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Der jüdische Stoff in der gnostischen Literatur

BERÜHRUNGSPUNKTE ZWISCHEN GNOSIS UND JUDENTUM

5. Der jüdische Stoff in der gnostischen Literatur

Wie ich schon in der Einführung gesagt habe, befinden sich in der Gnosis viele Motive – Erzählungen, mythologische Vorstellungen und Gestalten, die jüdische Herkunft haben (aus dem AT und aus der außerbiblischen apokalyptischen und pseudoepigraphischen Literatur) stammen.

Dass der jüdische Stoff in der gnostischen Literatur eine sehr große Rolle spielt, haben viele Wissenschaftler, besonders QUISPEL, DORESSE, McLACHLAN-WILSON, RUDOLPH, BÖHLIG, SCHENKE, TRÖGER, FISCHER, POKORNY, ADAM und ARAI betont. Deswegen behandle ich diese Motive im folgendem gesondert.

5. 1. Die alttestamentliche Erzählungen in der Gnosis

Wie schon gesagt hat, haben viele Forscher behauptet, dass der alttestamentliches Stoff in der gnostischen Literatur eine sehr wichtige Rolle spielt. Manche Forscher, wie z. B. VAN UNNIK und MAIER, sind mit dieser Behauptung nicht einverstanden. Sie sagen, dass die AT-Verwendung von Gnostikern sehr begrenzt ist: Die Gnostikern haben sich nur für die Anfangskapiteln der Genesis benutzt, aber nicht an dem weiteren Inhalt des AT.870 Deshalb meint MAIER, dass die AT-Kenntnis von Gnostikern sehr ungenügend gewesen ist und sagt:

„Wer auf „jüdisch gebildete Kreise” als Mutterboden für Gnosis rekurriert, muß diese seltsame Art jüdischer Bildung erklären”.871 VAN UNNIK und MAIER meinen auch, dass

868 Brumlik, op. cit., 39.

869 Hengel, Judentum und Hellenismus, 237.

870 Van Unnik, Die jüdische Komponente in der Entstehung der Gnosis, 490; Maier, Jüdische Faktoren bei der Entstehung der Gnosis?, 242.

871 Maier, op. cit., 242. Gegen BÖHLIG, der über den jüdischen und judenchristlichen Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi gesagt hat: „Ohne Zweifel lässt sich jetzt eindeutig nachweisen, dass jüdisch gebildete

alttestamentliches Gut in die Gnosis durch den Filter der Groß-Kirche hindurchgegangen ist.872 Aber es ist sicher, dass die AT-Kenntnis nicht so begenzt war, wie VAN UNNIK und MAIER behaupten. TRÖGER schreibt: „Alttestamentliches „Material” ist in gnostischen Texten in reichem Maße zu finden. Das betrifft biblische Gestalten, Namen und Erzählungen, Zitate, Anspielungen, Paraphrasen und Topoi, vor allem aus der Genesis, aber auch aus den Königsbüchern, Propheten und Psalmen”.873 McLACHLAN WILSON sagt, dass der Bibeltext, den die Gnostikern am meisten zitiert hat, stammt überhaupt nicht aus der Genesis, sondern aus dem Buch Jesaja und das ist Jes 45, 5.874

Der Italienischer Gnosisforscher FILORAMO hat eine computergestütze Berechnung der etwa 600 Bibelstellen (AT) in gnostischen Texten vorgelegt. Danach stammen die Hälfte (300 bzw. 50 %) aus Pentateuch, ein Viertel (25 %) aus den Propheten und den Hagiographen (Weisheitsbücher). Im Pentateuch liegt der Schwerpunkt auf der Genesis (230 Stellen bzw. 70

%), es folgen Exodus (20 %) und Deuteronomium (10 %); praktisch fehlen Leviticus und Numeri. Bei den Genesisstellen stehen Kap. 1–11 durchaus voran (200 mal, d. i. 90 %). Von den

„Propheten” wird Jesaja bevorzugt (60 %), bes. 45, 6 und 46, 9 (25 % der Zitate). Unbedingten Vorrang haben die Psalmen (ca 75 %) bei den Hagiographen, ohne dass bes. Präferenzen sichtbar werden”.875 Aufgrund dieser Statistik kann man nicht behaupten, dass die AT-Kenntnis von Gnostikern ungenügend gewesen ist. Eher kann man mit RUDOLPH über den sehr

„selektiven Gebrauch der Bibel” sprechen: Die Gnostikern haben nur solche Bibelstellen benutzt, die für die gnostischen Grundaussagen zu adaptieren waren. Die große Bedeutung, die die Anfänge der Bibel für die Gnostike haben, hängt mit ihrem Interesse an den Uranfängen der Welt zusammen, bei denen sich das Verhängnis der kosmischen Entwicklung entschied. Solche Bibelstellen, wie Gen. 1, 1, 2, 26, 27 ff., 10–14, 17, 21; 3, 1–20; 23 f dienen als Illustration von Kosmogonie; Anthropogonie und dem Urzustand („Paradies”) des Menschen. Andere Zitate, wie aus Jesaja (bes. 6, 3. 10; 45, 5; 46, 9), dienen entweder zum Beweis der Verstocktheit der Juden bzw. der Anhänger des Demiurgen oder der Charakterisierung des überheblichen Schöpfergottes (Archon, Jaldabaoth, Saklas). In den Psalmen findet man Hinweise auf das Schicksal der Sophia, des Soter oder der Seele bzw. des „Anthropos” (Naassener-traktat; Pistis Sophia). So dient die Biebel in vielfältiger Weise der Legitimation der eigenen Vorstellungen, selbst wenn eine negative Absetzung damit bezweckt wird.876

Kreise bei der Gestaltung gnostischer Schriften beteiligt waren“ (Böhlig, Der jüdische und judenchristliche Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, 112).

872 Van Unnik, Die jüdische Komponente in der Entstehung der Gnosis, 487–488; Maier, Maier, Jüdische Faktoren bei der Entstehung der Gnosis?, 243. Auch WOLFGANG SCHENK behauptet, dass die Kirche als Mittlerin des Alten Testaments an die Gnosis war (Schenk, Wolfgang. Textverarbeitung in Frühjudentum, Frühkirche und Gnosis.

In: Tröger, Karl-Wolfgang (Herausgeber). Altes Testament – Frühjudentum – Gnosis. Neue Studien zu „Gnosis und Bibel“. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1980, 299 ff.) und mit ihm kann man hauptsätzlich einverstanden sein, aber zu diesem Problem werden wir später zurückzukommen.

873 Tröger, Gnosis und Judentum, 165.

874 Wilson, Gnosis/ Gnostizismus II., 538.

875 Rudolph, Kurt. Bibel und Gnosis. Zum Verständnis jüdisch-biblischer Texte in der gnostischen Literatur, vornehmlich aus Nag Hammadi. In: Rudolph, Kurt. Gnosis und spätantike Religionsgeschichte. Gesammelte Aufsätze. Nag Hammadi and Manichaean Studies. Formerly Nag Hammadi Studies. Edited by J. M. Robinson & H.

J. Klimkeit. XLII. E. J. Brill. Leiden New York Köln 1996, 198.

876 Rudolph, Bibel und Gnosis, 198–199.

5. 1. 1. Die Erzählungen über die Schöpfung der Welt und des Menschen

Über Erschaffung der Welt und des Menschen gibt es in den Schriften von Nag-Hammadi fünf verschiedene Berichte: 1) in der titellosen Schrift („Vom Ursprung der Welt”) des Codex (NHC II, 5); 2) in „Hypostasis der Archonten” (NHC II, 4); 3) im Apokryphon des Johannes (NHC II, 1; NHC III, 1; NHC IV, 1); 4) in der Adamapokalypse (NCH V, 5) und 5) im Ägypter-evangelium (NHC III, 2; NHC IV, 2).877 Es ist sicher, dass alle diese Berichte sich auf die Erzählung der Genesis beziehen und inhaltlich die Paraphrase des ersten Teils der Genesis sind878, aber die formkritische Erfassung kann fragen: wie muss man diese Texte klassifizieren?

Sind sie „Genesis-Targume” oder „Genesis-Midrasche” oder „haggadische Nacherzählungen”

?879

Am ausführlichesten stellt die Schöpfungsgeschichte die titellose Schrift des Codex II dar.

Diese Darstellung befolgt im Grundzügen die Geschischte der Genesis, aber beginnt bevor Himmel und die Erde geschaffen wurden.880 Nach dem titellosen Schrift entstand zuerst aus der Natur (physis) der Unsterblichen „ein Abbild aus der Pistis, das Sophia genannt wurde”.881 Es wurde zu einem Werk, das dem zuerst existierenden Licht glich.882. Danach entstanden die Materie883 und danach ein mannweiblicher Archon (Demiurg), löwenartig im Aussehend884, der Jaldabaoth885 oder Ariael heißt. Dieser Archon schuf aus der Materie sich selbst einen Wohnsitz, und nannte ihn „Himmel” und machte auch einen Fußschemel, und nannte ihn „Erde”.886 Danach schuf der Demiurg sechs Mächte: Jao (deren „weiblicher Name” „Herrschaft” ist), Sabaoth („die Göttlichkeit”),Adonaios („das Königreich”),Eloaios („der Neid”),Oraios („der Reichtum”), Astaphaios („die Weisheit” = Sophia) 887; auch sie sind mannweiblich.888 Jaldabaoth schuf auch

877 Böhlig, Der jüdische und judenchristliche Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, 119. TRÖGER hat die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi nach der Herkunft zu verschiedenen Gruppen geteilt. Nach seiner Klassifikation gehört die Schrift ohne Titel unter die gnostischen Schriften, die ihrem Wesen nach nichtchristlich sind, aber christliche Elemente enthalten. Das Apokryphon des Johannes und das Ägypter-Evangelium gehören TRÖGERs Meinung nach unter den Schriften, die vorchristliche sind und die Adamapokalypse gehört unter die nichtchristlich-gnostischen Schriften (Tröger, Einführung: Zum gegenwärtigen Stand der Gnosis- und Nag-Hammadi-Forschung, 21).

878 Schenke, Das Problem der Beziehung zwischen Judentum und Gnosis, 126–127.

879 Schenk, Textverarbeitung in Frühjudentum, Frühkirche und Gnosis, 299–300.

880 Vgl. auch NHC II, 1.

881 Vgl. Spr 8, 22 nach LXX, wo die Weisheit sagt: k¥rioq ‘ktis™n me ΩrxÓn ∏d©n aªto† e˝q ‘rga aªto†.

882 NHC II, 5, 98. Vgl. Gen 1, 3. BÖHLIG führt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass dieses Licht auch in den jüdischen Überlieferungen wichtig ist. Nach jüdischer Tradition wurde es von Gott alsbald zurückgezogen und für die verstorbenen Gerechten im Garten Eden aufbewahrt oder für die kommende Welt (Böhlig, Der jüdische und judenchristliche Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, 120). Aber schon in Sap 7, 29–30 und bei Aristobul wird die Weisheit und das Urlicht gleichgesetzt (S. 2. 3.).

883 NHC II, 5, 99.

884 Nach NHC II, 1, 25. 5 sieht er aus als ein löwengeschichtiges Drache. Aus Ägypten hat man solche

Zaubergemmen (sogenannte Abrasaxgemmen) gefunden, die als eine sich auf ihrem Schwanz aufrichtende Schlange mit einem von Sonnenstrahlen umgebenen Löwenkopf dargestellt ist (S. Bild im ADOLF ERMANs Buch „Die ägyptische Religion“, Berlin 1909, S. 250). Sein Name, Chnubis oder Chnumis, wie er auf den Steinen genannt wird, stammt von einem alten ägyptischen Gott, den wir aus astrologischen Auffassungen gut kennen; die Zauberpapyri erwähnen ihn nicht, seine Rolle scheint sich auf die eines Heilers von Magenschmerzen zu beschränken, eine Aufgabe, die bereits dem löwenköpfigen Genius zukam (Schwartz, Jacques, Papyri Magicae Graecae und magische Gemmen. In: Vermaseren, Maarten J. (Herausgeber). Die orientalischen Religionen im Römerreich (OrRR). E. J. Brill, Leiden 1981, 492).

885 NHC II, 5, 100. Vgl. NHC II, 1, 10. 1 ff.

886 NHC II, 5. 101. Vgl. Gen 1, 1.

887 Vgl. NHC II, 1, 11. 25: Athoth, Eloaiou, Astaphaios, Jao, Sabaoth, Adonin, Sabbede. Die Ophiten lehrten nach ORIGENES (Contra Celsum VI 30), dass die Seele den „Zaun der Bosheit, die in Ewigkeit gebundenen Tore der

sechs Himmel für jeden seiner Söhne als Wohnorte.889 Danach sagte Jaldabaoth: „I do not need anything. I am god and no other one exists except me” 890 Aber dann, als Pistis die Gottlosigkeit des großen Archon sah, wurde sie vom Zorn erfüllt und sagte:

You err, Samael. An enlightened, immortal man exists before you. This will appear within your molded bodies. He will trample upon you like potter’s clay, <which> is trampled. And you will go with those who are yours down to your mother, the abyss. For in the consummation of your works all of the deficienty which appeared in the truth will be dissolved. And it will cease, and it will be like that which did not come into being.”891

Als Sabaoth, der Sohn Jaldabaoths, die Stimme der Pistis hörte, pries er sie, denn sie hatte sie über den unsterblichen Menschen und sein Licht belehrt.892 Als nun Sabaoth erleuchtet war, empfing er große Macht gegen alle Gewalten des Chaos. Er haßte seinen Vater, die Finsternis, und seine Mutter, den Abgrund. Wegen seines Lichtes waren alle Mächte des Chaos neidisch auf ihn. Und als sie in Bestürzung geraten waren, machten sie einen großen Krieg in den sieben Himmeln. Als Sophia diesen Krieg gesehen hatte, sandte sie sieben Erzengel zu Sabaoth von ihrem Licht aus. Sie entrückten ihn bis in den siebten Himmel hinauf. Sabaoth hatte den Ort der Ruhe in Empfang genommen als Antwort für seine Buße. Da schuf Sabaoth sich zuerst einen Wohnohrt893 und vor seinem Wohnort einen Thron, der sich auf einem viergesichtigen Wagen, genannt Cherub, befand.894 Der Cherub hatte acht Formen an jeder der vier Ecken, Löwen-Formen und Rinder-Löwen-Formen und Menschen-Löwen-Formen und Adler-Löwen-Formen, so daß alle Löwen-Formen

Archonten“ zu durchlaufen habe. An jedem der sieben Tore wehrt ein Archont der Seele den Eintritt, wenn sie nicht das Losungswort kennt, d. h. eine lange Formel hersagen kann. Die Namen der Archonten sind Ialdabaoth, Iao, Sabaoth, Adonaios, Astaphaios, Aiolaios, Horaios (Nilsson, Martin P. Geschichte der griechischen Religion.

Zweiter Band. Die hellenistische und römische Zeit. Handbuch der Altertumswissenschaft. Herausgegeben von Walter Otto. Fünfte Abteilung. Zweiter Teil. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung München MCML, 592). Diese Namen begegnen wir auf den magischen Gemmen und in den magischen Zauberpapyri aus Ägypten. Iao ist schon vor dem Anfang des christlichen Zeitalters bei Diodor von Sizilien belegt und begegnet oft auf den Gemmen und in den Zuberpapyri neben dem Namen Sabaoth. Dessen Suffix -aoth diente in der gnostischen Sekte der Ophiten dazu, Namen von Mächten zu bilden, zum Beispiel den Namen des Ialdabaoth. Diese Ophiten sollen älter sein als das gnostische System von Valentinus, der um die Mitte des 2. Jh.s n. Chr. lange Zeit in Rom lebte und dem man die Benutzung der Magie nicht vorwerfen kann. Später findet man unter den Zauberwörtern eine zahlreiche Gruppe von Namen auf -aoth und auf -oth (Nachbildungen von Sabaoth oder auch vom Namen des ägyptischen Gottes Thoth) (Schwartz, Papyri Magicae Graecae und magische Gemmen, 501). Was die übrigen Glaubensvorstellungen, die in den Papyri erscheinen, betrifft, so beziehen sich sich auf die ägyptische Religion, die der semitischen Völker (an erster Stelle der Juden), das griechisch-römische Heidentum und die Gnosis. Wegen der Tendenz der Magier zum Synkretismus läßt sich der Anteil der unterschiedlichen Religionen schwer abgrenzen (Schwartz, op. cit., 499). Das jüdischer Element hat in der Magie sehr wichtige Rolle gespielt. JAQUES SCHWARTZ schreibt: „Die Macht des biblischen Gottes mußte logischerweise erstrebt werden und allen anderen Kräften, deren sich der Magier bedient, hinzugefügt werden. Es galt nicht, „offizielle“ Texte zu gebrauchen, sondern vielmehr sich die unterirdischen Strömungen innerhalb des Judentums zunutze zu machen. Die jüdische Mystik hat sich zu spät entwickelt, um in Ägypten einen Einfluß ausüben zu können, es sei denn auf dem Seitenweg des Gnostizismus im Bereich der Kosmogonie. So zeigt sich der direkte Einfluß eigentlich nur in der „klassischen“ Verwendung von Adonai und Sabaoth und in der weniger „klassischen“ von Iao, die dem Gottestetragramm entspricht. Später werden die beiden letzten Namen mehr oder weniger abweichende Formen annehmen, vielleicht unter dem Einfluß der Gnosis, und weil dies zum Spiel des Zauberers gehörte“ (Schwartz, op. cit., 500–501). Über Iao s. noch: De Vaux, Roland. The Early History of Israel to the Exodus and covenant of Sinai. Vol. I Darton, Longman & Todd, London 1978, 340–341.

888 NHC II, 5, 101.

889 NHC II, 5, 102.

890 NHC II, 5, 103. Vgl. Jes 45, 5. Vgl. auch NHC II, 1, 11. 25.

891 NHC II, 5, 103.

892 NHC II, 5, 103–104.

893 NHC II, 5, 104.

894 Vgl. Ez 1, 4–28. 10.

zusammen vierundsechzig Formen ergeben und er erschuf sieben Erzengel, die vor ihm stehen.

Sabaoth erschuf auch jenem Thron andere, drachenähnliche Engel – Seraphim, welche ihm allzeit Lobpreis darbringen.895 Als nun Jaldabaoth seinen Sohn Sabaoth sah und Herrlichkeit, in der er war, wurde er neidisch auf ihn.896 Aber wie Sabaoth, so hörte auch Jaldabaoth die Stimme der Pistis. Deswegen wurde er sehr betrübt. Er war beschämt wegen seines Fehltritts und als er in Wahrheit zur Erkenntnis gelangt war, daß ein unsterblicher Mensch des Lichtes vor ihm existierte, geriet er in große Erschütterung und er sagte: „If897 someone exists before me, let him appear so that we might see his light.” Und sofort kam ein Licht aus dem achten Himmel oben und durchquerte alle Himmel der Erde. Als jenes Licht in Erscheinung trat, offenbarte sich ein menschliches Bild in ihm.898 Das war der „Adam des Lichtes”. Er blieb auf der Erde ungefähr zwei Tage und ging hinauf zu seinem Licht.899 Danach versuchten sieben Archonten aus der Erde900 nach dem Abbild des Adams des Lichtes den irdischen Menschen zu schaffen.901 Aber Sophia kam ihnen zuvor und machte ihren eigenen Menschen nach ihren eigenen Bild. Er war ein mannweiblicher (androgyner) Mensch.902 Danach schufen die sieben Archonten ihren Menschen, wobei sein Körper ihrem Körper glich, sein Abbild aber dem himmlischen Menschen glich, der sich ihnen offenbart hatte. Er wurde Adam genannt.903 Als Adam vollendet war, legte er ihn hin wie ein Gefäß, weil er eine Form wie eine Fehlgeburt empfangen hatte, da kein Geist in ihm war. Sophia Zoe sandte ihren Atem in Adam hinein und er begann, sich auf der Erde zu bewegen, aber er konnte sich nicht erheben.904 Als die Archonten sahen, daß Adam sich nicht erheben konnte, freuten sie sich, nahmen Adam und setzten ihn in das Paradies.905 Da gab Sophias Tochter Zoe ihm das Leben und er erwachte.906

Im Schöpfungsbericht von titellosen Schrift begegnen wir viele interessante Motive, die im AT und in jüdischen Überlieferungen die Parallelen haben. So erwähnt man hier am Anfang der Welt grenzenlose Finsternis und grundloses Wasser, die wir auch im Gen 1, 2 begegnen.907 Hier

895 NHC II, 5, 105. Vgl. Js 6, 2.

896 NHC II, 5, 106.

897 NHC II, 5, 107.

898 NHC II, 5, 108.

899 NHC II, 5, 111.

900 Vgl. Gen 2, 7.

901 NHC II, 5, 112. Vgl. Gen 1, 27.

902 NHC II, 5, 113. BÖHLIG führt Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass auch die jüdische Tradition die

Erschaffung des Adam als Androgyne kennt. Diese Auffassung von Adam findet sich in der Adamapokalypse, wenn es dort heisst: „Da trennte uns (Adam und Eva) der Gott, der Archon der Äonen und der Kräfte, im Zorn. Da wurden wir zu zwei Äonen“ (NHC V, 5, 64, 20 f.) (Böhlig, Der jüdische und judenchristliche Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, 120). Vgl. Plato, Symposion, 189 D ff, bes. 190 D, wo die Götter von einer Androgyne zum einem Mann und einer Frau zu teilen. Das ist noch ein gutes Beispiel dafür, wie die Gnostiker zu ihren eigenen Zwecken die ältere Überlieferungen benutzt haben.

903 NHC II, 5, 115

904 NHC II, 5, 115. Vgl. Gen 2, 7. Auch Gnostiker Saturninus (in Antiochien etwa 150) erzählte, wie unsere Welt von den sieben Erzengeln (= sieben Planeten) geschaffen worden. Da offenbarte der Unbekannte Gott sein leuchtendes Bild (die Glorie des himmlischen Adamas). Die Weltschöpfer versuchten, diesen Anthropos fest zu halten, aber vermochten es nicht, weil er unmittelbar wieder nach oben eilte. Daraufhin bildeten diese

Planetargeister einen menschlichen Körper, den irdischen Adam, nach dem Bilde des himmlischen Anthropos. Aber dieses Gebilde konnte sich nicht erheben und kroch auf der Erde wie ein Wurm. Da bemitleidete der himmlische Lichtmensch den ohnmächtigen Erd-mann und sandte ihm den Lebensfunken, welcher ihn aufrichtete und lebendig machte. Dieser Funke eilt beim Tode zurück zu seinem Ursprung. Der Leib wird in seine Bestandteile aufgelöst. S.

Quispel, Gnosis, 418).

905 NHC II, 5, 115. Vgl. Gen 2, 8.

906 HHC II, 5, 116.

907 NHC II, 5, 98, 25.

erwähnt man auch einen Geist, der sich auf den Wasser hin und her bewegte.908 Man erzählt auch über die Erschaffung der Pflanzen909, der Tiere910 und die Himmelkörper.911 Es ist sicher, das hinter den Gestalten Jaldabaoth und Sabaoth der Schöpfergott des AT steht. Die sieben Erzengel912 stammen aus der Apokalyptik913 und wir begegnen hier auch der Merkabah-Vorstellung914, die auch in der Apokalyptik und in der rabbinischen Literatur vorkommt. In der titellosen Schrift befindet sich nur ein interessantes Motiv: der zweite Mensch entsteht aus dem Wasser und wird von den Mächten ein „Tier” genannt.915 Nach BÖHLIG geht vielleicht die gnostische Spielerei, die havva, hevja, havja und hejva zusammenbringt, nicht nur auf die Bemühung um eine Umschreibung des Wortes „Schlange” zurück, sondern zugleich zurück auf die Erinnerung an die Meeresschlange Leviathan und die Behemoth, die am 5. Tage geschaffen wurden und deshalb als Wassertiere galten. BÖHLIGs Meinung nach ist es bei der stark ophitisch beeinflussten Gedankenbildung des Textes der titellosen Schrift nicht uninteressant, dass Leviathan im ophitischen Diagramm als Seele des Alls bezeichnet wird. Auch im Judentum hat der Leviathan nach TRÖGER eine ähnliche Aufgabe wie bei den Ophiten, wenn er deshalb über der Urtiefe lagert, damit diese nicht aufsteigen und die Welt vernichten kann. Auch im gnostischen Text ist die Erschaffung des 2. Menschen ein Stoss gegen den Angriff der Finsternis.916 Der Umstand, dass in der titellosen Schrift westaramäische Wortspiele zu finden sind, lässt nach BÖHLIGs Meninug darauf schliessen, dass dieses Traditionsgut aus Syrien-Palästina stammt.917

Ich habe diese Erzählung so ausfürlich referiert, weil sie viele Parallele in der alttestamentlichen-, gnostischen-, patistischen- und in der außerbiblischen jüdischen Literatur haben. Die nähste Parallele finden wir im Apokryphon des Johannes, worauf schon mehrmals hingewiesen wurde. Wie nach dem „titellosen Schrift” Sophia, so entstand auch nach dem Apokryphon des Johannes zuerst ein Wesen, der den weiblicher Aspekt des Vaters repräsentiert – die Barbelo, die eine Art gnostischer Muttergottheit ist.918; auch hier begegnen wir dem Demiurg Jaldabaoth, der seine Mächte erschafft, die meistens dieselben Namen tragen wie die Archonten in der titellosen Schrift919; auch hier schaffen die Archonten den Mensch nach dem Bild des Gottes920 und bekommt den Geist921. Außer der Literatur von Nag-Hammadi begegnen wir diesen Motiven der Schöpfungsgeschichte von Welt und Mensch in der Genesis bei den

Ich habe diese Erzählung so ausfürlich referiert, weil sie viele Parallele in der alttestamentlichen-, gnostischen-, patistischen- und in der außerbiblischen jüdischen Literatur haben. Die nähste Parallele finden wir im Apokryphon des Johannes, worauf schon mehrmals hingewiesen wurde. Wie nach dem „titellosen Schrift” Sophia, so entstand auch nach dem Apokryphon des Johannes zuerst ein Wesen, der den weiblicher Aspekt des Vaters repräsentiert – die Barbelo, die eine Art gnostischer Muttergottheit ist.918; auch hier begegnen wir dem Demiurg Jaldabaoth, der seine Mächte erschafft, die meistens dieselben Namen tragen wie die Archonten in der titellosen Schrift919; auch hier schaffen die Archonten den Mensch nach dem Bild des Gottes920 und bekommt den Geist921. Außer der Literatur von Nag-Hammadi begegnen wir diesen Motiven der Schöpfungsgeschichte von Welt und Mensch in der Genesis bei den