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Heike Janssen (2016):

Elektrophysiologische Untersuchung des Effektes neurotropher Behandlungen bei gehörlosen Katzen

Hören und Sprechen sind wichtige Kommunikationsmittel des Menschen und haben somit einen wichtigen Anteil an der geistigen und sozialen Entwicklung eines Menschen. Der Anteil der an Gehörlosigkeit erkrankten Menschen ist jedoch steigend.

Hauptursache ist die angeborene oder erworbene sensorineurale Gehörlosigkeit (SNHL). Hierbei führt die Degeneration des Corti‘schen Organs zu einem von der Peripherie her voranschreitenden Verlust der Spiralganglienzellen (SGZ), die den Hörnerv bilden. Therapie der Wahl ist die Behandlung mittels eines Cochlea-Implantats (CI), welches die Funktion der Haarzellen, der Sinneszellen der Cochlea, ersetzt und den Hörnerv direkt stimuliert, um wieder einen Höreindruck zu ermöglichen. Dabei ist der Erfolg einer CI-Behandlung neben individuellen Faktoren des Patienten (z.B. Dauer der Ertaubung) und technischen Voraussetzungen des CI (z.B. Anzahl der Elektrodenkontakte) abhängig von der Anzahl der für eine elektrische Stimulation zur Verfügung stehenden SGZ. Ein protektiver Effekt auf den Erhalt der SGZ konnte bereits durch eine Applikation neurotropher Faktoren (NTF), u.a. „glial cell line-derived neurotrophic factor“ (GDNF), auch in Kombination mit elektrischer Stimulation (ES) des CI, gezeigt werden. Bisher angewendete Applikationsmethoden haben jedoch nur eine begrenzte Wirkdauer (Einzelapplikation, osmotische Pumpen mit Speicherbehälter) oder stehen aufgrund ihrer Biosicherheit (genbasierte Therapie) in der Diskussion.

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, eine neue Behandlungsmethode gegen den voranschreitenden SGZ-Verlust nach Ertaubung für den humanen Patienten auf ihre Sicherheit und Langzeitwirkung (d.h. SGZ-Erhalt) im Tiermodell zu testen (6 Monate), bevor diese in klinischen Studien eingesetzt wird. Der Schwerpunkt lag hierbei in der Untersuchung des Einflusses von fehlender neurotropher Versorgung und/oder fehlender Hörerfahrung auf die Funktionalität des Hörsystems.

Die neue Applikationsmethode beinhaltete die Implantation eines speziell hergestellten Zylinders für das Innenohr, mit darin enthaltenen, genetisch veränderten, GDNF-produzierenden Zellen (engl. „encapsulated-cell“-Zylinder, EC-Zylinder).

Vergleichbare EC-Zylinder mit der gleichen Zelllinie (humane, retinale ARPE-19-Zelllinie) wurden bereits zur Behandlung von Parkinson und Alzheimer im Gehirn des Menschen eingesetzt.

Für den Versuch wurden neonatal ertaubten Katzen im Alter von 3 - 4 Monaten unilateral ein CI, zusammen mit einem EC-Zylinder in die Scala tympani implantiert.

Eine Versuchsgruppe erhielt als Kontrolle einen EC-Zylinder mit der parentalen Zelllinie ohne GDNF-Produktion (-GDNF-Gruppe), mit einer zweiten Versuchsgruppe wurde die alleinige Anwendung des neurotrophen Faktors GDNF untersucht (+GDNF-Gruppe). Die dritte Versuchsgruppe erhielt eine kombinierte Behandlung aus GDNF und ES durch das CI (+GDNF/+ES-Gruppe). Diesen Versuchsgruppen wurden zwei Vergleichsgruppen gegenübergestellt: normal hörende Katzen (nach akuter Haarzell-Zerstörung) sowie kongenital taube Katzen (engl. „congenital deaf cats“, CDC). CDCs weisen aufgrund ihres längeren Erhalts cochleärer Strukturen gegenüber den pharmakologisch ertaubten Tieren eine verlangsamte SGZ-Degeneration auf und stellen somit eine Gruppe ohne Hörerfahrung, jedoch mit natürlicher neurotropher Versorgung dar.

Zur Messung des protektiven Effektes in den Versuchsgruppen wurden nach einer Behandlungszeit von 6 Monaten die Cochleae nach Entnahme auf ihren Erhalt der SGZ histologisch ausgewertet. Zur Untersuchung der Funktion des Hörsystems wurden in einem Akutversuch bilateral CIs implantiert und elektrisch evozierte Hirnstammpotenziale (engl. „electrically evoked auditory brainstem response“, eABR) gemessen.

Nach einer Implantationszeit von 6 Monaten konnte nur noch in einem von 9 EC-Zylindern (+GDNF/+ES-Gruppe) eine, jedoch stark reduzierte, GDNF-Produktion (13 % vom Ausgangswert) nachgewiesen werden. Die histologische Auswertung ergab in allen in-situ verbliebenen EC-Zylindern (n = 6) ein Absterben der ARPE-19-Zellen sowie eine Einkapselung der EC-Zylinder durch fibrotisches Gewebe als Kennzeichen einer chronischen Entzündung. Die Füllung der

Scala tympani mit fibrotischem Material war in der +GDNF-Gruppe, im Vergleich zu den anderen Versuchsgruppen, im behandelten Ohr signifikant erhöht. Während die Kontrollgruppe (-GDNF-Gruppe) in 5 von 6 Fällen mehr SGZ auf der implantierten Seite zeigte (33 % mehr SGZ im implantierten Ohr), führte die alleinige Anwendung von GDNF (+GDNF Gruppe) in 5 von 6 Tieren zu einer beschleunigten SGZ-Degeneration (25 % weniger SGZ im behandelten Ohr).

Die chronische ES wurde für einen Zeitraum von im Mittel 48,67 ± 35,91 Stunden durchgeführt. Trotz dieser kurzzeitigen, initialen, kombinierten Anwendung von ES und GDNF führte die Kombination zu einem signifikant gesteigertem Erhalt der SGZ (66 % mehr SGZ im behandelten Ohr) und wirkte neuroprotektiv in allen Tieren der +GDNF/+ES-Gruppe.

Die Ergebnisse der Histologie deuten darauf hin, dass die Fibrose-Bildung zum Zelltod in dem EC-Zylinder führte und zudem in der +GDNF-Gruppe für den gesteigerten SGZ Verlust verantwortlich war. Die ES konnte vermutlich die vermehrte Fibrose-Bildung verlangsamen und somit den indirekt negativen Effekt des GDNF reduzieren.

Die Untersuchung der Funktion des Hörsystems ergab kaum signifikante Unterschiede zwischen hörenden Tieren und CDCs. Die -GDNF-Gruppe sowie die +GDNF-Gruppe unterschieden sich jedoch signifikant von den hörenden Tieren, die -GDNF-Gruppe in der Amplitude der späten Komponente IV, die +GDNF-Gruppe in der Latenz der späten Komponente IV sowie beide im Maximalwert der eABR-Antwort (engl. „root mean square“, RMS). Dagegen konnten die Amplituden früher und späterer Komponenten sowie die maximalen RMS-Werte durch eine kombinierte Behandlung von ES und GDNF (+GDNF/+ES-Gruppe) qualitativ in Richtung der Werte von normal hörenden Tieren verschoben werden, blieben dabei jedoch unterhalb der Werte der CDCs und hörenden Tiere. Eine längere Stimulationszeit führte dabei zu signifikant höheren Amplituden und höheren maximalen RMS-Werten.

Die Ergebnisse der Elektrophysiologie deuten darauf hin, dass die natürliche neurotrophe Versorgung auch ohne Hörerfahrung einen bedeutenden Einfluss nicht nur auf den Erhalt, sondern auch auf die Funktionalität des Hörsystems hat. Aufgrund der histologischen Ergebnisse kann vermutet werden, dass die ES die neuroprotektive Wirkung des GDNF ermöglichen konnte und somit die kombinierte Anwendung von

ES und externer Versorgung mit GDNF synergistisch zu einer verbesserten Funktionalität des ertaubten Hörsystems führte.

Der im Zusammenhang mit einer verstärkten Fibrose-Bildung stehende negative Effekt der GDNF-Behandlung indiziert den unterstützenden Einsatz antiinflammatorischer und antioxidativer Medikamente. Die hier vorgestellte Methode der kombinierten Behandlung mit GDNF und ES hat das Potenzial, bei Langzeitapplikation, protektiv sowohl auf den Erhalt, als auch auf die Funktionalität der SGZ zu wirken, und somit die Effektivität einer CI-Behandlung im humanen Patienten zu erhöhen.