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4. Diskussion

4.1. Zusammenfassung der Ergebnisse

Auf der Verhaltensebene führte das sechswöchige Videotraining in allen outcome-Parametern (WMFT, NHPT, MAL und SIS) zu signifikanten Verbesserungen. Auch die Text-Gruppe verbesserte sich signifikant im WMFT und MAL, obwohl sie bereits vor Studienbeginn bei allen Untersuchungen schlechter abschnitt als die beiden anderen Gruppen. Die Verbesserung im NHPT wurde allerdings nicht signifikant (z = -0.966, p<0.334). Auch auf der SIS zeigte die Text-Gruppe keine Veränderungen (F(1,18)=0.000, p<0.986). Im Gegensatz zu den beiden übenden Gruppen zeigte die nicht trainierende „usual care“-Gruppe – ausser beim WMFT3 – keine Verbesserungen.

Auch auf neurophysiologischer Ebene offenbarte sich ein ähnliches Muster. Dabei zeigten sich in der Video-Gruppe trainingsinduzierte (vor vs. nach Training) Veränderungen in einem Netzwerk aus visuellen, somatosensiblen und motorischen

3Der WMFT scheint allerdings kein Evaluationskriterium zu sein, in dem sich

trainingbedingte Veränderungen spezifisch niederschlagen. Daher wird es nicht als geeignetes

Evaluationskriterium erachtet. Eine nähere Diskussion dieser Test-Ergebnisse findet sich im Abschn. 4.4.

Arealen und Kontrollstrukturen. Die Veränderungen waren in der Text-Gruppe deutlich weniger ausgeprägt und in der „usual care“-Gruppe gar nicht zu beobachten.

4.2. Verhaltensdaten

Wirkung des Videotrainings

In der vorliegenden Studie führte das Videotraining, eine Kombination aus Bewegungsbeobachtung und repetitiver physischer Übung, zu einer Verbesserung der Symptomatik willkürmotorisch beeinträchtigter Patienten nach einem Schlaganfall.

Diese symptomlindernde Wirkung lässt sich mit allen verwendeten klinischen Messverfahren erfassen: sowohl den objektiven Tests WMFT und NHPT, als auch den subjektiven Skalen MAL und SIS. Dies spricht eindeutig zum einen für die objektive Messbarkeit und Signifikanz des Trainingseffekts. Zum anderen deutet es auf die Wahrnehmbarkeit der Auswirkung auf die individuelle Erlebniswelt der einzelnen Patienten. An dieser Stelle soll auch auf den Alltagsbezug des MAL und der SIS hingewiesen werden. Im Gegensatz zu den beiden laborbasierten Leistungstests WMFT und NHPT, erfassen MAL und SIS den tatsächlichen Gebrauch im täglichen Leben gesondert von der motorischen Fähigkeit des Armes. Denn innerhalb eines Labors weist der motorische Status eines Schlaganfallpatienten oft erhebliche Divergenzen im Vergleich zu dem, wöfür und wie oft die Patienten ihn in der Tat im Alltag einsetzten, auf. (Andrews & Stewart, 1979; Uswatte et al., 2003) Dieser Therapie-Effekt scheint auch (zumindest nach dem subjektiven Empfinden der Probanden) ca. ein Jahr später erhalten zu bleiben (MAL). Er führt sogar zu weiterer Minderung sozialer, emotionaler, kognitiver und motorischer Beeinträchtigungen in Folge des Schlaganfalls (SIS-pre:

MW=669.67, SIS-post: MW=730.63) bei Teilnehmern der Video-Gruppe. Allerdings ist dabei zu beachten, daß diese Aussage lediglich auf den beiden Fragebögen und vor allem auf einer kleineren Stichprobe basiert.

Diese Befunde stehen im Einklang mit denen von Ertelt und seinen Kollegen. Sie hatten bereits an einer kleineren Stichprobe von acht Probanden in einer Interventionsstudie die symptomlindernde Wirkung der Kombination von Bewegungsbeobachtung und physischer Übung aufgezeigt. Die therapeutischen Settings hatten jedoch in einem Labor, unter streng experimentell-wissenschaftlich standardisierten und kontrollierten

Bedingungen, stattgefunden. Daher hatten sie einen geringen Generalisierungs- und Validitätsgrad. Mit unserer Feldstudie konnten wir die Ergebnisse von Ertelt et al.

(2007) hinsichtlich der Effektivität des Videotrainings in Form eines selbständigen heimbasierten Trainings an einer wesentlich größeren Stichprobe von 19 Patienten replizieren. Zusätzlich konnten wir die Langzeitstabilität der erzielten Verbesserungen nach einem Jahr aufzeigen.

Vergleich Video- vs. Text-Gruppe

Ein weiteres wesentliches Ziel dieser Studie war es, die dem Videotraining zugrundeliegende spezifische Wirkweise im Vergleich zu anderen übenden Verfahren hervorzuheben. Bereits Ertelt und seinen Kollegen hatten in Ihrer Studie die Beobachtung von alltagsrelevanten Bewegungen in Abwechslung mit deren aktiven Übung (Experimentalgruppe) gegen ausschliessliche physische Übung identischer Aufgaben (Kontrollgruppe) verglichen. Im Gegensatz zu der Experimentalgruppe fanden sie bei der Kontrollgruppe jedoch keine Veränderungen zwischen den beiden Messzeitpunkten in den verwendeten Testverfahren (WMFT, SIS und FAT (Frenchay Arm Test)).

Auch in unserer Studie zeichnet sich eine Überlegenheit der Video-Gruppe gegenüber der Text-Gruppe ab: insbesondere bei der subjektiven Einschätzung der durch den Schlaganfall bedingten Auswirkungen auf der SIS, aber auch im signifikanten Gruppenunterschied bei der POST-Messung auf der QoM-Skala des MALs und im NHPT, in dem einzig die Video-Gruppe eine signifikante Verbesserung der betroffenen Handfunktion erfuhr. Allerdings finden wir in unserer Studie auch bei der nach schriftlichen Instruktionen übenden Gruppe (Text-Gruppe) signifikante Verbesserungen im WMFT und MAL, und nicht signifikante im NHPT.

Angesichts der Tatsache, daß auch die Text-Gruppe täglich ein intensives Training von ca. einer Stunde durchführte, erscheint unser Ergebnis sogar weniger überraschend. Es entspricht auch durchaus der gängigen Literaturlage zur motorischen Rehabilitation der oberen Extremität nach Schlaganfall hinsichtlich des intensiven repetitiven aufgabenorientierten Trainings (Aichner et al., 2002; Butefisch et al., 1995; Diener &

Putzki, 2008; Dombovy, 2004; Shepherd, 2001). So führen beispielsweise Woldag und Hummelsheim (2002) in Ihrem Übersichtsartikel zahlreiche Studien an, die gezeigt

haben, daß wiederholte motorische Übung und motorische Aktivität in einer realen alltäglichen Umgebung vorteilhaft für die motorische Erholung in Schlaganfalls-Patienten sind. Nelles gibt 2004 einen Überblick darüber, wie intensives Training die kortikale Reorganisation nach Schlaganfällen moduliert, die auch mit einer Erholung der Handfunktion einhergeht. Er betrachtet das intensive und strukturierte Training als ein Schlüsselelement der spezialisierten Schlaganfalls-Rehabilitation (Nelles, 2004).

Auch Oujamaa und seine Kollegen (Oujamaa et al., 2009) sind der Meinung, daß Schlaganfalls-Rehabilitations-Programme auf aufgabenorientierten repetitiven Training basieren, um positive funktionelle Ergebnisse sicherzustellen.

Ein weiterer Grund für die Verbesserung der Text-Gruppe könnte darin bestehen, daß neben dem repetitiven motorischen Üben noch weitere Elemente, wie beispielsweise Bewegungsvorstellung, zur Funktionsverbesserung beigetragen haben. Es ist denkbar, daß bereits beim Lesen von handlungsbezogenen Instruktionen automatisch eine mentale Vorstellung davon generiert wird, bzw. die Umsetzung der schriftlichen Instruktion in eine reale Bewegungsausführung die mentale Vorstellung dieser als Zwischenschritt erfordert.

Zusammenfassend zeigt sich, daß die Unterschiede zwischen den beiden übenden Gruppen unserer Studie zwar bei weitem nicht so stark ausgeprägt sind wie bei Ertelt, dennoch sprechen auch unsere Daten für einen geringfügigen Vorteil des Videotrainings gegenüber dem Üben nach schriftlicher Instruktion.

Videotraining vs. „usual care“

Weiterhin stellte sich die Frage, ob und inwiefern die Verbesserung der Willkürmotorik wirklich trainingsspezifisch war oder eher auf andere (zusätzliche) Therapien zurückzuführen wäre, beziehungsweise anderweitig erklärt werden könnte. Um dieser Frage nachzugehen wurden die Daten der „usual care“-Gruppe erhoben und mit der Video-Gruppe verglichen. Wenn man die Ergebnisse des WMFT ausser Acht lässt4, dann zeigte die „usual care“-Gruppe auf keiner der drei Skalen signifikante Veränderungen und sogar keine, bzw. kaum Verbesserungen überhaupt. Sie unterschied sich auch nicht signifikant von den anderen Gruppen hinsichtlich der im Untersuchungszeitraum erhaltenen konventionellen Therapien (hauptsächlich Physio-

4 Eine nähere Diskussion dieser Test-Ergebnisse ist im Abschn. 4.4. zu finden.

und Ergotherapie). Dies kann dahingehend interpretiert werden, daß die konventionellen Therapien im häuslichen Setting alleine keine messbaren Verbesserungen bewirkt haben. Ohne zusätzliches intensives Training (von beispielsweise täglich einer Stunde) hat es keine Verbesserungen der willkürlichen Motorik gegeben. Zwar wären andere Erklärungsansätze denkbar – wie etwa die Spontanremission, Schweregrad der Parese, Alter – die die Besserungen der paretischen Hand erklären könnten. Doch erscheinen diese recht unwahrscheinlich angesichts der Tatsache, daß die Gruppen in dieser Studie hinsichtlich der klinischen und demographischen Parameter sich nicht signifikant von einander unterschieden haben.