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2. 1. Die Theorien über den religionsgeschichtlichen Ursprung der Gnosis

Das Hauptproblem der Gnosis ist nach wie vor das Rätsel ihres Ursprungs.177 Schon im Jahre 1909 erklärte ROBERT LAW in den Kerr-Vorlesungen in Glasgow, die Entstehung und

168 Brandenburger, op. cit., 54–55.

169 Hengel, Martin. Der Sohn Gottes, 1975.

170 Yamauchi. Jewish Gnosticism?; in: R. van den Broek, M. J. Vermaseren (Hrsg.), Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions, 1981.

171 Prümm, K., Gnosis an der Wurzel des Christentums, 1972.

172 Betz, O., Das Problem der Gnosis seit der Entdeckung der Texte von Nag Hammadi, VF 21, 1976, 46 ff.

173 Lahe 2001, Gnoosis ja algkristlus, 137–152.

174 Drijvers, Die Ursprünge des Gnostizismus als religionsgeschichtliches Problem, 822.

175 Rudolph, Stand und Aufgaben in der Erforschung des Gnostizismus, 544.

176 Rudolph, op. cit., ibid.

177 Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostischen Schriften. Diew Bedeutung der Texte von Nag Hammadi für die moderne Gnosisforschung. In: Tröger, Karl-Wolfgang (Herausgeber). Gnosis und Neues Testament. Studien aus Religionswissenschaft und Theologie. Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1973, 17; Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II., 163; s. auch Drijvers, Die Ursprünge des Gnostizismus als religionsgeschichtliches Problem, 789. Nach KURT RUDOLPH lässt sich das Problem des Ursprung der Gnosis auf drei Aspekte reduzieren: den sozialgeschichtlichen, den kulturgeschichtlichen und den religionsgeschichtlichen (Rudolph, Die Gnosis, 296). In dieser Arbeit geht es nur um den religionsgeschichtlichen Aspekt. Über andere Aspekte s. Rudolph, Die Gnosis, 307–315 und Pokorny, Petr. Der soziale Hintergrund der Gnosis. In: Tröger, Karl-Wolfgang (Herausgeber). Gnosis und Neues Testament. Studien aus Religionswissenschaft und Theologie. Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1973, 77–87.

Ausbreitung der Gnosis sei eines der dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte. Noch heute wäre es übertrieben zu sagen, unsere Unkenntnis sei völlig beseitigt und das Dunkel erhellt. Auch jetzt können wir weder die ganze Geschichte dieser Bewegung mit all ihren Verzweigungen aufzeigen, noch genau die Einflüsse feststellen, die in jedem einzelnen Stadium ihrer Entwicklung wirksam waren.178

Den religionsgeschichtlichen Ursprung der Gnosis hat man in Ägypten, in Babylonien, in Persien und in der griechischen Philosophie gesucht.179 Fast alle Länder im Osten des Mittelmeerraumes sind als Ursprungsland angesehen worden180, selbst in Indien hat man den Ursprung der Gnosis gesucht.181

Die ersten, die über die Gnosis geschrieben haben, waren die Kirchenväter (Justin,, Hegesipp, Irenäus, Hippolyt). Sie haben die Entsehung der Gnosis einfach auf den Teufel zurückgeführt.

Klassisch formuliert wurde dies durch den „Vater der Kirchengeschichtsschreibung” Eusebius von Cäsarea (etwa 264–339) in seiner Kirchengeschichte:

„Während so die über den Erdkreis sich ausbreitenden Kirchen gleich herrlich glänzenden Gestirnen leuchteten und der Glaube an unseren Erlöser und Herrn Jesus Christus siegreich zu allen Völkern drang, nahm der dem Guten abholde Teufel als Feind der Wahrheit und ständiger bitterster Gegner der menschlichen Erlösung, im Kampfe gegen die Kirche alle möglichen Mittel ausnützend, nachdem er es früher mit äußeren Verfolgungen gegen sie versucht hatte, jetzt aber dieser Kampfmittel beraubt war, schlimme, trügerische Menschen als seelenvernichtende Werkzeuge und als Knechte des Verderbens in seine Dieneste. Der Teufel ging neue Wege;

nichts ließ er unversucht. Falsche, verführerische Männer sollten sich unseren christlichen Namen aneignen, um einerseits die von ihnen eingefangenen Gläubigen in den Abgrund des Verderbens zu stürzen und anderseits solche, die unseren Glauben nicht kannten, durch ihre Handlungen wom Wege zur Heilslehre abzuhalten”.182 An der Spitze dieser „Verführer” rangiert der aus der Apostelgeschichte bekannte „Magier” Simon, der aus Samaria stammte und den Aposteln Konkurrenz machte. Er galt schon für Justin und Irenäus als Ahnherr der Gnosis. Von seinem Schüler und angeblichen Nachfolger Menander, ebenfalls Samaritaner, seien dann, wie

178 Wilson, Gnosis und Neues Testament, 9. RUDOLPH sagt: „Es ist nicht übertrieben, wenn die Probleme der Entstehung und der Geschichte der Gnosis zu den schwierigsten der Gnosisforschung, ja der spätantiken Religionsgeschichte überhaupt gezählt werden. Die Gründe dafür sind einmal in der Quellenlage zu suchen, zum anderen ist zu bedenken, dass die Gnostiker an historischen Dingen, sofern sie nicht irgendwie der Heilsgeschichte zugehörten, keinerlei Interesse zeigten, was von ihrer antiweltlichen Einstellung aus verständlich ist. Es gibt bis heute keinen irgendwie historischen Traktat aus gnostischen Händen, etwa wie die Apostelgeschichte des Lukas oder gar die „Kirchengeschichte“ des Eusebius von Cäsarea, der uns helfen könnte, die Geschichte der Gnosis zu schreiben. Sicheren Boden haben wir nur dort unter den Füßen, wo bekannte gnostische Schul- und Sektenstifter lokalisiert und chronologisch fixiert werden können oder wo literariche Untersuchungen zu entsprechenden Ergebnissen führen. Letzteres steht der Gnosisforschung jetzt im Hinblick auf die Nag-Hammadi-Texte bevor. Ihre Analyse unter traditionsgeschichtlichen und literarkritischen Geschichtspunkten steckt noch in den Anfängen. [– – –] Eine vollständige Geschichte der Gnosis zu schreiben bleibt eine Aufgabe der Zukunft“(Rudolph, Die Gnosis, 294).

179 Leisegang, Hans. Die Gnosis. Fünfte Auflage. Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1985, 4; Jonas, Hans. The Gnostic Religion. The Message of the Alien God and the Beginnings of Christianity. Second edition, revised. Beacon Press.

Boston 1991, 33.

180 Van Unnik, Willem Cornelis. Die jüdische Komponente in der Entstehung der Gnosis. In: Rudolph, Kurt (Herausgeber). Gnosis und Gnostizismus. Wege der Forschung. Band CCLXII. Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Darmstadt 1975, 483.

181 Leisegang, Die Gnosis, 4; Puech, Henri-Charles. Das Problem des Gnostizismus. In: Rudolph, Kurt

(Herausgeber). Gnosis und Gnostizismus. Wege der Forschung. Band CCLXII. Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Darmstadt 1975, 336; s. auch Wilson, Gnosis und Neues Testament, 19 und Pagels, Elaine. The Gnostic Gospels.

Penguin Books 1990, 19–20. 26.

182 Eusebius, Hist. eccl. IV 7, 2.

eine doppelzüngige und zweiköpfige Schlange (so Eusebius), Saturninus (oder Satornilos) aus Antiochien und Basilides aus Alexandrien augegangen, von denen ersterer in Syrien, der letztere in Ägypten „gottfeindliche häretische Schulen” gründete.183 Mit Hilfe dieser Filiation und Konstruktion wurde für die Folgezeit Entstehung und Ausbreitung der gnostischen Häresie erklärt.184

Eusebius überliefert uns auch in seiner „Kirchengeschichte” eine Nachricht aus den

„Erinnerungen” des Hegesipp (um 180), der zufolge man die frühe Kirche „als Jungfrau bezeichnet”, weil sie „noch nicht durch eitle Lehren befleckt war”185 Hist. eccl. III 32, 7 f.

erläutert Eusebius diese Feststellung dahingehend, daß sich die Irrlehrer, „wenn es schon solche gab”, verborgen hielten, um erst nach dem Tode der Apostel unverhüllt ihr Angesicht zu zeigen und der Lehre der Wahrheit „eine falsche sogenannte Gnosis entgegenzusetzen”. Die dogmatische Grundlage dieses Geschichtsbildes liegt am Tage: Bei der gnostischen Häresie handelt es sich um einen Abfall vom rechten Glauben, um eine pseudochristliche Erscheinung, die nicht wagte, schon offen gegen die Apostel selbst anzutreten.186

Dieses Geschichtsbild wurde durch die Erklärung ergänzt, die gnostischen Häretiker hätten ihre falschen Lehren aus heidnischen Quellen genommen, nämlich aus den griechischen Mythen und von Philosophen und Dichtern (Irenäus, Adv. haer. II 14; Tertullian, Haer. 7; Hippolyt, Ref.

I, Vorrede).187 Nicht aber nur die gelehrten Christen, sondern auch die griechischen Philosophen, die mit der gerade in den vornehmeren und mehr gebildeten Kreisen verbreiteten Gnosis in Berührung kamen und doch wohl etwas von der Philosophie verstehen mußten, hielten sie für eine aus der alten griechischen Philosophie erstandene Religion. Nach der Meinung des gelehrten Neuplatonikers Plotin, unter dessen Schülern sich auch Anhänger einer gnostischen Sekte befanden, ging die Gnosis aus der „alten Philosophie” hervor, die gnostischen Propheten aber verleugneten ihren Ursprung und kleideten ihre Gedanken in orientalisch-antikes Gewand.188

Die Darstellung der Kichenväter vom Aufkommen und Ursprung der gnostischen Häresie wurde im Mittelalter unkritisch tradiert und war bis zum Beginn der Neuzeit in Geltung. Seit der Zeit des Humanismus wurde der dogmatische Charakter dieses Geschichtsbildes zunehmend durchschaut. Die Ableitung der Gnosis aus dem Griechentum erschien nicht mehr als zwingend und konnte entweder durch eine Ableitung aus den orientalichen Religionen, die immer stärker das Interesse des Abendlandes fanden, bzw. aus dem hellenistischen Synkretismus oder aber durch eine Herleitung aus dem Christentum selbst ersetzt werden.189 In den erstgenannten Fällen ergab sich nun die Möglichkeit, die Gnosis nicht als Abfall vom Christentum, sondern als eine

183 Eusebius, Hist. eccl. IV 7, 3.

184 Rudolph, Die Gnosis, 295.

185 Eusebius, Hist. eccl. IV 22, 4.

186 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 4. SCHMITHALS kommentiert: „Diesem dogmatischen Geschichtsblid stand die für die Kirchenväter durchgehend apostolische Urkunde des NT gewichtig entgegen, soweit diese schon selbst von einer Auseinandersetzung mit den gnostischen Irrlehrern sprach [– – –]“ (Schmithals, op. cit., 5).

187 Schmithals, op. cit., 6; vgl. auch Wilson, Gnosis/ Gnostizismus II., 12: „Die traditionelle Theorie, die im Allgemeinen von Irenäus bis zur Zeit Harnacks galt, sah im Gnostizismus eine christliche Häresie, das Ergebnis der Verunreinigung des Glaubens durch die trüben Wasser der griechischen Philosophie.“ S. auch Prümm, Karl.

Gnostizismus. 1. Im Hellenismus. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage.

Herausgegeben von Josef Höfer und Karl Rahner. Vierter Band. Verlag Herder. Freiburg 1968, 1024.

188 Leisegang, Die Gnosis, 3–4.

189 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 6.

von Haus aus außerchristliche und damit ggf. auch vorchristliche Religion anzusehen, die sich erst sekundär dem Christentum amalgierte.190

Die Ansicht der Kirchenväter über den Ursprung der Gnosis war widerspruchsvoll – ihrer Meinung nach lagen die Wurzeln der Gnosis in der griechischen Philosophie (d. h. außerhalb des Christentums), aber sie beobachteten die Gnosis als eine christliche Häresie. In der Neuzeit setzte man diese Ansicht in Zweifel. So setzte C. W. F. WALCH den Ursprung der Gnosis in die Zeit vor Christi Geburt, weil der allgemeine Lehrbegriff der Gnostiker so alt sei wie die

„morgenländische Philosophie”, und verwirft demzufolge die Ansicht der Kirchenväter, Simon Magus sei der Vater der gnostischen Häresie gewesen.191 Auch für J. D. MICHAELIS stehen der vorchristliche und morgenländische Ursprung der Gnosis fest.192 Gegen alle derartigen Versuche wendete sich aber C. C. TITTMANN, der 1773 den Ursprung der Gnosis in das Ägypten des zweiten Jahrhunderts setzte.193

Die Religionsgeschichtliche Schule, die um die vorletzte Jahrhunderterwende blühte, nahm in Übereinstimmung mit der Forschung des 18. Jahrhunderts einen wesentlichen vor- und außerchristlichen Ursprung der Gnosis an und rechnete dabei vor allem mit orientalischen Einflüssen im Rahmen des zeitgenössischen hellenistischen Synkretismus (ägyptisch, babylonisch, iranisch).194 Da sich in der Gnosis Motive befinden, die an die altbabylonische Religion erinnern195, sahen Z. B. K. KESSLER196, W. ANZ197 und W. BOUSSET198, die Wurzeln der Gnosis in der altbabylonischem Religion. Für R. REITZENSTEIN199 wurzelt die Gnosis gleichfalls im Orient. Ihr Kern ist ein um die Identität von Gott und Seele kreisendes „iranisches Erlösermysterium”(„das Mysterium des erlösten Erlösers”), das bereits in vorchristlicher Zeit in Persien entstanden ist und im Manichäismus und Mandäertum seine reinste Ausprägung fand, aber auch sonst in den Mysterienreligionen der Spätantike seinen Einfluss ausübte (Allgottvorstellung).200 Reitzenstein verstand unter dem Begriff „der erlöste Erlöser”vor allem die im Manichäismus begegnende Vorstellung, dass ein himmlisches Lichtwesen (Sohn Gottes oder der „Mensch”) in die Finsternis gerät, dort festgehalten wird und erst nach der Hinterlassung eines Teiles seines Wesens wieder zurückkehren kann; dieser Teil bildet die (durch die Welt- und Menschenschöpfung) in die Körperwelt versprengte Lichtseele, zu deren Befreiung der ins Jenseits zurückgelangte Teil noch einmal als „Erlöser” hinabsteigt, um auch den Rest seines Wesens zu erlösen („zu sammeln”) und so seine uranfängliche Ganzheit wiederherzustellen.201

190 Schmithals, op. cit., ibid.

191 Walch, C. W. F., Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereien, I–XI (1762–1785).

192 Michaelis, J. D., Einleitung in die göttlichen Schriften des Neuen Bundes, 2 Bde. (1750).

193 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 8. C. C. Tittmann, De vestigiis in Novo Testamento frustra quaesitis (1773).

194 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 9.

195 Z. B. die Vorstellung von 7 Archonten (= die Planetargeister) oder von einer weiblicher Gestalt, die aus dem Himmel auf die Erde (= Unterwelt) hinabsteigt und die an die Muttergöttin Istar erinnert. S. Lahe, Gnoosis ja algkristlus, 69–70.

196 Kessler, K., Über Gnosis und altbabylonische Religion (1882).

197 Anz, W., Zur Frage nach dem Ursprung des Gnostizismus (1897).

198 Bousset, Wilhelm. Hauptprobleme der Gnosis. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Herausgegeben von Wilhelm Bousset und Hermann Gunkel. 10. Heft. Neudruck der 1. Auflage von 1907. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1973, 56; s. auch Lahe, Gnoosis ja algkristlus, 69–70; 90–91.

199 Reitzenstein, Richard. Das iranische Erlösungsmysterium (1921).

200 Rudolph, Die Gnosis, 38.

201 Rudolph, op. cit., 141.

Den Mythos vom „erlösten Erlöser” hat man viel kritisert202, aber mit den religionsgeschichtlichen Untersuchungen der Religionsgeschichtlichen Schule wurde das Neue Testament immer stärker in die Gnosisforschung einbezogen, vor allem durch Arbeiten aus der Schule des bekannten Neutestamentlers RUDOLF BULTMANN. Seitdem existiert für die neutestamentliche Wissenschaft das Problem der Gnosis.203 Eines der wichtigsten Ergebnisse der Religionsgeschichtlichen Schule war aber der Nachweis, dass es sich bei der gnostischen Bewegung um eine von Haus aus nichtchristliche Erscheinung gehandelt hat, die sich erst langsam mit christlichen Vorstellungen anreicherte, bis sie als eine eigenständige „christliche Gnosis” in Erscheinung trat.204 Mit anderen Worten – dank der Forschungen aus der Religionsgeschichtlichen Schule hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Gnosis eine Religion sui generis gewesen ist.205 Seit der Religionsgeschichtlichen Schule ist die Gnosis kein besonderes Problem der Kirchengeschichte mehr, es wird zu einem Phänomen der allgemeinen Religionsgeschichte.206

Den Ursprung der Gnosis hat man auch aus dem Judentum hergeleitet. Schon Hegesipp meinte, dass die Häresien aus den jüdischen Sekten erwachsen sind.207 Justin und Irenäus behaupteten, dass die Gnosis aus Samarien stammt, weil der Magier Simon dort lebte und lehrte.

Im 19. Jahrhundert hielt der Tübinger FERDINAND CHRISTIAN BAUR die Bewegung der christlichen Gnosis für eine Fortbildung der jüdisch-alexandrinischen Religionsphilosophie (Philo von Alexandrien)208. J. F. BUDDEUS sah die Wurzeln der Gnosis in der Kabbala (d. h. in der jüdischen Mystik) und R. A. LIPSIUS im Essäismus.209 Für ADOLF HILGENFELD ist die Gnosis eine im Samaritanertum entstandene Erscheinung, die trotz ihrer Verchristlichung nicht ihre eigene Grundlage aufgab.210 MAX FRIEDLÄNDER leitete den Ursprung der Gnosis aus dem häretischen Judentum der frührabbinischen Zeit her.211

Aber auch das Geschichtsbild der Kirchenväter dauerte fort.212 In kritischer Manier griff ADOLF VON HARNACK darauf zurück und prägte die klassissch gewordene Formulierung

202 WILSON sagt: „In einigen Fällen (aber nicht in allen!) wird dieses Lichtwesen als der „Urmensch“ oder Anthropos bezeichnet [---]. Nun haben die meisten Völker einen Mythos von einem Urmenschen, dem Stammvater der Menschheit, aber er ist nicht immer ein göttliches Wesen [---]. Heute ist anerkannt, dass dieser Mythos in seiner entwickelten Form nicht vor dem Manichäismus greifbar ist [---]. Die gnostische Soteriologie ist sehr viel

komplexer und verschiedenartiger und erfordert eine genaue Beachtung der Details, wenn die Beziehungen richtig erschlossen werden sollen“ (Wilson, Gnosis/ Gnostizismus II., 547). Vgl auch Wilson, Gnosis und Neues

Testament, 31–32 und Colpe, Carsten. Die religionsgeschichtliche Schule. Darstellung und Kritik ihres Bildes vom gnostischen Erlösermythus. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments.

Herausgegeben von Rudolf Bultmann. Neue Folge, 60. Heft. Der ganzen Reihe 78. Heft. Vandenhoeck & Ruprecht.

Göttingen 1961.

203 Rudolph, Die Gnosis, 38.

204 Rudolph, op. cit., 295–296.

205 Schoeps, Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis, 31.

206 Puech, Das Problem des Gnostizismus, 329.

207 Eusebius, Kirchengeschichte IV 22, 5.

208 Baur, F. Ch. Die christliche Gnosis oder die christliche Religions-Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1835).

209 Lipsius, R., Gnostizismus, sein Wesen, Ursprung und Entwicklungsgang (1860).

210 Hilgenfeld, Adolf. Die Ketzergeschichte des Urchistenthums (1884).

211 Friedländer, M., Der vorchristliche jüdische Gnosticismus (1898). Vgl. auch: Quispel, Gnosis, 420.

212 WILSON begründet das Fortdauern dieses Geschichtsbildes so: „Die frühesten Gelehrten zugängliche

Information über die gnostische Bewegung war in den Schriften „orthodoxer“ christlicher Gegner enthalten, die in ihr eine christliche Häresie sahen, das Ergebnis einer Verschmelzung von Christentum und griechischer Philosophie.

Dies blieb die traditionelle Sicht bis ins Ende des 19. Jh. hinein“ (Wilson, Gnosis/ Gnostizismus II., 536).

von der Gnosis als einer „akuten Verweltlichung, resp. Hellenisierung des Christentums”.213 Harnack erblickt in der Gnosis eine Häresie, welche durch Vermischung christlicher Lehre mit vorzugsweise griechisch-heidnischem Gedankengut entstanden sei. In der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts haben auch E. DE FAYE214 und F. C. BURKITT215 so gedacht; auch ihrer Ansicht nach entsteht die gnostische Bewegung durch eine Verbindung des Christentums mit philosophischen und religiösen Ideen ihrer Umwelt.216

Der seit 1947 bekannte Fund einer gnostischen Bibliothek von 13 Codices in Nag-Hammadi, der uns mehr als 50 bisher meist unbekannte gnostische Originalschriften aus dem 2.–4.

Jahrhundert schenkte, hat die Erforschung der Gnosis ungemein befruchtet und ist auch für das Thema ‘Neues Testament und Gnosis’ von Bedeutung.217 Die Bedeutung des Nag-Hammadi-Fundes sieht KURT RUDOLPH in folgenden Punkten:

1) Der Bestand an Originalquellen hat sich ungeahnt erweitert und stellt erstmalig die nunmehr von den häresiologischen Berichten unabhängige Gnosisforschung auf eine neue Grundlage. Die neuen Quellen erlauben mehr als bisher eine Kontrolle des bei den Kirchenvätern überlieferten Bildes und Materials.

2) Der Fund enthält sowohl stärker christliche als auch weniger christliche und nichtchristliche Schriften; er zeigt dadurch einerseits die Verwobenheit von Gnosis und Christentum, andererseits aber auch ihre Unabhängigkeit voneinander. Da die bisherigen Analysen an einzelnen christlich-gnostischen Texten eine sekundäre Verchristlichung nachweisen konnten, erhält die These von der nichtchristlichen Entstehung der Gnosis, die vor allem die so genannte

„Religionsgeschichtliche Schule” (BOUSSET, REITZENSTEIN) vertrat, eine Bestätigung.

3) Der Anteil jüdischer Traditionen und Vorstellungen an der Ausbildung der Gnosis, den man schon früher erkannt hatte, läßt sich jetzt noch deutlicher und beweiskräftiger machen.218

In erster Linie besteht die Bedeutung des Nag-Hammadi-Fundes für das Problem des Ursprungs der Gnosis darin, dass nach dieser Entdeckung das Problem des Ursprung der gnostischen Bewegung wieder aktuell geworden ist.

1966 fand in Messina ein Kongress über die „Ursprünge des Gnostizismus” statt. Unter dem Titel „Le origini dello gnosticismo” sind die Vorträge und Diskussionen dieses Kolloquiums veröffentlicht worden. Diese Vorträge zeigen, dass im Problem des Ursprung der Gnosis eine Übereinstimmung fehlt , aber sie fassen die Forschung, die im vorletzten Jahrhundert mit NEANDER einsetzte, zusammen und stellen eine Bestandsaufnahme dar, weil alle Standpunkte, die es im Laufe der Zeit sah, in diesem Kolloquium vertreten waren und verteidigt wurden.219

Nach SCHOEPS220 und HAARDT221 gibt es folgende die Theorien über den religionsgeschichtliche Ursprung der Gnosis : 1) hellenistische, 2) altorientalische (ägyptische, babylonische, iranische) und 3) heterodox-jüdische Theorien.

213 Harnack, Adolf. Lehrbuch der Dogmengeschichte. Erster Band. Die Entstehung des kirchlichen Dogmas, Vierte, neu durchgearbeitete und vermehrte Auflage. Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1909, 250.

214 De Faye, E., Gnostiques et gnosticisme, Paris 1913.

215 Burkitt, F. C., Church and Gnosis, Cambridge 1932.

216 Haardt, Zur Methodologie der Gnosisforschung, 185.

217 Schmithals, Neues Testament und Gnosis, 11.

218 Rudolph, Die Gnosis, 58–59.

219 Drijvers, Die Ursprünge des Gnostizismus als religionsgeschichtliches Problem, 799.

220 Schoeps, Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis, 31–33

221 Haardt, Die Gnosis, 16–21; Haardt, Gnostizismus, 480–481; Haardt, Zur Methodologie der Gnosisforschung, 185–191.

2. 1. 1. Griechisch-hellenistische Theorien

Die Vorläufer dieser Theorie sind die Ketzerbekämpfer der Alten Kirche Irenäus (Adv. haer. II 14, 2–69, Tertullian (De praescr. haer. VII, 5), Hippolyt (Ref. I Vorrede 11) und der Neuplatoniker Porpyhyrius (Vita Plotini 16). Die Ketzerbekämpfer erblickten in der Gnosis eine Häresie, welche durch Vermischung der christlichen Lehre mit vorzugsweise griechisch-hellenistischem Gedankengut entstanden sei.222 In der Neuzeit vertreten diese Meinung A. VON HARNACK, E. DE FAYE, F. C. BURKITT, C. SCHNEIDER223, H. LEISEGANG224, R.

McLACHLAN WILSON, H.-H. SCHAEDER und A. DARBY NOCK.225 Den Beitrag griechisch-hellenistischer Philosophie zur Entwicklung der Gnosis behaupten aber auch solche Forscher, die den Ursprung der Gnosis nicht aus der griechichen Philosophie ableiten, wie z. B.

K. STÜRMER226, K. RUDOLPH227, P. POKORNY228, G. QUISPEL229 und H.–J. KLAUCK230. Die griechische Gedankenwelt, die seit Alexander dem Großen in zunehmendem Maße in den Orient einströmte, hat für die Ausbildung der Gnosis eine erhebliche Bedutung gehabt.231 Allgemein herrscht die Communis opinio, dass die griechische Kultur auf irgendeine Weise zu der Bildung der gnostischen Mythen beigetragen hat, vor allem derjenigen mit philosophischem Charakter. R. CRAHAY und P. BOYANCE weisen auf Platon und die Orphik hin, die – möglicherweise auf dem Wege über Philo Alexandrinus – dem Gnostizismus seine philosophische Terminologie gegeben haben. Es ist nahezu undenkbar, dass im 1. und 2.

Jahrhundert Lehren, die sich als ‘Gnosis’ geben, ohne Verwendung des Begriffssystems der

Jahrhundert Lehren, die sich als ‘Gnosis’ geben, ohne Verwendung des Begriffssystems der