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Rehabilitation und Therapiemethoden

1. Einführung und theoretischer Hintergrund

1.2. Rehabilitation und Therapiemethoden

Einhergehend mit der Statistik zur Häufigkeit des Schlaganfalls bilden die Patienten nach Schlaganfall in der neurologischen Rehabilitation die größte Gruppe.

Rehabilitation zielt darauf ab, dem Patienten eine möglichst umfassende Teilnahme am normalen Leben zu ermöglichen. Grundvoraussetzungen dafür sind Basisfähigkeiten wie die Kommunikation mit und die Orientierung in der Umwelt sowie weitgehende Unabhängigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens. Die rehabilitative Behandlung der Handmotorik hat auf Grund des hohen Leidensdrucks durch die im Zusammenhang mit einer Hemiparese oft entstehenden Behinderung eine entscheidende Bedeutung für die Betroffenen. Sie kann sich aus verschiedenen medikamentösen, physiotherapeutischen und psychologischen Maßnahmen zusammensetzen. Daher stellt auch die motorische Rehabilitation nicht nur isolierte Anwendung von Einzeltechniken dar, sondern immer eine interdisziplinäre und teamintegrierte Behandlung. Zwar hat sie auch eine erfolgreiche Bewältigung der Krankheitsfolgen zum Ziel, das Hauptziel der motorischen Rehabilitation ist und bleibt dennoch, gestörte motorische Funktionen so gut wie möglich wiederherzustellen, um die Alltagskompetenzen der Patienten wieder möglich zu machen.

Weil gezielte Handbewegungen für die Lebensqualität der Betroffenen von entscheidender Bedeutung sind, nehmen therapeutische Ansätze zur Verbesserung der Handfunktion einen breiten Raum ein. Die Therapieziele können mit unterschiedlichen Methoden erreicht werden, da ein vielfältiges Repertoire an therapeutischen Interventionen existiert. Dieses ist einerseits durch den Einsatz etablierter Techniken und andererseits durch neue, teilweise noch experimentelle Therapieansätze geprägt.

Traditionelle Behandlungsansätze

Zu den gängigen etablierten physiotherapeutischen Verfahren zählen Therapien nach Bobath, Vojta, Affolter, Perfetti sowie Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (Hermsdoerfer; Ziemainz et al., 2008). Manche dieser Therapiekonzepte beruhen ausschliesslich auf empirischen Beobachtungen, bzw. klinischen Erfahrungen; zu den wenigsten liegen systematische wissenschaftliche Untersuchungen über deren Effizienz vor. In den meisten Schulen werden Teile traditioneller krankengymnastischer Konzepte übernommen und bei der Durchführung von Alltagshandlungen integriert, wie beispielsweise im Rahmen eines aktivitätsorientierten Trainings von Handfunktionen. Die Patienten werden meistens, je nach angewandtem Konzept unterschiedlich, von den Therapeuten bei der Ausführung ihrer Bewegungen unterstützt oder bekommen Kompensationsstrategien durch den Einsatz der gesunden Hand vermittelt (Hermsdörfer & Hagmann, 1999). Diese traditionellen Verfahren lehnen sich teilweise an neurophysiologischen Konzepten an und sollen über unterschiedliche Stimulationsarten eine (Re-)Aktivierung der neuronalen Strukturen erreichen, die für die Kontrolle der betroffenen Körperseite zuständig sind. Zwar wurden und werden durch diese vorwiegend somato-sensorisch orientierten Therapieverfahren gute Erfolge erreicht, jedoch besteht oftmals das Problem, daß mit einer Lähmung auch eine Einschränkung der Körperwahrnehmung einhergeht, so daß die verschiedenen Stimulationsmechanismen unter Umständen nur eingeschränkt zentral verarbeitet werden können. Des Weiteren wird neben der Wahrnehmung der Körperstellung, der sogenannten Propriozeption, die visuelle Wahrnehmung des eigenen Körpers bei diesen Therapien eher vernachlässigt bzw. teilweise sogar gezielt ausgeschaltet (z.B. durch Schließen der Augen). Keines der etablierten Therapieverfahren macht sich den visuellen „Eingang“ explizit zu Nutzen.

neuere innovative Therapieverfahren

Neben den etablierten physiotherapeutischen Verfahren wurden neuere innovative Therapieverfahren entwickelt und in Studien erprobt; wie beispielsweise die Constraint-Induced Movement Therapie (CIMT) oder etwa das Spiegeltraining. Diese zielen eher auf das Training betroffener Leistungen ab und sind in vielen Fällen durch aktives und aufgabenorientiertes Bewegungstraining mit repetitiven Bestandteilen und durch hohe Intensität im Rahmen spezifischer Settings gekennzeichnet. Ausserdem, wie es randomisierte kontrollierte klinische Studien für die Entwicklung und Beurteilung von Rehabilitationsmethoden nahe legen, sind diese innovative Behandlungstechniken den traditionellen Behandlungen überlegen (Arbeitgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2005). Zudem sind aufgabenspezifische und zielorientierte Verfahren nicht nur effektiver im Hinblick auf das Behandlungsziel, vielmehr bleiben die Behandlungsergebnisse länger erhalten.

Überlegen macht die neuen Therapieansätze vermutlich der problemorientierte Einsatz spezifischer therapeutischer Verfahren (Arbeitgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2005). Diese sollten „als Module einer wissenschaftlich nachgewiesenen effektiven Therapie in der Behandlung motorischer Störungen“ (Beck, 2004, S. 3) betrachtet werden. In der alltäglichen klinischen Praxis werden die neueren Therapieformen trotz ausreichender Belege für ihre Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Verfahren bislang nur in geringem Maße eingesetzt (Beck, 2004; Mayer et al., 2003). Woldag und Hummelsheim stellen in der neurologischen Rehabilitationsmedizin jedoch zumindest einen Fortschritt „hin zu evidenzbasierter rationaler Therapie“ (Woldag & Hummelsheim, 2006, S. 96) fest. Auch Ärzte und Therapeuten fordern immer häufiger die Integration neuer Erkenntnisse aus der Motorikforschung. Besonders psychologische Therapieansätze scheinen im Bereich der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten noch Entwicklungspotential zu bergen. Dies scheint daran zu liegen, daß die Schwerpunkte bisher lediglich auf die Behandlung kognitiver Funktionsstörungen und weniger auf die Therapie motorischer Beeinträchtigungen gelegt wurden (Bauder et al., 2001).

Zu diesen neuen und teilweise viel versprechenden Behandlungsansätzen gehören auch das repetitive Training, CIMT, das Spiegeltraining oder das Mentale Training, welche im Folgenden detailliert dargestellt werden sollen.

das repetitive Training

Zu den Therapieansätzen, bei denen Verbesserungen beeinträchtigter Handfunktionen nachgewiesen werden konnten, gehört beispielsweise das repetitive Training von Teilbewegungen (Hermsdörfer & Hagmann, 1999). Ein zentraler Bestandteil des repetitiven Trainings ist die häufig wiederholte Ausführung gestörter Bewegungen, Bewegungskomponenten oder komplexerer Handlungsaufgaben. Die gleichen Gelenkbewegungen werden unter variablen Aufgabenbedingungen immer wieder geübt.

Dabei sollen durch die wiederholte Benutzung gleicher synaptischer Verbindungen zentralnervöse Plastizitätsprozesse angeregt werden (Bauder et al., 2001, S. 17). 1995 konnte Bütefisch mit einer Untersuchung zeigen, daß sich bei Patienten mit spastischen Paresen durch repetitives Üben von Greifbewegungen die Kontraktionskraft und die Dekontraktionsgeschwindigkeit verbesserten (Butefisch et al., 1995). Eine Studie von (Hummelsheim & Eickhof, 1999 ) belegte beispielsweise, daß das repetitive Training einfacher Hand- und Fingerbewegungen zu deutlichen Verbesserungen der biomechanischen und funktionellen Parameter der Handmotorik führte. Des Weiteren war das repetitive Training der konventionellen Physiotherapie überlegen (Hummelsheim et al., 1997). Die repetitive Wiederholung isolierter Bewegungen führte bei Schlaganfallpatienten sowohl in der akuten als auch in der subakuten Phase zu signifikanten Verbesserungen auf funktionellen Skalen und bei Parametern der Hand- bzw. Armfunktion. Ausserdem konnte Feys und ihre Kollegen zeigen, daß repetitives Üben im Hand- und Fingerbereich in der Akutphase nach Schlaganfall besonders effektiv ist (Feys et al., 1998) und die funktionellen Verbesserungen auch 5 Jahre später noch nachweisbar sind (Feys et al., 2004). Die häufige Wiederholung gleicher Bewegung ist also von essentieller Bedeutung für das motorische Lernen bei Gesunden sowie für die Erholung motorischer Funktionen bei Patienten mit zentralen Lähmungen (Hummelsheim, 1998). Das intensive Üben ist somit eines der wichtigsten lerntheoretischen Prinzipien, das die übungsbedingte kortikale Plastizität begünstigt (Jenkins et al., 1990). Doch diese kann und wird durch eine Reihe weiterer Lernbedingungen beeinflußt. So ist neben dem intensiven Training der betroffenen Hand die Verhaltensrelevanz ein wesentlicher Faktor, der das gesamte Potential an Funktionswiedererholung fördert und somit zur übungsbedingten kortikalen Plastizität führt (Kopp et al., 1999; Liepert et al., 2000; Liepert et al., 1998).

CIMT

Ein neueres innovatives Therapieverfahren stellt auch die Constraint-Induced Movement Therapie (CIMT) dar, die auf lerntheoretischen Prinzipien und Erkenntnissen zur Neuroplastizität basiert. Die sogenannten forced-use-Strategien wurden postuliert, als das fortschreitende Verständnis der zerebralen Organisation von Motorik die Erkenntnis brachte, daß schon alleine der Nichtgebrauch einer betroffenen Extremität durch die Verringerung der kortikalen Repräsentation zu einer Funktionsverschlechterung führt (Liepert et al., 1995). CIMT zielt darauf ab, den Einsatz der betroffenen Extremität durch Verhinderung kompensatorischer Bewegungen der weniger beeinträchtigten Extremität (constraint) zu fördern. So sollen beispielsweise chronische Schlaganfallpatienten mit gelerntem Nicht-Gebrauch mittels verstärkter Verwendung des betroffenen und zum Teil wieder funktionsfähigen Armes dazu gebracht werden, diesen entsprechend seinen Möglichkeiten im Alltag vermehrt einzusetzen. Hierfür wird der nicht betroffene Arm bzw. die nicht betroffene Hand mittels einer Schlinge oder Schiene temporär immobilisiert, wodurch kortikale Reorganisationsprozesse in Gang gesetzt werden sollen (Bauder et al., 2001).

Gleichzeitig erfolgt ein intensives motorisches Training mit dem paretischen Arm, bei dem ein sukzessiver Bewegungsneuaufbau gefördert wird. Das Training ist dabei nach Shapingprinzipien aufgebaut, d.h. die motorischen Übungen sind in ihrer Schwierigkeit gestuft. Die Therapie erstreckt sich in der Regel über einen Zeitraum von zwei Wochen und dauert täglich drei bis sechs Stunden (Elbert et al., 2003). Daher ist sie nur therapeutisch belastbaren, motivierten Patienten zu empfehlen, die außerdem gewisse Mindestkriterien der Bewegungsfähigkeit am betroffenen Arm bzw. der betroffenen Hand aufweisen sollten. Des Weiteren ist die Methode sehr personalintensiv, da der so zusätzlich in der Motorik eingeschränkte Patient idealerweise einen Therapeuten haben sollte, der ihn während des gesamten Tages begleitet. Allerdings kann mit CIMT selbst nach jahrelangem Nichtgebrauch eine Verbesserung der von zentralnervösen Schädigungen beeinträchtigten motorischen Funktionen erreicht werden, sowohl in klinischen Parametern als auch in neurophysiologischen Messungen (Bauder et al., 2001; Wolf et al., 2006; Wolf et al., 2008)

Spiegeltherapie

Ein weiteres relativ junges Therapieverfahren für neurologische Patienten mit einer Hemiparese bzw. einer Hemiplegie, beispielsweise nach einem Schlaganfall (Dohle et al., 2005, 2009) ist das Spiegeltraining (mirror visual feedback; Ramachandran, 2005).

Das Grundprinzip der Spiegeltherapie besteht darin, daß die Kombination von selbst initiierter Bewegung und spezifischer visueller Stimuli eine Aktivierung der betroffenen Hemisphäre bewirkt. Hierbei werden motorische Übungen mit der nicht betroffenen Extremität ausgeführt und gleichzeitig visuelles feedback dargeboten, als wären es Bewegungen der beeinträchtigten Extremität. Dazu wird ein Spiegel in sagittaler Ausrichtung zur Körpermitte vor dem Patienten auf einem Tisch platziert und die betroffene Extremität hinter dem Spiegel, für den Patienten nicht sichtbar, gelagert. Der Patient schaut in den Spiegel und beobachtet dort das Spiegelbild seiner nicht betroffenen Extremität. Bewegt der Patient seine gesunde Extremität, entsteht so der Eindruck, als ob sich die betroffene Extremität bewegen würde. Das Spiegeltraining eignet sich insbesondere für schwer betroffene Patienten auch mit ausgeprägtem propriozeptivem Defizit, da insbesondere der Aspekt der visuellen Reizaufnahme betont wird (Dohle et al., 2005). Für Patienten mit ausreichender Kooperationsfähigkeit und bereits wieder erlangten motorischen Funktionen bietet es eine gute und effiziente Ergänzung zu einer rein motorischen Therapie, die insbesondere auch mit geringem personellen Aufwand zu realisieren ist. „Allerdings scheint die zerebrale Aktivierung in erheblichem Maße von der Aufmerksamkeit des Patienten abzuhängen. Daher ist ein sinnvoller Einsatz nur bei den Patienten möglich, die in der Lage sind, die Ausführungsanweisungen sinnvoll umzusetzen.“ (Dohle et al., 2005, S. 64). Der besondere Aspekt, den die Spiegeltherapie in die motorische Rehabilitation einbringt, ist die gezielte Aktivierung der visuellen Repräsentation des Körperschemas.

Bewegungsvorstellung und mentales Training

Zu den neueren innovativen Therapieverfahren zählt auch das Mentale Training, welches über die „Hintertür“, wie es Sharma, Pomeroy und Baron im Titel ihres Reviews formulieren, „Zugang zum motorischen System“ versucht sich zu verschaffen (Sharma et al., 2006; Übersetzung der Autorin). Die Zeit, die eine Person direkt nach einem Schlaganfall mit physischem Training verbringen kann, ist aufgrund von Schwäche, mangelnder Ausdauer und Gleichgewichtsschwierigkeiten stark beschränkt.

An dieser Stelle bietet sich das Mentale Training als entlastende und erhaltende Methode an (Malouin et al., 2004).Ausserdem ist das Mentale Training nicht an hohe Personal- und Materialkosten geknüpft, so daß der Patient es weitgehend selbständig ausüben (Bauder et al., 2001) und die Durchführung seiner motorischen Handlungen verbessern und optimieren kann (Arbeitgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2005). Die Patienten können selbständig am Erlernen und Verfeinern ihrer sensomotorischer Fertigkeiten bzw. am Behalten von Bewegungssequenzen arbeiten (Narciss, 2001).

Ursprünglich wurde die Technik des Mentalen Trainings für den Sport entwickelt. Die Idee war, daß äußere motorische Abläufe besser gelingen, wenn man diese durch spezielle kognitive Prozesse fördert (Eberspächer, 2001). Grundlegend hierfür war der Einsatz neuer technischer Verfahren, die es erlauben, Hirnaktivität beim Menschen nicht-invasiv abzubilden. So konnte gezeigt werden, daß die zerebrale Organisation von Bewegungsausführung durchaus ähnlich zu der von Bewegungsbeobachtung und -vor-stellung ist, bzw. daß einige der Hirnareale, die für die Organisation von Bewegung zuständig sind, bereits bei deren Vorstellung und Beobachtung aktiviert werden. Eine ausführliche Übersicht der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede der Aktivierungsmuster unter den verschiedenen Bedingungen findet sich beispielsweise bei Grèzes und Decety (Grèzes & Decety, 2001).

Das Mentale Training beruht auf planmäßiger Wiederholung, des bewußten Sich-Vorstellens eines einschlägigen Bewegungsablaufs, ohne dessen gleichzeitiger Durchführung (Mayer et al., 2003). Dabei ist zu betonen, daß eine bloße Bewegungsvorstellung ohne gleichzeitige Ausführung in der Praxis noch kein Mentales Training darstellt (Eberspächer et al., 2002). Eine Bewegungsvorstellung wird erst dann zum Mentalen Training, wenn sie planmäßig wiederholt und bewußt erfolgt. Als grundsätzliches Ziel wird verfolgt, einen psychischen Zustand herbeizuführen, „der es ermöglicht, unter allen denkbaren Bedingungen die eigenen realistischen Leistungsmöglichkeiten zu entfalten“ (Eberspächer, 2001, S. 83). Durch das intensive Sich-Vorstellen von Bewegungsabläufen sollen ganz allgemein die Bewegungsausführungen verbessert werden (Kemmler, 1973; Mayer et al., 2003). Im Bereich der Rehabilitation scheinen Strategien der Selbstbeobachtung und Selbstinstruktion Patienten langfristig dabei helfen zu können, in der Regel automatisch

ablaufende, bei ihnen jedoch beeinträchtigte Aktionen aktiv und teilweise elegant zu kompensieren (Knab, 2000).

Das Mentale Training ist nachgewiesenermaßen ein wirksames, und gleichzeitig das bekannteste und meistüberprüfte kognitiv orientierte Trainingsverfahren im Spitzensport (Singer & Munzert, 2000). Auch im Bereich der Rehabilitation nach Schlaganfall gibt es inzwischen zahlreiche Studien und Einzelfallberichte zur Anwendung und Wirksamkeit von Mentalem Training. Darunter lassen sich drei Gruppen mit unterschiedlichem Untersuchungsziel unterscheiden: Studien zur Erforschung der Voraussetzungen für die Durchführung von Mentalem Training bei Schlaganfall, Studien zur Prüfung der Wirksamkeit und Reviewartikel, die über Effektstärkenberechnung die Bedeutsamkeit der Effekte prüfen.

Studien zu Voraussetzungen der Durchführung von Mentalem Training untersuchen, ob Mentales Training bei Schlaganfallpatienten grundsätzlich durchgeführt werden kann.

Sie gehen der Frage nach, ob die Patienten überhaupt über die Fähigkeit verfügen, sich eine Bewegung vorzustellen, die sie aufgrund einer Lähmung nicht ausführen können.

Dazu wird den Patienten auf einem Monitor eine modifizierte Hand-Rekognitions-Aufgabe nach Parsons, also eine Abbildung von einer Hand oder einem Fuß in einer bestimmten verdrehten Stellung präsentiert. Die Versuchspersonen müssen so schnell wie möglich die Abbildung nach ihrer Seitigkeit (rechte oder linke) bewerten. Eine andere Aufgabe besteht darin eine Griffart (Ristgriff oder Kammgriff) zu antizipieren.

Bei derartigen Tests wird angenommen, daß Patienten eine Vorstellung von der Bewegung generieren und anwenden (Johnson, 2000). Decety & Boisson (Decety &

Boisson, 1990) konnten zeigen, daß Patienten mit unilateralen zerebralen Läsionen nach Schlaganfall durchaus in der Lage sind sich Bewegungen mit der betroffenen Extremität vorzustellen. Johnson-Frey (2004) bestätigten den Befund, daß Bewegungsvorstellung in der chronischen Phase des Schlaganfalls möglich ist (vgl. Sirigu et al., 1996) und belegen darüber hinaus, daß dies in der akuten Phase des Schlaganfalls auch zutrifft.

Die Autoren weisen allerdings auch darauf hin, daß in Einzelfällen bei bestimmten Läsionen (z.B. bei Störungen der Vorstellungsfähigkeit nach kontralateralen parietalen und prämotorischen Läsionen) Gegenteiliges berichtet wird. Somit kann die Frage, ob Mentales Training bei Schlaganfallpatienten durchgeführt werden kann, letztendlich nur individuell in Abhängigkeit des Läsionsgrades und der Läsionsart beantwortet werden.

Vor diesem Hintergrund erscheint es zwar grundsätzlich sinnvoll, Mentales Training als

Instrumentarium in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten einzusetzen, allerdings ist es unablässig, von vorneweg die Fähigkeit der Bewegungsvorstellung zu überprüfen.

Zur Klärung der anwendungsorientierten Frage, ob Mentales Training in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten ein wirksames Verfahren darstellt, wurden Wirksamkeitsstudien durchgeführt, deren Fokus sowohl ganz eng auf die Bewegungsverbesserung der oberen oder unteren Extremität gelegt wurde, als auch weitergefaßt wurde auf die Verbesserung der Gehfähigkeit, der Alltagskompetenz oder des Umgangs mit interaktiven Technologien. Studien zur Bewegungsverbesserung der oberen Extremität erbringen zwei wesentliche Ergebnisse: Erstens führen vierwöchige bis sechswöchige kombinierte Trainingsprogramme aus Mentalem und physischem Training zu einer nachweislichen Optimierung der Bewegungsfähigkeit hinsichtlich Arm- (Miltner et al., 1999) und Handgelenksbeweglichkeit, Greifbewegung (Dijkerman et al., 2004; Miltner et al., 2000; Weiss et al., 1994) oder Greifstärke. Zweitens wird der Nachweis der Wirksamkeit für alle Phasen der Rehabilitation erbracht: sowohl für die Phase im Akutkrankenhaus (Liu et al., 2004) für den Zeitraum unter einem Jahr nach dem Schlaganfall (Crosbie et al., 2004; Page et al., 2001a; Page et al., 2001b), als auch im chronischen Stadium der Erkrankung, i.e. nach einem Jahr und mehr (Dijkerman et al., 2004; Page, 2000; Stevens & Stoykov, 2003). Die Evaluation des Mentalen Trainings an anderen Extremitäten, bzw. anhand weiterer Parameter ergibt ebenfalls Verbesserungen der Bewegungen, zeigt Generalisierungseffekte auf und gibt vielversprechende Anstöße für weitere Untersuchungen (Dickstein et al., 2004; Liu et al., 2004). Bei der Durchsicht der bisherigen Publikationen lassen sich eine Vielzahl von Umsetzungsmöglichkeiten in der Art und Weise der Vorstellunsgenerierung sowie der Durchführungsmodalitäten des Mentalen Trainings feststellen. Welche Methode favorisiert werden sollte, lässt sich letztendlich nur im Kontext der Folgen des Schlaganfalls und der verbliebenen Ressourcen und Fähigkeiten der Patienten entscheiden. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß sich bei Schlaganfallpatienten vorgegebene Instruktionen durch Audiotapes (Page, 2000; Page et al., 2001a; Page et al., 2001b) oder durch Vorlesen des Therapeuten (Dijkerman et al., 2004) und der Einsatz von Videodarstellungen eines Modells oder des Patienten selbst (Miltner et al., 1999) positiv auf die Durchführung der Zielbewegung auswirken. Taktilkinästhetische, propriozeptive Stimulierung der betroffenen Seite durch den Therapeuten (Miltner et al., 1999), kontralaterale Ausführung (Crosbie et al., 2004) oder visuelle Stimulation

mittels Spiegelvorrichtung können die Generierung der Bewegungsvorstellung unterstützen (Miltner et al., 1999; Moseley, 2004; Stevens & Stoykov, 2003). Die gemeinsame Erkenntnis vieler klinischen Studien, die verschiedene Interventionsbedingungen vergleichen, ist folgende Rangfolge: Effekte eines kombinierten Ansatzes vom praktischen mit Mentalem Training erbringen die größten Verbesserungen motorischer Fähigkeiten, gefolgt vom praktischen Training allein, dann die alleinige mentale Intervention, was wiederum keinem Training überlegen ist (Malouin et al., 2004; Page et al., 2001a).

Verschiedene Reviewartikel prüfen über Effektstärkenberechnung die Bedeutsamkeit der Effekte von Mentalem Training nach Schlaganfall (Braun et al., 2006; Sharma et al., 2006; Ziemainz et al., 2008; Zimmermann-Schlatter et al., 2008). Das gemeinsame Fazit der Reviewartikel ergibt aufgrund mittlerer (ESkorr > 0,5) bis hoher Effektstärken (ESkorr > 0,8; nach Ziemainz et al., 2008) die Empfehlung, Mentales Training in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten als Zusatzbehandlung zu herkömmlichen bewegungstherapeutischen Maßnahmen einzusetzen. Folgende Erkenntnisse lassen sich aus der Betrachtung der Studien zu Mentalem Training in der neurologischen Rehabilitation zusammenfassen:

• Die (publizierten) Studien bestätigen einvernehmlich, daß auch im Bereich der Rehabilitation die größte Effektivität bei der Kombination von körperlichem Training und Mentalem Training entsteht (Jackson et al., 2001). Mentales Training erzielt seine größte Wirkung, wenn motorische Übungseinheiten direkt an kognitive anschließen (Ziemainz et al., 2008).

• Mentales Training kann jedoch nicht uneingeschränkt bei allen neurologischen Patienten eingesetzt werden (Überblick bei Mulder, 2007). Wenn beispielsweise durch kontralaterale parietale oder prämotorische Läsionen die Fähigkeit sich Bewegungen vorzustellen abhanden gekommen ist (Johnson-Frey, 2004), stellt Mentales Training eine sinnlose Intervention dar. Daher wird vor dem Einsatz des Mentalen Trainings die Erfassung der Vorstellungsfähigkeit empfohlen (Schott, 2004). Zudem kann die Genauigkeit sowie die zeitliche Kopplung der Bewegungsvorstellung (chaotic motor imagery, Sharma et al., 2006) gestört sein. Im Einzelfall kann jedoch trotz einer solchen Funktionsstörung mental trainiert werden (Sharma et al., 2006, 2009). Bleibt also festzuhalten, daß im

Bereich der neurologischen Rehabilitation der zusätzliche Einsatz des Mentalen Training bei einer Vielzahl von Erkrankungen diskutiert und evaluiert wird.

• Bei Schlaganfallpatienten sprechen die vorliegenden, empirisch gut gesicherten Befunde, eindeutig für die Anwendung des Mentalen Trainings: „We believe that the main question is no longer whether mental practice can help in the rehabilitation of neurologic patients, but rather, what is the best way to implement this cost-efficient technique into current practice” (zitiert nach Jackson et al., 2001, S. 1139).