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Neurophysiologische Korrelate des Videotrainings

4. Diskussion

4.3. Neurophysiologische Korrelate des Videotrainings

Aktivitätsveränderungen in der Video-Gruppe

Das Ziel der fMRT-Messungen war es, die durch das Videotraining erzielten Veränderungen der Hirnfunktion zu untersuchen. Hierfür wurden die Veränderungen der Aktivierungsmuster bei Bewegungsbeobachtung und bei Beobachtung und gleichzeitiger Vorstellung analysiert. Bei der Video-Gruppe fanden wir sowohl Aktivitätsabnahmen als auch Aktivitätszunahmen in visuellen, somatosensiblen und motorischen Arealen als auch in frontalen Kontrollstrukturen.

Eine mögliche Erklärung für diese Ergebnisse könnte sein, daß beide Prozesse adaptive Veränderungen im menschlichen Gehirn in Folge des Schlaganfalls darstellen. Eine ganze Reihe an prospektiven Langzeituntersuchungen sind inzwischen der Frage nach der Beziehung zwischen Plastizitätsprozessen und Erholung motorischer Funktion sowie der Modulation kortikaler Reorganisation durch intensives Training mittels bildgebender Verfahren nachgegangen.

Ward und seine Kollegen (Ward et al., 2003) untersuchten in einer longitudinalen fMRT Studie an acht Schlaganfallpatienten die Beziehung zwischen der Erholung nach dem Schlaganfall und der aufgabenbezogenen Gehirnaktivität während einer motorischen Aufgabe – einer isometrisch dynamischen, visuell getriggerten Handgriff-Aufgabe. Dabei konnten sie – nach einer initialen Überaktivierung vieler motorischer Areale in den ersten zwei Wochen nach dem Schlaganfall – eine Fokussierung der

aufgabenbezogenen Aktivierungsmuster hin zum normal lateralisierten Muster beobachten. Sie fanden konsistente Aktivitätsabnahmen, über mehrere Messungen hinweg im primären motorischen Kortex, prämotorischen und präfrontalen Kortex, SMA, cingulärem Sulcus, Temporallappen, striärem Kortex, Cerebellum, Thalamus und den Basalganglien. Darüberhinaus korrelierten diese Aktivitätsabnahmen mit Erholung.

Sie wurden ausserdem bei der gesamten Patientengruppe beobachtet, und zwar unabhängig von dem Erholungsgrad oder dem anfänglichen Schweregrad der Parese.

Vier der acht untersuchten Schlaganfallpatienten zeigten jedoch auch erholungsbezogene Aktivitätszunahmen in unterschiedlichen Gehirnregionen, die allerdings keine konsistenten Effekte über die Gruppe ergaben.

Eine Arbeitsgruppe von J.C. Baron untersuchten mittels PET den zeitlichen Verlauf der Gehirnaktivität während einer Bewegung der betroffen Hand nach einem Schlaganfall (Calautti et al., 2001). Sie verglichen fünf rechtshändige Patienten mit einer rechtsseitigen Hemiparese mit einer Gruppe von sieben gesunden gleichaltrigen rechtshändigen Kontroll-Probanden. Die Testpersonen führten während der Untersuchung eine Daumen-Zeigefinger-Tippaufgabe durch. Dabei konnten Calautti und seine Kollegen Überaktivierungen in den kortikalen Handarealen und dem gesamten motorischen Netzwerk bilateral beobachten. Diese Überaktivierungen nahmen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt ab, ohne jedoch statistische Signifikanz zu erlangen. Nicht nur hinsichtlich der z-Werte, sondern auch in der räumlichen Ausdehnung verringerten sie sich in beiden Hemispheren, vor allem aber in der betroffenen. Gleichzeitig ging diese Überaktivierungsabnahme mit einer signifikanten motorischen Verbesserung einher. Des Weiteren konnten zu einem späteren Messzeitpunkt neue Überaktivierungen im ipsiläsionalen prefrontalen Arealen, Putamen und prämotorischen Kortex beobachtet werden. Die Autoren schlugen vor, daß in der betroffenen Hemisphäre eine reduzierte Rekrutierung der motorischen Netzwerke für diese Ergebnisse verantwortlich sein könnte. Ferner vermuteten sie, daß die ausschließlich beim zweiten Messzeitpunkt beobachteten präfrontalen, prämotorischen und putaminalen Überaktivierungen in der nicht betroffenen Hemisphäre, eine spät erscheinende kompensatorische Reorganisation darstellen könnten.

Abschließend kann man sagen, daß die früheren longitudinalen Studien immer wieder eine Fokussierung der aufgabenbezogenen Aktivitätsmuster gezeigt haben. Gleichzeitig haben sich diese Aktivierungen hin zur ipsiläsionalen Seite verlagert. Sie werden ferner

mit funktionaler Erholung assoziiert (Calautti & Baron, 2003; L.M. Carey et al., 2005;

Marshall et al., 2000; Ward, 2007). Dies spricht dafür, daß mit der Zeit immer weniger neuronale Rekrutierungen erforderlich sind, um die gleiche Aufgabe zu erledigen. Hier könnte auch eine Parallelle zu den Fokussierungen, die beim Lernen motorischer Fertigkeiten bei normalen Probanden zu beobachten sind, gezogen werden (Hikosaka et al., 2002). Zu beachten wäre allerdings, daß es auch Patienten gibt, die eine anhaltende und in keiner Relation zur motorischen Erholung stehende Rekrutierung der Aktivierungen zeigen (Feydy et al., 2002). Des Weiteren werden Aktivitätszunahmen vor allem mit therapieinduzierten Verbesserungen motorischer Fähigkeiten assoziiert (Calautti & Baron, 2003; J.R. Carey et al., 2002; Luft et al., 2004a; Nelles et al., 2001).

Allerdings ist es nicht eindeutig geklärt, was die Aktivitätszunahmen in den Therapie-Studien wirklich bedeuten. Denn es gibt bisher keinen direkten Beweis dafür, es ist lediglich denkbar, daß die Aktivitätszunahmen Verbesserungen der motorischen Performanz wiederspiegeln (Ward, 2007).

So führten beispielsweise Johansen-Berg und ihre Kollegen (Johansen-Berg et al., 2002) eine modifizierte CIMT-Studie an sieben chronischen Schlaganfallpatienten durch. Mittels fMRT identifizierten sie die funktionellen Veränderungen im Gehirn, die mit Verbesserungen der Handfunktion auf Verhaltensebene korrelierten. Als trainingsinduzierte Veränderungen verzeichneten sie vor allem aufgabenbezogene Aktivitätszunahmen im dorsalen prämotorischen und sekundären somatosensorischen Kortex kontralateral zu der betroffenen Hand und in den superior posterioren Regionen der bilateralen cerebellären Hemisphären (Crus I und Lobulus VI). Sie interpretierten ihre Ergebnisse dahingehend, daß die Veränderungen der Gehirnaktivität möglicherweise für die durch die Rehabilitation vermittelte Erholung der motorischen Funktion nach dem Schlaganfall verantwortlich wären.

Die Ergebnisse unserer Studie lassen sich in die der Therapie-Studien einreihen. Auch wir vermuten, daß die geänderte Rekrutierung sensorischer und motorischer Areale zur Erholung der Patienten nach dem Videotraining beigetragen hat. Die zusätzliche Rekrutierung visueller Areale und frontaler Kontroll-Strukturen könnte durch eine erhöhte visuomotorische Aufmerksamkeit hervorgerufen worden sein. Es ist denkbar, daß die beobachteten Aktivitätszunahmen eine Entwicklung kompensatorischer Netzwerke, um die motorische Erholung in Gang zu setzen, darstellen. Gleichzeitige

Aktivitätsabnahmen könnten dagegen aus der gesteigerten Effizienz der neuronalen Aktivität durch das Training resultieren.

Die Tatsache, daß wir bei uns ein dermassen heterogenes Muster an Aktvitätsveränderungen finden, kann unterschiedliche Ursachen haben und wird auf mehrere Gründe zurückzuführen sein:

• Das Reorganisationsmuster hängt auf jeden Fall von der Größe und der Lokalisation der anatomischen Läsion ab, was viele verschiedene Diskonnektionsmöglichkeiten zur Folge hat. In unserer Studie wurden die Probanden nach dem Behandlungsbedarf der paretischen Hand, also auf behavioraler Ebene, und nicht gezielt nach einem heterogenen Läsionsmuster auf neuronaler Ebene, ausgewählt. Daher zeigt sich bei unseren Testpersonen entsprechend ein sehr heterogenes Bild der Läsionen und somit wahrscheinlich auch an Aktivitäts- und vor allem Reorganisationsmustern (Luft et al., 2004b).

• Einen weiteren Einflussfaktor auf das beobachtbare Reorganisationsmuster stellt die Infarktdauer dar (Saur et al., 2006; Ward, 2007; Ward et al., 2003; 2004).

Die Patienten dieser Studie hatten sehr unterschiedliche Zeitpunkte der Reorganisation (Zeitpunkt nach Infarkt divergiert alleine schon in der Video-Gruppe von 6.5 Wochen bis 22 Jahre). Zwar befanden sich alle Probanden bereits im postakuten Stadium, jedoch kann erst ca. ein Jahr nach dem Schlaganfall von einem „stabilen“ reorganisierten Zustand der Patienten ausgegangen werden (Gerloff, 2010).

• Die Fähigkeit des restlichen motorischen Systems effizienter zu werden (und Verbesserungen der motorischen Funktionen zu bewirken) hängt sicherlich auch von einer Reihe weiterer Faktoren ab, wie beispielsweise der aktuellen medikamentösen Behandlung, dem prämorbiden Zustand des Gehirns oder dessen genetisch bedingten Plastizitätseigenschaften (Kleim et al., 2006; Kleim

& Jones, 2008). Aufgrund des Umfangs und Komplexität dieser Materie konnten und wurden alle diese Faktoren in dieser Studie nicht kontrolliert. Auch wenn wir davon ausgehen, daß bei der randomisierten Gruppen-Verteilung der Probanden diese Faktoren zu keinen Gruppeneffekten geführt haben dürften, so können wir letztendlich dennoch nicht ausschliessen, daß sie sich auf die

Homogenität der fMRT-Daten auch innerhalb der einzelnen Gruppen negativ ausgewirkt und Varianz in die Daten eingebracht haben.

Bemerkenswert bleibt dabei, daß die Aktivitätsveränderungen vor allem in der Video-Gruppe zu beobachten waren. Es gab keinerlei Veränderungen der neuronalen Aktivität zwischen der PRE und POST-Messung bei der „usual care“-Gruppe und auch kaum (und v.a. keine im motorischen System) bei der Text-Gruppe. Die Aktivitätsveränderungen der Video-Gruppe zeigten sich ebenfalls im direkten statistischen Vergleich zu den anderen Gruppen. Dieser Vergleich setzte allerdings voraus, daß die Gruppen von vornherein sich nicht unterscheiden durften. In der Tat liessen sich aber, zwar geringfügige, jedoch signifikante, Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen bereits bei der PRE-Messung feststellen. Diese Differenzen wurden beim Berechnen der Gruppenvergleiche (durch exklusives Maskieren) mit berücksichtigt, so daß die Ergebnisse des direkten Gruppenvergleichs auch tatsächlich ausschliesslich auf Unterschiede zwischen den Gruppen zurückgeführt werden können.

Bezugnehmend auf die bisher einzige Studie, die sich mit der kortikalen Plastizität bei Schlaganfallpatienten durch ein Videotraining beschäftigt hat, müssen wir jedoch sagen, daß wir die Ergebnisse von Ertelt und seinen Kollegen nicht replizieren konnten. Ertelt hatte unter Verwendung eines Objektmanipulationsparadigmas im fMRT gezeigt, daß es durch Bewegungsbeobachtung mit anschliessendem repetitivem Üben alltäglicher Handbewegungen zu einer gesteigerten Aktivität im Bereich des SNS kommt (Ertelt et al., 2007). Obwohl wir in unserer Studie mehr Probanden untersucht und ein Paradigma, das gezielt das SNS erfasst, verwendet haben, konnten wir zwar einen Trainingseffekt auf Verhaltensebene, jedoch keine funktionellen Veränderungen, i.e. keine Aktivitätsveränderungen speziell im SNS beobachten. Dies würde dafür sprechen, daß sich zwar jede Menge diverse Vorgänge, vor allem bei den Videotherapie-Patienten, abspielten – diese jedoch keine plastische Veränderung des SNS zur Folge hatten. Das SNS könnte daher als Modulator agieren und lediglich ein „Instrument“ sein, dessen das Gehirn sich bedient, um durch das Videotraining motorisches Lernen in Gang zu setzen.