Adam, ‘sthsen Œria ®un©n katÅ ΩriumØn Ωgg™lvn ueoy. Aber sicherlich haben die Gnostiker diese Zahl durch Vermittlung der apokalyptischen Literatur übernommen. Aus der Apokalyptik stammen auch die Engel, die mit den Planeten gleichgesetzt werden.669 Dabei werden auch die bösen Engel mit den Planeten gleichgesetzt wie in der Gnosis.670

Wie in der Apokalyptik, so begegnen wir auch in der Gnosis verschiedenen Engelwesen mit unterschiedlichen Funktionen. Wie in der Apokalyptik, so gibt es auch in der Gnosis zwei Engelgruppen – die vom Licht bestimmten und die vom Demiurgen abhängigen Engelwesen.671 Aus der Apokalyptik stammt die Vorstellung von vier oder sieben Erzengeln.672 Sie figurieren auch in der Apokalyptik. „Zostrianos” (NHC VIII, 1 p. 29, 1–16) charakterisiert die vier Lichtengel als Kräfte der Wahrheit. Im Apokryphon des Johannes stehen die vier Lichtengel Armozel, Oriel, Daveithai und Eleleth bei Christus (NHC II, 1 p. 8, 4–23). In der Titellosen Schrift erhält Sabaoth, der hier nicht der Demiurg ist, sondern sein Sohn, jedoch eine positive Rolle zu spielen hat, von Pistis Sophia sieben Erzengel zu seiner Unterstützung gegen bestimmte Archonten (NHC II, 5, p. 104, 17 ff). Solche Engel haben die Funktion des Helfens und Dienens.673 Als Dienstengel Gottes bringen Engel aus der Lichtwelt göttliche Offenbarungen zu den Auserwählten und teilen sie ihnen mündlich mit (ApcAd NHC V, 5 p. 85, 3–18). Solche

„Gnosis” hatten die Engel auch bereits zu Adam gebracht; aber Adam und Eva verloren ja ihre

„Herrlichkeit” und „erste Gnosis” wieder (p. 64, 24 ff).674 Im Tractatus Tripartitus wird über die

668 1 Hen 42, 1–3: Wisdom could not find a place in which she could dwell;

but a place was found (for her) in the heavens.

Then Wisdom went out to dwell with the children of the people, but she found no dwelling place.

(So) Wisdom returned to her place

and she settled permanently among the angels.

Then Iniquity went out of her rooms, and found whom she did not expect.

And she dwelt with them, like rain in a desert, like dew on a thirsty land.

(Übersetzung von Isaac).

669 1 Hen 86, 1 ff.

670 1 Hen: ibid.

671 Die Benennungen dieser zwei Gruppe stammen von ANDOR SZABO (Szabo, Andor. Die Engelvorstellungen vom Alten Testament bis zur Gnosis. In: Tröger, Karl-Wolfgang (Herausgeber). Altes Testament – Frühjudentum – Gnosis. Neue Studien zu „Gnosis und Bibel“. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1980, 148 ff). Er sagt über die gnostische Angelologie: „Betrachtet man die Fülle der Engelwesen in der Gnosis, so fällt zuerst ihre ambivalente Stellung auf. Das zeigt besonders deutlich eine Stelle in der Schrift des Origenes Contra Celsum (VI 27), wo davon die Rede ist, dass die Seele einerseits von archontischen Engeln umringt wird, ihr aber anderseits „Engel des Lichts“

hilfreich zur Seite stehen“ (Szabo, op. cit., 148).

672 1. Hen 9, 1 enthält die älteste Liste der Erzengel. Ihre Zahl beträgt hier nur vier. Die Liste in c. 20 bietet statt dessen zum ersten Mal die Namen von sieben Erzengeln (Kaiser, Die alttestamentlichen Apokryphen, 65).

673 Szabo, Die Engelvorstellungen vom Alten Testament bis zur Gnosis, 148.

674 Szabo, op. cit., 150.

Engel gesagt: Sie sind Könige, Herren, Gebieter und Gerichtsengel. Einige üben Gerechtigkeit, andere schenken Ruhe oder Heilung; es gibt welche, die unterweisen, und andere, die Wache halten (NHC I, 5 p. 99, 34 ff). Die vom Demiurgen abhängigen Engelwesen sind durch den Demiurgen geschaffen und bilden seine Gefolgschaft (AJ BG2 p. 38, 14 ff; NHC II, 1 p. 10, 19 ff). Diese Engel handeln auch als Schöpfer: sie sind entweder an der Schöpfung beteiligt oder selbst für sie verantwortlich. Das Motiv der weltschöpferischen Engel taucht in vielen gnostischen Systemen auf: wir begegnen diesem Motiv bei Basilides (nach Iren I 24, 3 f), bei Saturninus (nach Iren I 24, 2), bei Simon Magus (nach Hippolyt, Ref VI 19), bei den Sethianern (nach Epiphanius, Pan XXXVIII 3, 1–4), in ParSem NHC VII, 1 p. 28, 14 ff, in TractTrip p. 112, 35 f und in AJ BG2 p. 49, 10 ff. Wie in der Apokalyptik675, begegnen wir auch in der gnostischen Literatur Erzählungen über Geschlechtsverkehr zwischen Engeln und den Menschentöchtern, der als Verführung und Schändung der Menschentöchter geschildert wird. Die Schrift „Vom Ursprung der Welt” berichtet die Befleckung der Eva als Abbild der Licht-Eva durch die Archonten und ihre Engel (NHC II, 5 p. 116, 1–117, 28). Die Verführung der Menschentöchter durch die Engel im Auftrage der finsteren Mächte mit bösen Folgen schildert das Apokryphon des Johannes (BG2 p. 74, 1 ff; NHC II, 1 29, 17 ff). Von der Vertreibung der Archonten durch die Sophia Zoe und deren Degradierung zu Dämonen, die auf der Erde ihr Unwesen treiben, erfährt man in UW p. 121, 27–35. Dort schaffen sich diese Engel-Dämonen weitere dämonische Engel, welche Irrlehre, Magie, Giftmischerei und Götzendienst über die Menschen bringen (p.

123, 4 ff).676 Diese Beispiele zeigen, wie die vom Demiurgen abhängigen Engelwesen an der Entstehung der Finsterniswelt und ihren schlimmen Folgen beteiligt sind. Aber die vom gnostischen Dualismus her berechtigte Einteilung der Engelwesen in lichte und demiurgische Engel verliert nicht aus dem Blick, dass es dabei mancherlei Abstufungen und Schattierungen gibt. Häufig freilich sind die demiurgischen Engel gar nicht vorsätzlich böse und verstockt, sondern einfach blind und in ihrer Verblendung und Unwissenheit oftmals sogar ratlos (vgl. UW p. 116, 8 ff: Bestürzung der Mächte über das Erwachen ihres Gebildes Adam; 2.LogSeth NHC VII, 2 p. 53, 12 ff; p. 63–64: es ist alles ganz anders, als die verblendeten Engel glauben).677 Also – die zahlreichen Engelgestalten haben eine recht unterschiedliche Natur und sie haben unterschiedliche Aufgaben und Funktionen zu erfüllen.678

Sowohl in der Apokalyptik als auch in der Gnosis begegnen wir dem Pessimismus gegenüber dieser Welt: diese Welt (in der Gnosis) oder das derzeitige Zeitalter („dieser Äon” in der Apokalyptik) wird nicht mehr von Gott, sondern dem Teufel und seinen Mächten, den Archonten und Dämonen, regiert. Aber es gibt dennoch einen Unterschied: in der Gnosis ist die materielle Welt als solche böse, aber in der Apokalyptik ist die Welt eine gute Schöpfung des guten Gottes, die erst später unter die Herrschaft des Bösen gefallen ist. Deswegen ist der gnostische Pessimismus gegenüber dieser Welt (d. h. gegenüber der Natur und den Menschen) schärfer als der apokalyptische Pessimismus. Aber dieser Pessimismus ist nicht absolut: sowohl die Gnostiker als auch die Apokalyptiker glauben an die Erlösung, obwohl beide diese unterschiedlich verstehen: wenn die Erlösung in der Gnosis die Erhaltung der Gnosis und die Befreiung von der Materie und dem Leib war, war die Erlösung für die Apokalyptiker in erster Linie die Befreiung von der Sünde und vom Satan, aber nicht die Befreiung von der Welt, die Gott geschaffen hat. Die Erlösungstheologie der Apokalyptik war also der Erlösungstheologie des Christentums ähnlicher als der Gnosis.679

675 1 Hen 6 ff; Jub 5, 1–14.

676 Szabo, Die Engelvorstellungen vom Alten Testament bis zur Gnosis, 151.

677 Szabo, op. cit., 152.

678 Szabo, op. cit., 150.

679 S. auch Schubert 1958: 66–67.

Es gibt noch viele konkrete Themen und Motive, die sowohl in der gnostischen Literatur als auch in der Apokalyptik vorkommen: die Himmelfahrt der Seele680, der Thron Gottes (Merkabah)681 usw. Wenn die apokalyptische Literatur älter ist als die gnostische Literatur, haben viele Forscher behauptet, dass die Gnostiker viele wichtige Motive aus der Apokalyptik entliehen haben.682 Es ist sehr wahrscheinlich und zeigt, dass die Menschen, dieTräger der gnostischer Überlieferung waren, die apokalyptische Literatur und die jüdischen Überlieferungen gekannt haben. Aber für die Motive, die aus der Apokalyptik stammen, gilt das, was RUDOLPH über die Gnosis überhaupt gesagt hat: „Der Gnostizismus hat keine eigene Tradition, sondern nur

Es gibt noch viele konkrete Themen und Motive, die sowohl in der gnostischen Literatur als auch in der Apokalyptik vorkommen: die Himmelfahrt der Seele680, der Thron Gottes (Merkabah)681 usw. Wenn die apokalyptische Literatur älter ist als die gnostische Literatur, haben viele Forscher behauptet, dass die Gnostiker viele wichtige Motive aus der Apokalyptik entliehen haben.682 Es ist sehr wahrscheinlich und zeigt, dass die Menschen, dieTräger der gnostischer Überlieferung waren, die apokalyptische Literatur und die jüdischen Überlieferungen gekannt haben. Aber für die Motive, die aus der Apokalyptik stammen, gilt das, was RUDOLPH über die Gnosis überhaupt gesagt hat: „Der Gnostizismus hat keine eigene Tradition, sondern nur