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4. Diskussion

4.4. Kritische Würdigung

Abschliessend soll noch auf potenzielle methodische Einschränkungen der durchgeführten Untersuchung eingegangen werden. Hierbei werden Besonderheiten der Stichprobe und der Messinstrumente sowie mögliche Störgrößen angesprochen und zukünftige Verbesserungsmöglichkeiten vorgeschlagen.

Bei klinischen Untersuchungen und vor allem bei bildgebendenden Studien mittels fMRT tritt häufig das Problem der Stichprobengröße auf. Die Teilnahme vieler Patienten kommt oft aufgrund engmaschiger Ausschlusskriterien von vornherein nicht in Frage. Ausserdem sind nicht alle Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllen, zwangsläufig an einer Studienteilnahme interessiert. Es kann daher durchaus sehr lange dauern bis auch nur kleine Stichproben rekrutiert werden. Die Stichprobengröße in der vorliegenden Evaluationsstudie liegt mit N = 56 deutlich im oberen Bereich der neurologischen Rehabilitationsstudien mit bildgebendender Untersuchung der motorischen Restitution (vgl. Calautti , 2003).

Erschwerende Umstände ergeben sich darüber hinaus bei Langzeitstudien durch den drop-out von Patienten, die aus verschiedensten Gründen nicht mehr an der Studie teilnehmen können (s. Abschn. 2.1.). In unserer Studie lag die Abbruchquote mit vier Personen bei 6.67 %. Davon haben lediglich zwei Probanden die Studie auf deren Wunsch abgebrochen. Keiner der Abbrecher war in der Video-Gruppe. Dies kann dahingehend interpretiert werden, daß die Akzeptanz des Videotrainings bei unseren Studienteilnehmern ausgesprochen hoch war. Aus unserer Sicht ist es vor allem auf die für jeden Patienten vom Ergotherapeuten individuell zusammengestellten Übungssets zurückzuführen. Um jedoch die Akzeptanz des Videotrainings richtig beurteilen zu können, wäre zukünftig eine Dokumentation der Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten, aber die Teilnahme an der Studie verweigerten, empfehlenswert. Außerdem bedarf es der Durchführung von Verweigerer- und Drop-out-Analysen und somit der Untersuchung einer möglichen Selektivität der Stichprobe zur sicheren Interpretation der Studienergebnisse.

In der vorliegenden Untersuchung wurden die Patienten den drei Gruppen randomisiert zugeordnet. Dieses Vorgehen barg jedoch die Gefahr, daß die Gruppen zufälligerweise sich hinsichtlich relevanter medizinischer oder soziodemografischer Merkmale hätten

unterscheiden können. Folgedessen wäre die Interpretation der Studienergebnisse erschwert oder gar nicht möglich gewesen. Aufgrund der niedrigen Probandenzahl war jedoch eine kontrollierte Gruppenrandomisierung bei dieser Studie nicht realisierbar.

Für künftige Studien mit größeren Fallzahlen würde es sich jedoch empfehlen die Gruppenzuordnung teilrandomisiert vorzunehmen und nach möglichen Störgrößen (wie beispielsweise Schweregrad der Parese, Läsionseigenschaften (lokalisation und -größe), Infarktdauer, usw.) zu kontrollieren.

Des Weiteren wählten wir in unserer Studie die Probanden nach dem Behandlungsbedarf der paretischen Hand, also auf behavioraler Ebene, und nicht gezielt nach einem heterogenen Läsionsmuster auf neuronaler Ebene, aus. Für dieses Vorgehen haben wir uns entschieden, weil die Studienstichprobe möglichst authentisch die potentiellen Videotherapie-Patienten repräsentieren, und die gegenwärtige Vorgehensweise bei der motorischen Rehabilitation nach einem Schlaganfall wiederspiegeln sollte. Die damit verbundene hohe Validität und vor allem auch Generalisierbarkeit der Verhaltensdaten auf der einen Seite, ging allerdings mit geringer Standardisierung der funktionell bildgebenden Daten auf der anderen Seite einher. Dies äusserte sich entsprechend bei unseren Probanden in einem sehr heterogenen Bild der Läsionen (Lokalisation und Größe der Läsion, Infarktseite und deren Dominanz). Ferner hatte es wahrscheinlich auch viele individuell unterschiedliche Aktivitäts- und vor allem Reorganisationsmustern zur Folge (Luft et al., 2004b). Für eine gezieltere Untersuchung der neuronalen Reorganisationsprozesse infolge des Videotrainings wäre eine Anpassung der Gruppenstichproben hinsichtlich des Ausmasses und der Lokalisation der Läsionen auf jeden Fall von grossem Vorteil.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß bei der Auswertung der fMRT-Daten auf Gruppenebene die Bilder der Patienten mit rechtsseitiger Läsion an der mittleren sagittalen Linie geflippt wurden, so daß bei allen Patienten die läsionierte Hemisphäre jeweils links abgebildet wurde. Dieser Ansatz wird oft bei Untersuchungen des motorischen Systems bei Schlaganfallpatienten mit der Lokalisation der Läsionen auf unterschiedlichen Seiten angewandt. Es ist eine angemessene Approximation, um solche Regionen wie den sensorimotorischen und den prämotorischen Kortex sowie das Cerebellum zu betrachten, weil diese Teile des motorischen Systems in Abhängigkeit von der verwendeten Hand lateralisiert aktiviert werden (Ward et al., 2004). Zu bedenken wäre dabei allerdings, daß es durchaus auch Regionen gibt (wie

beispielsweise den linken und rechten parietalen Kortex, Rushworth et al., 2001) die in einem normalen Gehirn unabhängig vom Handgebrauch unterschiedliche Funktionen haben könnten.

Eine weitere Einschränkung bei der Interpretation der bildgebenden Daten entsteht mangels einer Erhebung von Verhaltensdaten direkt im Scanner. Die naheliegendste Erklärung für die in der Video-Gruppe beobachteten Aktivitätsveränderungen auf der neuronalen Ebene, wäre zwar die Wirkung des Videotrainings. Es soll noch mal betont werden, daß wir davon ausgehen, daß diese Veränderungen der neuronalen Aktivität die motorischen Verbesserungen auf der Verhaltensebene wiederspiegeln. Da allerdings die motorische Performanz nicht direkt im Scanner erfasst wurde, kann es auch nicht ausgeschlossen werden, daß diese neuronalen Aktivitätsveränderungen lediglich ein weiteres Korrelat des Videotrainings darstellen. Dieses muss jedoch nicht zwingend im kausalen Zusammenhand mit der Verbesserung der Handmotorik stehen. Vor allem angesichts der Tatsache, daß die Probanden der Text-Gruppe ebenfalls täglich geübt und auch Funktionsverbesserungen auf Verhaltensebene gezeigt haben, wären bei ihnen demzufolge ebenfalls Aktivitätsveränderungen zu erwarten gewesen. Wir haben jedoch in der Text-Gruppe keinerlei Veränderungen der neuronalen Aktivität in motorischen Arealen gefunden. Es wäre daher auch durchaus denkbar, daß die in der Video-Gruppe beobachteten Aktivitätsveränderungen durch die Ähnlichkeit des im fMRT verwendeten Paradigmas mit dem Videotraining bedingt sein könnten. Im MRT wurde ein visuelles Paradigma eingesetzt, bei dem die Probanden Videos mit objektbezogenen Greifbewegungen zu sehen bekamen. Diese Stimuli – es waren objektbezogene alltägliche Handbewegungen – glichen vom Prinzip her den im Rahmen des Videotrainings dargebotenen Übungsvideos. Die Teilnehmer der Video-Gruppe könnten hinsichtlich dieser Stimulation eine gewisse Expertise erlangt haben, die den Probanden der beiden anderen Gruppen fehlte. Um diese Erklärungsansätze auszuschliessen, wäre zukünftig die Erfassung der motorischen Performanz direkt im Scanner empfehlenswert. Allerdings müssten dann auch weitere, dadurch verursachte Störgrößen, wie beispielsweise Bewegungsartefakte, in Kauf genommen werden.

In Bezug auf die verwendeten Messinstrumente soll an dieser Stelle der Wolf Motor Function Test (WMFT) kritisch betrachtet und diskutiert werden. Der Test wurde zur Beurteilung motorischer Fähigkeiten hinsichtlich der beiden Merkmale Bewegungsqualität und die dafür erforderliche Zeit eingesetzt. Während die

Zeiterfassung von Versuchsleitern direkt erfolgte, wurde die Ausführung der einzelnen Aufgaben zunächst auf Video aufgenommen. Die Aufnahme wurde zu einem späteren Zeitpunkt bezüglich der Bewegungsqualität von einem Physiotherapeuten verblindet ausgewertet. Der rater wusste also weder die Gruppenzugehörigkeit der Probanden, noch den jeweiligen Messzeitpunkt (PRE oder POST) der Aufnahmen. Als Ergebnis zeigte der WMFTs auf beiden Skalen signifikante Verbesserungen und zwar bei allen drei Gruppen. Dies erscheint insofern etwas überraschend und erstaunlich, da zumindest bei der „usual care“-Gruppe sonst kein anderes Messinstrument, weder der NHPT, noch die subjektiven Skalen MAL und SIS, nicht einmal auf deskriptiver Ebene eine Verbesserung angezeigt haben. Das Ergebnis wirft ausserdem Zweifel an seiner Richtigkeit auf, weil alle drei Gruppen nahezu identische Verbesserungen erfahren haben sollen (auch hier wieder sowohl auf der Qualitäts- als auch auf der Zeitskala).

Dies lässt daher einen Verdacht auf einen Messwiederholungsbias aufkommen. In zukünftigen Studien könnte dem durch eine bessere Schulung und die Hinzunahme eines weiteren raters entgegengewirkt werden. Auch eine strengere Konstanthaltung der Umgebung bei den Videoaufnahmen sowie der äusseren Merkmale, wie beispielsweise der Kleidung der Probanden, welche Aufschlüsse über den Untersuchungszeitpunkt geben könnten, wären empfehlenswert. Zwar könnte sich die Retest-Reliabilität der Qualitätsbeurteilung womöglich steigern lassen, doch würden dadurch die Ergebnisse der Zeitskala nach wie vor sich nicht erklären lassen. Die Ergebnisse der Zeitskala sprechen eher dafür, daß der WMFT gegenüber den Veränderungen, die einzig durch das Videotraining erzielt werden, nicht sensitiv genug war. Der WMFT scheint somit kein Messinstrument zu sein, in dem sich trainingsbedingte Veränderungen spezifisch niederschlagen, und wird daher nicht als geeignetes Messinstrument erachtet, um durch Videotherapie erzielte Erfolge zu messen.

Um den Einfluss möglicher Störquellen in der Datenanalyse zu berücksichtigen, wurde eine Reihe an relevanten baseline-Parametern als Kontrollvariablen zu Beginn und im Verlauf der Untersuchung erfasst (s. Abschn. 2.4.). Dennoch sind während der Durchführung der Studie weitere Störgrößen aufgefallen, die unter Umständen die interne sowie externe Validität der Untersuchung einschränken könnten. Im Einzelnen könnten mangelnde Mitarbeit der Patienten im selbstständigen Training sowie der Therapieneinfluß der Zusatzbehandlungen mögliche Störgrößen darstellen. Das Training wurde selbständig zu Hause durchgeführt. Es unterlag somit keiner direkten

Kontrolle der Studienleitung. Somit läßt sich insuffiziente Mitarbeit bei dem täglichen heimbasierten Training nicht ausschliessen. Zwar dienten die telephonischen Kontakte sowie das Führen eines Trainingstagebuchs der Erfassung und Kontrolle des Trainings, doch basierten beide auf Selbstauskunft der Studienteilnehmer. Diese könnte jedoch beispielsweise sozialem Erwünschtheits-bias unterliegen. Zu berücksichtigen gilt weiterhin, daß uns bei der Endauswertung lediglich ca. die Hälfte der Trainingstagebücher vorlag. In den Tagebüchern wurden außerdem die Anzahl und Dauer zusätzlicher Therapien (in der Regel ambulante Physio- und/oder Ergotherapie), die ein Großteil der Patienten erhielt, erfaßt und ausgewertet. Dadurch wurde versucht zu berücksichtigen, daß v.a. die Intensität der Zusatztherapien einen entscheidenden Einfluß auf die motorischen Handfertigkeiten haben und somit mit den Ergebnissen der Videotherapie-Studie interagieren könnte. Jedoch auch diesbezüglich soll hier auf die geringe Anzahl der vorliegenden Daten kritisch hingewiesen werden.