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4. Exploration des Sorgefeldes der Young Adult Carer

4.5. Zusammenfassung der Exploration

Sorgetätigkeiten und den Bedürfnissen und Wünschen insgesamt schon viel gesagt werden kann. Für die eigentliche Gruppe, den Young Adult Carern, haben beide Studien neue Akzentsetzungen aufgezeigt. Obwohl pflegende junge Erwachsene nicht Bestandteil beider Studien waren, zeigten sie eine andere, jedoch ungenaue Form von Betrachtung auf diese Gruppe. Mittels einer qualitativen Retroperspektive anhand von ehemaligen Kindern und Jugendlichen wiesen die Studien auf eine Blickweise hin, wie sich Entscheidungspfade und Lebensentscheidungen – aufgrund der früheren Sorgeerfahrungen im Kindes- und Jugendalter – auf unterschiedliche spätere Lebensphasen auswirken. Diese retroperspektiven Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten findet man auch zum Teil in der Exploration dieser Arbeit wieder. Dieser erweiterte Analyseblick bestätigt den Umstand, besonders den Übergang ins Erwachsenenalter im Auge zu behalten, wenn es darum geht, Young Adult Carer in den Blick zu nehmen.

Zum Verhältnis von österreichischem Wohlfahrtstaat zu Young (Adult) Carer konnten beide Studien ein ambivalentes Bild vermitteln. Es kam zum Beispiel keine systematische Berücksichtigung der wohlfahrtstaatlichen Steuerungsmaßnahmen, Stichwort Pflegegeld, zum Tragen, die u.a. der Frage nachging, ob und inwieweit diese Form der wohlfahrtstaatlichen Steuerung von Young (Adult) Care und deren Familien in Anspruch genommen wird. Auch fehlt die Einbindung des wissenschaftlichen Diskurses über die Transformation des Wohlfahrtstaates.

Es wird aber vermutet, dass dies nicht im Rahmen der Studienziele gelegen ist. Jedoch richtet die Studie ihren Blick auf zukünftige Unterstützungs- und Hilfsangebote für Young Carer in Verbindung mit wohlfahrtsstaatlichen Strukturen im weitesten Sinne. Ausgehend von der Feststellung, dass „weder […] die Aufmerksamkeit von beispielweise Bildungseinrichtungen oder von Unternehmen ausreichend vorhanden [ist], noch gibt es Programme, die gegenwärtig auf die Bedürfnisse dieser Gruppe Bezug nehmen“ (ebd.: 390), formulierte die zweite Studie ein Rahmenkonzept für eine Reihe von möglichen Unterstützungsmaßnahmen. Dabei werden vorhandene wohlfahrtstaatliche Strukturen, wie Pflege- und Sozialinstitutionen, die (sozial-)politische Ebene und das familiäre Umfeld miteinander verknüpft.

Bei den beiden angloamerikanischen Begriffen Young Carer und Young Adult Carer wurde die Problematik der Grenzziehung im Form der Volljährigkeit sichtbar, wenn es darum geht, den Übergang in das Erwachsensein und die andauernde Sorgesituation analytisch im Blick zu behalten.

Bezüglich der möglichen Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten, die die Young Adult Carer im Laufe ihrer Sorgetätigkeiten erleben bzw. mit denen sie konfrontiert sind, konnte vielfaches skizziert werden, was auch schon in der Literatur zu finden war. Die Bedeutsamsten waren hierbei die Herausforderungen der Vereinbarkeit und des Zurechtkommens der individuellen Sorgesituation mit den Anforderungen in den jeweiligen sensiblen Lebensphasen und den daraus resultierenden Belastungen. Die sensiblen Lebensphasen, die in der Erhebung zur Diskussion standen und auch schon in der angloamerikanischen Literatur dokumentiert wurden, waren die Aus- und Weiterbildung in Form des Studiums und die Universität als dessen Institution, die Entscheidung, das Zuhause zu verlassen und den ersten Schritt in die Unabhängigkeit zu tun, ebenso wie Partner- und Freundschaftsbeziehungen. Dabei wurde festgestellt, dass diese Phasen prinzipiell als Transitions to Adulhood und somit als Ablöse- und Übergangsprozesse verstanden werden. Die darin skizzierten Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten waren höchst breit und individuell konstruiert. So waren vor dem oder im Studium die jungen Erwachsenen unter anderem mit einer (geografisch) eingeschränkten Auswahlmöglichkeit der Studienwahl konfrontiert. Sie erfahren Mehrbelastungen durch das neue Lebensumfeld und durch die starren universitären Strukturen und sind dabei jederzeit damit beschäftigt, dies mit ihren Sorgetätigkeiten zu vereinbaren. Der Entscheidungsprozess, das Zuhause zu verlassen und somit außerhalb ihres Sorgeumfeldes zu leben, wird aufgrund des Verantwortungsgefühls gegenüber der zu pflegenden Person hinausgezögert. Zudem geht es mit Schuldgefühlen einher und mündet oft in ein caring at a distance. In den Lebensphasen der Freundschafts- und Partnerschaftsbeziehungen können junge Erwachsene Schwierigkeiten bei sozialen Bindungen aufweisen, aufgrund von negativen Erfahrungen im Kontext ihrer Sorgesituation in der Vergangenheit.

Bei der Betrachtung einer Gleichzeitigkeit oder Überlappung dieser Lebensphasen konnte dagegen wenig herausgearbeitet werden. Es gab nur Anhaltspunkte für einen höheren Stresslevel und einen anderen Anspruch der Organisation an die jungen Erwachsenen, wenn sie mehrere Lebensphasen parallel durchleben.

Der Blick auf die der Unterstützungsmaßnahmen bei Young (Adult) Carern veranschaulichte deutlich, dass hier der Schwerpunkt der deutschsprachigen Forschung liegt. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass die größte Herausforderung in der gesellschaftlichen und institutionellen Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung liegt. Dies wird als Voraussetzung angesehen, um überhaupt Unterstützungs- und Angebotsmaßnahmen für Young (Adult) Carer etablieren zu können. Die Wichtigkeit sieht man auch darin, dass zum Beispiel in Österreich noch keine Unterstützungsangebote für junge Erwachsene vorhanden sind. Die

abschließende Thematik befasste sich mit einer ersten Sichtung zum österreichischen und deutschen Wohlfahrtstaat im Kontext der Young Adult Carern. Dabei haben sich sowohl bei den Expert_Innen als auch in der Forschungsliteratur Wissenslücken aufgetan. Auf der Seite der Expert_Innen wurden lediglich punktuelle Überlegungen zu diesem Thema angestellt. Jedoch war man sich einig, dass auch bei den Akteur_Innen innerhalb der wohlfahrtstaatlichen Strukturen eine massive Bewusstseinsbildung vonstattengehen muss, da größtenteils noch nicht bekannt ist, dass Young Adult Carer als pflegende Angehörige existieren. Das ist auch der Grund, warum noch keine spezifischen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen für junge Erwachsene vorhanden sind.

Die Sekundäranalyse der österreichischen Studien (Nagl-Cupal et al. 2015b; Nagl-Cupal et al.

2015a) hat die bisherige Exploration zu Young (Adult) Carern an einigen Stellen erweitert. Führt man diese mit der anderen anglo- und deutschsprachigen Forschung zusammen, die in dieser Arbeit aufgemacht wurden, ergibt sich ein fundiertes empirisches Gesamtbild über Young Carer.

Für die eigentliche Zielgruppe, den pflegenden jungen Erwachsenen zeigte die Retroperspektive von ehemaligen pflegenden Kindern und Jugendlichen einige Bestätigungen der Exploration. So lassen sich in dessen Erzählungen punktuelle Erfahrungen, Schwierigkeiten und Herausforderungen, die schon von den Expert_Innen aufgezeigt worden sind, wiederfinden. Die zentrale Erweiterung besteht jedoch in der Erkenntnis, dass man bei einer wissenschaftlichen Betrachtung von Young Adult Carern die Sorgeverantwortung während ihrer Kindheits- und/oder Jugendzeit mitberücksichtigen muss, sofern sie vorhanden ist. Weiters dessen zeigt die Analyse, so wie die Exploration, dass der Übergang in das Erwachsenwerden von zentraler Bedeutung ist. Denn die österreichischen Studien zeigten auf, dass Sorgeerfahrungen in diesen drei Entwicklungszeiträumen einen starken Einfluss auf spätere Entscheidungspfade und Lebensentscheidungen im Erwachsenenalter einnehmen.

Auch konnten der Blick bezüglich des österreichischen Wohlfahrtsstaates und dessen Strukturen schärfen, obwohl beide Studien die vorhandene Diskussion der Wohlfahrtsstaatsforschung nicht eingebunden hat und auch den gegenwärtigen Stand der wohlfahrtsstaatlichen Steuerungsmaßnahmen unberücksichtigt hat lassen. So liefert insbesondere die Analyse der zweiten Studie ein fundiertes Rahmenfundament, wie man Unterstützungs- und Hilfsangebote für Young Carer in Kombination von gesellschaftlichen und wohlfahrtstaatlichen Strukturen konzipiert könnte.

Im Gesamten konnte durch die Sichtung auf das Sorgefeld der Young Adult Carer über den methodischen Weg der Expert_Inneninterviews eine Momentaufnahme von Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten der Young Adult Carer entlang unterschiedlicher Themenbereiche im Allgemeinen und entlang der Lebensphasen im Speziellen festgehalten werden. Dabei wurden auch teilweise Themenfelder aufgenommen, die nur Young Carer

betreffen. Diese unscharfe Grenzziehung zwischen Young Carer und Young Adult Carer in der Exploration kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass junge pflegende Erwachsene ohne ihre Sorgeerfahrungen als Kind oder Jugendliche nicht systematisch in den Blick genommen werden können.